"Anästhesie-Zwischenfall" bei OP

  • Bin gerade via Twitter auf diesen Artikel gestoßen. Ein Junge ist notfallmäßig (nicht-nüchtern) an einem Granulom im Gesicht operiert worden, ohne EKG-Monitoring. Zwischenfall, Hirntod. Aufklärung von seiten der Klinik erfolgt wohl nicht. Schade um CRM und CIRS.

  • grad gelesen...
    als Vater von einem, bald zwei Kindern und Anästhesist schwanke ich zwischen Wut, Enttäuschung, Fassungslosigkeit, Unverständnis, Trauer....und hoffe, das eine vollständige, lückenlose Aufklärung erfolgt und den Eltern zumindest auf diese Weise Gerechtigkeit widerfährt auch wenn der erlittene Verlust in keinster Weise aufzuwiegen ist!

  • Zitat

    Abseits der juristischen Aufklärung wollen die Eltern aber auch eine andere Fehlerkultur. Und deshalb öffnen sie den Ermittlungsakt. [...] Der am schwersten belastete Mediziner, der Anästhesist H., sei nicht einmal vom Dienst suspendiert worden und arbeite einfach weiter.

    Man kann nicht Sanktion und offene Kommunikation erwarten. Das eine verhindert das andere.

    Under pressure, you don't rise to the occasion. You sink to your level of training.

  • Also soweit das stimmt was in dem Artikel steht, drängt sich mir leider schon die Wertung auf, dass dort mindestens grob fahrlässig wenn nicht sogar gewollt Regeln gebrochen wurden, was somit auch in einer noch so friedliebenden Just-Culture einfach Sanktionen nach sich zieht oder sogar ziehen muss.
    Als kleines Beispiel ein winziger Teilaspekt: Der Artikel behauptet, die Anästhesiepflege hätte ein EKG kleben wollen, was mit "nicht nötig" vom betreffenden Anästhesisten abgelehnt wurde. Warum hat er das gemacht? Er selbst hätte damit keinen oder wenn überhaupt minimalen Aufwand (drei Kabel mehr) gehabt, dafür aber eine zusätzliche Überwachung bei dem Eingriff, die noch dazu zum absoluten Standard der Überwachungsgeräte zählt. Und hätte damit den Kreislaufstillstand (schneller) erkennen können.


    Auch muss man sagen, dass hier ja gefühlt nicht eine Kette von potentiell unsicheren Entscheidungen zusammenkam, sondern sogar mehrere definitiv unsichere Verhaltensweisen und Handlungen die nicht lege artis waren (Sofortoperationsindikation eines kleinen Blutschwämmchens, am definitiv nicht nur nicht nüchternen sogar magengefüllten Kind, in nicht nur Analgosedierung, ohne ausreichendes Monitoring, etc.). Hätte nur zum Beispiel nur das fehlende EKG aufgrund Vergessens zu einem Zwischenfall am nüchternen Kind geführt, wäre ich auch bei denen die maximal eine Sanktion der Judikative willen fordern, aber hier wurde nun mal wenn man dem Artikel glaubt mehrfach bewusst Regeln missachtet. Und das muss meiner Meinung auch sanktionsbehaftet im Sinne einer Generalprävention aufgearbeitet werden.


    Dass die spätere Versorgung und Reaktion auf den Zwischenfall wohl auch ned so gut war (Zitat "Schockstarre") sollte man dahingehend eher von dem Gerichtsverfahren und dem Tod des Kindes motiviert durch Training und Strukturänderungen angehen.

  • Man kann nicht Sanktion und offene Kommunikation erwarten. Das eine verhindert das andere.


    Es gibt aber halt Grenzen der Fehlerkultur. Wenn derart umfangreich Regeln ignoriert werden kann tatsächlich nur noch die juristische Aufarbeitung helfen.
    Wenn dein Heli abschmiert weil dein Pilot und Bordwart es mit dem Sprit nicht so eng genommen haben und "wird schon reichen" als Devise genommen haben wird der Unfall auch juristisch aufgeklärt werden müssen.

