Führerscheinentzug und Geldstrafe für selbstfahrenden Notarzt wegen Straßenverkehrsgefährdung

  • Ein Strafbefehl gegen einen selbstfahrenden Notarzt in Bayern sorgt für Unverständnis: der Mediziner soll während einer Einsatzfahrt zu einem Kindernotfall zwei entgegen kommende Autofahrer zum scharfen Abbremsen und Ausweichen auf das Bankett genötigt haben, weshalb er nun eine Geldstrafe von 4500 Euro zahlen soll. Zusätzlich soll ihm sein Führerschein für sechs Monate entzogen werden - nach Aussage des Arztes eine Gefährdung seiner beruflichen Grundlage.


    Völliges Unverständnis für den Strafbefehl hat der Rechtsanwalt und stellvertretende Kreisvorsitzende des BRK-Kreisverbandes Neuburg-Schrobenhausen, Günther Schalk, der den Notarzt als Anwalt vertritt: "Für völlig unverständlich halte ich es, wenn ein Vertreter einer Staatsanwaltschaft und ein Richter ein solches Verfahren nicht sofort einstellen, sondern einen Strafbefehl mit Führerscheinentzug über ein halbes Jahr verhängen. Das ist ein fatales Signal gegenüber allen Haupt- und Ehrenamtlichen, die für Rotes Kreuz, Feuerwehr und Polizei Tag und Nacht selbstlos im Einsatz sind, um anderen Menschen zu helfen."


    Quelle und ausführlicher Text: http://www.augsburger-allgemei…det-haben-id32874102.html

  • "Für völlig unverständlich halte ich es, wenn ein Vertreter einer Staatsanwaltschaft und ein Richter ein solches Verfahren nicht sofort einstellen, sondern einen Strafbefehl mit Führerscheinentzug über ein halbes Jahr verhängen. Das ist ein fatales Signal gegenüber allen Haupt- und Ehrenamtlichen, die für Rotes Kreuz, Feuerwehr und Polizei Tag und Nacht selbstlos im Einsatz sind, um anderen Menschen zu helfen."

    Es ist vor allem ein Signal, dass man eine große Verantwortung hat, wenn man mit Lampen und Töte fährt, und dass man andere nicht Gefährden darf.

    Under pressure, you don't rise to the occasion. You sink to your level of training.

  • ein artikel mehr, der keine hinreichende tatsachengrundlage liefert, um die strafbarkeit des verhaltens zu beurteilen. grundsätzlich ist eine strafbarkeit wegen gefährdung ds straßenverkehrs natürlich möglich. man bewegt sich insofern in einem spannungsfeld, das sich eben zwischen der StVO und der konkreten gefährdung anderer straßenverkehrsteilnehmer öffnet. natürlich müssen andere sofort freie bahn schaffen, und das auch durch ausweichen aufs bankett. gefährlich wirds allerdings dann, wenn man zu wenig zeit dafür hat, dies sicher und geordnet zu tun. wenn mir unerwartet ein einsatzfahrzeug auf meiner spur entgegenkommt und mich mit 70 oder sogar mehr km/h auf das bankett zwingt, weil ich nur so einen frontalaufprall verhinden kann, wäre es immerhin möglich, dass ich ins schleudern komme und ein schwerer verkehrsunfall die folge ist. kommt es also zu einer konkreten gefahr, also zu einem beinahe-unfall, ist die strafbarkeit gegeben. ob die subjektive wahrnehmung der anderen verkehrsteilnehmer im vorliegenden einzelfall mit der objektiven gefährdung korreliert, gilt es jetzt vor gericht zu prüfen. die beweiserhebung kann ich mir als schwierig vorstellen.


    die skandalisierung des staatsanwaltlichen vorgehens durch die anwälte halte ich in der pauschalität nicht für zielführend, da man auch mit sondersignal nicht machen kann, was man will. wenn ich menschenleben gefährde, um andere zu retten, versagt die güterabwägung, die dem notstandsgedanken zugrunde liegt.

  • Aber es ging doch um ein KIND!


