Diskussion zur Reform des Notfallsanitätergesetzes: LÄK Baden-Württemberg & Reaktionen BRK & DBRD

  • Für mich: Weil die Stellungnahme von einer falschen Prämisse ausgeht, nämlich dass sechs Jahre Medizinstudium plus zwei Jahre Weiterbildung automatisch höherwertig sind als drei Jahre Notfallsanitäterausbildung.

    Die Ausbildung des Notfallsanitäters ist auf die Notfallmedizin fokussiert, während der Medizinstudent die ganze Bandbreite der Humanmedizin lernt. Dinge wie komplexere Anatomie, Biochemie, Mikrobiologie, Dermatologie, Pathologie, Humangenetik, Laborchemie usw. sind sicherlich für viele Aspekte des Arztberufs wichtig, aber für die Notfallmedizin nur am Rande bis überhaupt nicht relevant.

    Und wenn man die tatsächlichen Präsenzzeiten zwischen Ausbildung und Uni vergleicht, dürften sich die sechs Jahre Uni auch weiter relativieren.

  • Ich finde die PM auch eher unsäglich, ich halte Sie vor allem für manipulativ und wenig sachdienlich.

    Konkret:
    Es wird angeführt, dass jeder Patient notärztlich versorgt werden kann und dies über benachbarte NEF-Standorte bzw. RTH sichergestellt wird. Diese Behauptung suggeriert, dass es gar kein echtes Problem bezüglich der Vorhaltung von Notärzten gibt. Was unter den Tisch fällt ist die Tatsache, dass nur wenige RTH überhaupt 24/7 im Dienst sind und auch benachbarte NEF nicht verfügbar sein können. Außerdem fehlt ganz klar der Hinweis, dass es durch die Disponierung eines RTH bzw. anderen NEF zu einem tlw. erheblichen Zeitverzug kommen kann.

    Auf der einen Seite wird mit 1c und 2c Maßnahmen argumentiert und auf der anderen Seite dem Laien klar aufgezeigt, dass man als nicht Arzt eigentlich diese Maßnahmen gar nicht erlernen kann. Hier hat es für mich den Anschein, als wollen man sich das Fähnchen drehen wie man es braucht. Mir fehlt hier eine klare Linie, die wäre entweder für entsprechende Maßnahmen (ohne irgendwelche Extreme) oder halt konsequent dagegen.

    Auch das wiederholte Behaupten Notfallsanitäter würden höchsten theoretisch und Am Phantom in den Maßnahmen ausgebildet ist der Sache wenig zuträglich, suggestiv für Laien und in vielen Punkten abseits der Realität. Es geht bei der allgemeinen Diskussion ja nicht um die Extremfälle (z.B. Luftröhrenschnitt), sondern viele eher um das Alltägliche. Das Alltäglich wird durchaus auch praktisch in der Ausbildung beübt und erlernt, gerade hier könne und müssen Ärzte bei der Ausbildung der Notfallsanitäter auch entsprechend tätig werden.

    Die Argumentation mit dem Kind ist vor allem eines, emotional und plakativ. Würde man hier ehrlich vorgehen, dann müsste man hier auch eingestehen, dass auch ein Arzt hier ggf. schnell an seine Grenzen kommen kann. Die Pädiatrie ist ein ganz eigenes und spezielles Fachgebiet, hier kann und wird ein Arzt ggf. mehr Fachwissen aufweisen, sein Wissen und Können wird aber sicher auch relativ schnell an Grenzen stoßen. Gerade bei invasiven Maßnahmen in Ausnahmesituationen ist hier eigentlich ein echter Fachmann gefordert und das ist in den wenigsten Fällen ein NA.

    Zum Schluss wird argumentiert, man wolle eine Versorgung auf höchstem fachlichen Niveau. Wenn man das will, warum akzeptiert bei nicht ärztlich vorversorgten bzw. gesichteten Patienten die isolierte Alarmierung von KTW oder RTW? Wenn das so ist, warum fordert man keinen eigenen Facharzt für die Notfallmedizin? Wenn es um die Versorgung auf höchstem fachlichen Nievau geht, warum geht man dann nicht gegen Einsatz von "unerfahrenen" / "frischen" Ärzten vor?

    Das waren jetzt nur die Stellen die mir direkt und am meisten ins Auge gestochen sind, gerade diese machen die PM aber aus meiner Sicht so schlecht.
    Es würde aus meiner Sicht allen Beteiligten gut tun zu schauen wo man her kommt und was man zu bieten hat, zu schauen was man leisten will und auch kann und tatsächlich ohne Profilierungssucht konstruktiv an einer Verbesserung der Situation zu arbeiten.

  • Das hängt aber vom Bezugspunkt ab.

