Stellungnahme der Vereinigung Rettungssanitäter/innen Schweiz (VRS)

  • Vor paar Tagen kam es zu einem eher schlecht recherchierten Artikel Pro Notarzt-System im Magazin "Saldo" (17/2020) "Schwere Unfälle: nicht überall rücken Notärzte aus"

    ( https://www.saldo.ch/artikel/a…ll-ruecken-notaerzte-aus/ )


    Daraufhin hat die VRS-Ch (https://www.vrs-asa.ch) folgende Stellungnahme veröffentlicht:


    https://www.vrs-asa.ch/files/N…FJNfM7w1UeLIytrQYMOLe9fhs

    ...mit Legenden ist das so eine Sache...
    ...manche sind wahr... 8)

  • Leider wird in CH immer mehr von verschiedenen Seiten die Einführung eines regulären Notarztsystems (neben den RTH) gefordert. Dies allerdings meines Erachtens ohne fundierte Basis und nur auf der Grundlage der Annahme, dass ein NA draussen grundsätzlich besser performed als ein Dipl. RS bzw. Dipl. RS mit Anästhesieweiterbildung.
    Ohne fundierte Untersuchung auf Basis lokaler Daten bezüglich Pat. Versorgung, Outcome etc. handelt es sich hier allerdings um eine rein standes-politische Forderung, die allerdings leider oft auf fruchtbaren Boden (z.B. IVR) trifft.
    Dass in vielen Regionen der RD seit Jahrzehnten der RD auch ohne reguläre NA Unterstützung funktioniert wird dabei übersehen. Wir wissen alle, dass es sowohl in NA als auch in Paramedic Systemen high- und lowperformer gibt. Im „Durchschnitt“ stelle ich aber sicher keine schlechtere Versorgung in den mir bisher bekannten Systemen ohne NA in CH fest.
    Bevor man hier eine Systemumstellung forciert, wäre meines Erachtens z.B. eine Studie mit vergleichbarer Datenbasis (z.B. Versorgung des first-hour-quintetts o.ä.) nötig um den Nutzen sowohl aus medizinischer als auch aus wirtschaftlicher Sicht zu belegen. Stattdessen wird das System in manchen Bereichen einfach umgestellt, ohne den tatsächlichen Erfolg daraus zu evaluieren.

  • Besonders toll ist der Satz:

    „Die Kantone Aargau, Schaffhausen und Zug setzen (...) nur auf Rettungssanitäter mit Weiterbildung in Anästhesiepflege. Diese können Patienten narkotisieren und ihren Zustand überwachen, haben aber keine umfassenden medizinischen Kenntnisse.“. Klar, wir spritzen einfach mal irgendwas in den Pat. und schauen mal was passiert. Das können wir, sonst haben wir (in den rund sechs bis acht Jahren Ausbildung) ja auch nix gelernt... Mannmannmann.

  • Lustiger Weise ist die Person die im Aargau ja am lautesten das Notarztsystem gefordert hat ja mittlerweile kein Arzt mehr.

    Bzw. darf in der ganzen Schweiz nicht mehr als solcher arbeiten.

  • Wir wissen alle, dass es sowohl in NA als auch in Paramedic Systemen high- und lowperformer gibt. Im „Durchschnitt“ stelle ich aber sicher keine schlechtere Versorgung in den mir bisher bekannten Systemen ohne NA in CH fest.

    Wie beurteilst Du das, wenn es, wie Du selbst schreibst, keine solide Datenbasis für eine solche Aussage gibt?


    Da Du ja in einem RS / Anästhesie-System tätig bist, würde mich interessieren, wie gross Euer Team bei einer Narkoseeinleitung oder bei einer Reanimation ist? Danke schon mal für Deine Antwort!

  • Ich verweise hier (wiederholt) auf eine Studie eines ärztlichen Leiters RD, welcher anhand von RD-Protokollen und klinischen Austrittsberichten (2 Rettungsdienste/4 Spitäler), sowie seiner Tätigkeit als Supervisor, zu dem Ergebnis gekommen ist, dass in rund 2% der Notfalleinsätze ein Notarzt (ein Anästhesist + Intensivmediziner mit Facharzt) einen Benefit für den Patienten bringt, verbunden mit dem Hinweis, dass eventuell (weil nicht Bestandteil der Studie) ein schneller Transport zielführender sein könnte.
    Diese Ergebnisse wurden auch auf der DINK vorgestellt

  • securo ich habe den Vortrag gesehen und kenne die Arbeit. Sicherlich ein interessanter Einblick, aber bei weitem nicht genug gepowert, um eine statistisch signifikante Aussage zu treffen. Trotz allem fand ich den Schritt von ihm sehr mutig und hätte mir gewünscht, dass dies im Nachgang zu einer grösseren Untersuchung geführt hätte.


