„Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft im Rettungsdienst“ gegründet

  • Es mag richtig sein, dass ein NA nicht alle Bereiche eines „Facharztes“ erfüllen wird, nach den aktuellen Ansichten.
    Wenn ich aber einen Notarzt auf Platz haben möchte, wünsche ich mir einen erfahrenen Intensivmediziner und nicht irgendeinen Arzt, der sich Notarzt nennt.

    Der erfahrene Intensivmediziner war aber zuvor vielleicht noch nie bei einer Geburt dabei, schon gar nicht bei einer mit Komplikationspotential. Er managt vielleicht sehr gut traumatologische Notfälle und Herzrhythmusstörungen, ist aber mit kleinen Kiindern überfordert, weil er in den letzten 10 Jahren auf der Intensivstation nur Erwachsene behandelt hat.


    Du schreibst es selbst, du wünschst dir einen erfahrenen Intensivmediziner. Das ist aber etwas anderes, als ein Arzt, der das Facharztniveau mehrerer Disziplinen beherrscht. Und auch die Intensivmedizin ist in Deutschland weiter nur eine interdisziplinäre Zusatzbezeichnung, wenn auch auf höherem Niveau wie die Notfallmedizin, aber auch sie stellt keinen Facharztstandard dar.


    Natürlich wir der erfahrene Intensivmediziner den größten Teil der Notfälle hervorragend beherrschen, im Vergleich auch deutlich besser, als jemand, der gerade die Zusatzbezeichnung Notfallmedizin abgeschlossen hat, und er ist für die Notfallmedizin sehr prädestiniert, den formalen Facharztstandard kann er jedoch nicht für alle Erkrankungen bieten, so das gesetzlich gewünscht oder gefordert wäre.

    2 Mal editiert, zuletzt von Hilope () aus folgendem Grund: sprachliche Glättung

    • Die Bedeutung des § 2a war und ist ja Gegenstand von Diskussionen. Ich würde (noch) deutlicher, als in der Paneldiskussion angesprochen das Thema "Erforderlichkeit" auch unter den Gesichtspunkt stellen, ob im konkreten Fall SOP zur Verfügung stehen. Regelmäßig wird die Erforderlichkeit fehlen, wenn es eine SOP für das Einsatzszenario gibt.

    Klingt vernünftig.

    • Ich bin skeptisch, ob zur "Ausbildung" im Sinne des Gesetzes auch alle überobligatorisch gewählten Weiter- und Fortbildungen zählen. Aus-, Weiter- und Fortbildung sind unterschiedliche Dinge, und das Gesetz spricht nicht global von Maßnahmen, die NotSan "erlernt" haben. Das dürfte insbesondere für die "Buchstabenkurse" zutreffen; die praktische Relevanz der Vorschrift ist aber auch insoweit vermutlich geringer als gedacht.

    Das Gesetz spricht tatsächlich von den "in ihrer Ausbildung" erlernten Maßnahmen, und das würde sich vom Wortsinn her tatsächlich rein auf die Ausbildung beziehen, schon weil das NotSanG eben diese regelt, und weil der Gesetzgeber auch die Begriffe "Fortbildung" und "Weiterbildung" verwendet.


    Eine solche Auslegung würde allerdings zu dem widersprüchlichen Ergebnis, dass der NotSan tatsächlich auf Maßnahmen beschränkt wäre, die er in seiner Ausbildung erlernt hat, dass also alle Maßnahmen ausgeschlossen wären, die schon deshalb nicht in der Ausbildung vermittelt werden konnten, weil sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht verbreitet waren - die Medizin schreitet ja fort. Auch wäre das gerade für ältere Rettungsassistenen, die sich zum NotSan prüfen lassen, problematisch, weil gerade diese viele Maßnahmen weder in ihrer (vielleicht 10-20 Jahre zurückliegenden) Ausbildung zum RettAss noch in den Prüfungsvorbereitungskursen zum NotSan erlernt haben dürften. Daher wird man m.E. Ausbildung hier weiter fassen müssen.