    :scare3:


    Für die, die mich nicht persönlich kennen: :ironie:

    Alle sagten: "Das geht nicht!". Dann kam einer, der wusste das nicht und hat es einfach gemacht.

  • Der Fall ist nicht zu beurteilen. Aber spätestens seit den Youtube-Videos über einen Simbacher Notarzt weiß man, dass der höhere akademische Abschluss nicht zwangsweise mit einem vernünftigeren Verhalten bei Einsatzfahrten einher geht. Von der Streuung der üblichen Bitten schneller oder langsamer zu fahren ausgeht, aber auch so kein Schlechteres. Ein regelmäßig selbstfahrender NA wird am Ende die gleiche Routine haben, wie sonstige Fahrzeugführer von Einsatzfahrzeugen. Von daher sollte der Fall ebenso kritisch geprüft werden, wie bei einem Rettungsassistenten / Notfallsanitäter, Feuerwehrmann, Polizisten und sostigem Fahrer.


    Andere Verkehrsteilnehmer ins Bankett zu zwingen ist pauschal eine juristisch fragwürdige Aktion. Zum einen ist das umgangssprachliche Wegerecht eben kein Recht, sondern einen Pflicht. Das hat die Folge, dass ich darauf nicht bestehen kann. Schafft ein Autofahrer nicht sofort verhält er sich ordnungswidrig, zwinge ich ihn tue ich dies mindestens auch, ggf. ist das sogar eine strafbare Handlung. Abgesehen von dieser sehr formalen Betrachtungsweise kann es auch eine erhebliche Verletzung der Sorgfalt darstellen. Wenn ich jemanden zum Ausweichen zwinge, kann ich einfach nicht sicher gehen, dass er mich in angemessenem Reaktionszeitraum bereits bemerkt hat. Ob dies in diesem Fall so war oder nicht wird das Gericht zu beurteilen haben. Das die Realität mit ihren begrenzten Möglichkeiten und Zwängen oftmals zu einem Abweichen von diesem idealen Verhalten führt und führen muss, dürfte uns allen klar sein. Das Angebot eines so hohen Strafbefehls legt aber ein zumindest sehr fragwürdiges Verhalten nahe.


    Fazit: Ein wilder Aufschrei gegen die böse Justiz sollte man hier unterlassen. Das Vorgehen kann gerechtfertigt sein, eine pauschale Verurteilung aller Notärzte, die mit Sondersignal fahren, ist aber auch nicht gerechtfertigt.




    PS: Man könnte ja über eine klare Notkompetenzregelung nachdenken, unter welchen Umständen Notärzte fahren dürfen. Ob eine pauschale Delegation durch den Leiter Rettungsdienst da möglich ist?



    (Zum PS: :ironie: :ironie: :ironie: :ironie: :ironie: :ironie: )

    Land zwischen den Meeren,
    vor dem sich sogar die Bäume verneigen,
    du bist der wahre Grund,
    warum Kompassnadeln nach Norden zeigen!

  • Ein regelmäßig selbstfahrender NA wird am Ende die gleiche Routine haben, wie sonstige Fahrzeugführer von Einsatzfahrzeugen.


    zweifelsohne. er steht allerdings in erheblich höherem maße unter psychischem druck, was seine künftige führungsrolle an der einsatzstelle betrifft. je dramatischer und "fachfremder" diese situation der meldung nach ist, desto höher ist dieser druck. das trifft einen rettungsassistenten, der das NEF fährt, sicherlich nicht in diesem maße.


    du hast übrigens vollkommen recht mit deinen ausführungen.

    Einmal editiert, zuletzt von res cogitans ()

  • An der Stelle des Arztes würde ich die Klappe halten und den Strafbefehl schleunigst annehmen bevor es vor Gericht geht und er vorbestraft ist......

  • R.C.: Irgendwie ist da ein gutes Stück Text in dem Zitat verloren gegangen. So wie es bei dir steht, könnte man meinen, dass ich den Fahrstil des Doktors begrüße. Das ist mit Nichten so. Ich nutze diese Dokumentation wegen vielen Aspekten gern für das Unterrichtselement "Professionalität im Rettungsdients" als Negativbeispiel, weil dort (nicht nur von ärztlicher Seite) wirklich eine gewaltige Palette an Unmöglichkeiten geboten wird.


