Geplante Änderung des Notfallsanitätergesetzes durch das BMG

  • Jan Waldorf - du schreibst, dass sich der rettungsdienstliche Alltag NICHT mit SOP bewältigen lässt (sinngemäss, sonst korrigiere mich bitte).


    Jetzt möchte ich, nach meinem Verständnis, die SOP als eine unverrückbare Anweisung definieren, im Gegensatz zu einem Algorithmus, der einen „roten Faden“ darstellt und situationsbedingte Abweichungen zulässt.

    Ich selber arbeite mit beiden Systemen, so haben wir eine SOP „Abbruch einer Reanimation ohne ärztliche Präsenz“. Diese habe ich zu befolgen. Ansonsten arbeite ich mit Algorithmen (in diesem Falle modifizierte SMEDREC) und diese ermöglichen mir eigentlich alle gängigen Situationen (legal) zu bewältigen, mit einem situativen Freiraum.


    Ich würde dir (wenn ich dich richtig verstanden habe) zustimmen, dass SOP (ähnlich wie in den USA) nicht die Lösung sind, aber vernünftig aufgestellte Algorithmen funktionieren zu 98%.

    Ich bin ebenfalls der Meinung, das eine SOP keine Behinderung meiner Arbeit darstellt. Oben wurde das Beispiel der Hypertonie bereits gebracht.

    Die SOP Hypertonie ist so breit gefächert, dass es mir in fast allen Fällen erlaubt ist einen kritischen Druck zu senken. Nur halt nicht in den Fällen, wo das Präparat (hier Urapidil) kontraindiziert ist. Dies deckt aber 95% meiner Einsätze mit einem solchem Patienten ab.

    Ebenso SAA Schmerz. Ich habe mehrere Präparate, ich darf frei wählen. Natürlich muss ich damit rechnen gefragt zu werden, warum ich bei diesem einen Fall Medikation X gegeben habe. Aber ich habe keine rechtlichen Folgen zu erwarten. Auch schaut in den Aufnahmen niemand mehr komisch, wenn ich einen Pat. analgosediert einliefere. Mit Ausnahme der älteren Pflegekräfte, weil die es 20 Jahre anders kennen. Aber selbst hier ist die Sache mittlerweile angekommen.

    Ich glaube, dass die Gesetztesänderung uns für die Maßnahmen außerhalb einer SOP im lebensbedrohlichen Zustand hilft. Es geht um Maßnahmen, welche aus meiner Sicht vor Ort Ultima Ration sind und ich mir diese zutraue oder eine SOP eben nicht das nötige leistet, was nötig wäre um den Patienten jetzt zu helfen (Bei uns vllt. SOP Anaphylaxie, β2-Sympathomimetika bei uns nur durch NA.) .


    Ich bin auch noch unsicher, aber nach Michaels Darstellung bin ich mittlerweile etwas entspannter. Ich warte noch auf die angekündigten Rechtsgutachten, bin aber guter Dinge. Vielleicht habe ich es auch alles falsch verstanden, wer weiß.


    Was jetzt gefordert werden muss, und wo ich am meisten genervt von bin, ist dieses Denken auf der lokalen Arbeitsebene. Es gibt hier einige ÄLRD um uns herum, da dürfen die Kollegen so gut wie nix. In anderen Kreisen sind die Landes-SOP 1:1 umgesetzt. Da weiß man wenigstens was kommt und was wer darf.

    Hier muss eine Einheit her. Der NFS soll ja eigentlich bundesweit gleich ausgebildet sein...

  • Ich verstehe hier ehrlich gesagt nicht, wo einige das Problem sehen...

    Es soll doch bevorzugt nach SOPs gearbeitet werden, und diese zählen als Delegation und sind somit auch rechtssicher. Dabei entscheiden dann die ÄLRD, was sie ihren NFS zutrauen. Was über diese SOPs hinaus geht, da wird eben der NA angefordert. Wo ist da jetzt bitte das Problem?


    Ihr müsst bitte auch bedenken, dass die Gesetze nicht nur für ne handvoll high-performer da sind, die sich in ihrer Freiheit eingeschränkt fühlen, sondern die breite Masse abbilden müssen. Und die breite Masse ist eben nicht fit genug alles selbst entscheiden zu können, sondern brauchen Richtlinien. Und mal ganz ehrlich: irgendwo muss man auch mal die Grenze ziehen, sonst fangen einige an alleine draußen Kindernarkosen einzuleiten, was meiner Meinung nach für nen NFS echt zu viel ist. Man muss einfach die Regeln so aufstellen, dass auch die Schwächeren den Patienten nicht schaden, auch wenn das den Besseren nicht passt. Und wenn in einem RD-Bereich alle sehr gut sind, dann darf der ÄLRD ja mehr freigeben.

  • Rene P. - ich weiss, dass ich mich wiederhole, aber ich halte nichts von einheitlichen Vorgaben. Für mich sind sie der Weg zum Stillstand! Ich konnte dies sehr gut in Italien erleben, wo ich vor einiger Zeit als „Observer“ mitgefahren bin und ich kenne dies aus Frankreich, wo ich gelegentlich im Rahmen von Rückholungen bin. Diese einheitlichen Vorgaben lassen kaum Fortschritt zu (funktioniert in der Hauptstadt, dann muss es genau so in Réunion, Martinique oder in den Alpen laufen). Da ist mir eine lokale Lösung lieber, denn die „zwingt“ auch andere, voran zu schreiten.
    Beispiel: RD X gibt Noradrenalin frei, da schauen die anderen schon, wie sich das bewährt hat und entscheiden, ob das auch bei ihnen eine Option darstellt.

  • Okay, das ist ein Argument. Aber dann sollten wir zumindest über eine "Grundausstattung" an SOP denken.

    Wie du selbst sagst, es muss nicht überall alles gleich sein. Aber der Bluthochdruck, Anaphylaxie oder Krampfanfall wird überall gleich behandelt. Es gibt genug Leitlinien, welche als Grundlage herhalten können.