    • Ich bin auch nicht sicher, ob der Patient vom NotSan den Facharztstandard verlangen kann oder nicht lediglich den NotSan-Standard. Ohnehin ist die Frage, auf welches Versorgungsniveau Patienten Anspruch haben und gegen wen; das ist imho nicht ganz selbstverständlich. Hätten Notfallpatienten Anspruch auf Facharztstandard, müssten Träger vermutlich in weit größerem Umfang als heute Notärzte einsetzen, denn man kann ja schon die Frage in den Raum stellen, ob der Facharztstandard nicht bei der Anamnese beginnt. Jedenfalls wird aber zum NotSan-Standard gehören, dem Patienten eine erforderliche notärztliche Versorgung nicht vorzuenthalten.

    Ob man unmittelbar den Facharztstandard verlangen kann, sei dahingestellt. Für die Frage nach der Durchführung vorabdelegierter Maßnahmen - die dann ja idR von einem Facharzt delegiert sind - und für die Frage, ob und wann der selbständig agierende NotSan einen Arzt hinzuziehen muss, finde ich den Gedanken gar nicht so verkehrt.

    • Ich glaube nicht, dass man vergleichsweise pauschal die Formel aufstellen kann, dass "wesentliche gesundheitliche Folgeschäden" im Sinne des § 2a NotSanG immer schon dann im Raum stehen, wenn ein RTW-Einsatz vorliegt. Dann macht das Tatbestandsmerkmal juristisch keinen Sinn, weil der NotSan beinahe definitionsgemäß RTW-Einsätze übernimmt. Es wäre also stets erfüllt, und so scheint es der Gesetzgeber nicht zu meinen.

    Naja, bei der Auslegung der Formulierung "Lebensgefahr oder wesentliche Folgeschäden ... abzuwenden" in § 2a NotSanG geht der Blick natürlich zuerst zu § 4 Abs. 2 Nr. 1 lit. c NotSanG und dann zu entsprechenden Formulierungen in anderen Gesetzen, um einen Vergleich abzuleiten. Aus der Parallele zu § 4 Abs. 2 Nr. 1 lit. c NotSanG kann man ableiten, dass die in § 2a NotSanG vorgesehene Situation immer dann vorliegt, wenn der NotSan zuvor auch in "Notkompetenz", also unter Berufung auf den rechtfertigenden Notstand nach § 34 StGB, hätte handeln dürfen.


    Dann findet sich mit "Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden" eine vergleichbare Wendung in § 35 Abs. 5a StVO, und mit "in Lebensgefahr befinden oder bei denen schwere gesundheitliche Schäden zu befürchten sind" in § 1 Abs. 2 RDG BW (ähnlich auch in anderen Rettungsdienstgesetzen). Ich halte diese Formulierungen für weitgehend äquivalent und daher als Faustformel für geeignet, dass die Voraussetzungen des § 2a NotSanG gegebenen sind, wenn eine Sonderrechtsfahrt indiziert ist oder es sich um einen indizierten (!) Einsatz der Notfallrettung handelt. Und ja - wenn es sich um einen Einsatz handelt, der sich auch retrospektiv (also aus der Sicht nach Eintreffen und Sichtung des Patienten bzw. Stellung einer Verdachtsdiagnose / Indikation) als Einsatz der Notfallrettung darstellt, bei dem eine Fahrt mit Sondersignal zulässig war, dann ist das m.E. auch ein Einsatz, bei dem der NotSan nach § 2a NotSanG handeln darf. Das führt nicht dazu, dass das Tatbestandsmerkmal immer erfüllt ist, denn viele Einsätze, zu denen ein RTW mit Signal disponiert wird, stellen sich vor Ort insofern als Fehldisposition heraus, als eben nicht "Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden" waren. ;)

  • Klingt vernünftig.

    Sehr freundlich ;).



    Das Gesetz spricht tatsächlich von den "in ihrer Ausbildung" erlernten Maßnahmen, und das würde sich vom Wortsinn her tatsächlich rein auf die Ausbildung beziehen, schon weil das NotSanG eben diese regelt, und weil der Gesetzgeber auch die Begriffe "Fortbildung" und "Weiterbildung" verwendet.