    Ich behaupte, dass in drei Jahren Notfallsanitäter regelmäßig mehr notfallmedizinisch relevantes Wissen vermittelt wird als im Medizinstudium plus den für die Zusatzbezeichnung notwendigen Rotationen.

  • Ich behaupte, dass in drei Jahren Notfallsanitäter regelmäßig mehr notfallmedizinisch relevantes Wissen vermittelt wird als im Medizinstudium plus den für die Zusatzbezeichnung notwendigen Rotationen.

    Ich bin mir ziemlich sicher, dass im Medizinstudium auch umfangreiches Wissen über Notfallmedizin gelehrt wird, von der Erfahrung in den Rotationen ganz abgesehen.


    Wieso läuft's eigentlich immer auf einen Vergleich raus? Können wir nicht anerkennen, dass die Notfallmedizin Notfallsanitäter und Ärzte braucht?

  • Können wir nicht anerkennen, dass die Notfallmedizin Notfallsanitäter und Ärzte braucht?

    Provokativ gesprochen braucht es das nicht.


    Aber wenn man ein System (weiter) entwickeln möchte, welches seine Stärke über die verschiedenen Protagonisten beziehen möchte, wird es beides bedürfen.


    Es ist aber zum Scheitern verurteilt, wenn sich diese Bestandteile eines Systems nicht auf Augenhöhe begegnen sondern Argumente (vor allem in der Standespolitik) von Ego-Shootern verfasst werden, ob mit oder ohne universitärem Abschluss.

  • NAW

    brauchts ein solches Auto überhaupt noch, wenn man eigentlich keine Ärzte braucht, sondern wenn man hochqualifiziertes Rettungsfachpersonal hat? Mit "Shiftleadern/Supervisors/critical-care-paramedics" (viele Anglizismen irgendwie)? Dann bräuchte man eigentlich keine Ärzte. Die Schweizer hier machens vor, dass man auch für Katecholamin-Therapie nicht unbedingt ne Approbation braucht.

  • henni beteiligst du dich grade ernsthaft an der Diskussion, oder bist du passiv aggressiv?


    Kann das nicht deuten, darum frage ich.

    Under pressure, you don't rise to the occasion. You sink to your level of training.

  • Für mich: Weil die Stellungnahme von einer falschen Prämisse ausgeht, nämlich dass sechs Jahre Medizinstudium plus zwei Jahre Weiterbildung automatisch höherwertig sind als drei Jahre Notfallsanitäterausbildung.

    Also die NotSan-Azubis in der ZNA lernen hier vor allem EKG-Schreiben, Blutabnehmen und intensivst die Laufwege zum Röntgen und zum Labor. Die EKG-Befundung nur, wenn sich auf explizite Nachfrage jemand von den Ärzten für 5 Minuten erbarmt, an Untersuchungen oder gar Therapieentscheidungen sind sie eigentlich nie beteiligt. So zieht sich das quasi durch die kompletten Krankenhausanteile der Ausbildung, sie werden als Hilfskräfte der Pflege "missbraucht". Die schulische Ausbildung schätze ich insgesamt von meiner Beobachterposition als sehr gut ein, die Rettungswachenausbildung variiert unfassbar stark. Gerade in Bereichen, in denen NotSan bisher keinerlei Kompetenz jenseits der "Notkompetenz" haben findet auch kein praktisches Erlernen der diskutierten Maßnahmen statt.

    Nicht zuletzt ist die Exposition gegenüber schwer erkrankten Patienten teilweise extrem gering, gerade in urbaneren Gebieten, am schlimmsten noch mit einem MZF-System.


    Ich habe jetzt in 2 Wochen auf der Intensivstation im Rahmen des PJ 10x NIV-Beatmung mit etabliert und 3 Reanimationen mit VF und ROSC begleitet. Das ist ungefähr so viel wie in den letzten 3 Jahren mit halber Stelle im Rettungsdienst.


    Das Medizinstudium und die praktischen Anteile haben sicher auch große Schwächen, zusammenfassend erlernen aber die allermeisten meiner Kommilitionen ärztliche Kernfähigkeiten. Der Erfahrungsschatz an Notfällen, Therapieentscheidungen und invasivem Maßnahmen von Notaufnahme, Intensiv und Anästhesie, den ein Assistenzarzt zumindest in der Anästhesie und der Inneren in 24 Monaten erlangen kann, ist für einen NotSan, wenn überhaupt, erst nach zig Jahren und viel Eigeninitiative erreichbar. Zusätzlich der Vorteil, dass die Ausbildung durch Leute erfolgt, die wirklich viel praktische und theoretische Erfahrung haben. Das ist im Rettungsdienst sicher nicht überall gegeben, gerade wenn man sich die durchschnittliche Verweildauer in diesem Beruf anschaut.


