Geplante Änderung des Notfallsanitätergesetzes durch das BMG

  • Der entscheidende Unterschied zwischen einem Taxi und einem Rettungswagen ist aber eben dass in Letzterem eine (vorübergehende & strikt an den tatsächlichen Notwendigkeiten orientierte) Patientenversorgung stattfindet, die Hinzuziehung eines Notarztes erfolgt im Übrigen bei medizinischer Notwendigkeit. Wenn dies zu einem allseits akzeptierten Konsens werden würde, wären die ganzen Kompetenzdiskussionen schlagartig erledigt. Wir diskutieren doch hoffentlich nicht ernsthaft ob der NotSan Medikamente verabreichen darf, welche in der Apotheke „um die Ecke“ de facto frei verkäuflich sind...?

    Das ist deine Wunschvorstellung, aber nicht die rechtliche Lage. Und woher kommt denn jetzt die letzte Annahme her? Seit wann ist die Freiverkäuflichkeit von Medikamenten in Apotheken ein Kriterium damit andere Menschen zu behandeln? Es besteht doch ein gewaltiger Unterschied, ob jemand sich selbst medikamentös behandelt oder behandelt wird. Weiter hat ein NFS nicht die Kompetenz eines Apothekers den Patienten über ein Präparat gleichwertig aufzuklären.

  • Also abseits dessen dass das hier jetzt irgendwie etwas ausartet.


    Dimenhydrinat ist in Tabletten und Zäpfchen Form ledigleich Apothekenpflichtig. Als i.V. Medikament ist es aber durchaus Verschreibungspflichtig.


    Das Argument mit der Apotheke ist also wohl eher...provokativ denn zielführend.


    Ich stimme mal zu, dass es hier nicht um den gesunden Menschenverstand geht sondern um die Gesetzeslage.

  • Ich stimme mal zu, dass es hier nicht um den gesunden Menschenverstand geht sondern um die Gesetzeslage.

    Die aktuell geltende Gesetzeslage für NotSan ist die untenstehende. Was hier im Thread diskutiert wird ist die Gesetzeslage, nach Ende der der epidemischen Lage von nationaler Tragweite. Diese soll laut Ärzteblattbis Juni 2021 verlängert werden.



    Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG)
    § 5a Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten bei Vorliegen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, Verordnungsermächtigung

    (1) Im Rahmen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite wird die Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten folgenden Personen gestattet:

    1. Altenpflegerinnen und Altenpflegern,
    2. Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerinnen und Gesundheits- und Kinderkrankenpflegern,
    3. Gesundheits- und Krankenpflegerinnen und Gesundheits- und Krankenpflegern,
    4. Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitätern und
    5. Pflegefachfrauen und Pflegefachmännern.

    Die Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten ist während der epidemischen Lage von nationaler Tragweite gestattet, wenn


    1.die Person auf der Grundlage der in der jeweiligen Ausbildung erworbenen Kompetenzen und ihrer persönlichen Fähigkeiten in der Lage ist, die jeweils erforderliche Maßnahme eigenverantwortlich durchzuführen und
    2. der Gesundheitszustand der Patientin oder des Patienten nach seiner Art und Schwere eine ärztliche Behandlung im Ausnahmefall einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nicht zwingend erfordert, die jeweils erforderliche Maßnahme aber eine ärztliche Beteiligung voraussetzen würde, weil sie der Heilkunde zuzurechnen ist.
    Die durchgeführte Maßnahme ist in angemessener Weise zu dokumentieren. Sie soll unverzüglich der verantwortlichen Ärztin oder dem verantwortlichen Arzt oder einer sonstigen die Patientin oder den Patienten behandelnden Ärztin oder einem behandelnden Arzt mitgeteilt werden.

    (2) Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates weiteren Personen mit Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung eines reglementierten Gesundheitsfachberufs während einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite die Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten nach Absatz 1 Satz 2 zu gestatten.

  • Nein, das sage ich sicher nicht, auch nicht bei den meisten Patienten im Rettungsdienst, sondern therapiere sie zügig.

    Achso, ups, ich bin ja auch der Arzt, dessen Aufgabe es ist, die Patientin zu behandeln, und nicht der NFS, der sie zu mir bringen soll.



    Nein, es geht um die verdammte Gesetzeslage. Und soweit ich die nach aller Diskussion auf dem Schirm habe, ist es so, dass eine Behandlung durch NFS lediglich bei Notfällen oder durch SOP geregelten Erkrankungen zulässig ist. Ob es dir passt oder nicht. Wenn das demnächst anders aussehen sollte, können wir gerne noch einmal darüber reden.

    Nein, es geht mir nicht um die derzeitige Gesetzeslage. Hier sehe ich genauso wenig Raum für eine nicht-delegationsbasierte Antiemetikagabe wie du.