  • Oder der Bordwart aufm Sofa gelassen wird, weil "nicht nötig" (Siehe im Fall das EKG).


    For scale: Ich hab damals sogar für eine Naevusexzision in Lokalanästhesie am Fuss komplettes Monitoring mit EKG, RR und SpO2 sowie einen Zugang bekommen...

  • Als kleines Beispiel ein winziger Teilaspekt: Der Artikel behauptet, die Anästhesiepflege hätte ein EKG kleben wollen, was mit "nicht nötig" vom betreffenden Anästhesisten abgelehnt wurde.


    Nein, der Text spricht von der OP-Pflege. Die wäre im Zweifel für ein EKG ja auch eher nicht zuständig gewesen.


    Dass die spätere Versorgung und Reaktion auf den Zwischenfall wohl auch ned so gut war (Zitat "Schockstarre")


    Das wiederum ist die Schilderung einer Oberärztin, die wiederum 20 Minuten lang versucht haben soll, zu intubieren, ohne einen anderen Zugangsweg zu wählen.

  • Nein, der Text spricht von der OP-Pflege. Die wäre im Zweifel für ein EKG ja auch eher nicht zuständig gewesen.


    Macht das im Zweifel einen Unterschied für diese Argumentation?:

    Warum hat er das gemacht? Er selbst hätte damit keinen oder wenn überhaupt minimalen Aufwand (drei Kabel mehr) gehabt, dafür aber eine zusätzliche Überwachung bei dem Eingriff, die noch dazu zum absoluten Standard der Überwachungsgeräte zählt. Und hätte damit den Kreislaufstillstand (schneller) erkennen können.



    Was aber unabhängig einzelner Details bleibt sind drei Dinge: Eine Abteilung in der grundsätzliche Sicherheitsmechanismen (Nüchternheit, Indikation, Monitoring, etc.) missachtet wurden [->Sanktion], eine Abteilung in der in toto kein funktionierendes Zwischenfallmanagment existiert [->Kulturwechsel, Training, etc.] und eine Familie ohne Kind...

  • Mir fällt es schwer, zum eigentlichen Fall Äußerungen zu treffen - zum einen klingen einige Aspekte schon sehr seltsam, dass man sich kaum vorstellen kann, dass so etwas in Mitteleuropa vorkommt, zum anderen weiß ich nicht, wie valide die Informationen sind, zumal ja auch Ungereimtheiten (Vermengung OP/Anästhesiepersonal etc.) da sind. Aufgrund solcher Infos aus dritter/vierter Hand sinnvolle Statements zu geben, bringt nicht viel.


    ein paar Dinge zu Aussagen im Verlauf:

    Zitat

    For scale: Ich hab damals sogar für eine Naevusexzision in Lokalanästhesie am Fuss komplettes Monitoring mit EKG, RR und SpO2 sowie einen Zugang bekommen...


    Für eine reine Lokalanästhesie eigentlich nicht notwendig (z.B. Unterspritzen des reinen OP-Gebietes mit einem Lokalanästhetikum), falls es eine Regionalanästhesie (z.B. i.V. Regionale, Leitungsblockaden etc.) war, völlig korrekt.

    Zitat

    Eine Abteilung in der grundsätzliche Sicherheitsmechanismen (Nüchternheit, Indikation, Monitoring, etc.) missachtet wurden


