Stellungnahme der Swiss Paramedic Association zum Fachkräftemangel in den Rettungsdiensten

  • Und auch hier sehe ich einfach den Willen für grundsätzliche Veränderungen nicht. Einfach erreichbare, niederschwellige Abgebote für den Bürger müssen geschaffen werden (in CH gibt es ja noch nicht einmal eine einheitliche Nummer für den ÄBD, von der Verfügbarkeit desselben ganz zu schweigen). Dass mit Gemeinde-NotSan-Äquivalenten Abhilfe geschaffen werden soll, zeigt ebenfalls, dass die eigentlich zuständigen Player im Gesundheitswesen nicht gut genug aufgestellt sind. Nur der RD „ist so blöd“ rund um die Uhr für den Bürger in kürzester Zeit verfügbar zu sein (und darum reist der Beatmungsbus zum Fieber, zum „es geht nicht mehr daheim“, zum „psychisch dekompensierten“ usw und der einzige Weg ist oft das KH). Eine Servicenummer für gesundheitliche Probleme, die den Bürger an die richtigen Stellen weiterleitet müsste geschaffen werden (und das ist eben nicht die 144/112). Da sehe ich den Notruf Niederösterreich zumindest auf dem Papier/Video als absolut zukunftsorientiert aufgestellt. Aber eben, die „richtigen Stellen“ müssen halt auch vorhanden und erreichbar sein. Und das würde zwar langfristig viel Geld sparen, am Anfang aber auch eine Menge Geld und politischen Willen kosten und da sehe ich keine kompetenten Politiker die sich dem Gegenwind stellen würden…

  • Ich habe in meinem Leben selten so eine "blasse" Stellungnahme gelesen.

    Persönlich kann ich mich dem Eindruck nicht erwehren, dass sich die Verfasser:innen aufgrund ihrer Interessenskonflikte (Verantwortliche auf Entscheiderebene in grossen Rettungsdiensten) nicht zu sehr exponieren und die Lage klar und deutlich benennen möchten, so wie es z.B. der Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner nahezu wöchentlich tut.


    Das akut- und notfallmedizinische Versorgungssystem (inkl. der hausärztlichen Versorgung) praktisch in jedem Land der westlichen Welt entspricht einem polytraumatisierten Patienten.

    Alle Massnahmen die jeweils in leicht abgewandelter Form aktuell auf dem Tisch liegen (auch die Systemstruktur und -prozesse in Niederösterreich) entsprechen aber am Ende nur dem Spektrum von Pflaster aufkleben, Druckverband machen, Woundpacking durchführen, Tourniquet und/oder Beckenschlinge anlegen, Gabe von TXA und Blut, etc.


    Eine definitive chirurgische Versorgung erfolgt nicht und der "Patient" blutet munter weiter.


    Mir ist bewusst, dass wir aktuell versuchen müssen den Schaden zu begrenzen.

    Aber wenn wir nicht parallel dazu klar und deutlich anerkennen , dass die grundlegende und nachhaltige Lösung für die Herausforderungen im Gesundheitssystem gar nicht in innerhalb des eigenen Systems, sondern z.B. im Bildungsbereich liegen, und entsprechend handeln, werden wir es auch in 30 Jahren nicht schaffen, den "Patienten" zu retten.

  • Persönlich kann ich mich dem Eindruck nicht erwehren, dass sich die Verfassenden aufgrund ihrer Interessenskonflikte (Verantwortliche auf Entscheiderebene in grossen Rettungsdiensten) nicht zu sehr exponieren und die Lage klar und deutlich benennen möchten, so wie es z.B. der Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner nahezu wöchentlich tut.

    Da die Stellungnahme bereits verfasst wurde, sind es die Verfassthabenden, nicht wahr?

  • was würdest Du denn vorschlagen, um das System zu „retten“? Ausser „Geld in die Hand zu nehmen“ (Löhne, Ausbildung und eben die ambulanten Strukturen deutlich auszubauen und zu vernetzen) würde mir akut tatsächlich nichts einfallen…

  • Kurzfristig wird nur eine Offensive in der Ausbildung funktionieren, erste Rettungsdienste haben die Anzahl der Studierenden stark erhöht.
    Die Erhöhung der Gehälter führt zu einer Verschiebung des Personals, nicht zu einer nachhaltigen Lösung des Problems.
    Das System zu verändern braucht viel Zeit.

  • was würdest Du denn vorschlagen, um das System zu „retten“? Ausser „Geld in die Hand zu nehmen“ (Löhne, Ausbildung und eben die ambulanten Strukturen deutlich auszubauen und zu vernetzen) würde mir akut tatsächlich nichts einfallen…

    Keine dieser Massnahmen wird den kontinuierlich (teilweise exponentiell) wachsenden Zustrom von Patienten:innen in das akut- und notfallmedizinische Versorgungssystem im notwendigen Rahmen reduzieren.


    Da wäre aber der eigentliche Hebel, jedoch ist dieser nicht kurzfristig umsetzbar und liegt ausserhalb des aktuell gegebenen Verantwortungsbereiches der Gesundheitspolitik.

