Akademisierung des Notfallsanitäters?

  • der Vorstand ist hier anwesend

    Ich habe einen ganz einfachen Geschmack - ich bin stets mit dem Besten zufrieden.
    Oscar Wilde, irischer Schriftsteller, 1854 - 1900


    Ich prüfe jedes Angebot. Es könnte das Angebot meines Lebens sein.
    Henry Ford 1863 - 1947

  • Das liegt daran, dass alle rettungsdienstrelevanten Erkrankungen ausreichend in anderen Leitlinien abgehandelt werden. Ich erkenne keinen Benefit, wenn man nochmals erforscht, was präklinisch sinnvoll ist, was bereits übergreifend umfassend inklusive der Präklinik an Wissen vorhanden ist. Wenn man nur Teilbereiche erfasst, wird die Erkenntnislage eher schlechter als besser. Und ist es nicht so, dass es deutlich vorteilhafter ist, dass die Fachgesellschaften, ihre Krankheitsbilder deutlich besser überblicken, als wenn ein "Allrounder" sich mühsam durch jedes Krankheitsbild kämpfen muss, ohne vermutlich den Expertenstatus der Fachgesellschaften jemals zu erreichen?

    Die meisten SOP beinhalten genau dieses Leitlinienwissen in einfachen Handlungsanweisungen. Mir fällt auf Anhieb kein relevantes notfallmedizinisches Krankheitsbild ein, welches nicht bereits im Fokus von Leitlinien steht bzw. welches nur präklinisch auftritt oder in der Präklinik vollkommen unterschiedlich zur Klinik behandelt wird.

    Vielleicht drücke ich mich schlecht aus. Es geht mir nicht darum, dass eine Fachgesellschaft jedes Krankheitsbild neu erforscht. Es geht mir eher darum, dass Fragestellungen der Präklinik von Fachgesellschaften häufig keine Rolle spielen.


    Der Rettungsdienst wird nicht für immer jeden Patienten transportieren können, bspw., es wird Risikostratifizierung geben müssen. Da wären Scores (die es zT ja auch schon gibt) hilfreich, oder aber die Einschätzung der Fachgesellschaft, wie man mit welchem Bild umgeht.

    Anderes Beispiel: die S3 Leitlinie Schlaganfall hat wenige Worte für den RD übrig, FAST wird empfohlen, kein Wort zur Abwägung anderer relevanter Krankheitsbilder, insbesondere Fragen nach LVO und Bypass der Strike Unit zur Thrombektomie werden nicht beantwortet. Nun könnte das natürlich auch durch eine Regionale SOP beantwortet werden, aber auch dazu bedarf es ja Menschen, welche sowohl die Datenlage kennen / verstehen, wie auch die Fragestellungen des RD kennen. Das können aus meiner Sicht Ärzte sein, aber genau so gerne NotSan. Wenn Fachgesellschaften diesen Bereichen keine Aufmerksamkeit widmen möchten, dann müssen jene die in der Präklinik das aber benötigen die Fakten eben selber schaffen.


    Anderes Beispiel: es gibt wenig zur HWS Immobilisation in Leitlinien aktuell, die Polytraumaleitlinie schneidet es vorsichtig an, und nutzt die NEXUS Kriterien immerhin. Eine Fachgesellschaft welche Fragen des RD klären möchte, würde diese Fragestellung analog des Consensus Statements aus UK angehen. Das ist eine Fragestellung die Tages-relevant ist, Unklarheit mit sich bringt, und auch Ressourcen belasten kann (soll beim Auffahrunfall jeder eine HWS-Orthese bekommen bei Schleudertrauma? Dann brauchen wir an der Einsatzstelle 14 RTW).


    Ich kann gerne noch hunderte Beispiele bringen, wenn es gewünscht ist, aber vielleicht hilft dir mein Beispiel zu verstehen worum es mir geht. Nicht das neu erforschen der Krankheitsbilder, sondern Empfehlungen schreiben für die Präklinische Phase. Und möglicherweise entsteht dadurch auch Aufmerksamkeit für Bereiche die noch erforscht werden müssen.