    Edit: Danke für die Korrektur.

    Land zwischen den Meeren,
    vor dem sich sogar die Bäume verneigen,
    du bist der wahre Grund,
    warum Kompassnadeln nach Norden zeigen!

    Einmal editiert, zuletzt von Johannes D. ()

  • Zu dem Youtube-Simbach-Blödsinn: Grundgütiger! Wie naiv man nach 24 Jahren Tätigkeit noch sein kann.....
    Irgendwo hab ich mal gelesen: Erfahrung heißt gar nichts. Man kann auch 40 Jahre lang etwas falsch machen.
    Wie wahr.


    Zum eigentlich Bericht: Schwer zu beurteilen. Vielleicht bin ich da etwas blauäugig, aber wenn da so zügig ein Strafbefehl im Raum steht, wird die Lage wohl recht eindeutig gewesen sein.

    They say God doesn't close one door without opening another.

    Please, God, open that door. :oncoming_fist_light_skin_tone:

  • Der angesprochene NA ist in einer Facebook-Gruppe aktiv, ich schau mal ob man da etwas mehr Info und eine Stellungnahme finden kann, wenn ich wieder normales Internet hab.


    Gesendet von meinem Galaxy Nexus mit Tapatalk

  • zweifelsohne. er steht allerdings in erheblich höherem maße unter psychischem druck, was seine künftige führungsrolle an der einsatzstelle betrifft. je dramatischer und "fachfremder" diese situation der meldung nach ist, desto höher ist dieser druck. das trifft einen rettungsassistenten, der das NEF fährt, sicherlich nicht in diesem maße.


    du hast übrigens vollkommen recht mit deinen ausführungen.


    Nicht dass ich jetzt hier ein Für oder Wider bzgl. den selbstfahrenden Notärzten anbringen will...
    ABER: obiges gilt vielleicht für die ersten 10 Einsätze unter eigener Regie. Also den Punkt kann ich nicht nachvollziehen. Dank viel Routine und Erfahrung, auch was die Einsatzmeldungen und deren Wahrheitsgehalt angeht, wird im Gegenteil ein guter Notarzt auf der Anfahrt noch viel entspannter sein, wohl auch bei einer evtl. Selbstfahrt. Beim Fahren hätte man wenigstens den Kopf frei. Zumindest fällt die Anspannung weg, die viele erfahrungsgemäß haben bei Fahrten ohne selbst die Kontrolle zu haben. Ich selbst bin da zwar meist entspannt und kenne die unterschiedlichen Fahrweisen der Kollegen, ich weiß aber auch, dass viele ihre Fahrer bremsen und meinen, recht "mütterlich" Hinweise und Tipps während der Fahrt zur sicheren Fahrweise geben zu müssen. Meinst Du, diese Notärzte kämen nicht vielleicht entspannter an, wenn sie selbst fahren dürften?
    Bin mal gespannt, was am Ende in diesem konkreten Fall herauskommt und ob die Geschichte korrekt durch die Medien widergegeben wurde.