    Eine solche Auslegung würde allerdings zu dem widersprüchlichen Ergebnis, dass der NotSan tatsächlich auf Maßnahmen beschränkt wäre, die er in seiner Ausbildung erlernt hat, dass also alle Maßnahmen ausgeschlossen wären, die schon deshalb nicht in der Ausbildung vermittelt werden konnten, weil sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht verbreitet waren - die Medizin schreitet ja fort. Auch wäre das gerade für ältere Rettungsassistenen, die sich zum NotSan prüfen lassen, problematisch, weil gerade diese viele Maßnahmen weder in ihrer (vielleicht 10-20 Jahre zurückliegenden) Ausbildung zum RettAss noch in den Prüfungsvorbereitungskursen zum NotSan erlernt haben dürften. Daher wird man m.E. Ausbildung hier weiter fassen müssen.

    Das finde ich nicht widersprüchlich, sondern im Gegenteil ziemlich kohärent. Erst einmal in tatsächlicher Hinsicht: Ich glaube nicht, dass es besonders viele Maßnahmen gibt, die in der rettungsdienstlichen Realität und noch dazu im Anwendungsbereich des § 2a NotSanG eine Rolle spielen und völlig neu auf den Plan treten. Natürlich ist das ein Stück weit spekulativ; die Diskussionen, die seit Jahrzehnten um die gleichen Handgriffe geführt werden, sprechen dagegen.


    Am ehesten könnte das in Bezug auf Medikamenteneinsatz zum Tragen kommen, denke ich, und da wäre mir ein deutlich zu enges Verständnis von "Ausbildung", dies auf konkrete Präparate und Dosierungen bezogen zu wissen. Ich glaube, dass wir derzeit in einer Evolutionsphase stecken, in welcher die NotSan-Ausbildung viel zu stark an konkreten Katalogen orientiert ist. In der Ausbildung erlernt ist in handwerklicher Hinsicht, Medikamente zu applizieren; hinzukommen müsste ein Grundwissen, das den NotSan befähigt, in einer echten Notsituation (ohne SOP, siehe oben) einen Rettungsversuch zu unternehmen. Dann würde aus § 2a NotSanG auch ein Schuh.


    Ich meine auf der anderen Seite, dass man mit einem weiter ausgreifenden Verständnis nicht nur den Wortlaut des Gesetzes überschreitet, sondern auch dem Gesetzgeber einen Willen unterstellt, den dieser nirgends geäußert hat. Als ich diesen Teil der Paneldiskussion gehört habe, hat mich sehr gewundert, dass niemand die berühmten "Buchstabenkurse" offen angesprochen hat. Denn darum geht es imho der Sache nach. Und ich sehe nicht, dass das Gesetz es legitimieren will, eine privat organisierte Weiterbildung neben der - staatlich überwachten! - eigentlichen Berufsausbildung zum Anknüpfungspunkt für § 2a NotSanG zu machen. Da scheinen mir auch die Konsequenzen zu unübersichtlich, angefangen bei der Nachweisfrage, wer wann von wem was in welcher Qualität gelernt hat. Dahinter stehen letztlich ja auch kommerzielle Interessen.


    Was ältere Rettungsassistenten angeht, sehe ich die von Dir angesprochene Konsequenz und halte sie für sachlich absolut richtig. Ich sehe da auch kein praktisches Problem da § 2a NotSanG in der Fassung, die Gesetz geworden ist, ja nichts anderes tut als den rechtfertigenden Notstand anders zu nennen und die Frage des Notarztrufs teilweise implizit zu regeln.


    Das führt nicht dazu, dass das Tatbestandsmerkmal immer erfüllt ist, denn viele Einsätze, zu denen ein RTW mit Signal disponiert wird, stellen sich vor Ort insofern als Fehldisposition heraus, als eben nicht "Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden" waren.

    Ja, wenn Du das so sagst, bin ich dabei! Mir schien nur die Gleichsetzung "RTW-Einsatz = wesentliche Folgeschäden" nicht richtig, aber vielleicht habe ich Dich da auch falsch verstanden.