    Wenn darüber hinaus noch Innovation stattfindet, dann bin ich dankbar dafür. Dies kann dann u.Ust. später weiter gedeihen in der Fläche.


    Und wie ich schrieb, man kann die SOP auch weiträumig verfassen und muss nicht unbedingt alles mit Werten fixieren.

    Wir haben viele SOP, welche sich auf den Zustand des Patienten beziehen.


    Einen wachen Patienten welcher kontaktfähig und ohne Probleme im RTW liegt und nur durch seine Bradykardie stehend synkopiert, wir auch kein NA versuchen mit Medikamenten oder Pacer zu bearbeiten. Daher steht bei uns nicht unter 50 muss... Sondern bei Symptomen X, Y oder Z.

  • Ehrlicher Weise habe ich den Eindruck, dass viele beim Ruf nach einheitlichen Vorgaben einerseits eigentlich "Mindestanforderungen" meinen, andererseits nicht ganz klar ist, dass das dann eben auf ein Endergebnis nahe dem kleinsten gemeinsamen Nenner hinauslaufen dürfte.

  • a) Fälle, in denen zwar keine unmittelbare Lebensbedrohung vorliegt und auch keine schwerwiegenden Folgeschäden drohen, gleichzeitig aber eine invasive Intervention bzw. Medikamentenapplikation vor Ort unzweifelhaft notwendig ist - schwere Übelkeit, Schmerzzustände NAS 5-6, Nierenkolik, hypertensive Entgleisungen, systemische allergische Reaktionen ohne akute Vitalgefährdung, Pseudokrupp etc.; ich halte es nicht nur für unwahrscheinlich sondern für völlig ausgeschlossen dass alle diese Fälle von SOP erfasst werden können und werden. Und genau diese "low-budget-Fälle" sind es welche ein Notfallsanitäter routiniert ohne NA abarbeiten sollte um die wertvolle Ressource Notarzt zu schonen.

    Je nun, entweder geht das schon jetzt unter dem Gesichtspunkt des Notstands, dann geht es auch nach dem Entwurf, nur dann statt gerechtfertigt erlaubt (oder es kann jetzt wie zukünftig über das Konzept der generellen ärztlichen (Vorab-)Delegation gelöst werden) - oder es geht derzeit ebenfalls nicht. Dann wäre der Entwurf kein Rückschritt und eine Änderung nicht ernsthaft zu erwarten. Dass nicht beabsichtigt ist, Notfallsanitätern eine generelle Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde außerhalb von Notfällen und außerhalb ärztlicher Vorgaben zu verleihen, ist ja klar kommuniziert - und m.E. auch sinnvoll.

    b) Fälle, in denen eine "ungeeignete" SOP vorliegt - laut Entwurf soll die Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde daran geknüpft sein, dass für das betr. Notfallbild keine SOP vorliegt oder eine eine entsprechende SOP nicht angewendet werden darf. Was aber, wenn eine SOP vorliegt, die inhaltlich nicht weiterhilft? Ich kenne da zwei große Rettungsdienstbereiche in unserer Region, in welchen genau das häufiger der Fall ist (nur ein Beispiel von vielen: In einer Analgesie-SOP wird über viele Jahre ein de facto unwirksames Präparat gelistet, anschließend wird über einen langen Zeitraum zusätzlich ein Präparat genannt, welches auf dem deutschen Markt weder zugelassen noch erhältlich - und wahrscheinlich in vielen Fällen auch nicht sonderlich geeignet - ist).

    Dann muss man ggf. die SOP ändern. Es kann generell nicht Aufgabe eines Heilhilfs- (oder Gesundheitsfach-) Berufs sein, eigene Therapieideen an die Stelle ärztlicher verordneter zu setzen.-

    Insgesamt betrachtet halte ich den Entwurf aus dem BMG gelinde gesagt für unangemessen und ungeeignet. Auch der hier und da zu hörende, durchaus etwas spöttische Kommentar "Wir sind auf dem Rückweg in die 80er" scheint nicht ganz unberechtigt - in meinen rettungsdienstlichen Anfangsjahren (Mitte der 90er) war es in der Tat nicht unüblich, sich invasive Maßnahmen telefonisch durch den Aufnahmearzt "absegnen" zu lassen. Weniger aufgrund eines Bedarfes an ärztlicher Expertise, sondern einfach um sinnbefreiten Diskussionen aus dem Weg zu gehen. Freunden der Telemedizin sei übrigens der Eintrag "Biophone" in der englischsprachigen Wikipedia ans Herz gelegt. Nach Lektüre dieses Beitrages ist klar, dass Herr Spahn uns vermutlich weniger in die 80er des vergangenen Jahrhunderts befördern würde...sondern eher in dessen 70er.

    Mir ist immer noch nicht klar, wo sich aus dem Entwurf ein "Rückschritt" ergeben soll. Ich sehe nicht, welche Maßnahmen jetzt möglich wären, die der Entwurf dann nicht mehr möglich macht.

    Zusammenfassend: Der Entwurf des BMG bleibt MEILENWEIT hinter den Realitäten in vielen Rettungsdienstbereichen zurück. Die Ausübung der Heilkunde (und nicht nur "heilkundlicher Maßnahmen") durch Notfallsanitäter ist vielerorts Routine, und genau daran wird sich ein Gesetzesentwurf messen lassen müssen.

    Die Ausübung der Heilkunde durch Notfallsanitäter außerhalb der engen Grenzen des rechtfertigenden Notstands (und der Delegation, im Einzelfall oder generell vorab, wobei dann ja gerade keine Heilkunde durch Notfallsanitäter ausgeübt wird) ist verboten und strafbar. Ich glaube nicht, dass sich Gesetzentwurf sich daran messen lassen sollte.

    Früher oder später wird (nicht nur) der Notfallsanitäter ganz offiziell die Heilkunde ausüben.

    Rückblickend - nicht nur - auf die letzten 30 Jahre würde ich sagen: wenn, dann deutlich später.