    Rückenschmerzen wären ebenso ein Einsatzstichwort das häufig fällt, zu dem das RFP aber in der Regel wenig Empfehlung oder Handlungsanweisung hat. Wenn man nicht jeden Patienten transportieren möchte (bzw wenn der RD das irgendwann einfach nicht mehr leisten kann), wird es eine Stratifizierung geben müssen. Selbst wenn "wir" dabei bleiben, jeden zu transportieren, dann wären Abwägungen zu treffen in welches Haus, oder mit welcher Dringlichkeit transportiert werden soll.


    Ja natürlich können das auch NFS. Dafür bedarf es aber nicht unbedingt eines Studiums. ÄLRD studieren auch nur Medizin, die Inhalte der organisatorischen Tätigkeiten werden, wenn überhaupt, auf Kursen bzw. Fortbildungen gelehrt.

    Mir ging es nicht so sehr um Orga (das wäre ja wieder Management), sondern mehr um die Überprüfung von Qualitätsmarkern, Auslesen von Protokollen, erarbeiten von Konzepten, oder eigene Studien durchführen. Das geht auch oft ohne Studium, ich vermute nur, dass an gewissen Stellen wissenschaftliches Arbeiten nötig wird.



    Um es klar zu sagen: wer mit dem System zufrieden ist, so wie es aktuell läuft, der bedarf natürlich auch keiner Akademisierung des RFP.
    Vielleicht hilft aber bei der Meinungsfindung die Lektüre dieser Arbeit der GzFWR / DGRe: https://www.dgre.org/publikationen/

    Under pressure, you don't rise to the occasion. You sink to your level of training.

  • Eine Ausbildung wird ja nicht deshalb zum Studium, weil man sie Studium nennt und den Abschluss umtituliert.


    Ganz sicher braucht es in größeren Einheiten Führungskräfte mit akademischem Hintergrund. Die Frage ist doch aber, ob es ein NotSan-Studium im Sinne einer echten akademischen Ausbildung braucht. Die methodischen Kompetenzen im Umgang mit Forschungsergebnissen lernt ein Germanist am Ende des Tages auch, wenn er sein Studium ernsthaft betreibt. Wobei dann Sozialwissenschaften näher liegen.


    Für eine Beteiligung an der Erstellung von SOP braucht es imho keine akademisch ausgebildeten NotSan. Falls es da wirklich Defizite bezüglich der Berufsperspektive gibt, muss man halt NotSan beteiligen. Dafür brauchen die aber keinen Bachelor.


    Ich glaube, im Kern ist Rettungsdienst als Gegenstandsbereich zu klein, um damit ein Studium zu füllen, und es ist zu "querschnittig", um eine richtige wissenschaftliche Vertiefung zu ermöglichen. Wenn jemand als Hochschullehrer sich mit Rettungsdienst beschäftigen möchte, kann er das aus einer viel breiter angelegten wissenschaftlichen Perspektive sehr gut tun - so ist das ja in allen anderen Fächern und mit allen anderen Gegenstandsbereichen auch.

    Lügen ist keine Kunst. Kunst ist, anderen die Wahrheit in einem neuen Licht zu zeigen.

  • Dafür braucht es aber keine Bachelor oder Master, dafür braucht es interessierte und motivierte Rettungsdienstler aller Qualifikationen. Viel mehr als ein Studium braucht es dafür die Erkenntnis tatsächlich etwas bewegen zu können und nicht an der Rettungsdienstleitung bzw. Geschäftsführung oder der Ärzteschaft zu scheitern. Solang die Situation so ist wie sie ist, solang wird auch ein Studium die Sache nicht verbessern.

    ....

