Fahrt in Klinik fast verweigert: Verletzten wurde geraten, ein Taxi zu nehmen

  • Wenn es dann andersrum Dienstanweisungen gibt, jemanden mitzunehmen, wenn er das dann will, völlig unabhängig von jeglicher medizinischen Indikation, wäre ich als hauptamtlicher Rettungsdienstler nicht bereit, dass zu akzeptieren und würde entsprechend dagegen vorgehen (BR, Gewerkschaften, etc.)


    Oder der Arbeitgeber geht entsprechend dagegen vor.
    Das nennt sich dann Kündigung.


    Das würde übrigens auch mein Arbeitgeber machen, wenn ich sage: Nein, also ich bin mir sicher, dass der da nicht operiert werden muss.
    Alternativ könnte ich jetzt eine Bürgerinitiative gegen aus meiner Sicht unnötige Operationen im Nachtdienst starten oder ich spare mir meine Energie und Achte auf meine Psychohygiene.



    Was ich damit eigentlich sagen will ist, dass es sich nicht lohnt über Dinge aufzuregen, die sich nicht ändern lassen.
    Und es geht hier nicht um die Rettung des Klimas oder die Abschaffung von Atomwaffen, sondern um die Frage, ob ich während der Dienstzeit arbeiten muss oder nicht arbeiten muss... so würde das nämlich ein Außenstehender sehen.

  • Die Frage, ob ich sinnlose Transporte durchführe oder nicht, kann ich aber unter Umständen sehr wohl beeinflussen. Auch wenn es gern anders postuliert wird, richtet sich die Transportpflicht, so es sie im jeweiligen Bundesland gibt, in aller Regel an Notfallpatienten und es wird in aller Regel auch definiert was das im Sinne des Gesetzes bedeutet. Ist das nicht erfüllt, gibt es keine Pflicht des Transport, keine Abrechnungsfähigkeit, nichts dergleichen. Die Einschätzung eines Notfallpatienten ist und war schon immer Ausbildungsbestandteil von Rettungsassistent und Notfallsanitäter (laut entsprechendem Gesetz). So gesehen ist das eine Kernaufgabe der Berufsbilder.


    Dem gegenüber stellt die Indikation zur Operation mit Nichten der Anästhesist, sondern der Chirurg. Das initial zu beurteilen steht dir also tatsächlich nicht zu. Die Operationsfähigkeit ist etwas anderes, aber du sprichst ja explizit von der Indikation.


    Ein Rettungswagen ist und bleibt kein Gratis-Taxi und der Missbrauch ist ein großes Problem mit vielen Ebenen. Es ist unverantwortlich, wenn man fordert, man möge diesen Missbrauch einfach hinnehmen.

    Land zwischen den Meeren,
    vor dem sich sogar die Bäume verneigen,
    du bist der wahre Grund,
    warum Kompassnadeln nach Norden zeigen!

    Einmal editiert, zuletzt von Johannes D. ()

  • Wer entscheidet denn über den Sinn und Unsinn eines Transporter?
    Ich stelle mir bei manchen Operationen oft die Frage: Was soll der Unsinn? Dennoch mache ich eine Narkose, weil die Operation formal indiziert ist.

    Die Indikatonsstellung sollte passen, wenn wir über medizinische Maßnahmen sprechen. Und ich kenne sehr wohl Anästhesisten, die Narkosen verweigern, weil sie das Risiko als zu groß erachten, oder weil sie keinen Benefit bei der OP erkennen können. Das sind dann eher die Silberrücken die sich das in unserem System trauen vermute ich, aber das ist das was ich mir wünsche.

    Die andere Frage stellt sich nur:
    Wenn ich selbst an dem Sinn meiner Tätigkeit zweifle, liegt das Problem dann vielleicht bei mir selbst?


    Vielleicht zweifle ich nicht an meiner Tätigkeit, sondern daran, wie meine Profession eingesetzt wird. Insbesondere zweifle ich daran, ob ich dem Patienten gutes tue, wenn ich ihn transportiere. Und das kann sehr wohl in Frage gestellt werden. Die Frage ist, ob ich teilhaben möchte an einem System, das zugunsten von BWL-Konzepten (hohe Auslastung = gut) das Wohl von Patient und Mitarbeiter hinten anstellt. Und das möchte ich nicht. Trotzdem möchte ich gerne als Notfallsanitäter arbeiten. Das tue ich auch. Allerdings eben so, wie ich das für richtig und legal halte, nicht so, wie sich möglicherweise das System den einfachsten weg gedacht hat.


    Die meisten haben Begriffen, dass mehr RTW und NEF und RTH nicht die Lösung sind. Wenn ich nun genug RTM (Rettungsmittel) vorhalte, und jeden Anruf bediene und Transportiere, dann ist das nächste Nadelöhr in der Klinik. Und wenn die Klinik personal und Raum hochfährt, und dem gerecht zu werden, wird es das nächste Nadelöhr geben. Auf diesem Weg werden sich viele Betriebswirte freuen über die hohe Auslastung, unsere Patienten werden darunter leiden. Und wenn du als NotSan auf dem RTW nur noch eine Rea in 12 Monaten fährst, wird diese Rea schlechter laufen, und wenn du in der ZNA zwar 60 000 Patienten im Jahr durchschleust, aber die Rate an Notfällen nicht steigt, dann wird dein Personal gänzlich unerfahren sein.