  • Ehrlicher Weise habe ich den Eindruck, dass viele beim Ruf nach einheitlichen Vorgaben einerseits eigentlich "Mindestanforderungen" meinen, andererseits nicht ganz klar ist, dass das dann eben auf ein Endergebnis nahe dem kleinsten gemeinsamen Nenner hinauslaufen dürfte.

    Freilich läuft das auf den kleinsten gemeinsamen Nenner heraus, anders gehts auch kaum. Weil wenn man die Schwächeren unterwegs verliert wirds für die Patienten gefährlich... Und wie ich in einem anderen Thema schon geschrieben habe, habe ich den Eindruck, dass mit den Ergänzungsprüfungen viele abgehängt wurden...

    Wenn ich ÄLRD wäre würde ich auch erst mal ganz klein anfangen und schauen wie es läuft. Wenns gut läuft kann man immer noch mehr freigeben, wenn aber erst was daneben gegangen ist wirds blöd...

    Ich finde es auch völlig richtig, dass sich das von Bereich zu Bereich unterscheidet, weil die Voraussetzungen einfach sehr unterschiedlich sind. Rene P. hatte hier ja mal beispielhaft seine Mediliste veröffentlicht. Ich freue mich für die Kollegen dass es dort zu laufen scheint, bei uns würde das komplett in die Hose gehen... Man darf halt nicht nur an sich selber denken, sondern muss in erster Linie mal an die Patientensicherheit denken.

  • Jan Waldorf - du schreibst, dass sich der rettungsdienstliche Alltag NICHT mit SOP bewältigen lässt (sinngemäss, sonst korrigiere mich bitte).


    Jetzt möchte ich, nach meinem Verständnis, die SOP als eine unverrückbare Anweisung definieren, im Gegensatz zu einem Algorithmus, der einen „roten Faden“ darstellt und situationsbedingte Abweichungen zulässt.

    Ich selber arbeite mit beiden Systemen, so haben wir eine SOP „Abbruch einer Reanimation ohne ärztliche Präsenz“. Diese habe ich zu befolgen. Ansonsten arbeite ich mit Algorithmen (in diesem Falle modifizierte SMEDREC) und diese ermöglichen mir eigentlich alle gängigen Situationen (legal) zu bewältigen, mit einem situativen Freiraum.


    Ich würde dir (wenn ich dich richtig verstanden habe) zustimmen, dass SOP (ähnlich wie in den USA) nicht die Lösung sind, aber vernünftig aufgestellte Algorithmen funktionieren zu 98%.

    OK, da habe ich unsauber argumentiert und nicht strikt zwischen SOP und Algorithmen differenziert. Nach einhelliger Meinung mehr oder minder aller mir bekannten Juristen darf eine SOP letztlich keinerlei eigene Ermessens- oder Entscheidungsspielräume eröffnen, so dass letztlich in der Tat eine absolute Verbindlichkeit gegeben ist. Allerdings: Viele der mir bekannten SOP lassen solche Spielräume (zu erkennen an Worten wie "oder" bzw. "erwäge"), so dass es sich letztlich eher um Algorithmen handelt. Was Algorithmen mit "situativem Freiraum" angeht sind wir vermutlich völlig einer Meinung - diese bieten Sicherheit & eine Entscheidungshilfe in zeitkritischen Situationen, gleichzeitig (in gewissen, aber meist durchaus akzeptablen Grenzen) aber auch eine Möglichkeit zu einem situationsadäquat angepassten Vorgehen bei Zustandsbildern welche vom beschriebenen Ausgangsszenario abweichen. Nur: Genau diesen Handlungspielraum möchte der deutsche Gesetzgeber dem NotSan allem Anschein nach nicht gewähren.

    Ebenso SAA Schmerz. Ich habe mehrere Präparate, ich darf frei wählen.

    Genau damit handelt es sich aber nicht mehr um eine SOP i.e.S. - und um genau diese Entscheidungsspielräume geht es letztlich.

    Was jetzt gefordert werden muss, und wo ich am meisten genervt von bin, ist dieses Denken auf der lokalen Arbeitsebene. Es gibt hier einige ÄLRD um uns herum, da dürfen die Kollegen so gut wie nix.

    Ein Problem, welches ich weiter oben ja bereits beschrieben hatte & die Kollegen in den Nachbarlandkreisen sind damit bundesweit betrachtet in bester Gesellschaft.

    Ich verstehe hier ehrlich gesagt nicht, wo einige das Problem sehen...

    Es soll doch bevorzugt nach SOPs gearbeitet werden, und diese zählen als Delegation und sind somit auch rechtssicher.

    Und genau das bestreite (nicht nur) ich. So formulierte z.B. der in Rettungsdienstkreisen nicht ganz unbekannte Jurist Thomas Hochstein in seinem Vortrag "Was darf der Notfallsanitäter?" zum Thema "eigenständige Durchführung im Rahmen der Mitwirkung": "Am ehesten handelt es sich wohl um eine Form der Vorab oder Generaldelegation. Eine solche kennen Rechtslehre und Rechtsprechung bisher aber nicht." Genau die Juristen, die nun versuchen, die Vorab- oder Generaldelegation als Mittel der Wahl zu verkaufen, sind jene, welche bis vor kurzem medienwirksam behauptet haben, dass genau dies innerhalb der deutschen Rechtsordnung kaum möglich sei. Weitere Zitate aus dem gleichen Vortrag:

    - "Die in § 4 Abs. 2 Nr. 2 c) NotSanG vom Gesetzgeber vorausgesetzte Vorabdelegation schafft rechtlich mehr Probleme als sie löst."

    - "Es gibt dazu nicht nur keine Rechtsprechung sondern auch keine gesicherte Lehrmeinung"

    - "Es ist fast unmöglich, sinnvolle SOPs zu schaffen, bei denen der NotSan keine Indikation stellen muss." (Mit "Indikationsstellung" ist hier letztlich die Ausübung von Heilkunde gemeint!)