    Auch wenn es etwas Offtopic ist:
    Wenn man tatsächlich den NotSan, die Pflege und vieles mehr akademisiert, was macht man denn dann mit den ganzen Real- und vor allem Hauptschülern? Mal ganz vom Thema Bezahlung und Kompetenzgerangel abgesehen.

    Wo sind denn die interessierten und motivierten RFP der letzten 10 Jahre? Die müssten ja alle wahnsinnig gestalterisch tätig sein, mit entsprechendem Einkommen? Die interessierten und motivierten ziehen sich doch in Nischen zurück. Wie kann man dann EG9 erreichen ohne Studium? Welche Entwicklungsmöglichkeiten hast du bei deinem Arbeitgeber? Das sind alles keine rhetorischen Fragen, sondern ernstgemeint. Ich versuche ja auch ein bisschen eine Nische zu gestalten, und bin da wirklich am Austausch interessiert.


    Zum OT: Meinetwegen muss der NotSan kein reine rein akademische Schiene haben. 3 Jahre NotSan oder 4 jähre NotSan B.Sc fand ich auch in Ordnung.

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  • Die Fachweiterbildung geht meistens nicht über zwei Jahre hinaus. Wenn man nach 4 Semestern ein Studium beenden kann, würde ich es nicht als Studium bezeichnen wollen, und man kann sich den Aufwand auch sparen. Das entspräche maximal einem Grundlagenstudium. wenn überhaupt.

    Die „Grundausbildung“ war da von mir mit inbegriffen. Also 3 + 2 bzw. 3 Jahre = 5 bzw. 6 Jahre Ausbildungszeit. Das passt dann schon eher.

    Ich komme aus Ironien, das liegt am sarkastischen Meer.

  • Nicht das neu erforschen der Krankheitsbilder, sondern Empfehlungen schreiben für die Präklinische Phase.

    Das kann man doch aber auch ohne Studium. Würden hier Ärzte, nicht Ärzte und Menschen aus z.B. der Medizintechnik zusammenarbeiten könnte man hier wirklich großes leisten, ganz ohne dass alle ein entsprechendes Studium vorweisen können.

    Wenn man nicht jeden Patienten transportieren möchte (bzw wenn der RD das irgendwann einfach nicht mehr leisten kann), wird es eine Stratifizierung geben müssen.

    Dafür braucht es aber weniger ein Studium, SOP oder irgendwelche Schemata, wie ernsthafte Lösungen. Selbst wenn ich mittels Schema X den Patienten vor Ort lassen kann/darf, solang dem Patienten nicht halbwegs adäquat geholfen wird werde "ich" immer wieder vor ihm stehen.

    Wo sind denn die interessierten und motivierten RFP der letzten 10 Jahre?

    Ich habe bei uns und im Umfeld massig interessierte und motivierte Rettungsdienstler erlebt, vom FSJ RH bis zum NotSan. Viele von diesen haben rasche kapituliert wie sie einen entsprechenden Einblick bekommen haben bzw. entsprechende belehrt wurden, dass sie davon keine Ahnung haben. Ein paar einzelne sind im Stillen noch immer aktiv, was aber wenig nach außen dringt. Einige haben aber genau wegen diesem Punkt den Rettungsdienst nur als Zwischenstation in ihrem Leben erkannt. Wichtig wäre es diese Erkenntnis zu vermeiden und die noch vorhandenen entsprechend zu motivieren, damit sich eben tatsächlich etwas ändert. Im übrigen müsste sich da weniger auf Seiten des Rettungsdienstpersonal etwas ändern, wie an dem Verhalten der Führungsebenen bzw. deren entsprechender Besetzung.

    Welche Entwicklungsmöglichkeiten hast du bei deinem Arbeitgeber?

    Keine, was aber nicht daran liegt, das es keine geben würde bzw. könnte. Genau hier liegt doch aber das Problem bzw. der Fehler und auch ein Studium ändert daran nichts.