    Aber um mich selber zu zitieren:

    Mir ist wie gesagt auch vollkommen egal wie wir das regeln. Ob wir genug NAs besorgen, damit der RD bei jeder Übelkeit rechzeitig den NA dazu holen kann, ob wir es per Telenotarzt regeln, ob wir die Hausärzte aus dem Bett klingeln oder eine Delegation schaffen: Es ist mir komplett egal.


    Aber Fakt ist: Das Problem als "nicht so schlimm" zu erklären so wie du es tust ist keine Lösung und mit der Würde des Patienten nicht vereinbar.

    Was du hier machst ist ein Problem für "nichtig" zu erklären anstatt Lösungen vorzuschlagen. Auch wenn du es nicht wahrhaben möchtest: Ich denke die Mehrheit der RD Mitarbeiter und Patienten (und die wissenschaftliche Meinung, so ganz am Rande) sehen das nun Mal anders und würden gerne endlich eine Lösung sehen.


    Und das ist mein Problem hier. Wir haben ein Problem das keiner löst und das stattdessen wegignoriert bzw. mit warmen Worten versehen wird.

    Also, ich frage noch einmal:

    Wie möchtest du das lösen außer weiterhin "ist gar nicht schlimm" zu rufen?

  • Die Verlängerung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite bringt uns allerdings nicht länger die Heilkunde, siehe folgender Artikel:


    Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG)
    § 5 Epidemische Lage von nationaler Tragweite

    (4) Eine auf Grund des Absatzes 2 oder § 5a Absatz 2 erlassene Rechtsverordnung tritt mit Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite außer Kraft, ansonsten spätestens mit Ablauf des 31. März 2021.

  • Wie schon früher soll der NotSan halt nur „in der Not“ (hier während der Pandemie) kompetent sein. Danach ist er dazu wieder zu doof. Warum man sich in D so dagegen wehrt, dass auch ein „Nicht-Arzt“ eingeschränkte Heilkundebefugnisse bekommen soll, kann und will ich einfach nicht verstehen.
    Aber ja, altes Thema und wahrscheinlich aufgrund der Lobbyarbeit in D nicht kurzfristig zu ändern...

  • Ihr merkt schon, dass ihr eigentlich alle einer Meinung seid, oder? :)

    Nein. Hilope ist ja offensichtlich mit dem Status Quo zufrieden bzw. sieht das Problem nicht.


    Ich fordere Lösungen. Der derzeitige Status ist untragbar und muss -Ich sag es nochmal, mir ist egal wie- geändert werden.

  • Nein. Hilope ist ja offensichtlich mit dem Status Quo zufrieden bzw. sieht das Problem nicht.


    Ich fordere Lösungen. Der derzeitige Status ist untragbar und muss -Ich sag es nochmal, mir ist egal wie- geändert werden.

    Und genau DAS bestreitet er ja nicht. Er sagt nur: so ist es nun mal aktuell, findet euch damit ab. Das Zauberwort ist "aktuell".

    Das auch was ändern sollte bestreitet er auch nicht. :)

  • Abfinden oder ändern?

    Beides. Abfinden mit der momentanen Situation, im Sinne von: die rechtlichen Gegebenheiten so anwenden.

    Aber Ändern, dass zukünftig "bessere" Möglichkeiten existieren. Zum Beispiel in Form von SOP.


    Zumindest verstehe ich die Standpunkte von ihm so.

  • Um das für mich zusammenfassend abzuschließen:


    Der Ausgangspunkt war die Frage von Jan Waldorf, warum er im Moment mit der Reform problemlos einen Patienten kardiovertieren, was unbestritten ein erheblich invasiver Eingriff ist, darf, aber nicht ein einfaches Medikament, wie ein Antiemetikum spritzen darf.


    Daraufhin hatte ich geantwortet, dass aktuell der NFS bei lebensbedrohlichen Erkrankungen/ Zuständen sehr wohl handeln darf, ansonsten nach wie vor aber nicht eigenständig heilkundlich (als Ersatz des Arztes). Übelkeit/ Erbrechen stellt unbestritten einen sehr unangenehmen Zustand dar, aber dieser ist genau so unbestritten auf keinen Fall lebensbedrohlich und er hinterlässt erst einmal auch keinen schweren Schaden, wenn der kurzfristig (im Bereich von Stunden) nicht direkt behandelt wird.. Ansonsten würden nach Volksfesten Tausende von Menschen regelmäßig sterben (mich eingeschlossen).


    Meine Antwort war möglicherweise flapsig, aber weder positiv noch negativ bewertend.

  • Du hast Dir aber alle Mühe gegeben, diesen Eindruck zu hinterlassen.