    Hier schreibst du "Abteilung" - aber für die drei genannten Dinge (Nüchternheit, Indikation, Monitoring, ) ist ja nicht eine Abteilung (z.B. Abteilung für Chirurgie, Abteilung für Anästhesie) zuständig, sondern letztendlich mindestens zwei. Der Operateur (meist Chirurg) stellt die Indikation zur Operation und legt eine Dringlichkeit fest. Aus der Dringlichkeit ergibt sich dann auch, ob noch eine Nüchternheit abgewartet werden kann oder nicht. Der Anästhesist kann auf die Richtigkeit der Indikationsstellung und der Dringlichkeit vertrauen, hat er jedoch Zweifel, so muss dieses mitgeteilt werden, besteht der Chirurg weiterhin auf die Indikation und entsprechende Dringlichkeit ("jetzt - Nüchternheit kann nicht abgewartet werden"), so übernimmt der Chirurg das erhöhte anästhesiologische Risiko, dass sich aus dem Zeitpunkt ergibt (allerdings hat der Anästhesist sein Vorgehen auch entsprechend anzupassen - also z.B. RSI oder Regionalanästhesie).
    Von daher betrifft das also nicht eine "Abteilung" sondern dem Zusammenspiel zwischen den Beteiligten. Inwieweit eine Bedenkenäußerung oder ähnliches im Vorfeld gelaufen ist, wissen wir nicht, daher s.o. halte ich mich mit Statements zurück (ich schreibe allerdings über die Bedingungen in Deutschland, wie es in Österreich geregelt ist, weiß ich nicht, allerdings denke ich, dass es dort ähnlich sein wird - nachzulesen hier: https://www.bdc.de/vereinbarun…iven-patientenversorgung/ )


  • Es gibt aber halt Grenzen der Fehlerkultur. Wenn derart umfangreich Regeln ignoriert werden kann tatsächlich nur noch die juristische Aufarbeitung helfen.
    Wenn dein Heli abschmiert weil dein Pilot und Bordwart es mit dem Sprit nicht so eng genommen haben und "wird schon reichen" als Devise genommen haben wird der Unfall auch juristisch aufgeklärt werden müssen.

    Ich hab kein Problem mit der punitiven Verfolgung. Aber klar ist doch, dass dann Information gestaltet wird.

    Under pressure, you don't rise to the occasion. You sink to your level of training.

  • Mir fällt es schwer, zum eigentlichen Fall Äußerungen zu treffen - zum einen klingen einige Aspekte schon sehr seltsam, dass man sich kaum vorstellen kann, dass so etwas in Mitteleuropa vorkommt, zum anderen weiß ich nicht, wie valide die Informationen sind, zumal ja auch Ungereimtheiten (Vermengung OP/Anästhesiepersonal etc.) da sind. Aufgrund solcher Infos aus dritter/vierter Hand sinnvolle Statements zu geben, bringt nicht viel.


    Durchaus richtig, ich hatte ja auch immer von "swoeit der Artikel stimmt" gesprochen. Aber selbst wenn einzelne Dinge nicht ganz richtig dargestellt wurde so bleibt meiner Meinung nach die grundsätzliche Marschrichtung "Nichteinhaltung von Sicherheitsstandards" die gleiche.


    ein paar Dinge zu Aussagen im Verlauf:


    Hier schreibst du "Abteilung"


    Ok, mea culpa. Das Wording war etwas unpassend, aber ich wollte einfach die Gesamtheit des am Patienten am/im/vorm OP arbeitenden Teams bezeichnen, die ja wahlweise unsicher/falsch gearbeitet haben oder unsicheres/falsches Arbeiten zugelassen haben.




    Kurz noch zum Offtopic:


    Für eine reine Lokalanästhesie eigentlich nicht notwendig (z.B. Unterspritzen des reinen OP-Gebietes mit einem Lokalanästhetikum), falls es eine Regionalanästhesie (z.B. i.V. Regionale, Leitungsblockaden etc.) war, völlig korrekt.


    Ja, war eine reine LA mit Scandicain (hätte sonst ja auch etwas anderes geschrieben :-) ). In dieser Hautklinik hat man ein paar negative Erfahrungen mit Unverträglichkeitsreaktionen von Synkopen bis allergischen Reaktionen bis hin zur Anaphylaxie gemacht, weshalb nun jedem Patienten die paar Minuten und paar Euro für das Monitoring und einen angespülten Zugang spendiert werden. Um eben Agieren und nicht nur Reagieren zu können. Fand ich vom Kosten-Sicherheits-Tradeoff her sehr angenehm. Für eine Nävusexzision sicher übertrieben, aber wenn bei grösserflächigen Exzisionen, die auch nur in LA gemacht werden, zB aus Versehen ein Gefäss erwischt wird, ist das Monitoring wieder sehr sinnvoll. Man hat eben aus adversen Ereignissen gelernt und hat für recht kleinen Zusatzaufwand (zeitlich <5 Minuten, monetär < 5€ fürs Material) einen doch guten Sicherheitsgewinn.