    Die Frage, was ein wesentlicher Folgeschaden im Sinne des § 2a NotSanG ist, entwickelt sich ja zu einem der schwierigsten Diskussionspunkte. Was absehbar war, aber auch hier wird in der Praxis vermutlich eine weitgehende Irrelevanz zumindest überall dort entstehen, wo SOP vorhanden sind.

    Lügen ist keine Kunst. Kunst ist, anderen die Wahrheit in einem neuen Licht zu zeigen.

  • Wenn die angestoßene Entwicklung folgerichtig voranschreitet, werden wir an diejenigen, die dann bei ausgewählten Indikationen noch als Notarzt zum Einsatz kommen, Ansprüche haben, die eher in Richtung „Intensivmediziner“ gehen. Der „Allrounder“ sitzt ja schon im RTW vorne rechts.

  • Das finde ich nicht widersprüchlich, sondern im Gegenteil ziemlich kohärent. Erst einmal in tatsächlicher Hinsicht: Ich glaube nicht, dass es besonders viele Maßnahmen gibt, die in der rettungsdienstlichen Realität und noch dazu im Anwendungsbereich des § 2a NotSanG eine Rolle spielen und völlig neu auf den Plan treten. Natürlich ist das ein Stück weit spekulativ; die Diskussionen, die seit Jahrzehnten um die gleichen Handgriffe geführt werden, sprechen dagegen.

    Ich finde schon, dass sich in den letzten 10-20 Jahren da einiges getan hat: intraossäre Zugänge und alternative Wege der Atemwegssicherung nebend er Intubation waren um den Jahrtausendwechsel herum

    Am ehesten könnte das in Bezug auf Medikamenteneinsatz zum Tragen kommen, denke ich, und da wäre mir ein deutlich zu enges Verständnis von "Ausbildung", dies auf konkrete Präparate und Dosierungen bezogen zu wissen. Ich glaube, dass wir derzeit in einer Evolutionsphase stecken, in welcher die NotSan-Ausbildung viel zu stark an konkreten Katalogen orientiert ist. In der Ausbildung erlernt ist in handwerklicher Hinsicht, Medikamente zu applizieren; hinzukommen müsste ein Grundwissen, das den NotSan befähigt, in einer echten Notsituation (ohne SOP, siehe oben) einen Rettungsversuch zu unternehmen. Dann würde aus § 2a NotSanG auch ein Schuh.

    Das Gesetz spricht von "(heilkundlichen) Maßnahmen", die in der Ausbildung erlernt. Darunter kann man m.E. nur einzelne Prozeduren verstehen - eben nicht "Medikamentengabe", sondern die Verabreichung eines spezifischen Arzneimittels (oder eines solchen aus einer Arzneimittelgruppe). Diese Maßnahmen müssen in der Ausbildung erlernt werden. Bezieht man "Ausbildung" rein auf den Ausbildungsgang zum Notfallsanitäter, dann sind alle Prozeduren, die an der konkreten Ausbildungsstätte in dem konkreten Ausbildungsjahrgang nicht erlernt wurden, auf alle Zeit tabu (oder jedenfalls nicht mehr von § 2a NotSanG erfasst). Das finde ich nicht besonders nachvollziehbar.

    Ich meine auf der anderen Seite, dass man mit einem weiter ausgreifenden Verständnis nicht nur den Wortlaut des Gesetzes überschreitet, sondern auch dem Gesetzgeber einen Willen unterstellt, den dieser nirgends geäußert hat. Als ich diesen Teil der Paneldiskussion gehört habe, hat mich sehr gewundert, dass niemand die berühmten "Buchstabenkurse" offen angesprochen hat. Denn darum geht es imho der Sache nach. Und ich sehe nicht, dass das Gesetz es legitimieren will, eine privat organisierte Weiterbildung neben der - staatlich überwachten! - eigentlichen Berufsausbildung zum Anknüpfungspunkt für § 2a NotSanG zu machen. Da scheinen mir auch die Konsequenzen zu unübersichtlich, angefangen bei der Nachweisfrage, wer wann von wem was in welcher Qualität gelernt hat. Dahinter stehen letztlich ja auch kommerzielle Interessen.