    - "Die Bundesregierung wollte stattdessen die Delegationslösung auf die Notfallversorgung ausweiten. Diese Lösung stößt aber auf die geschilderten

    rechtlichen Schwierigkeiten in der praktischen Umsetzung."


    Dann noch ein paar Zitate aus dem durchaus aufschlussreichen Aufsatz "Tätigkeit als Notfallsanitäter im öffentlichen Rettungsdienst - Anwendung von Maßnahmen zur Lebensrettung und zur Abwehr schwerer gesundheitlicher Schäden, veröffentlicht in der "Notfall + Rettungsmedizin" im Jahr 2015, Co-Autor der meinerseits sehr geschätzte Michael Neupert:

    - "Lesen kann man in der Gesetzesbegründung allerdings auch, Notfallsanitäter sollten durch § 4 Abs. 2 Nr. 2 c) NotSanG auf eine Tätigkeit im Rahmen der Delegation ärztlicher Aufgaben vorbereitet werden. Die Delegation ärztlichen Handelns ist nach etablierter juristischer Sichtweise durch einen starken Bezug zum Einzelfall geprägt, bei welcher ein Arzt die Indikationsstellung und die daraus folgenden medizinischen Anordnungen sowie die Personalauswahl jedes Mal konkret verantwortet und lediglich die Durchführungsverantwortung auf paramedizinisches Fachpersonal übergeht. Diese etablierte Sichtweise greift auch der Text des NotSanG auf, indem er von einer Mitwirkung bei Standardmaßnahmen spricht, welche der ÄLRD „verantwortet“. Wie ein ÄLRD eine Verantwortung für konkrete Maßnahmen ohne Einzelfallprüfung tragen soll, ist dabei nicht ersichtlich; eine standardisierte Vorgabe wird schwerlich im Sinne eines „abstrahierten Entscheiders“ den delegierenden Arzt ersetzen können."

    - "Dass der Gesetzgeber etwa „en passant“ mit dem NotSanG von den bekannten Grundsätzen der Delegation ärztlichen Handelns abweichen und eine ganz neue Delegationsform begründen wollte, deutet er nicht einmal an"

    - "Sinnvollerweise kann man das Gesetz daher nur so verstehen, dass der Gesetzgeber die üblichen Regelungen der Delegation und damit einen dem NotSanG vorausliegenden rechtlichen Rahmen in Bezug nehmen wollte. Dies bedeutet im Ergebnis, die Kombination aus Gesetzesbegründung und Formulierung eines Ausbildungsziels sind als Vorbereitung des Rettungsfachpersonals auf andere Erlaubnistatbestände zu verstehen."


    ...rechtssicher?

    Und wie ich schrieb, man kann die SOP auch weiträumig verfassen und muss nicht unbedingt alles mit Werten fixieren.

    Das halte ich für schwierig. Denn dann handelt es sich wie o.a. streng genommen um Algorithmen, welche wiederum eigene Entscheidungsspielräume eröffnen. Und genau die sind ja offenbar nicht gewollt und nach herrschender Rechtslage vermutlich auch nicht zulässig.

    Ehrlicher Weise habe ich den Eindruck, dass viele beim Ruf nach einheitlichen Vorgaben einerseits eigentlich "Mindestanforderungen" meinen, andererseits nicht ganz klar ist, dass das dann eben auf ein Endergebnis nahe dem kleinsten gemeinsamen Nenner hinauslaufen dürfte.

    Genau das ist meines Erachtens Teil des Problems. Wenn man sich dann noch an den schwächsten Tieren in der Herde orientiert, wird das Ergebnis verheerend. In dieser Hinsicht sind wir auf einem guten Weg...

    „Ein Staat ist immer nur so frei wie sein Waffengesetz.” (Gustav Heinemann)

  • Zitat

    In der Organisationsstruktur des deutschen Rettungsdienstes ist eine Notarztnachforderung durch das Rettungsfachpersonal grundsätzlich vorgesehen. Dies wird in aller Regel auch organisatorisch zu gewährleisten sein; es stellt sich lediglich die Frage, in welcher Zeitspanne der Notarzt beim Notfallpatienten eintreffen wird. Insofern fehlt unseres Erachtens für die Ziffer 5 die realistische Voraussetzung.

    Dieser Satz kein Sinn. Der Gesetzentwurf beschreibt doch als Voraussetzung ganz klar "Maßnahmen, [die] jeweils erforderlich sind, um einen lebensgefährlichen Zustand oder wesentliche Folgeschäden von der Patientin oder dem Patienten abzuwenden", wenn "eine vorherige ärztliche, auch teleärztliche Abklärung nicht möglich ist". Das betrifft also genau die Fälle, in denen der Notarzt zu spät beim Patienten einträfe.

    Zitat

    Es kann beziehungsweise wird zu einer deutlichen Zunahme von Notarzteinsätzen kommen, da der Notfallsanitäter zukünftig verpflichtet sein wird,vor jeder invasiven Maßnahme, die nicht über § 4 Absatz 2 Nummer2 Buchstabe c abgedeckt ist, einen Notarzt nachzufordern.

    Das Argument überzeugt wenig. Derzeit kommen (außerhalb von § 4 Abs. 2 Nr. 2 c)) nur Maßnahmen im rechtfertigenden Notstand in Betracht. Das erfordert dann regelmäßig die Nachforderung eines Notarztes, immer dann nämlich, wenn nicht sicher feststeht, dass keine weiteren heilkundlichen Maßnahmen erforderlich sind. Ansonsten würde die nächste Notstandslage ja quasi herbeigeführt. Demnach würde sich die Sachlage nicht ändern, so dass unklar bleibt, warum die Notarzteinsätze deutlich zunehmen sollten.

    Zitat

    3. Der Notfallpatient wird zukünftig länger auf eine effektive Behandlung durch Notfallsanitäter warten müssen, da dieser zunächst versucht, eine ärztliche Abklärung beziehungsweise Absicherung herbeizuführen.