    Persönlich wird mir diese Diskussion in der Zwischenzeit viel zu sehr auf gewisse Skills/Massnahmen reduziert. Wenn es um Patientensicherheit geht, spielen aber weit mehr Faktoren eine Rolle, als nur die Anzahl der jährlich vom Anwender durchgeführten Intubationen o.ä.. Notfallmedizin ist Teamsport und wir gewinnen als Team, oder wir verlieren als Team. Aber wenn wir im Team z.B. zu wenig Ressourcen für manche kritischen Massnahmen haben, dann steigern wir gleichzeitig das Risiko für unsere Patienten. Es gilt nach wie vor der Grundsatz, dass es ein System braucht, um ein Leben zu retten. Dies wurde in den aktuellen Guidelines, sowohl von der AHA als auch vom ERC (Draft zur Diskussion) noch einmal verstärkt hervorgehoben.


    Sprich wir müssen uns nicht nur darüber unterhalten wen wir zu einem kritisch erkrankten Menschen schicken, sondern, wie wir diese kritische Situation möglichst früh verifizieren und wie viele Ressourcen und natürlich auch welche von jeder Sorte es vor Ort benötigt, um möglichst hohe Chancen für ein gutes Outcome zu generieren.


    Daher sehe ich es als sehr kritisch an, dass man Narkosen im 2er-Team macht oder statt einem NEF oder weiteren RTW zu einer Reanimation zu schicken, lieber eine mechanische Reanimationshilfe beschafft und wirklich meint, dass man im 2er Team mit mechanischer Unterstützung die selbe Performance erzielt, wie ein gut trainiertes "Formel 1 Team" beim Pit-Stop. Mir ist absolut bewusst, dass hier viele Faktoren aus den Bereichen Struktur und Prozesse einfliessen, aber die Reduktion der Diskussion auf reine Skills von Individuen, greift definitiv nicht weit genug.


    In meinen nun mehr als 25 Jahren Rettungsdienst, habe ich in Notarztsystemen, in einem reinen Paramedicsystem und in mehreren Notarzt gestützten Paramedicsystemen gearbeitet. In einem solchen arbeite ich auch aktuell und wir haben in ca. 7% unserer Primäreinsätze einen Doc dabei. Der Grossteil der Systeme in der Deutschschweiz sind so gestaltet und haben ähnliche Notarzteinsatzzahlen (in Ballungsräumen bis zu 25%, was im Übrigen ca. der Prozentzahl der an anderer Stelle erwähnten Indikationen nach dem First Hour Quintet entspricht).

    In unserem System fallen die meisten Notarzteinsätze auf Nachforderungen für einen schnellen Helitransport (geht also gar nicht um Skills), auf Fürsorgliche Unterbringungen (die man ggf. in Zukunft über den Telenotarzt abwickeln kann), Reanimationen bei denen ich persönlich gerne ein Team von mindestens 5 Personen vor Ort habe, um genug grüne Kügelchen zum Nachdenken zu haben (vergesst den Multitasking Mythos) und in der absoluten Minderzahl für Patienten, die eine Narkose benötigen. In diesen Fällen schiebe ich in der Regel unter Supervision des NA den Tubus trotzdem selbst, habe aber noch einen Facharzt im Rücken, der bei aufkommenden Herausforderungen unterstützen kann. Und das ist im Sinne der Patientensicherheit aus meiner Sicht kein all zu schlechter Ansatz.


    Abschliessend möchte ich noch einen Eindruck loswerden, der sich in meinen nun mehr als 13 Jahren in der Schweiz manifestiert hat, auch wenn mir bewusst ist, dass ich hier manchen auf den Schlips treten werde. Aus meiner Sicht sind es vor allem die ehemals deutschen Retter, die ein Problem mit einem Notarzt gestützten Paramedicsystem haben. Leider scheint es dieser Gruppe sehr schwer zu fallen, ihr Ego daheim zu lassen und die Patientensicherheit in den Vordergrund zu stellen. Warum das so ist, kann ich nicht sagen. Nichts für ungut.

  • Wie beurteilst Du das, wenn es, wie Du selbst schreibst, keine solide Datenbasis für eine solche Aussage gibt?


    Da Du ja in einem RS / Anästhesie-System tätig bist, würde mich interessieren, wie gross Euer Team bei einer Narkoseeinleitung oder bei einer Reanimation ist? Danke schon mal für Deine Antwort!