    Kommt es nicht primär darauf an, dass die Maßnahme erlernt wurde, ob nun in der Aus-, Fort- oder Weiterbildung (und darüber hinaus auch beherrscht wird)? Mich überzeugt auch weder das Argument der staatlichen Überwachung besonders (es wird ja nicht der komplette Verlauf der Ausbildung im tatsächlichen Sinne überwacht) noch das der Nachweisbarkeit - denn ob eine bestimmte heilkundliche Maßnahme in der Ausbildung erlernt wurde, lässt sich ebenfalls kaum sinnvoll ohne Vorlage eines entsprechenden Nachweises belegen. Sonst lässt sich ja nun auch nicht prüfen, ob die Maßnahme X an der Schule, Lehrrettungswache oder Klinik erlernt wurde oder nicht - die NotSanAPrV nennt zwar einige spezifische Beispiele, bleibt aber oft doch einigermaßen generell. Und wer weiß 2040 schon, welches Curriculum 2020 an der Schule X genau ausgebildet wurde?

    Was ältere Rettungsassistenten angeht, sehe ich die von Dir angesprochene Konsequenz und halte sie für sachlich absolut richtig. Ich sehe da auch kein praktisches Problem da § 2a NotSanG in der Fassung, die Gesetz geworden ist, ja nichts anderes tut als den rechtfertigenden Notstand anders zu nennen und die Frage des Notarztrufs teilweise implizit zu regeln.

    Der rechtfertigende Notstand allerdings setzt nicht voraus, dass die durchgeführten Maßnahmen zwingend Gegenstand der Berufsausbildung (vor 5, 10, 20, 30 Jahren) gewesen sein müssen.

    Ja, wenn Du das so sagst, bin ich dabei! Mir schien nur die Gleichsetzung "RTW-Einsatz = wesentliche Folgeschäden" nicht richtig, aber vielleicht habe ich Dich da auch falsch verstanden.

    Es ist immer schwierig, Sachverhalte ohne Verlust an Genauigkeit beispielhaft fassbar zu machen, und nicht immer gelingt es. :)

  • Ob man unmittelbar den Facharztstandard verlangen kann, sei dahingestellt. Für die Frage nach der Durchführung vorabdelegierter Maßnahmen - die dann ja idR von einem Facharzt delegiert sind - und für die Frage, ob und wann der selbständig agierende NotSan einen Arzt hinzuziehen muss, finde ich den Gedanken gar nicht so verkehrt.

    Da mein Einwand ignoriert wurde, meine konkrete Frage an euch beide thh und Michael Neupert: Welchen Facharztstandard konkret setzt ihr an bzw. würdet ihr fordern?

  • Da mein Einwand ignoriert wurde, meine konkrete Frage an euch beide thh und Michael Neupert: Welchen Facharztstandard konkret setzt ihr an bzw. würdet ihr fordern?

    Ich kann das nicht aus juristischer Perspektive beantworten,ab er aus medizinisch-gutachterlicher: Es wird das jeweilige natürlicherweise zu erwartene Level eines Notarztes herangezogen werden. D.h. gutachterlich würde hier quasi ein eigener Facharztstandard "Notarzt" definiert und herangezogen werden. Grundlage wären hier eben die durch die Zusatzbezeichnung (Fachkundebesitzer müssten sich als den aktuellen Standars auch an dieser messen) definierten Mindestvorausetzungen und die dadurch abzuleitenden Anforderungen an jeden Notarzt. Bei nicht in den WB-Katalogen aufegführten Kompetenzen würde das aktuell als normal zu erwartende Kompetenzlevel herangezogen werden. Dieses ist natürlich noch subjetiver, würde sich aber zB an der aktuellen Literatur und typischen Fortbildungen orientieren. Um es etwas plastischer zu machen:

    Thema Geburt. Ein Gutachter würde (vermutlich) von jedem Notarzt erwarten eine normale Geburt begleiten zu können. Eine komplizierte Geburt hingegen nicht, sofern sich nicht in der persönlichen Biographie des Notarztes Hinweise darauf finden, dass hier eine über den Durchschnitt hinausragende Expertise vorliegt. Kommt es zu Komplikationen würde sich an aktuellen Fortbildungsartikeln oder typischen praktischen Fortbilungen, mindestens aber an den Inhalten des "Notarztkurses" orientiert werden. Das ist natürlich sehr variabel, ebenso wird die Einschätzung des Gutachtes sein, wohl auch davon abhängig wie dessen tatsächliche praktische Expertise in der präklinischen Notfallmedizin aussieht und wann er das letzte mal vorne rechts im NEF gesessen hat ;-)

  • Nur kurz vom Handy aus und nicht abschließend gedacht: Facharztstandard könnte im Rettungsdienst bedeuten, die jeweils erforderlichen Maßnahmen auf dem Niveau eines Facharztes zu leisten. Das ist nicht das gleiche wie generell das Niveau eines Facharztes in allen Disziplinen zu haben. Möglicherweise (!) ist dies, was ein Notarzt leisten muss.


    Möglicherweise (!) bestimmt sich aber der Notarztstandard eigenständig und abweichend davon. Maßstab könnten dann in der Tat die jeweiligen Inhalte der Musterausbildung sein.


    Ob ein NotSan den gleichen Standard gewährleisten muss, ist eine andere Frage. Und noch eine weitere Frage ist, ob der Patient verlangen kann, dass ein Notarzt kommt.


    Wie stets in dieser Diskussion sind das aber alles Fragen, die aus rechtlicher Sicht praktisch nicht so bedeutsam sind. Ich nehme an, das bleibt auch so.

    Lügen ist keine Kunst. Kunst ist, anderen die Wahrheit in einem neuen Licht zu zeigen.

  • Es wird das jeweilige natürlicherweise zu erwartene Level eines Notarztes herangezogen werden. D.h. gutachterlich würde hier quasi ein eigener Facharztstandard "Notarzt" definiert und herangezogen werden. Grundlage wären hier eben die durch die Zusatzbezeichnung (Fachkundebesitzer müssten sich als den aktuellen Standars auch an dieser messen) definierten Mindestvorausetzungen und die dadurch abzuleitenden Anforderungen an jeden Notarzt.

    Das hatte ich weiter vorne schon geschrieben, dass der Standard einer ("durchschnittlichen") notärztlichen Versorgung anzusetzen sei. Ich würde den Begriff Facharzt aber klar vermeiden, weil die Zusatzbezeichnung, und schon gar nicht die Fachkunde Rettungsdienst, auch nur ansatzweise in Weiterbildungsdauer und den geforderten praktischen Inhalten einer Facharztausbildung genügen oder heranreichen können.


    Das mag nur eine Begrifflichkeit darstellen, halte ich aber für relevant insofern, dass bei einem Infarkt eben nicht der Facharztstandard Kardiologie, bei einer Narkose nicht der Facharztstandard Anästhesie oder bei einer Geburt der Facharztstandard Geburtshilfe angesetzt werden dürfen, sondern "nur" die eines Arztes mit Zusatzweiterbildung Notfallmedizin, egal aus welcher Disziplin und Berufserfahrung.

  • Nur kurz vom Handy aus und nicht abschließend gedacht: Facharztstandard könnte im Rettungsdienst bedeuten, die jeweils erforderlichen Maßnahmen auf dem Niveau eines Facharztes zu leisten. Das ist nicht das gleiche wie generell das Niveau eines Facharztes in allen Disziplinen zu haben. Möglicherweise (!) ist dies, was ein Notarzt leisten muss.

    Gehe ich absolut konform, jedoch sollte dann, wie erwähnt, die Bezeichnung "Facharzt" auch nur für einen "richtigen" Facharzt vorbehalten bleiben.

  • Das hatte ich weiter vorne schon geschrieben, dass der Standard einer ("durchschnittlichen") notärztlichen Versorgung anzusetzen sei. Ich würde den Begriff Facharzt aber klar vermeiden, weil die Zusatzbezeichnung, und schon gar nicht die Fachkunde Rettungsdienst, auch nur ansatzweise in Weiterbildungsdauer und den geforderten praktischen Inhalten einer Facharztausbildung genügen oder heranreichen können.