  • _BC_ mir fällt das schwer zu greifen, was du konkret sagst. Ich verstehe, dass du meinst, dass es ohne Akademisierung geht. Und wir scheinen uns einig zu seien, dass sich was ändern muss. Aber was konkret würdest du am System ändern, damit RFP Jahrzehnte lang, gar ein Berufsleben lang dem RD treu bleiben?

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  • Keine, was aber nicht daran liegt, das es keine geben würde bzw. könnte. Genau hier liegt doch aber das Problem bzw. der Fehler und auch ein Studium ändert daran nichts.

    Was könnte denn der Arbeitgeber tun, damit ich mich ernst genommen fühle, mein Arbeitsumfeld mehr beeinflussen kann, mehr Entgelt bekomme, nicht mehr mit 68 auf‘n Bock sitzen muss, mich weiterentwickeln kann, usw.

    Ich komme aus Ironien, das liegt am sarkastischen Meer.

  • Guten Tag,


    eine spannende und faire Diskussion die hier stattfindet. Als DGRe-Vorstand freut mich der konstruktive Austausch über das Thema der Akademisierung, an welchem ich mich auch gar nicht großartig beteiligen will.


    Als erster Vorsitzender der DGRe möchte ich an dieser Stelle nur kurz erklären, dass wirklich Jede*r bei uns Mitglied werden kann. Die Mitgliedsarten sind etwas unglücklich bezeichnet, in der Praxis kann eine Person ohne Hochschulabschluss an allen Projekten, Treffen, Forschungsvorhaben teilnehmen, ja sie sogar leiten. Und natürlich hat jedes Mitglied das Recht zu wählen. Lediglich die Wahl in den Vorstand ist ohne abgeschlossenes Studium nicht möglich.


    Warum hat sich damals die Gründungsversammlung in einem demokratischen Prozess für diese Limitierung entschieden hat ist recht einfach und hoffentlich auch einleuchtend. Als Vorstand sind wir in regelhaftem Austausch mit Hochschulen und Hochschullehrer*innen. In den letzten zwei Wochen gab es beispielsweise Videocalls zu Paramedic-Professoren aus Canada und Australien. Hierbei ging es allgemein um Akademisierung und Forschung im Rettungsdienst sowie internationale Kooperationen in dem Bereich. Als Vorsitzender der DGRe bin ich beispielsweise aktuell involviert in einem Forschungsprojekt der Monash University (AUS) zum Thema "Defining Paramedicine". Hierzu ist ein fundiertes Verständnis für Wissenschaft erforderlich, welches regelhaft durch das absolvieren eines Studiengangs erworben wird. Gleichzeitig sind wir aber auch alle Retter*innen. Ich selbst bin beispielsweise als Vollzeit-NotSan auf dem RTW unterwegs. Weil wir die zwei Welten aus Rettungsdienst und Wissenschaft zusammenbringen wollen, wollen wir auch Vertreter*innen aus beiden Welten im Vorstand sitzen haben.

    Wichtig ist mir noch zu betonen, dass Rettungswissenschaften und Notfallmedizin nicht deckungsgleich sind. Sicher gibt es Berührungspunkte und auch Schnittmengen. Das noch nicht abschließend definierte Profil der Rettungswissenschaften (aka Paramedicine oder Paramedic Science) umfasst aber deutlich mehr als "nur" medizinische Aspekte.


    Wenn auch nicht mehr ganz frisch und an einzelnen Punkten wohl mittlerweile auch etwas überholt möchte ich auf einen Podcast verweisen, in welchem ich 11/2020 zu Gast war und meine bzw. die Gesellschaftsposition zu den hier diskutierten Aspekten vorstellte.

    Podcast: https://rettungsdienstfm.de/gzfwr-who/


    Mitgliedschaft in der DGRe nochmal erklärt: https://www.dgre.org/mitgliedschaft/


    Für konkrete Rückfragen stehe ich gerne - auch per E-Mail - zur Verfügung.

    Viele Grüße
    Thomas Hofmann


    Edits: Rechtschreibung und Copy-Paste-Fehler verbessert.