  • natürlich kann ein(e) notarzt/-ärztin so ein einsatzfahrzeug mit der entsprechenden erfahrung genau so gut fahren, was die hiesige LNA-gruppe unter beweis stellt, und mit der zeit kriegt so ziemlich jeder raus, dass man sich auf die einschätzungen der leitstelle nicht verlassen kann, da diese ja bekanntlich weder augen noch ohren an der einsatzstelle hat, sondern sich ihrerseits auf laienmeldungen verlassen muss. in dem bereich, in dem ich arbeite, gibt es (fast?) keine selbstfahrenden notärzte, weshalb auch ich kein besonderes interesse daran habe, diesen aspekt zu vertiefen. allerdings scheinen wir auch von unterschiedlichen klientelen zu sprechen. an den beiden unikliniken, an denen ich NEF fahre, sind manche notärzte eben nicht sonderlich routiniert in dieser tätigkeit, was daran liegt, dass die normalerweise mit zunehmender erfahrung eher in der klinik eingesetzt werden und daraus eine hohe fluktuation resultiert. jedenfalls habe ich sehr oft mitfahrer, sprich sammler-der-50-fahrten, die ich im anschluss oft als frischgebackene notärzte auf dem beifahrersitz habe und die entsprechend angespannt sind, und zwar vornehmlich auf der anfahrt. nun sind einzelfälle immer ein schlechtes beispiel, um allgemeine positionen zu untermauern, aber hier habe ich eine kleine anekdote, die illustriert, was ich meine. ich fuhr eines morgens mit einer internistin, die ihren ersten selbständigen notarzt-dienst absolvierte. ihre erste frage war, was uns an der einsatzstelle erwarten würde. den zahlencode auf dem piepser wusste ich gerade nicht exakt, schlug vor, einfach hinzufahren und nachzusehen, verwies aber auch auf die liste in der beifahrertür. dieser liste entnahm sie dann: jemand sei nach einem elektrounfall in eine baugrube gefallen. sodann fragte sie mich, ob ich mit dieser kategorie von einsätzen erfahrung hätte und zog im nächsten atemzug ihren notarztleitfaden aus der tasche, um das kapitel elektrounfälle zu überfliegen. es handelte sich dann im endeffekt um eine schenkelhalsfraktur in einer wohnung, die fehlannahme des einsatzstichwortes resultierte daher, dass sie auf der codeliste in der zeile verrutscht war, und "baugrube" war nicht die baugrube, sondern der patientenname (den ich natürlich hier geändert habe).

  • Aber meinst du wirklich, dass das die Notärzte wären, die direkt selbstfahrend eingesetzt werden (wollen)?
    Wenn du das so siehst, dann solltest du auch wieder den altbekannten Wunsch nach Vergleichbarkeit anerkennen. Dann vergleich mal mit dem/der hibbeligen 19-jährigen frischen RA, der/die zum ersten Mal ein NEF und noch dazu eines für ihn bislang unbekannten Autotyps führt. Da fehlt mir dann schon mal grundsätzlich Fahrerfahrung rein durch's Alter bedingt. Ich hab auf einer Anfahrt noch nie einen Leitfaden gezückt. Bringt eh nichts für den Einsatz. Und gerade bei den Einsätzen, wo das Adrenalin mal steigen könnte noch weniger als bei Standardfällen, die man eigentlich nach den ersten 2 Mal drauf haben sollte.

  • Dann vergleich mal mit dem/der hibbeligen 19-jährigen frischen RA, der/die zum ersten Mal ein NEF und noch dazu eines für ihn bislang unbekannten Autotyps führt.


    Wo fahren denn 19 Jahre alte RettAss NEF?

    The reason I talk to myself is because I’m the only one whose answers I accept. George Carlin

  • mir schwant, wir reden wirklich von unterschiedlichen dingen. wenn im ländlichen bayern ein alleinfahrender notarzt seine 2, 3 einsätze in 24 stunden rund um sein heimatdorf abarbeitet, ist das vollkommen ok. hier in der großstadt ist es das nicht. davon abgesehen, dass viele notärzte keinerlei ortskenntnis haben, wäre es auch eher kritisch, die am anfang ihrer karriere alleine fahren zu lassen. und hibbelige, 19jährige frisch-RA fahren bei uns kein NEF. das darf man bei uns erst nach 2 jahren aktivem dienst im bereich - wenn man denn vor diesen zwei jahren die ortskenntnisprüfung bestanden hat. und nochmal: ich bestreite keineswegs, dass jemand mit der nötigen erfahrung und routine ein einsatzfahrzeug sicher beherrschen kann. und zum thema unbekannter autotyp: wir lernen die neuen kollegen 2 x 12 stunden auf dem NEF ein. während dieser zeit fahren die das einsatzfahrzeug erstmal leer und ohne signal, um sich daran zu gewöhnen.