    Das mag nur eine Begrifflichkeit darstellen, halte ich aber für relevant insofern, dass bei einem Infarkt eben nicht der Facharztstandard Kardiologie, bei einer Narkose nicht der Facharztstandard Anästhesie oder bei einer Geburt der Facharztstandard Geburtshilfe angesetzt werden dürfen, sondern "nur" die eines Arztes mit Zusatzweiterbildung Notfallmedizin, egal aus welcher Disziplin und Berufserfahrung.

    Jein. Ich weiß was du meinst, aber die Begrifflichkeit Facharztstandard wird auch in solchen Fällen herangezogen. In Ermangelung anderer definierter Begrifflichkeiten, aber eben auch um auszudrücken, dass die Versorgung eben auf einem solchen Level erfolgen und an diesem Standard gemessen werden muss - auch beim Notarzt. Und auch wenn es weder zielführend noch möglich ist alle Facharztstandards als eierlegende Wollmilchsau zu erfüllen, ist es dennoch so, dass hier typischerweise (eben auch aufgrund der sich stark verändernden Ansprüche und Aus-, bzw. Fortbildungsinhalte) zunehmend ein anderes Niveau als Messlatte herangezogen wird.

  • Jein. Ich weiß was du meinst, aber die Begrifflichkeit Facharztstandard wird auch in solchen Fällen herangezogen. In Ermangelung anderer definierter Begrifflichkeiten, aber eben auch um auszudrücken, dass die Versorgung eben auf einem solchen Level erfolgen und an diesem Standard gemessen werden muss - auch beim Notarzt.

    Die Begrifflichkeit ist dahingehend dann falsch. Ein Weiterbildungsassistent mit zweieinhalb Jahren Berufserfahrung kann noch nicht einmal den Facharztstandard in seiner Disziplin erfüllen.

    Das Level, das es zu erfüllen gilt, ist eben "nur" der Notarzt-Standard, sprich die Voraussetzungen der Zusatzbezeichnung Notfallmedizin. Wenn man sich mehr zugestehen möchte, dann muss man die entsprechenden Voraussetzungen schaffen. Ansonsten setzt man unterschiedliche Maßstäbe an, wenn man vom Facharztstandard spricht. Das kann nicht richtig sein. Wenn es einen solchen Facharztstandard in einem Bereich nicht gibt, kann man ihn auch nicht ansetzen.

  • Die Begrifflichkeit ist dahingehend dann falsch. Ein Weiterbildungsassistent mit zweieinhalb Jahren Berufserfahrung kann noch nicht einmal den Facharztstandard in seiner Disziplin erfüllen.

    Jedenfalls die juristische Anforderung ist das allerdings, grob gesagt. Wenn der Weiterbildungsassistent alleine handelt, ohne dem Facharzt hinzuzuziehen, muss er prinzipiell das, was er tut, mit der Qualität eines Facharztes tun. Anderes wäre dem Patienten schwer zu vermitteln.


    Deshalb kann der Weiterbildungsassistent mit zunehmender Zeit in der Regel mehr alleine tun. Er erreicht immer weitergehend den Standard eines Facharztes. Der Gedanke ist, dass man Qualifikation nicht per Fingerschnippen erwirbt, sondern in einem gleitenden Prozess.

    Lügen ist keine Kunst. Kunst ist, anderen die Wahrheit in einem neuen Licht zu zeigen.

  • Gehe ich absolut konform, jedoch sollte dann, wie erwähnt, die Bezeichnung "Facharzt" auch nur für einen "richtigen" Facharzt vorbehalten bleiben.

    Deshalb ist ja nach von Facharzt die Rede, sondern von Facharztstandard.

    Lügen ist keine Kunst. Kunst ist, anderen die Wahrheit in einem neuen Licht zu zeigen.

  • Jedenfalls die juristische Anforderung ist das allerdings, grob gesagt. Wenn der Weiterbildungsassistent alleine handelt, ohne dem Facharzt hinzuzuziehen, muss er prinzipiell das, was er tut, mit der Qualität eines Facharztes tun. Anderes wäre dem Patienten schwer zu vermitteln.