  • Aber was konkret würdest du am System ändern, damit RFP Jahrzehnte lang, gar ein Berufsleben lang dem RD treu bleiben?

    Was könnte denn der Arbeitgeber tun, damit ich mich ernst genommen fühle, mein Arbeitsumfeld mehr beeinflussen kann, mehr Entgelt bekomme, nicht mehr mit 68 auf‘n Bock sitzen muss, mich weiterentwickeln kann, usw.

    Ich hoffe es ist okay, wenn ich die zwei Zitate zusammenfasse und auf beide eine gemeinsame Antwort liefere.

    Es braucht innerhalb des Rettungsdienstes ein Systemwechsel, und zwar einen echten!
    Mitarbeiter müssen umworben und gepflegt werden, dazugehört echte Wertschätzung und eine allgemeine Anerkennung. Weg vom "die Nase passt mir" und "die Nase passt mir nicht" hin zum Anerkennen von einzelnen Stärken und fördern an Schwachstellen. Die Stärken des Einzelnen gehören dann in Absprache und nach Möglichkeit gefordert, so dass der Betrieb durch die Gesamtleistung voran gebracht wird. Statt pragmatischen Lösungen müssen echte Lösungen ggf. gemeinsam geschaffen werden, so dass der Betrieb langfristig nicht immer wieder auf die selben Problem stößt und damit Mitarbeiter vergrault werden. Die limitierende Faktor für Qualifizierung darf nicht die Beliebtheit bzw. der errechnete Bedarf sein, sondern es muss das persönliche Engagement es einzelnen sein. Konkret: Nicht die Anzahl der fürs RP benötigten Praxisanleiter gibt deren Anzahl vor, sondern die Anzahl derer die dazu bereit sind die entsprechende Weiterbildung zu machen. Auch darf es nicht so sein, dass man für X und Y ein QM vorhält, dass muss tatsächlich gelebt und weiterentwickelt werden. Gerade in der Praxis entstehen oft unbekannte bzw. nicht bedachte Probleme und Ideen zur Lösung, dass muss man aufnehmen und umsetzen. Auch kleine Wettbewerbe zum Erhalt von Skills und Fitness gehören gemacht, gefördert und belohnt. Alleine die Umsetzung dieser Punkte würde einige Arbeitgeber vor eine echter Herausforderung stellen und am Ende für einige den Rettungsdienst richtig attraktiv machen.

  • Anderes Beispiel: die S3 Leitlinie Schlaganfall hat wenige Worte für den RD übrig, FAST wird empfohlen, kein Wort zur Abwägung anderer relevanter Krankheitsbilder, insbesondere Fragen nach LVO und Bypass der Strike Unit zur Thrombektomie werden nicht beantwortet. Nun könnte das natürlich auch durch eine Regionale SOP beantwortet werden, aber auch dazu bedarf es ja Menschen, welche sowohl die Datenlage kennen / verstehen, wie auch die Fragestellungen des RD kennen. Das können aus meiner Sicht Ärzte sein, aber genau so gerne NotSan. Wenn Fachgesellschaften diesen Bereichen keine Aufmerksamkeit widmen möchten, dann müssen jene die in der Präklinik das aber benötigen die Fakten eben selber schaffen.

    Lustigerweise habe ich vorhin selbst u.a. diese Leitlinie angeschaut und kann die von dir gemachten Aussagen nicht nachvollziehen. Selbst in der Kurzfassung wird die rettungsdienstrelevante Behandlung ausreichend dargestellt: Es werden Empfehlungen zu Screening-Tools gegeben, Aussagen bzgl. der Behandlung mit Sauerstoff, zur Blutzuckereinstellung, des Temperarturmanagements, der Blutdruckbehandlung und der Therapie auftretender epileptischer Anfälle gemacht. Auch, dass alle Patienten auf eine Stroke Unit kommen sollen, wird erwähnt. Welche direkt einer Thrombektomie zugeführt werden sollen, ist primär nicht erkennbar und deswegen kann hierzu keine Aussage getroffen werden. Es wird auf die lokale Organisation verwiesen.