    Zu dieser Auffassung kommt aber nur, wenn man meint, als NFS den Arzt ersetzen zu müssen. Die Ausbildung und auch das jetzt verabschiedete Gesetz zielt darauf ab, ernsthafte Gesundheitsgefahren abzuwehren und nicht als Arztersatz durch die Gegend zu fahren.

    So viel Mühe kann ich dahinter jetzt auch nicht entdecken.

  • Und noch besser wären mMn Zertifizierungen, die Maßnahmen freigeben und rezertifitiert werden müssen.

    Vollkommen richtig. Kurzer Exkurs nach Dänemark - und nein, auch hier ist nicht alles optimal.


    Es gibt für jede Region (Sydjylland, Midtjylland, Nordjylland, Region Hovedstaden und Sjælland) gültige SOP für Behandler (vglb. RA) und erweiterte für Paramediciner (vglb. NFS). In der Region Hovedstaden müssen Paramedciner jährlich an 5 FB-Tagen teilnehmen. Einer davon ist ein sogenanntes "kørselspraktik". Ein instructor begleitet dich 8h auf der ambulance, bewertet dein Handeln und geht- sofern die Zeit es zuläßt - die geltenden SOPs theoretisch durch. Daraus resultierend gibt es Empfehlungen zur persönlichen Weiterentwicklung bzw. bei keinem guten Gelingen einen Handlungsplan, um den betreffenden Mitarbeiter für seine Aufgaben fit zu machen. Es spielen noch andere Faktoren eine Rolle bei der Beurteilung, würde aber zu weit gehen um dies ausführlich zu beschreiben.


    In der Region Sjælland werden z.B. 2 NEFs vorgehalten - bei einer Fläche von knapp 7300km² und 840000 Einwohner. Zu einer Erwachsenen-Reanimation kommt kein NEF - dies wird für einen "wirklichen Bedarf" zurückgehalten. Stattdessen werden 2 RTWs geschickt und der PM wickelt die Tour als Verantwortlicher ab. Sollte man Maßnahmen außerhalb des erlaubten Rahmens in Betracht ziehen, ist ein Arzt in der Leitstelle 24h erreichbar und kann dies somit delegieren. Durch digitale Dokumentation ist dieser auch jederzeit über den Patientenzustand sowie die Vitalparameter und eingeleitete Maßnahmen - vorausgesetzt alles ist dokumentiert - auf dem Laufenden.


    Ich schreibe dies nicht um zu sagen "Schaut her, wie toll wir sind", nein, nur um zu sagen dass es anderen Ortes mit anderen Systemen auch gut läuft. In der Zeit als Falck als Monopolist im RD aufgetreten ist, war Dänemark sehr abgeschottet und nicht daran interessiert etwas zu verbessern. Seit der Ausschreibung 2013 schaut man sich Europa-weit um, wie andere Ländern handeln und welche Maßnahmen dort freigegeben sind und entwickelt sich so weiter. Vielleicht sollte sich Deutschland auch mal jenseits der Grenzen orientieren.

  • Wie sind denn eure Protokolle bezüglich Schmerz und Übelkeit aufgestellt?

  • Wie sind denn eure Protokolle bezüglich Schmerz und Übelkeit aufgestellt?

    Ondensatron initial 4mg, 1 rep. Gabe möglich.


    Bei Schmerzen => VAS 4 Fentanyl initial bis zu 1,5µg/kg KG, Behandler (RA) dürfen max. 2µg/kg KG geben, Paramediciner (NFS) bis zu 4µg/kg KG

    Ketanest S wird von dänischen Kollegen nicht sehr oft angewandt, bedarf grundsätzlich einer ärztlichen Rücksprache. Ich nutze es sehr gerne, erfahrungsgemäß initial 0,2mg/kg KG, rep. Gabe möglich und Midazolam titriert bis zu 5mg. Konnte es bisher immer so absprechen, dass wir selbst je nach Patientenzustand entscheiden.


    Bezugnehmend auf den Algorithmus aus dem Kanton Baselland: Buscopan kommt erst in der Klinik b.B. zum Einsatz, Novalgin ist in Dänemark nicht zugelassen.


    Ich arbeite in einer Region, in der es keinen Notarzt gibt. Sollte tatsächlich Bedarf bestehen, kommt der zivile RTH oder der SAR des Militärs, eine AW EH-101. Witterungsbedingt kommt meist letzt genannter. Ein Notarzt wird nur sehr selten gebraucht, z.B. werden Patienten mit ACS ohne Arzt gefahren/geflogen, bei sicheren Todeszeichen darf man den Tod feststellen bzw. - korrekt ausgedrückt - vermuten und Maßnahmen unterlassen/einstellen.