    Von daher würde ich aktuell auf jeden Fall unterscheiden, dass die NotSan-Ausbildung dem Medizinstudium mit Zusatzbezeichnung Notfallmedizin grundsätzlich unterlegen ist. Vergleicht man dann noch den NotSan gegen einen Facharzt mit Anästhesie- oder Intensivtätigkeit wird der Unterschied wirklich groß. Ich gebe auch gerne zu, dass das für andere Fachdisziplinen nicht in dem Umfang zutreffen kann.


    Da ließe sich sicher noch viel machen, aber äquivalent wird es wohl nie werden. Die Diskussion wäre eher, ob man wirklich so viel Ausbildung braucht. Ich unterschreibe sofort, dass Notfallsanitäter auch mit geringerer Ausbildung einen Großteil der aktuellen Notarztaufgaben übernehmen können

    Auch das wiederholte Behaupten Notfallsanitäter würden höchsten theoretisch und Am Phantom in den Maßnahmen ausgebildet ist der Sache wenig zuträglich, suggestiv für Laien und in vielen Punkten abseits der Realität. Es geht bei der allgemeinen Diskussion ja nicht um die Extremfälle (z.B. Luftröhrenschnitt), sondern viele eher um das Alltägliche. Das Alltäglich wird durchaus auch praktisch in der Ausbildung beübt und erlernt, gerade hier könne und müssen Ärzte bei der Ausbildung der Notfallsanitäter auch entsprechend tätig werden.

    Den letzten Teilsatz unterschreibe ich sofort. Ich halte es für einen kapitalen Fehler, dass Auszubildene in der Klinik der Pflege angegliedert werden und regelhaft zum Bettenschieber, Dienstboten und Hinterraumzuschauer degradiert werden.

    Aber zumindest in allen Bereichen (Hamburg, S-H, Südniedersachen und Nordhessen), in die ich Kontakt habe, sind eigenverantwortliche Maßnahmen und Medikamentengaben durch Notfallsanitäter die Ausnahme. Jenseits der Analgesie (um die es natürlich in den Diskussionen immer an vorderster Front geht) werden auch vorhandene Algorithmen seltenst praktisch angewandt. Die Leitstellen filtern die wirklich kranken Leute relativ zuverlässig raus und die NEF-Verfügbarkeit ist insgesamt gut. Dass ein kranker Patient, ein nicht-verfügbarer Notarzt und ein Auszubildener aufeinandertreffen ist die absolute Ausnahme. Von daher ist die Ausbildung schon eher theoretisch, in Fallbeispielen und an immer besseren Simulatoren.


    Würde mich schon wundern, wenn bei euch die RTW regelmäßig alleine sind bei respiratorischer Insuffizienz, Schock und hämodynamisch instabiler VT.



    Ich glaube ganz persönlich, dass diese Diskussion ein natürliches Ende finden wird. Die alten Silberrücken der ärztlichen Arroganz gehen langsam in Rente, die neuere Generation ist "gewöhnter" an kompetentes und selbstbewusstes Assistenzpersonal und die Verfügbarkeit von Ärzten in der Fläche wird rapide schlechter. Es muss und wird etwas passieren, und die Delegation von Maßnahmen (oder noch besser: die eigenverantwortliche Durchführung) an Rettungsfachpersonal ist defacto alternativlos. Bis dahin wird sich noch weiter aggressiv beharkt werden.

  • Wirklich?
    Also dann den NAW mit drei Ärzten besetzen?

    Es wird immer eigenständig arbeitendes und assistierendes Personal brauchen.

    Mein Zitat hast du jetzt aber schon etwas aus dem Kontext isoliert.


    Natürlich ist es wichtig und wünschenswert, dass qualitativ hochwertiges Personal kompetenzgerecht eingesetzt wird


    Wobei ich vor wenigen Monaten tatsächlich in einem anderen Land hospitieren durfte, in dem es den Sanitätern nicht erlaubt ist, dem Arzt direkt zu assistieren.

  • beteiligst du dich grade ernsthaft an der Diskussion, oder bist du passiv aggressiv?


    Kann das nicht deuten, darum frage ich.

    Ich versuche mich tatsächlich ernsthaft zu beteiligen. Also klar, die Anglizismen waren etwas ironisch, aber das zeigt ja nur, dass ein entsprechendes System in D noch nicht verbreitet ist.

    Aber an sich frage ich mich manchmal schon, ob es Ärzte nicht fast nur braucht, um a) Spezialistenindikationen abzudecken (Rheumatologie und irgendwas anderes abgespactes) und b) zu unterschreiben, weil man eben die Erlaubnis zur Heilkunde hat.

    Ein normales Echo kriegt eine MFA/MTA mit Anlernen hin, Notfall Sono machen ja auch teilweise Pflegende und RFP, anscheinend braucht man also dafür auch kein Medizinstudium und die Approbation.