    Nur, weil das Wort Rettungsdienst keine ausdrückliche Erwähnung findet, sind die Empfehlungen, die ihn betreffen, 1:1 übertragbar.


    Anderes Beispiel: es gibt wenig zur HWS Immobilisation in Leitlinien aktuell, die Polytraumaleitlinie schneidet es vorsichtig an, und nutzt die NEXUS Kriterien immerhin. Eine Fachgesellschaft welche Fragen des RD klären möchte, würde diese Fragestellung analog des Consensus Statements aus UK angehen. Das ist eine Fragestellung die Tages-relevant ist, Unklarheit mit sich bringt, und auch Ressourcen belasten kann (soll beim Auffahrunfall jeder eine HWS-Orthese bekommen bei Schleudertrauma? Dann brauchen wir an der Einsatzstelle 14 RTW).

    Schlechtes Beispiel, da selbst in den vertretenen Fachgesellschaften Unsicherheiten herrschen. Wenn jedoch diverse Fachverbände keine richtige Empfehlung geben können oder möchten, wird es doch erst recht nicht der Nicht-Spezialist in diesem Bereich tun können?


    Ich kann gerne noch hunderte Beispiele bringen, wenn es gewünscht ist, aber vielleicht hilft dir mein Beispiel zu verstehen worum es mir geht. Nicht das neu erforschen der Krankheitsbilder, sondern Empfehlungen schreiben für die Präklinische Phase. Und möglicherweise entsteht dadurch auch Aufmerksamkeit für Bereiche die noch erforscht werden müssen.

    Ja, die hunderten Beispiele hätte ich gerne, sie werden alle nicht verfangen, weil sie alle schon beantwortet sind, auch wenn da nicht explizit RD steht. Wenn es keine Antwort darauf gibt, dann ist eine solche nur schwer möglich oder nicht derart relevant, dass sie explizit gelöst werden muss.


    Rückenschmerzen wären ebenso ein Einsatzstichwort das häufig fällt, zu dem das RFP aber in der Regel wenig Empfehlung oder Handlungsanweisung hat. Wenn man nicht jeden Patienten transportieren möchte (bzw wenn der RD das irgendwann einfach nicht mehr leisten kann), wird es eine Stratifizierung geben müssen. Selbst wenn "wir" dabei bleiben, jeden zu transportieren, dann wären Abwägungen zu treffen in welches Haus, oder mit welcher Dringlichkeit transportiert werden soll.


    Ebenso ein schlechtes Bespiel, weil es keine Aufgabe des RD ist. Rückenschmerzen sind nicht lebensbedrohlich. Die Stratifizierung beginnt hier bei der Einsatzdisposition. Hier gehört nicht der RD alarmiert, sondern der HA. Wenn gehäuft Patienten mit Gürtelrose anrufen, wird diese Erkrankung doch auch nicht zwangsläufig zum Einsatzgebiet des RD?

  • Ja, die hunderten Beispiele hätte ich gerne, sie werden alle nicht verfangen, weil sie alle schon beantwortet sind, auch wenn da nicht explizit RD steht. Wenn es keine Antwort darauf gibt, dann ist eine solche nur schwer möglich oder nicht derart relevant, dass sie explizit gelöst werden muss.

    Das hättest du gleich am Anfang schreiben können, dann hätt ich mir die Mühe sparen können. Wenn für dich alles gut ist, dann braucht es natürlich auch keine Veränderung. Also einfach Weitermachen.

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  • Ich hoffe es ist okay, wenn ich die zwei Zitate zusammenfasse und auf beide eine gemeinsame Antwort liefere.