    Auch dieses Argument kann ich nicht nachvollziehen. Der Gesetzentwurf fordert keine "Absicherung", sondern nur, dass eine ärztliche Abklärung vor Ort oder per Telenotarzt nicht möglich ist. Dadurch verzögert sich nichts, denn jetzt wie auch nach dem Entwurf weiß das RFP regelmäßig, bis wann der Notarzt zu erwarten ist und ob telemedizinische Kapazitäten zur Verfügung stehen (und die Maßnahmen so lange warten können).

    Zitat

    Zudem ist der Telenotarzt unseres Erachtens nicht geeignet, sämtliche Maßnahmen, auch invasive Tätigkeiten, zu „begleiten“, die der Notfallsanitäter im Rahmen seiner Ausbildung erlernt hat und beherrscht. Stattdessen kann ein Telenotarztsystem in Zukunftzu einer sinnvollen Rückfallebeneausgebaut werden und immer dann unterstützen, wenn der Notfallsanitäter alle notwendigen, auch invasiven, Maßnahmen ausgeschöpft hat und sich der Zustand des Patienten weiter verschlechtert.

    Das mag berufspolitisch Wunschdenken sein,. entspricht aber - m.E. mit Recht - nicht der Linie des Gesetzgebers, der an einem notarztbasierten Rettungsdienst festhalten will. Für die Beurteilung des Entwurfs ist das weitgehend belanglos.

    Zitat

    Über welchen Zeitraum kann dem Notfallsanitäter – und auch dem Notfallpatienten – zugemutet werden, auf eine teleärztliche Abklärung zu warten

    Wie auch heute: so lange es sein Zustand zulässt.

    Zitat

    Die Änderung im NotSanG wird die Notfallsanitäter in ihrem Grundrecht aus Artikel12 Absatz1 GG verletzen, da die Heilkundeausübung für Gesundheitsfachberufe in einem bestimmten Umfang bereits qua Ausbildung zulässig ist.

    Das entspricht - vorsichtig gesagt - nicht der herrschenden Meinung. Insbesondere hat das BVerfG in der betreffenden Entscheidung keine solche Aussage getroffen, und der entschiedene Fall (Augeninnendruckmessung und Gesichtsfeldprüfung mittels Computermessung durch Optiker mit klarem Verweis an den Arzt zur Abklärung auffälliger Befunde) ist nun wirklich in keiner Weise mit invasiven Maßnahmen im Rettungsdienst zu vergleichen. Mit der Entscheidung kann man für eine Erlaubnis zur Blutdruckmessung und Pulsoxymetrie argumentieren, mehr aber auch nicht.


    Kurzum: Die Stellungnahme ist teilweise falsch und insgesamt richtig, richtig schwach. Man sollte nicht annehmen, dass sie von einem Verband kommt, der sich näher mit den zugrundeliegenden Fragen beschäftigt hat.

  • Im Übrigen bin und bleibe ich der Überzeugung, dass sich ein wesentlicher Teil des rettungsdienstlichen Alltags nicht mit SOP abbilden lässt.

    Ich bin genau der gegenteiligen Auffassung, nämlich, dass sich der größte Teil der Aufgaben des Rettungsdienstes in SOP abbilden lässt. Was nicht möglich ist, ist die komplette Bandbreite der in Frage kommenden Medizin darzustellen.


    Die Aufgaben des Rettungsdienstes sind zusammengefasst die Abwendung akut (lebens)bedrohlicher Situationen, die Herstellung der Transportfähigkeit sowie der Transport selbst von Patienten. Durch die sehr begrenzten Möglichkeiten an Diagnostik, Therapie und Interventionen ist der Aufwand an Möglichen SOP auch überschaubar. Nicht zu den Aufgaben des Rettungsdienstes gehört klar die ambulante medizinische Versorgung, auch wenn man sehr häufig dazu geneigt ist, diese gleichsam mit zu übernehmen.


    a) Fälle, in denen zwar keine unmittelbare Lebensbedrohung vorliegt und auch keine schwerwiegenden Folgeschäden drohen, gleichzeitig aber eine invasive Intervention bzw. Medikamentenapplikation vor Ort unzweifelhaft notwendig ist - schwere Übelkeit, Schmerzzustände NAS 5-6, Nierenkolik, hypertensive Entgleisungen, systemische allergische Reaktionen ohne akute Vitalgefährdung, Pseudokrupp etc.; ich halte es nicht nur für unwahrscheinlich sondern für völlig ausgeschlossen dass alle diese Fälle von SOP erfasst werden können und werden. Und genau diese "low-budget-Fälle" sind es welche ein Notfallsanitäter routiniert ohne NA abarbeiten sollte um die wertvolle Ressource Notarzt zu schonen.

    Gerade die von dir hier genannten Beispiele lassen sich sogar sehr gut in SOP abbilden. Letztlich kann es bei eingeschränkter Diagnostik nur um die Symptomkontrolle gehen. Ob man bei den Beispielen hier akut intervenieren müsste, ist sicher von Patient zu Patient verschieden. Klar ist, dass es sich bei allen genannten um keine "low-budget-Fälle" handelt, sondern um solche, die einer weiteren ärztlichen Behandlung im Sinne von Diagnostik und "endgültigen" Therapie nach der Akutintervention bedürfen.


    Von daher bleibe ich dabei, dass SOP den größten, wenn nicht sogar kompletten Aufgabenbereich, abdecken können.


    Wenn der wesentliche Anteil des Rettungsdienstalltages aber in der ambulanten medizinischen Versorgung besteht, dann wird der Rettungsdienst nicht adäquat seiner Kernkompetenz eingesetzt. Dann muss dieser Zustand geändert werden und nicht der Zustand legitimiert werden.

  • Je nun, entweder geht das schon jetzt unter dem Gesichtspunkt des Notstands, dann geht es auch nach dem Entwurf, nur dann statt gerechtfertigt erlaubt (oder es kann jetzt wie zukünftig über das Konzept der generellen ärztlichen (Vorab-)Delegation gelöst werden) - oder es geht derzeit ebenfalls nicht. Dann wäre der Entwurf kein Rückschritt und eine Änderung nicht ernsthaft zu erwarten. Dass nicht beabsichtigt ist, Notfallsanitätern eine generelle Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde außerhalb von Notfällen und außerhalb ärztlicher Vorgaben zu verleihen, ist ja klar kommuniziert - und m.E. auch sinnvoll.