    Und wenn ich jetzt bspw. deine oder bodo#3 s Kenntnisse, auch in den theoretischen Grundlagen mit meinem Wissen vergleiche, hätte ich glaub nicht bis jetzt studieren müssen.


    Das ist für mich gerade tatsächlich eine "existenzielle Frage", da ich nicht weiß, ob es sinnvoll und zielführend ist, als Arzt letztlich nur Unterschriften zu setzen, wenn alles eigentlich "heilende" durch Physician Assistants, MTAs, Pflegende, RFP und anderes nicht ärztliches Personal auch erbracht werden kann und man die Approbation nur zum Unterschreiben von Befunden und Therapieplänen braucht.

  • Für mich: Weil die Stellungnahme von einer falschen Prämisse ausgeht, nämlich dass sechs Jahre Medizinstudium plus zwei Jahre Weiterbildung automatisch höherwertig sind als drei Jahre Notfallsanitäterausbildung.


    Natürlich ist eine umfangreichere Ausbildung sprich Studium höherwertiger, alles andere wäre paradox.

    Die Ausbildung des Notfallsanitäters ist auf die Notfallmedizin fokussiert, während der Medizinstudent die ganze Bandbreite der Humanmedizin lernt. Dinge wie komplexere Anatomie, Biochemie, Mikrobiologie, Dermatologie, Pathologie, Humangenetik, Laborchemie usw. sind sicherlich für viele Aspekte des Arztberufs wichtig, aber für die Notfallmedizin nur am Rande bis überhaupt nicht relevant.


    Solche Aussagen kommen regelmäßig von Personen, die nicht EIN Semester oder wenigstens mal ein paar Wochen Medizin studiert haben, aber darüber sprechen, als würden sie es komplett überblicken, auch wenn man sein Wissen lediglich vom Hörensagen hat. Als jemand, der das Studium komplett absolviert hat, kann ich sagen, dass genau diese Breite die Höherwertigkeit ausmacht und man durch sie sehr gut autonom und flexibel handeln kann und sich eben nicht strikt an SOP halten muss (was dann von anderen wieder nicht verstanden wird).

    Und wenn man die tatsächlichen Präsenzzeiten zwischen Ausbildung und Uni vergleicht, dürften sich die sechs Jahre Uni auch weiter relativieren.


    Lass dir gesagt sein, dass in der Medizin die Präsenzzeiten nicht ansatzweise den Aufwand für die Uni widerspiegeln. Erstens sind die so niedrig gar nicht (geht schon aus der Anzahl der Pflichtkurse hervor) und zweitens nimmt der Lernaufwand außerhalb der Uni zumindest in den ersten 4 Semestern locker noch einmal die Zeiten der Präsenz in Anspruch (ich kann mich kaum an einen freien Abend oder Wochenende in der Vorklinik erinnern). Sofern man das Studium einigermaßen straff durchziehen möchte.

    Hinzu kommen noch einmal diverse Praktika, Famulaturen, Block-Praktika... außerhalb der regulären Vorlesungszeiten

    Ich behaupte, dass in drei Jahren Notfallsanitäter regelmäßig mehr notfallmedizinisch relevantes Wissen vermittelt wird als im Medizinstudium plus den für die Zusatzbezeichnung notwendigen Rotationen.

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    In jedem einzelnen Fach werden alle Notfälle ausführlich behandelt. Und jedes Fach zieht sich über mindestens ein Semester inklusive praktischer Tätigkeit und nicht nur ein paar Stunden wie in der Ausbildung. Außerdem ist Wissen nicht gleichbedeutend mit Können. Und ich führe im OP und auf Intensivstation an einem Tag, vom ersten Tag an (anfangs sicher mit Hilfe) deutlich mehr notfallmedizinische Maßnahmen (Kreislaufstabilisierung, Rhythmus-Behandlung, Atemwegsmanagement, Behandlung pulmonaler Erkrankungen, ...) durch, perioperative Schmerztherapie, Schmerztherapie bei kaum einzustellenden Schmerzen usw. als eine RTW-Besatzung in einer Woche. Wenn überhaupt. Und ich mache das jeden Tag, mehrmals die Woche, bis zum NA-Schein mindestens zweieinhalb Jahre, also fast die komplette NFS-Ausbildungszeit).


    Ich würde deshalb in meiner arroganten Halbgott-in-Weiß-Attitüde behaupten, ja ich habe fucking tausend Mal mehr notfallmedizinisches Wissen und Können bis zum NA-Schein erlernt und Patienten behandelt, als jeder NFS vielleicht in seiner ganzen beruflichen Laufbahn. Und sehr viele Patienten davon sind richtig krank und brauchen deutlich mehr als Salbutamol und Atrovent.

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