    Das was du nachfolgend beschreibst sind Grundlagen der Menschenführung. Ich glaube, das können viele RD bereits jetzt besser, und trotzdem wandern die Leute ab. Selbst in meiner Nische kann ich nicht alle halten, und bei uns ist echt Schlaraffenland verglichen zum RD (bezogen auf Dienstplan, Fortbildung, Training, Wertschätzung, Teamgefüge, Ansehen, etc etc).

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  • Das hättest du gleich am Anfang schreiben können, dann hätt ich mir die Mühe sparen können. Wenn für dich alles gut ist, dann braucht es natürlich auch keine Veränderung. Also einfach Weitermachen.

    Ich hatte zuvor ausdrücklich gesagt, dass der medizinische Part anderweitig schon mehr als abdeckt ist. Und das ist er. Deine Beispiele haben das von mir Gesagte doch sogar bestätigt. Von daher warte ich tatsächlich darauf, so viele unbeantwortete, medizinische Fragen in der Präklinik zu hören, welche eine eigenständige Profession rechtfertigen.

  • Wichtig ist mir noch zu betonen, dass Rettungswissenschaften und Notfallmedizin nicht deckungsgleich sind. Sicher gibt es Berührungspunkte und auch Schnittmengen. Das noch nicht abschließend definierte Profil der Rettungswissenschaften (aka Paramedicine oder Paramedic Science) umfasst aber deutlich mehr als "nur" medizinische Aspekte.

    So richtig viel kann ich mir darunter auch nach Googlen des Begriffes auf mehreren Seiten nicht vorstellen. Die Zeit, den Podcast zu hören habe ich nicht, von daher wäre eine stichpunktartige Aufzählung des Profils sehr nett.

  • Hm. Ich vergleiche das mal mit anderen Bereichen, in denen für eine sehr praxisorientierte Tätigkeit studiert wird. Da fällt mir als erstes die Polizei ein, die in manchen Bundesländern nur noch in den gehobenen Dienst einstellt, der ein Bachelorstudium voraussetzt, und in anderen - wie in Baden-Württemberg - beides anbietet, Ausbildungsberuf und Stuidum. Abgesehen von der höheren Besoldung sehe ich, ehrlich gesagt, bei der Schutzpolizei keinen wesentlichen Unterschied in der Tätigkeit zwischen einem Polizeimeister oder einem Polizeikommissar. Klar, Führungspositionen - sowohl die "außendienstnahen" wie Dienstgruppenleiter als auch die Stabspositionen - stehen nur dem gehobenen Dienst offen (die höheren Positionen, wie Revierleiter oder auch Inspektionsleiter bei der Kriminalpolizei, nur dem höheren Dienst), aber abgesehen von der Möglichkeit des Aufstiegs ist die Arbeit "an der Front" (und um die soll es hier ja gehen, nicht um die Möglichkeit, Schichtführer, Rettungswachen- oder Rettungsdienstleiter zu werden) dieselbe. Da gibt es keine besondere Perspektive mit einem Studium.


    Auch pflegen Polizeibeamte regelmäßig nicht zu forschen - ich will nicht ausschließen, dass es das gibt, aber es hat jedenfalls null Relevanz für die Praxis und für 99,9% der Kommissare. In Betracht kommt da allenfalls der Lehrbetrieb an den Fachhochschulen, und der ist überschaubar - zumal polizeiliche Lehrkräfte vor allem im Bereich der Kriminal"wissenschaften" - Kriminaltaktik, Kriminalrechnik, ... - und Einsatz"wissenschaften" - tätig sind. Der rechtliche Bereich ist, AFAIS, weitgehend von Juristen besetzt.