    Letztlich fällt annähernd keiner dieser Fälle unter §34StGB, da im Regelfalle weder eine akute Lebensbedrohung noch eine Gefahr erheblicher Folgeschäden bestehen. Dennoch machen diese Fälle einen nicht unerheblichen Teil des Rettungsdienstalltags aus. Und zum "Konzept" der ärztlichen Vorabdelegation (dem es leider an einer belastbaren Rechtsgrundlage fehlt) habe ich mich ein Stück weiter oben ja bereits geäußert. Niemand fordert für den Notfallsanitäter eine generelle Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde außerhalb von Notfall- und Akutsituationen. Wer kardiovertieren soll, müsste m.E. aber auch in der Lage sein (und rechtlich in die Lage versetzt werden) deutlich weniger "spektakuläre" Routinefäle abzuarbeiten. Irgendwann kommen wir in die irrwitzige Situation (in manchen deutschen RD-Bereichen sind wir da schon heute...) dass zwar eine akute Atemnot ohne Notarzt versorgt werden darf, für eine Ampulle Dimenhydrinat bei Übelkeit aber das NEF nachgefordert wird.

    Dann muss man ggf. die SOP ändern. Es kann generell nicht Aufgabe eines Heilhilfs- (oder Gesundheitsfach-) Berufs sein, eigene Therapieideen an die Stelle ärztlicher verordneter zu setzen.-

    Interessante Sichtweise...

    Mir ist immer noch nicht klar, wo sich aus dem Entwurf ein "Rückschritt" ergeben soll. Ich sehe nicht, welche Maßnahmen jetzt möglich wären, die der Entwurf dann nicht mehr möglich macht.

    Im Vergleich zur jetzigen, völlig desolaten Rechtslage ist es in der Tat kein Rückschritt. Im Hinblick auf den gelebten Alltag in vielen Rettungsdienstbereichen schon - denn es sollen Regularien zementiert werden, welche in der Praxis seit 20-40 Jahren völlig überholt sind.

    Die Ausübung der Heilkunde durch Notfallsanitäter außerhalb der engen Grenzen des rechtfertigenden Notstands (und der Delegation, im Einzelfall oder generell vorab, wobei dann ja gerade keine Heilkunde durch Notfallsanitäter ausgeübt wird) ist verboten und strafbar. Ich glaube nicht, dass sich Gesetzentwurf sich daran messen lassen sollte.

    Genau das ist das Problem. In vielen RD-Bereichen ist es völlig normales "Alltagsgeschäft", dass außerhalb der o.a. Grenzen heilkundliche Maßnahmen ausgeübt werden & ausgeübt werden müssen (!). Bedingt durch die unbefriedigende Rechtslage sowie durch meine Tätigkeit im Präsidium einer großen deutschen Hilfsorganisation war ich in den vergangen 4 Jahren nur noch sehr unregelmäßig selbst im RD tätig - nachdem ich in letzter Zeit aber wieder einen etwas tieferen Einblick gewinnen konnte, bin ich mehr als überrascht was teilweise inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Ich selbst hatte und habe ja schon wenig Berührungsängste im Hinblick auf die sog. "heilkundlichen Maßnahmen" - aber offensichtlich wurde auch ich von der Realität überholt. Was die teilweise noch jungen Kollegen täglich draußen leisten, nötigt mir jedenfalls ein erhebliches Maß an Respekt ab. Ob irgendwelche Maßnahmen nun "freigegeben" sind oder nicht, fragt sich (im Gegensatz zu mir) jedenfalls anscheinend fast niemand mehr. Wir können nun entweder einen ganzen Berufsstand kriminalisieren - oder eben dafür sorgen, dass die Kollegen Ihren Beruf ausüben dürfen. Ich als lediglich nebenberuflich tätiger, "ergänzungsgeprüfter" Notfallsanitäter bin jedenfalls mehr als beeindruckt von der fachlichen Kompetenz, der hervorragenden Ausbildung & der Entschlossenheit der neuen Kollegen. Und ich wünsche mir, dass diese sehr leidenschaftlichen, fachlich über jeden Zweifel erhabenen Menschen endlich Ihren Job (richtig) machen dürfen. Und dafür braucht es m.E. eine Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde in Notfall- und Akutsituationen - nicht mehr und nicht weniger. Es wird sicherlich juristisch herausfordernd, hier eine saubere Abgrenzung hinzubekommen. Umso mehr würde es mich freuen, wenn fachlich qualifizierte und interessierte Juristen - auch jene aus diesem Forum - genau daran mitarbeiten würden.

    „Ein Staat ist immer nur so frei wie sein Waffengesetz.” (Gustav Heinemann)

  • ...rechtssicher?

    Jetzt werfen wir aber den Ist-Zustand und die vorgeschlagene Änderung durcheinander. Der Ist-Zustand wirft genau die Fragen auf, die - nicht nur - ich übrigens schon im Gesetzgebungsverfahren kritisiert habe. Kernproblem sind aber nicht die 1c-Maßnahmen, sondern die 2c-Maßnahmen. Weil, wie Du richtig zitierst, eben nicht klar ist, was diese Maßnahmen rechtlich sein sollen.


    Bislang ist die einzige juristische Erklärung dafür die Delegation. Die passt aber nicht, weil Delegation nach ganz gefestigter Auffassung eine individuelle Untersuchung und Diagnosestellung des jeweiligen Patienten durch einen Arzt voraussetzt. Also habe - nicht nur - ich die Frage aufgeworfen, wie sich der Gesetzgeber das Ganze eigentlich vorstellt, nachdem er es nicht klar gesagt hat.