  • Macht das im Zweifel einen Unterschied für diese Argumentation?:


    Ich wollte damit vorsichtig andeuten, dass die fachliche Kompetenz des Autors möglichweise noch ausbaufähig ist. Natürlich kann und muss man sich nicht mit medizinischen Einzelheiten auskennen, wenn man darüber berichten will. Dann sollte man aber vielleicht auch mit Bewertungen zurückhaltender sein.


    Das Hauptproblem an dem Beitrag ist aber natürlich, dass er offensichtlich einseitig den Standpunkt der Hinterbliebenen und der von diesen beauftragten Gutachter wiedergibt. Das kann man machen - man muss es sogar, wenn die andere Seite dazu keine Stellung nehmen will -, aber man sollte dann sehr aufpassen, dass man die Darstellung der einen Partei nicht als objektiv feststehenden Sachverhalt darstellt.


    Was aber unabhängig einzelner Details bleibt sind drei Dinge: Eine Abteilung in der grundsätzliche Sicherheitsmechanismen (Nüchternheit, Indikation, Monitoring, etc.) missachtet wurden


    Dafür spricht vieles. Es klingt ein wenig nach Selbstüberschätzung: Das machen wir mal schnell, wir sind richtig gut, das geht fix, da muss man keinen unnötigen Aufwand treiben.


    eine Abteilung in der in toto kein funktionierendes Zwischenfallmanagment existiert [->Kulturwechsel, Training, etc.]


    Mit diesem Urteil wäre ich vorsichtig. Offenbar ist da vieles nicht so gut gelaufen, aber zum einen bricht bei Komplikationen nicht selten einiges an Chaos aus und zum anderen ist es in der Regel gar nicht so einfach, festzustellen, was wirklich passiert ist. Regelmäßig wird sich dazu keiner der Beteiligten äußern wollen, so dass letztlich nur die schriftlichen Unterlagen bleiben - allenfalls noch Gedächtnisprotokolle, die aber eben auch einseitig aus Sicht und zu Gunsten desjenigen verfasst zu sein pflegen, der sie nun eben verfasst hat.


    und eine Familie ohne Kind...


    Sicher, aber das muss eben nun keine vorwerfbare Folge einer ärztlichen Behandlung sein, sondern passiert ab und an.

  • Ich hab kein Problem mit der punitiven Verfolgung. Aber klar ist doch, dass dann Information gestaltet wird.

    Mit diesem Urteil wäre ich vorsichtig. Offenbar ist da vieles nicht so gut gelaufen, aber zum einen bricht bei Komplikationen nicht selten einiges an Chaos aus und zum anderen ist es in der Regel gar nicht so einfach, festzustellen, was wirklich passiert ist. Regelmäßig wird sich dazu keiner der Beteiligten äußern wollen, so dass letztlich nur die schriftlichen Unterlagen bleiben - allenfalls noch Gedächtnisprotokolle, die aber eben auch einseitig aus Sicht und zu Gunsten desjenigen verfasst zu sein pflegen, der sie nun eben verfasst hat.

    Fett durch mich. Wenn Strafe im Raum ist, sind eben nicht alle an lückenloser Aufklärung interessiert. Strafe und lückenlose Aufklärung wird es vermutlich nicht geben.

    Under pressure, you don't rise to the occasion. You sink to your level of training.

  • Man kann nicht Sanktion und offene Kommunikation erwarten. Das eine verhindert das andere.