    Wenn wir aber mit weniger RTM auskommen möchten, dann muss eben auch die Dienstleistung nur dann geboten werden, wenn sie gebraucht wird. Nicht wenn man meint sie zu brauchen. Und dafür benötigt es sicher noch Training und Schulung (Red Flags erkennen, Sicherheitsnetz, usw) aber der Weg ist für mich klar. Weniger Alarmierungen, weniger Transporte.


    Sind wir nicht schlussendlich im Gesundheitssystem alle irgendwie Dienstleister?
    Macht uns diese Vorstellung Angst? Wollten wir das eventuell nie sein?
    Unantastbare Helden und nicht einfach nur Dienstleister...


    Klar bin ich auch Dienstleister im Gesundheitswesen. Unantastbarer Held möchte ich nicht sein. Ich sehe mich aber in erster Linie als Dienstleister für meinen Patienten, nicht für den Konzern. Wenn ich eine Demente Oma aus ihrer gewohnten Umgebung reisse, und in eine (dank Konzern-Dienstleistern übervolle) ZNA bringe, dann habe ich ihr auch geschadet. Wenn der Vorteil für Sie überwiegt, ist das eben Medizin, Nutzen und Risiken abwägen. Wenn der Vorteil fraglich ist, bis hin zu sicher nicht existent, dann habe ich als Dienstleister für diesen Patienten versagt. Auch, wenn der Trapo richtig ausgefüllt ist, und Angehörige oder Heimkräfte sich freuen über den freundlichen Transporteur.


    Auch, wenn meine Patientin nicht Dement ist, oder an Alzheimer erkrankt ist, gibt's viele gute Gründe, ältere Patienten nur dann einer ZNA zuzuführen, wenn das höchstwahrscheinlich hilfreich ist. Die lange Immobilisierungszeit führt zu einem erhöhten Risiko für Thromben, für Abbau von Bewegungsfähigkeit und auch zu einer Reduktion der Kognitiven Fähigkeiten, da in einer vollen ZNA keine Zeit besteht für die individuelle personalisierte Förderung der Bewegung, der Selbstständigkeit. Im Gegenteil, ZNAs sind ausgelegt, das zu reduzieren, um möglichst wenige zusätzliche Arbeitsschritte zu haben. Es ist unstrittig, dass viel gute Arbeit in einer ZNA gemacht wird. Aber sie birgt auch Risiken, und als Personaldienstleister für meinen Patienten, sehe ich die Pflicht für meinen Patienten das abzuwägen.


    Für mich ist es so, dass ich mir genau im klaren darüber bin, womit ich mein Geld verdiene und wie unser Gesundheitssystem funktioniert.
    Meist, wenn ich nicht gerade überarbeitet bin, akzeptiere ich das auch so.

    Ich bin mir darüber auch sehr im Klaren. Ich werde das aber sicher nicht akzeptieren. Denn so wie unser Gesundheitssystem funktioniert, kann ich meiner Aufgabe als Dienstleister meines Patienten nicht gerecht werden. Und das sehe ich als Angriff auf meine Profession, und als Angriff auf das Wohl und die Versorgung meiner Patienten.

    Under pressure, you don't rise to the occasion. You sink to your level of training.


  • Mein Ansatz wäre schon direkt ein anderer: Ich würde in einem solchen Rettungsdienst gar nicht erst anfangen zu arbeiten. Das würde meinem persönlichen Selbstverständnis vom Beruf Rettungsdienst widersprechen. Bewusst und dauerhaft gegen Dienstanweisungen zu verstoßen würde wohl tatsächlich zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen führen. Aber ich kann mich organisieren, mich mit den Entscheidern zusammensetzen, Beispiele aufzeigen, wo es anders - besser - läuft und darauf hinwirken, etwas zu ändern. Ob das klappt, sei dahingestellt. Aber ich würde es in keinem Fall einfach akzeptieren. Tue ich in meinem tatsächlichen Beruf übrigens auch nicht. Und solches Verhalten wird hier eher gefördert als ausgebremst.



    Johannes hat es schon gesagt: Du stellst die Indikation zur OP auch nicht. Deswegen hast du diese Entscheidung auch erstmal zu akzeptieren. Auch wenn in meinem Beruf viele Flüge erstmal gut für mich und meinen Arbeitsplatz sind, kann ich mich natürlich trotzdem fragen, ob man wirklich 4x täglich von Stuttgart nach Frankfurt fliegen muss, wenn es eigentlich auch eine gute ICE Verbindung gibt. Trotzdem würde ich einem solchen Flieger niemals eine Freigabe verweigern, wenn er dann in der Luft ist. Die "Indikation" für den Flug stellen andere und es macht unter anderen Gesichtspunkten eben auch Sinn, dass es solche Flüge gibt.


    Wie das ein Außenstehender sieht ist mir dabei übrigens völlig egal. Die haben eh nicht die Einsicht in die Details, die ich habe.


