„Ich will hier raus“: Wie sich zehn Stunden in der Notaufnahme anfühlen

  • Ich gewöhne mir da immer mehr an, dass Problem des Systems nicht zu meinem Problem zu machen.

    Das leuchtet mir 100%ig ein. Und doch kann ich mich oft nicht damit anfreunden, die Patienten darunter leiden zu lassen.

    You know as well as I do decisions made in real time are never perfect. Don't second-guess an operation from an armchair. [Noah Vosen]

    Oldschool EMS. The Gold Standard of Ass Kickin'!

  • Das verstehe ich gut. Die 100 % bröckeln bei mir dann auch mal eben schnell zusammen. Wie schon mal gesagt, wird das wohl auch ein Grund sein, warum das Gesundheitswesen so ist wie es ist. Keiner will irgendwen im Stich lassen und das System läuft weiter. Deswegen ändert sich auch nichts.

    Ich komme aus Ironien, das liegt am sarkastischen Meer.

  • Der Disponent muss ja selber noch eine Begründung schreiben wegen Hilfsfristüberschreitung usw.

    Echt? Der kann doch nichts dazu, wenn jemandes anderes seinen Job (Verwaltung, Politik) nicht ordentlich gemacht hat. Was schreibt man denn da so rein? Ähnlich wie bei der Bahn (Richtlinie Kodierung der Zusatzverspätungen)? Etwa so:


    12 - Fehldisposition (für wir fahren zu viel Mist)

    13 - Vorbereitung Betriebsdurchführung (für fehlerhafte Planungen des Rettungsdienstträgers)

    18 - Betriebliches Personal Dienstunfähigkeit (für Personalausfall)

    ...


    :D

    Ich komme aus Ironien, das liegt am sarkastischen Meer.

  • Das leuchtet mir 100%ig ein. Und doch kann ich mich oft nicht damit anfreunden, die Patienten darunter leiden zu lassen.

    Tun Sie ja in 80-95% der Fälle nicht.. das ist ja das Schlimme. Keiner Beschwert sich für ein (tatsächlich) bewusstloses Kind, eine Reanimation, einen schweren Verkehrsunfall oder echte Dyspnoe aus der 8 alarmiert zu werden. Aber leider differenzieren die Leitstelle da nicht. Einsatz ist Einsatz..

  • Tun Sie ja in 80-95% der Fälle nicht.. das ist ja das Schlimme. Keiner Beschwert sich für ein (tatsächlich) bewusstloses Kind, eine Reanimation, einen schweren Verkehrsunfall oder echte Dyspnoe aus der 8 alarmiert zu werden. Aber leider differenzieren die Leitstelle da nicht. Einsatz ist Einsatz..

    Von der Einsatzmeldung mache ich es abhängig, wie schnell eine Übergabe oder Dokumentation ausfällt.

  • Von der Einsatzmeldung mache ich es abhängig, wie schnell eine Übergabe oder Dokumentation ausfällt.

    Dito. Bin sogar dazu übergegangen in der Leitstelle anzurufen, zu sagen ich bin noch gebunden (ich begleite eh nur wenn es eine echte Indikation für einen Notarzt gibt und dann gehört auch Übergabe und Dokumentation für mich dazu) und mir explizit bestätigt zu lassen dass eine lebensbedrohliche Situation vorzulegen scheint und auf jeden Fall ein Notarzt benötigt wird. Sonst lehne ich tatsächlich ab oder schließe zumindest den aktuellen Fall noch in Ruhe ab. Bilder mit ein das hätte auch einen erzieherischen Aspekt, bzw das ich die Disponenten zum Nachdenken anrege, aber ich glaube da bin ich zu optimistisch ;-)

  • [...] Kaum einer ist noch bereit sich den Arsch aufzureißen, um dem Chef (und dem System Gesundheit) den Arsch zu retten. Vor allem dann nicht, wenn man mit seinen Problemen im Beruf alleine gelassen wird.

    Anders scheit dieses (noch) in der Pflege zu sein. Ich erlebe es durch meine Kontakte in die Krankenhäuser immer wieder, dass Pflegefachpersonal und auch Hebammen immer wieder zusätzlich einspringen, weil diese ihre Kollegen nicht im Stich lassen wollen (was grundsätzlich auch sehr lobenswert ist und Anerkennung verdient). Gleichzeitg werden sie von ihrem Arbeitgeber gef... *pieps*, was Coronaprämien, Überstundenvergütungen, usw. betrifft. Und da die Pflege (und Geburtshilfe) schon deutlich länger gebeutelt ist wie der Rettungsdienst, wundert mich diese Einstellung. Ich hätte den Laden schon vor die Wand fahren lassen ...


    Dieselbe Frage habe ich mir auch schon hin und wieder gestellt. Was die Pflege (im Krankenhaus) und Rettungdienstmitarbeiter unterscheidet, ist nach meinem Eindruck, dass in der Klinik die Patienten und Kollegen, die es trifft wenn man sich krank meldet/nicht einspringt, "konkret fassbar" und häufig bekannt sind, während ein RTW der ausfällt einer von etlichen im Bereich ist und weder die Patienten noch die konkret betroffenen Kollegen (von anderen Wachen?), die das ggf. auffangen müssen, bekannt oder absehbar sind.

  • Das leuchtet mir 100%ig ein. Und doch kann ich mich oft nicht damit anfreunden, die Patienten darunter leiden zu lassen.

    Dass es in der Branche um Menschen und deren Gesundheit geht, macht die Sache tatsächlich kompliziert(er) als in anderen Berufen, wenn es um Reaktionsmöglichkeiten auf "äußere Umstände" geht. Manchmal ist es frustrierend, aber "steter Tropfen höhlt den Stein", selbst im Rettungsdienst.