    In diesem Fall sollte das etwas differenzierter betrachtet werden. Wenn natürlich schon vor diesem Vorfall aufgrund der Angst vo Sanktionen offensichtliches Missachten von Standards nicht gemeldet wurde, gebe ich dir da völlig Recht. Es bleibt aber in diesem Artikel und im schlechtesten Fall nach der juristischen Aufarbeitung offen, ob es ein einmaliger Vorfall war, der direkt in einer Katastrophe geendet ist, oder ob das Verhalten systemisch war. Haben die betroffenden Personen regelmäßig auf gewisse Sicherheitstandards verzichtet, weil OPs nur "routine" waren oder "das ja schnell geht" ? Wurde das verhalten angesprochen bzw. war es Vorgesetzten bekannt, war das Verhalten also vielleicht auch geduldet oder gar gewünscht, weil es OP-Abläufe beschleunigt und einen zu engen OP - Plan möglich macht?


    Im Falle von CIRS soll ja genau diese nun stattgefundene Katastrophe verhindert werden, in dem ein solches systemisches Fehlverhalten rechtzeitig erkannt wird, damit gegengesteuert werden kann.


    Nun gab es vorher aber eine solche Kultur nicht. Nun ist ein Patient gestorben und nun ermittelt richtigerweise die Justiz. Niemand muss sich in so einem Fall selber belasten, was natürlich manchmal für Externe und gerade Angehörige kaum auszuhalten ist, aber eben ein gutes Recht, auf das man nicht selten - wenn man selber betroffen ist - selber zurückgreift.


    Da wir den genauen Verlauf nicht kennen und auch nicht die Kultur in diesem Krankenhaus, tue ich mich tatsächlich damit schwer, immer danach zu rufen, die Leute zu suspendieren / zu entlassen. Es kann auch umgekehrt sein, dass betroffene Mitarbeiter sonst durch ganz hervorragende Leistungen und hohes Fehlerbewusstsein in Erscheinung getreten sind und an diesem Tage einfach ganz viele unglückliche Dinge zusammengekommen sind. (Wie es z.B. bei Katstrophen in der Luftfahrt oft der Fall ist). Und dann finde ich es sogar gut, wenn ein AG seinen Mitarbeitern den Rücken stärkt und sagt: Wir stehen zu dir, weil wir dich kennen und schätzen. Wir warten erstmal die Untersuchungen ab und bewerten dann. Ob das auch hier so der Fall war, weiß ich nicht. Aber natürlich ist das gerade für Eltern nicht zu verstehen. Aber sie sind auch nicht diejenigen, die das zu entscheiden haben.


    Es bietet sich jetzt die Chance, nach tiefergehenden Ursachen zu suchen, als nur das Verhalten eines oder weniger Mitarbeiter. Und hier haben die Eltern Recht, wenn sie eine andere Fehlerkultur einfordern.

    “When I was a boy and I would see scary things in the news, my mother would say to me, "Look for the helpers. You will always find people who are helping.”


    • Fred Rogers

  • Es bleibt aber in diesem Artikel und im schlechtesten Fall nach der juristischen Aufarbeitung offen, ob es ein einmaliger Vorfall war, der direkt in einer Katastrophe geendet ist, oder ob das Verhalten systemisch war.


    Man findet jedenfalls nach der Lektüre des Artikels eine Reihe von Ansatzpunkte, die auf systemische Fehler schließen lassen. Wenn der Artikel nicht bedeutsame Fakten unterschlägt, kann eine - ordentliche - juristische Aufarbeitung eigentlich nicht anders, als dafür zumindest deutliche Hinweise zu finden. Das wird freilich nicht im Fokus stehen, weil die Marschrichtung im Wesentlichen zu den unmittelbar verantwortlichen Ärzten führen wird: Das ist in erster Linie der Anästhesist und in zweiter der Operateur, der mit der möglicherweise fehlerhaften gestellten dringlichen OP-Indikation die Ursache für das erhöhte Narkoserisiko gelegt hat.