    Im präventiven Bereich agiert die Polizei - studiert oder nicht - weitgehend selbständig, aber der Rahmen des Polizeirechts und seiner Auslegung kommen von Juristen; da kann man, wenn man will, eine Analogie zum "roten Bereich" der Feuerwehren ziehen, also Brandbekämpfung und techn. Hilfeleistung. Die Vorgaben (u.a. Dienstvorschriften, kurz DV - auch hier eine augenfällige Parallele zur Feuerwehr) kommen primär aus den Fachministerien und von polizeilichen Führungskräften; die haben studiert, aber sie prägen den Bereich nicht deshalb, sondern weil sie eben Führungsaufgaben wahrnehmen. Ich kann keinerlei Unterschied in der Mitwirkung an der "Gestaltung des Arbeitsplatzes" oder der "Forschung" zwischen Polizeimeistern (Polizeiober- oder -hauptmeistern) und Polizeikommissaren (-ober- , -hauptkommisaren) erkennen. Im repressiven Bereich, im Kern also dem Strafrecht, der sich ein wenig mit dem Rettungsdienst, der ja primär Medizin ist, vergleichen lässt, entscheiden aber allein - externe! - Juristen, wie es im Rettungsdienst die Mediziner tun; da wirkt kein B.A. Police Service (und auch kein Master Police Management) in irgendeiner relevanten Weise mit. Der Input beschränkt sich wenn, dann auf den kriminalistischen Bereich; wenn ich da den Vergleich zu Medizin und Rettungsdienst ziehe, ist mir nur nicht so recht klar, was an spezifisch "rettungswissenschaftlichem" bleibt, wenn man die Medizin ausklammert.


    Auch Rechtspfleger absolvieren ein Fachholschulstudium (und Amtsanwälte sogar zwei). Die juristische Forschung bleibt dennoch, soweit ich das überblicken kann, die Domäne derjenigen, die ein rechtswissenschaftliches Universitätsstudium abgeschlossen haben. Auch Gerichtsvollzieher machen in Baden-Württemberg seit einigen Jahren einen Bachelor of Laws. Dass sich dadurch der Einfluss auf die Gestaltung des Arbeitsplatzes oder die Mitwirkung an der Forschung geändert hätte, sehe ich nicht.

  • So richtig viel kann ich mir darunter auch nach Googlen des Begriffes auf mehreren Seiten nicht vorstellen. Die Zeit, den Podcast zu hören habe ich nicht, von daher wäre eine stichpunktartige Aufzählung des Profils sehr nett.

    Bist du denn der Sache offen, oder erklärst du dann wieder pauschal, dass das Thema bereits ausreichend besetzt ist? Und alles was nicht besetzt ist, kann nicht besetzt werden?

    (das soll nicht zickig klingen, aber wenn für dich alles bereits eindeutig ist, ist es müßig sich auszutauschen.)

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  • Bist du denn der Sache offen, oder erklärst du dann wieder pauschal, dass das Thema bereits ausreichend besetzt ist? Und alles was nicht besetzt ist, kann nicht besetzt werden?

    (das soll nicht zickig klingen, aber wenn für dich alles bereits eindeutig ist, ist es müßig sich auszutauschen.)

    Mich würde auch interessieren, was der eigenständige Inhalt der "Rettungswissenschaften" ist - unter der Prämisse, dass "Medizin" einschließlich der Notfallmedizin bereits durch, nun ja, Mediziner (im Sinne von Ärzten) abgedeckt ist. Da sehe ich wenig Potenzial, sich durch ein Bachelorstudium weitergehend einzubringen.

  • Bist du denn der Sache offen, oder erklärst du dann wieder pauschal, dass das Thema bereits ausreichend besetzt ist? Und alles was nicht besetzt ist, kann nicht besetzt werden?

    (das soll nicht zickig klingen, aber wenn für dich alles bereits eindeutig ist, ist es müßig sich auszutauschen.)

    Das kann ich erst beantworten, wenn ich weiß, um welche Themen es sich handelt.


    Da ich den notfallmedizinischen Bereich, denke ich, sehr gut überblicke, kann ich für diesen auch eine solche pauschale Aussage treffen. Und ich warte weiterhin auf die Nennung von guten, "großbereichigen" Beispielen, die mich vom Gegenteil überzeugen.