    Deshalb kann der Weiterbildungsassistent mit zunehmender Zeit in der Regel mehr alleine tun. Er erreicht immer weitergehend den Standard eines Facharztes. Der Gedanke ist, dass man Qualifikation nicht per Fingerschnippen erwirbt, sondern in einem gleitenden Prozess.

    Aber genau darum geht es doch: Es gibt in der Notfallmedizin nicht den Facharzt, nur die Zusatzbezeichnung Notfallmedizin, die jeder Weiterbildungsassistent nach zweieinhalb Jahren erreichen kann. Er kann keinen Facharzt hinzuziehen, den gibt es nicht. Mit der Zusatzbezeichnung hat er formal die höchste Qualifikation in der Notfallmedizin erreicht. Er darf hiernach ohne jeglichen Hintergrund frei arbeiten. Er könnte natürlich einen anderen Notarzt hinzuziehen, dieser hätte dann aber vielleicht auch nur eine Weiterbildungs- und keine Facharztqualifikation. Es ist sogar so, dass der Weiterbildungs-Notarzt andere Notarzt-Anwärter während des Sammeln der Einsätze beaufsichtigt. Ein Weiterbildungsassistent bildet hier einen anderen Weiterbildungsassistenten aus. Der Ausbilder wäre dem Auszubildenden vielleicht nur ein paar Wochen Weiterbildung voraus. Theoretisch und in der Praxis durchaus vorkommend kann der Notarztausbilder sogar in der Weiterbildung dem auszubildenden Notarzt hintenan sein oder der auszubildende Notarzt ist sogar Facharzt in seinem Gebiet und der Ausbilder noch mehrere Jahre davon entfernt. Wer stellt in solch einer Situation dann den Facharzt-Standard? Der Ausbilder, der Weiterbildungsassistent aber Notarzt ist oder der erfahrene Facharzt, der gerade die Qualifikation Notarzt erwerben möchte?


    Der gleitende Prozess, von dem du sprichst, wäre in diesem Fall in den zwei Jahren Weiterbildung plus das halbe Notaufnahme, Intensiv oder Anästhesie und die 50 Einsätze. Mit der abgeschlossenen Prüfung hat er wie der Facharzt die formale Qualifikation erworben. Ob er danach gut arbeitet, ist nicht relevant. Wie jeder "Gebiets-Facharzt" darf er danach vollständig alleine tätig sein.


    Die Zusatzbezeichnung Notfallmedizin ist nun einmal die unrühmliche Ausnahme, dass der Weiterbildungsassistent in der Klinik einen Facharztstandard zu erfüllen hat bzw. von einem solchen supervidiert werden muss, im Bereich der Notfallmedizin es einen solchen Facharzt aber nicht gibt, und er damit auch ohne Aufsicht und ohne Hintergrund völlig frei arbeiten darf. Prinzipiell könnte er seine Weiterbildung an dieser Stelle nach zweieinhalb Jahren abbrechen und nur als Notarzt arbeiten, hier immer, nach eurer Lesart, den "Facharztstandard" erfüllen ohne jemals selbst in irgendeinem Gebiet Facharzt gewesen zu sein.


    Deswegen fällt es mir sehr schwer, beim Standard einer Notarzt-Versorgung von einem Facharzt-Standard zu sprechen.

  • Darf ich kurz zwischenfragen, wer denn den „Facharztstandard“ tatsächlich für einen Notarzt gefordert hat. Ich kenne das bisher nur aus Publikationen (meist) aus der Ärzteschaft in denen es darum geht, zu begründen, warum ein „Nicht-Arzt“ eben keine „ärztlichen“ Tätigkeiten durchführen könne / solle / dürfe („NotSan erfüllt den Facharztstandard nicht“), ohne eben die Diskussion zu führen wie hier gerade, welcher Notarzt diesen Standard denn erfüllt.
    Wird denn tatsächlich offiziell irgendwo definiert, dass der Pat. im Notfall „ein Anrecht“ auf einen Fach-Notarzt hat?