    Für das Krankenhaus als Ganzes schädlich werden eher die möglicherweise festzustellenden späteren Vertuschungsversuche, und diese sprechen ggf. auch für systemischen Verbesserungsbedarf. An erster Stelle wäre hier das Fehlen klarer Weisungen zur Überwachung von Patienten zu nennen (bzw. deren Fehlerhaftigkeit - ich gehe davon aus, dass es anästhesiologisch unter keinen Umständen fachlich zu rechtfertigen ist, einen nicht nüchternen Patienten ohne Monitoring zu lassen; ggf. kommt noch eine unzureichende Überprüfung der fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten des konkret mit der Anästhesie beauftragten Arztes hinzu, der eine Notfallsituation nicht erkannt hat).


    Ich teile Deine Meinung, dass der Arbeitgeber bei unklaren Sachverhalten den Beschäftigten den Rücken stärken soll. Allerdings sehe ich auch mit einem großen Fragezeichen im Gesicht den Umstand, dass ein Kind bei einem Routineeingriff erstickt und, so die herbeigerufene Oberärztin, nicht einmal dann adäquat versorgt wird. Mir fehlt ein wenig die Phantasie, das als Pech einzuordnen. Und man darf nicht vergessen: Die berühmten Käsescheiben fallen nicht alle schicksalhaft um. Oft genug rempelt auch jemand dagegen. Die Frage ist dann, wieso es keine zweite und dritte gab.

    Lügen ist keine Kunst. Kunst ist, anderen die Wahrheit in einem neuen Licht zu zeigen.

  • Ich hab kein Problem mit der punitiven Verfolgung. Aber klar ist doch, dass dann Information gestaltet wird.


    Nicht, wenn man vernünftig beraten ist, ehrlich gesagt. Denn was passiert hier?


    • Es entsteht ein erheblicher Imageschaden für das Krankenhaus.
    • Der Verdacht von Urkundenfälschung und Falschaussage, ggf. Prozessbetrugs (bzw. all das in Anstiftung und / oder als Versuch) wird geweckt.
    • Beides erhöht das Risiko für weitere Interventionen von Staatsanwaltschaft und / oder Aufsichtsbehörde.
    • Das Risiko harter Konsequenzen für die Hauptbeschuldigten steigt unter dem Gesichtspunkt "keine Einsicht" deutlich an.


    Das alles, ohne dass ich - zugegeben: von außen - einen klaren Benefit erkennen kann, einmal davon abgesehen, dass jedenfalls illegale Verteidigungsstrategien ohnehin ausscheiden sollten. Denn zu verteidigen sind die hauptsächlich beteiligten Ärzte dadurch vermutlich nicht effektiv.

    Lügen ist keine Kunst. Kunst ist, anderen die Wahrheit in einem neuen Licht zu zeigen.

  • Ich habe in dem Artikel den entscheidenden Abschnitt gelesen:

    Zitat

    Im Krankenhaus geben die Eltern an, dass ihr Kind privat zusatzversichert sei. Ärzte, die das Kind stationär behandeln, bekommen von der Versicherung ein Extrahonorar, ein paar Hunderter in diesem Fall.


    Liebe Österreicher klärt mich auf,
    laut meinen Infos von Kollegen, ist es so, dass Oberärzte nebenbei auch gerne nur Privatpatienten in Privatkrankenhäusern behandeln, da die behandelnden Ärzte (also nicht nur die Chefärzte) in Österreich direkt und sehr gut an "Privatpatienten" verdienen.


    In Deutschland läuft es über den Chefarzt und die Klinik und dann kommt es anteilig je nach Vertrag des Chefarztes in einen Pool und den Pool verteilt der Chefarzt nach eigenem Gusto.


    Das bedeutet, man hat als Dienstarzt keinen direkten Anreiz möglichst viele Privatpatienten pro Dienst zu behandeln.


    Und ich glaube, dass das so in Österreich nicht der Fall ist.