    Genau diese Lücke will der Referentenentwurf doch nun schließen. Wie das juristisch gehen könnte, habe - nicht nur - ich im letzten Jahr so formuliert:


    "Da das klassische Delegationsmodell nicht in Betracht kommt, stellt sich die Frage, wie ein im ersten Zugriff „arztloses“ System fachlich so gestaltet werden kann, dass der Nutzen (Lebensrettung, Verhinderung schwerer gesundheitlicher Schäden, ethisch und medizinisch begründete Maßnahmen im Vorfeld unmittelbarer Lebensgefahr) die Risiken (Schaden durch Behandlungsfehler wegen fehlender Diagnosekompetenz) übersteigt und damit auch fachlich rechtfertigbar macht. (…) Bei der fachlichen Gestaltung bleibt – soweit man von einer positiven Nutzen-Risiko-Bewertung ausgeht – nur ein neues Modell übrig, in dem die notfallmedizinischen Sachverhalte und Umstände klar beschrieben sind. (…)


    (…) können medizinisch-fachliche Leitsymptome und Vorgaben zur Akutbehandlung so bestimmt formuliert werden, dass sie qualifiziertem medizinischem Fachpersonal hinreichend sichere Verhaltensmaßstäbe an die Hand geben. Durch solche typisierten Verhaltensmaßstäbe kann die ärztliche Befähigung für die Notfallbehandlung ein Stück weit entbehrlich werden. Eine Substitution ärztlicher Heilkunde findet damit jedoch nicht statt.


    Dieses Modell wird seit Jahren unspezifisch als „Vorabdelegation“ bezeichnet und enthält im Rettungsdienst die bereits oben (3.2) angesprochenen algorithmengestützten Vorgaben der Ärztlichen Leitungen Rettungsdienst (…)" (Lechleuthner / Neupert, Rechtssicherheit (nicht nur) für Notfallsanitäter/-innen. Aktuelle Diskussion – Lösungsansatz, 2019, S. 26 f.).


    Deshalb verstehe ich Deinen Hinweis nicht, für die Vorabdelegation fehle eine Rechtsgrundlage. Ja, genau das ist das Problem, und genau das will der Referentenentwurf lösen. Ob er das wirklich sinnvoll tut - gute Frage.

    Lügen ist keine Kunst. Kunst ist, anderen die Wahrheit in einem neuen Licht zu zeigen.

    Einmal editiert, zuletzt von Michael Neupert ()

  • Im Vergleich zu vielen anderen Berufen halte ich eine entsprechende Sonderstellung vor dem Hintergrund von Ausbildung und Aufgabenspektrum durchaus für gerechtfertigt.

    Sorry, ich nicht. Ich meine das nicht böse, sehe aber nicht, welche Besonderheit gegenüber anderen Fachberufen bei Notfallsanitätern besteht. Ich bin da gerne für eine Diskussion offen. Aber dass Absolventen einer dreijährigen Berufsausbildung im Rettungsdienst nun eine fachliche Sonderstellung gegenüber zum Beispiel Gesundheitspflegern, Augenoptikern, Physiotherapeuten oder Logopäden hätten (um im Gesundheitswesen zu bleiben), leuchtet mir nicht ein.



    Es gibt im Übrigen wenige Berufe, bei denen wirklich eine "Heilkundeausübung" i.e.S. erfolgt bzw. zwangsläufig ist, in diesem Fall werden ggf. sektorale Genehmigungen zur Ausübung der Heilkunde erteilt.

    Nochmal sorry, das ist doppelt falsch: Erstens üben alle von mir oben genannten Berufe mehr oder weniger die Heilkunde im Sinne des Heilpraktikergesetzes aus. Und zweitens sind die alle - genau wie Notfallsanitäter - im Umfang ihrer Ausbildungen dazu ohne ausdrückliche Regelung befugt. Das kannst Du in der von mir oben zitierten Veröffentlichung mit Quellenangaben nachlesen (S. 7 f.). Im Übrigen weist auch die vom DBRD veröffentlichte Stellungnahme von Frank darauf hin, dass dieser Gesichtspunkt in der Diskussion leider schlicht ausgeblendet wird.


    Explizit erteilt wird eine sektorale Heilkundeerlaubnis in diesen Fällen nicht. Eingeklagt hatte sie ein Physiotherapeut (ich meine, es war ein Mann), um seine Abrechnungstätigkeit mit den Krankenkassen zu erleichtern, wenn ich mich richtig erinnere.


    Ärzte sind im Hinblick auf die Berufsausübung mehr oder minder völlig frei (Sorgfaltspflichten und haftungsrechtliche Belange mal außen vor gelassen). "Vorgaben" machen die einschlägigen Fachgesellschaften in Form von Leitlinien - und ich habe überhaupt kein Problem damit (ganz im Gegenteil), wenn ein guter & engagierter ÄLRD auf entsprechender Basis SOP entwickelt. Aber solche SOP können dann eben nur die Richtschnur sein, nicht das Maß aller Dinge.

    Bis Ärzte "frei" arbeiten dürfen, durchlaufen sie im Regelfall sechs Jahre Studium und - ich glaube - fünf oder sechs Jahre Facharztausbildung, beides auf einem anderen Niveau als die Ausbildung zu einem Fachberuf. Ich sehe da einen erheblichen Unterschied.



    niemand zwingt den ÄLRD, sinnvolle SOP zu veröffentlichen.

    Finde ich unsachlich. Wenn wir mit Einzelfällen anfangen, in denen etwas schlecht läuft, verliert das Rettungsfachpersonal deutlich, würde ich meinen. Abgesehen davon ist die Kernfrage, wer beurteilt, was sinnvoll ist. Einer hält dafür den Kopf hin, und der entscheidet das dann auch.


    Wenn Du wüsstest, wie oft ich um ärztlichen Rat bitte - oder aus dem Einsatz heraus einen Arzt anrufe. Der Unterschied ist: Ich bin mir meiner Grenzen bewusst und suche Hilfe & Rat, wenn ich sie brauche. Genau wie der Assistenzarzt oder der Zimmermann. Aber eben nicht, weil ein Gesetzgeber mir von vorneherein völlige Inkompetenz unterstellt.