    Natürlich ist das auch eine subjektive Beurteilung und der Vergleich mit (Vor-)Erfahrungen aus NA Systemen. Darum wäre eine fundierte Untersuchung ja eben so wichtig. Allerdings versuchen wir zumindestens bestimmte Parameter zu messen und zu optimieren (eben z.B. aus dem first-hour-quintett) und da vergleichen wir uns soweit möglich auch mit anderen (auch NA gestützten) RD Systemen. Für eine „Studie“ reichen die Zahlen allerdings nicht.
    Was mich tatsächlich stört ist einfach die Position „ein Arzt am Einsatz ist immer besser“. Nur weil der Arzt da ist, heisst das nicht, dass z.B. auch sicherer gearbeitet wird (Stichwort „Standards“, „Checklisten“ etc.). Wenn ich einen echten Benefit möchte, brauche ich high-performer (egal ob Arzt oder Paramedic) und dafür sollte man sorgen. Wenn der Arzt sich diesem Anspruch „unterwirft“ und sich eben auch entsprechend beurteilen lässt, gerne. Und genau da habe ich leider oft sehr schlechte Erfahrungen gemacht.


    Für Rea und Narkose sind wir tatsächlich oft in der Anfangszeit nur zu zweit.

    Gerade bei der Rea haben wir „unseren“ Ablauf aber auf diese Umstände choreografiert und das klappt

    mittlerweile nach einer Eingewöhnungsphase auch messbar sehr gut (now-flow-zeit, Drucktiefe, -frequenz, Algorithmenkonformität etc.).

    In der Regel wird aber zeitnah versucht ein zweites Team oder eben den Heli aufzubieten.
    Es ist ja nicht so, dass ich prinzipiell ein Problem habe, wenn ein NA dazukommt, wenn o.g. Grundsätze einfach gegeben sind. Das soll aber einfach nicht dazu führen, dass der NA künftig grosszügig zu den Alltagseinsätzen dazukommt (weil er braucht ja Einsatzzahlen). Weil ich halte die von securo angeführten 2% wo es wirklich ärztliche Kompetenz braucht, für sehr realistisch. Wieso soll ich ein funktionierendes System auf Biegen und Brechen teurer machen, ohne zu wissen, ob es auch effektiver ist?


    Und ja, zugegeben, ich bin einer der ehemaligen deutschen Sanis, die jetzt die Einführung eines NA Systems kritisch sehen. Bzw. nein, nicht die Einführung per se, sondern eben die unreflektierte Forderung danach (z.B. auch vom IVR oder in diversen RD-Gesetzen). Das liegt aber auch daran, dass ich noch in keinem NA System eine so konstruktive Zusammenarbeit und kritische Bewertung der eigenen Arbeit erlebt habe, wie in den bisherigen „Paramedicsystemen“ die ich kennenlernen durfte. Aber vielleicht habe ich da auch einfach Glück gehabt...

  • securo ich habe den Vortrag gesehen und kenne die Arbeit. Sicherlich ein interessanter Einblick, aber bei weitem nicht genug gepowert, um eine statistisch signifikante Aussage zu treffen. Trotz allem fand ich den Schritt von ihm sehr mutig und hätte mir gewünscht, dass dies im Nachgang zu einer grösseren Untersuchung geführt hätte.

    Ich teile hier deine Meinung und bestimmt auch der Autor der Studie. Aber sie beruht doch auf einem gewissen Fundament, welches der gerne zitierten Bonn-/Birmingham-Studie entspricht.

  • Dieser Artikel im Saldo schlägt emotional ganz schöne Wellen, oder?


    Wie ist denn nun nach paar Tagen nach der Veröffentlichung dieses Artikels die Stimmung zw den beiden Berufsgruppen (Ärztl.- und Nichtärztl.) an der "Front"?

    ...mit Legenden ist das so eine Sache...
    ...manche sind wahr... 8)

  • Moin,

    auf FB gibt es eine Stellungnahme eines RS, ebenfalls eine Antwort eines NA der in dem Artikel falsch zitiert wird usw. Er arbeitet noch an seiner Stellungnahme.

    Leider ist der Text für hier zu lang, falls jemand ne andere Möglichkeit oder Idee hat..?

    Grüße Dani

    Wenn man tot ist, ist das für einen selbst nicht schlimm, weil man ja tot ist. Schlimm ist es aber für die anderen...
    Genau so ist es übrigens wenn man doof ist...

  • Denke du meinst das hier, oder?

    Supi, Vielen Dank!

    Grüße Dani

    Wenn man tot ist, ist das für einen selbst nicht schlimm, weil man ja tot ist. Schlimm ist es aber für die anderen...
    Genau so ist es übrigens wenn man doof ist...