    Anders kann ich mir beim besten Willen nicht erklären, warum man ein nicht nüchternes Kind wegen so einer Kleinigkeit im Dienst macht.
    Im übrigen hätte man, wenn man es unbedingt hätte machen wollen, auch in der Notaufnahme mit einer Spur Midazolam gesaftet im Beisein der Mutter machen können. Da hätte aber leider der Anästhesist nichts zum abrechnen gehabt...und man hätte sich Zeit nehmen müssen...


    Und da ist das Problem, das wir auch in Deutschland allerdings in einer anderen Form sehen:


    Wirtschaftliche Anreize führen dazu, dass potentiell gefährliche Dinge am Patienten geschehen.
    Sei es durch falsche Anreize für einzelne Akteure (Chefärzte) oder für das gesamte System (Krankenhäuser).


    Und das zeigt sich im Übrigen in Deutschland immer mehr, dass auch anästhesiologische Chefärzte immer mehr Leistungen erbringen möchten, so dass man heute auch schon bei Kindern für einen Fadenzug am Finger die Anästhesie "buchen" kann...

  • Ich habe in dem Artikel den entscheidenden Abschnitt gelesen:


    Liebe Österreicher klärt mich auf,


    Es geht darum: https://de.wikipedia.org/wiki/Sonderklasse_(Krankenhaus)


    Die "Sonderklasse" ist eine private Zusatzversicherung zur Pflichtversicherung (Unterschied zur Versicherungspflicht in D). Nur sehr wenige Berufsgruppen (zb Anwälte, Notare) können ihre frei wählen, der Rest muss in eine bestimmte Kasse (Nach Bundesland, Beamte, Landesbedienstete, Bauern, Selbstständige, etc). Mit der Sonderklasse kauft man sich zusätzlich zu den medizinischen Leistungen der normalen Pflichtversicherung (Die Medizin soll ex lege für alle gleich sein) ein paar Zusatzleistungen, zb ein Einzel- oder Doppelzimmer oder die freie Arztwahl.


    Die Gelder die über diese Sonderklasse eingenommen werden kommen in einen Topf und werden zwischen den Ärzten verteilt (wobei die Chefärzte durchaus auch 50-70% des Topfes bekommen können - ist sehr unterschiedlich). Bis jetzt gibt es dieses Sonderklassegeld aber nur bei stationären Aufnahmen (eine Regelung für ambulante Leistungen kommt), damit besteht ein großer Anreiz die Patienten auch aufzunehmen. Dann gibt es natürlich auch einen Unterschied nach OP-Klasse (also Eingriffsaufwand) und so, aber der wesentliche Punkt ist die stationäre Aufnahme.


    Mir ist das ganze so gesehen eigentlich nicht erklärbar: Wenn der finanzielle Anreiz ausschlaggebend wäre würde die Aufnahme an sich reichen, damit generiert man eine Übernachtung und mit elektiver OP am nächsten Tag generiert man nochmal ne Leistung. Wahrscheinlich bringt ein Notfalleingriff zur Blutstillung bisschen mehr, aber ich kann mir wirklich nicht vorstellen das des genug ist um das Risiko zu rechtfertigen (va weil die individuell Beteiligten Ärzte nur einen Bruchteil davon sehen, gerade beim Anästhesisten (großes Haus mit vielen Anästhesisten!) sind das nur ein paar Cent pro Patienten.


    Ich glaub sofort das die Patienten wegen der Sonderklasse viel eher stationär aufgenommen werden, aber das nur deswegen in der Form operiert wird glaube ich nicht.

  • Theorie eines befreundeten österreichischen Arztes war sinngemäß wie folgt:
    Es gibt Häuser die einen "Bonus" auf die Auszahlung aus dem Sonderklassetopf drauf legen wenn der Eingriff während Diensten passiert. Das könnte ggf. ein finanzielles Incentive gewesen sein.
    Ob das in dem Haus so ist kann er aber nicht sagen, der Gute ist in Vorarlberg tätig.

    ...Oder man hat Angst, dass es bis zum nächsten Tag gar nicht mehr blutet und die Eltern dann den Eingriff ablehnen.