    Ja, und wenn niemand sich je überschätzen würde, bräuchten wir eigentlich so gut wie gar keine Gesetze. Nun ist die Welt aber - unglücklicherweise - nicht nur von klugen Leuten bevölkert.


    Und, wieder einmal sorry: Niemand unterstellt Notfallsanitätern von vorneherein völlige Inkompetenz.



    Und da ein NotSan in seiner Ausbildung primär in der Ausübung von Heilkunde im medizinischen Not- und Akutfall ausgebildet wird, benötigt er diesbezüglich eine klare und unmissverständliche Erlaubnis - da wären wir beim Vorschlag des Bundesrates, der aber nur ein erster Schritt sein kann.

    Der Vorschlag des Bundesrates ist nun wirklich komplett ungeeignet, weil er das Problem nicht einmal anfasst, was hinsichtlich der Vorabdelegation besteht (S. 20 der zitierten Veröffentlichung).



    Was wir ganz sicher nicht brauchen ist ein "wenn das Kochbuch versagt, das Telefon ausgefallen ist & nach einer umfassenden juristischen Einschätzung Handlungsbedarf besteht - versuch Dein Glück, wenn Du die entsprechende Maßnahme mal gelernt hast".

    Erneut sorry: Ich begreife wirklich nicht - also: ganz ohne Zorn, rein intellektuell - wieso diese Aussage ständig wiederholt wird. Weil ich überhaupt nicht verstehe, wie sich daraus ein Argument gegen SOP ergeben soll, zum Beispiel.


    In letzter Konsequenz: Eher ja als nein. Das gilt aber nur für mich persönlich,

    Dann ist der Weg klar: Raus aus dem Fachberuf in den akademischen. Gilt in allen Bereichen des Berufslebens.

    Lügen ist keine Kunst. Kunst ist, anderen die Wahrheit in einem neuen Licht zu zeigen.

  • Nach einhelliger Meinung mehr oder minder aller mir bekannten Juristen darf eine SOP letztlich keinerlei eigene Ermessens- oder Entscheidungsspielräume eröffnen, so dass letztlich in der Tat eine absolute Verbindlichkeit gegeben ist. Allerdings: Viele der mir bekannten SOP lassen solche Spielräume (zu erkennen an Worten wie "oder" bzw. "erwäge"), so dass es sich letztlich eher um Algorithmen handelt.

    Ich schaffe es jetzt nicht mehr, das noch zu vertiefen, weil ich mich mal der eigentlichen Arbeit widmen muss. In der Kürze nur so viel: Das ist schon noch um einiges komplexer.

    Lügen ist keine Kunst. Kunst ist, anderen die Wahrheit in einem neuen Licht zu zeigen.

  • Niemand fordert für den Notfallsanitäter eine generelle Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde außerhalb von Notfall- und Akutsituationen.

    Genau so verstehe ich aber Deine bisherigen Beiträge in der Diskussion...

    Lügen ist keine Kunst. Kunst ist, anderen die Wahrheit in einem neuen Licht zu zeigen.

  • Erstens üben alle von mir oben genannten Berufe mehr oder weniger die Heilkunde im Sinne des Heilpraktikergesetzes aus. Und zweitens sind die alle - genau wie Notfallsanitäter - im Umfang ihrer Ausbildungen dazu ohne ausdrückliche Regelung befugt. Das kannst Du in der von mir oben zitierten Veröffentlichung mit Quellenangaben nachlesen (S. 7 f.).

    Eine Befugnis zur eigenständigen (!) Ausübung der Heilkunde "im Umfang ihrer Ausbildungen", also ohne vorherige ärztliche Delegation, Anordnung oder Verordnung, sehe ich bei Gesundheitsfachberufen nicht (und kann ich auch Deinem Beitrag in der Notfall+Rettungsmedizin 2015 nicht entnehmen).

    Explizit erteilt wird eine sektorale Heilkundeerlaubnis in diesen Fällen nicht. Eingeklagt hatte sie ein Physiotherapeut (ich meine, es war ein Mann), um seine Abrechnungstätigkeit mit den Krankenkassen zu erleichtern, wenn ich mich richtig erinnere.

    Ich hab's nicht mehr nachgelesen (auch mein Schreibtisch ist heute leider noch beruflich voll), meine mich aber zu erinnern, dass die sektorale Heilkundeerlaubnis für Phyisotherapeuten dann erforderlich ist, wenn Physiotherapie auch ohne ärztliche Verschreibung (also ohne ärztliche Diagnosestellung!) erbracht werden soll, weil eben das auch für Phyisotherapeuten nicht zulässig ist. Insofern ging es nicht um eine bloße Erleichterung der Abrechnung.


    (Übrigens kann eine sektorale Heilpraktikerlaubnis auch nicht ohne weiteres für jeden Bereich erteilt werden. Wenn ich mich recht erinnere, ist das gerade im Hinblick auf Osteopathen - was auch immer man von der Osteopathie an sich hält - umstritten; die Rechtsprechung lehnt m.E. eine sektorale Heilpraktikererlaubnis für Osteopathie ab, ohne eine solche ist aber die eigenständige Erbringung (auch für "ausgebildete" Osteopathen) verbotene Ausübung der Heilkunde.)

    Genau so verstehe ich aber Deine bisherigen Beiträge in der Diskussion...

    Naja, "Akutsituationen" ist all das, was nicht warten kann, bis der Hausarzt oder niedergelassene Facharzt wieder zur Verfügung steht, also die typische Domäne des vertragsärztlichen Bereitschaftsdienstes und der Notfallpraxen. Eine noch darüber hinausgehende Ausübung der Heilkunde für Notfallsanitäter kann man sich kaum vorstellen. Insofern würde eine solchermaßen breite Erlaubnis zur eigenständigen (!) Ausübung der Heilkunde sicherlich alle berufspolitischen Interessen befriedigen. ^^