    Die Möglichkeit einen Transport aufgrund fehlender medizinischer Indikation zu verweigern sollte keine Ausnahme, sondern eine Kernkompetenz eines dreijährig ausgebildeten Retters sein. Das heißt auch, dass das Verweigern auf rechtlich festem Boden steht und der Sani eine entsprechende Rückendeckung vom AG erfährt. Wenn sich dann irgendwann rumspricht, dass ein Rettungswagen eben kein Taxi ist und man mit seinen Bagatellproblemen zu Hause gelassen wird, nimmt sicherlich auch das Anspruchsdenken unserer Kunden irgendwann ab. Diese Dinge gelten gleichermaßen für andere Entscheidungsstellen, wie z.B. der Leitstelle. Die Denke "Ich kann eh nix ändern" und "So ist halt das System" ist in so vielen Köpfen verankert, dass nicht wenige, die tatsächlich etwas verändern wollen, frustriert aufgeben und in andere Berufe gehen. Ist das wirklich der Anspruch, den wir in eins der vermeidlich besten medizinischen Systeme haben wollen? Der Fachkräftemangel im Rettungsdienst spricht da bereits eine deutliche Sprache. Auch in den Kliniken sieht es meiner Kenntnis nach nicht besser aus.


    Ich bin schon mit einigen Kollegen gefahren, die diese Nonsens-Einsätze sogar begrüßt haben. Sichert ihr Gehalt, Patienten laufen selber zum Auto und in die Ambulanz und man hat je nach Einsatzlänge 1-2 Stunden seine Ruhe. Ich finde es traurig, dass diese Leute so geworden sind. Denn das System hat sie dazu gemacht und damit gewonnen.

    “When I was a boy and I would see scary things in the news, my mother would say to me, "Look for the helpers. You will always find people who are helping.”


    • Fred Rogers

  • Und ich kenne sehr wohl Anästhesisten, die Narkosen verweigern, weil sie das Risiko als zu groß erachten, oder weil sie keinen Benefit bei der OP erkennen können. Das sind dann eher die Silberrücken die sich das in unserem System trauen vermute ich, aber das ist das was ich mir wünsche.


    Entschuldigung, wenn ich jetzt interveniere und einen Mythos revidiere:
    Was ist die Endstrecke eines jeden instabilen Patienten? Die Analgo-Sedierung, samt Beatmung. Das hast du auf jeder Intensivstation.
    Das ist auch Narkose oder Anästhesie.
    Technisch ist immer Narkose möglich. Mit den richtigen Skills auch ohne den Patienten umzubringen.


    Sterben tun die Patienten im Zweifel an den Komplikationen einer Operation.
    Deren Indikation kann juristisch einwandfrei allerdings nur ein Facharzt für das jeweiliger operative Fachgebiet stellen. Die stimmt daher auch immer formal.


    Wenn sich Kollegen am "Anästhesie-Risiko" eines Patienten fixieren, dann liegt oftmals wirklich am Kreuz der Kollegen... allerdings daran, dass es kaputt ist... und sie Arbeit deswegen meiden wollen...


    Ich kenne das Phänomen auch, dass ich mir denke: "Das ist aber sinnlos", weil ich gerade überarbeitet bin.


    2-3 Tage später, ausgeruht, unter Würdigung aller Fakten, denke ich oft so nicht mehr.


    Deswegen kann es im Nachtdienst auch mal ultra-nervig sein einen Betrunkenen in die Klinik zu bringen. Schließlich kann er seinen Rausch auch daheim ausschlafen. Es ist aber durchaus möglich, dass dann die ICB übersehen wird.
    Deswegen rate ich davon ab, vom "Sinn" oder "Unsinn" einer Maßnahme zu philosophieren, da es sich immer um eine subjektive Wertung handelt.


    Ich würde dazu tendieren, mich auf eine vorab in einer SOP/Leitlinie definierten Zustand zu berufen, der objektiv evaluiert und ggf. re-evaluiert wurde und dann hieraus eine Indikation abzuleiten.


    Beim Rest sage ich nur:
    Ihr nehmt das Ganze zu persönlich.
    Fordert objektivierbare Kriterien. (Es wäre wirklich lustig, wenn der MDK auch Transporte prüfen würde :-D )
    Und schaut dann, was dabei rauskommt.
    Was anderes machen wir in der Klinik auch nicht. (MDK sei dank.)

  • Zitat

    Und wenn du als NotSan auf dem RTW nur noch eine Rea in 12 Monaten fährst, wird diese Rea schlechter laufen


    Erwischt.


    Ich hatte die Tage meine Rettungsdienst-Fortbildung; inkl. Megacode-Training.


    Irgendwann hab ich dann nachgedacht wann ich zuletzt gedrückt habe ... Die Antwort: Auf der Fortbildung im letzten Jahr - Auf einer Puppe.


    Wie oft habe ich in der Zwischenzeit "Patienten" aufgefordert, dass sie ihren Hausschlüssel, ihr Handy und Taxi-Geld mitnehmen sollen? Keine Ahnung, kann es nicht zählen.


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