  • was würdest Du denn vorschlagen, um das System zu „retten“? Ausser „Geld in die Hand zu nehmen“ (Löhne, Ausbildung und eben die ambulanten Strukturen deutlich auszubauen und zu vernetzen) würde mir akut tatsächlich nichts einfallen…

    Vorschlag 1 und 2 sind nur ein Teufelskreis, der in der Abwärtsspirale - in meinen Augen - nichts bringen wird. Ambulante Strukturen sind sicherlich ein Punkt. Viele wichtiger ist aber die Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung wieder zu stärken.

    Ich bin jetzt noch nicht so alt, nur ein Beispiel von vielen. Als Kind habe ich bei hohem Fieber (deutlich im Bereich 39°C) immer Wadenwickel, viel Tee, Zwieback und Co bekommen. Jetzt steht bei 38,0 °C schon der RTW auf der Matte.

    Nur ein Beispiel von vielen.

    Sicherlich ist es heute für Eltern schwieriger geworden (Arbeitsverdichtung etc.), aber vieles könnte man schon eigenständig ohne Arzt oder Rettungsdienst regeln.

  • Vorschlag 1 und 2 sind nur ein Teufelskreis, der in der Abwärtsspirale - in meinen Augen - nichts bringen wird. Ambulante Strukturen sind sicherlich ein Punkt. Viele wichtiger ist aber die Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung wieder zu stärken.

    Ich bin jetzt noch nicht so alt, nur ein Beispiel von vielen. Als Kind habe ich bei hohem Fieber (deutlich im Bereich 39°C) immer Wadenwickel, viel Tee, Zwieback und Co bekommen. Jetzt steht bei 38,0 °C schon der RTW auf der Matte.

    Nur ein Beispiel von vielen.

    Sicherlich ist es heute für Eltern schwieriger geworden (Arbeitsverdichtung etc.), aber vieles könnte man schon eigenständig ohne Arzt oder Rettungsdienst regeln.

    da bin ich bei Dir. Das wird aber aus verschiedensten Gründen ebenfalls nicht in nächster Zeit funktionieren. Das heisst der Bürger rennt weiter in die Notaufnahme oder ruft den RD wenn man ihm nicht einfach erreichbar die richtige Hilfe anbietet. Viele wollen ja gar nicht ins KH sondern einfach niederschwellig „geholfen werden“. Und da wären die ambulanten Strukturen halt wieder gefragt. Mehr Arztpraxen in die man auch ohne Termin gehen kann, telefonische Hilfsangebote neben der 112/144, neben ärztlicher auch soziale und psychologische Hilfsangebote usw. Der Bürger nimmt die Hilfe, die er am einfachsten bekommt 🤷🏻‍♂️

  • Die Erhöhung der Gehälter führt zu einer Verschiebung des Personals, nicht zu einer nachhaltigen Lösung des Problems.
    Das System zu verändern braucht viel Zeit.

    Durch die Erhöhung der Gehälter ist natürlich erstmal nicht viel an Personal im System gewonnen. Es führt aber aus meiner Sicht zu folgenden systemischen Ereignissen:


    - es wird als Entschädigung für Arbeitsbedingungen gesehen, man nimmt also erstmal noch mehr hin.

    - wenn andere Bereiche nicht lukrativer sind, bleibt man erstmal noch dem System erhalten.


    Das schafft Zeit, die man braucht um das System zu ändern. Und ich sehe das für Deutschland ähnlich. Wir müssen schnell anfangen Reformen zu schaffen. Probleme angehen und Synergien entwickeln. Ich mag das System NÖ, auch wenn nicht alles Gold ist was glänzt.


    Wir werden auf Kurz oder noch kürzer sonst gegen die Wand fahren. Mit Sondersignal und ohne zu Bremsen...

  • - es wird als Entschädigung für Arbeitsbedingungen gesehen, man nimmt also erstmal noch mehr hin.

    - wenn andere Bereiche nicht lukrativer sind, bleibt man erstmal noch dem System erhalten.

    Geld ist als extrinsischer Faktor nur kurzfristig motivierend.

  • Ja, ist es. Ändert aber nichts an meiner Einschätzung. Ich sagte ja, hilft kurzfristig bis andere Maßnahmen greifen. Oder wie willst du kurzfristig nun dafür sorgen, dass die Systeme in CH und D nicht einfach implodieren?

    Bedenke bitte die Aussagen der Pflege während der ersten Wellen. Danke fürs Klatschen, aber Geld und Arbeitserleichterung wären uns lieber.

  • Geld ist als extrinsischer Faktor nur kurzfristig motivierend.

    Deshalb zahlt man es monatlich aus. Extrinsische Motivation wirkt, solange man sie wiederholt.

    You know as well as I do decisions made in real time are never perfect. Don't second-guess an operation from an armchair. [Noah Vosen]

    Oldschool EMS. The Gold Standard of Ass Kickin'!

  • Deshalb zahlt man es monatlich aus. Extrinsische Motivation wirkt, solange man sie wiederholt.

    Man betrachtet sie recht schnell als normal.
    Warum wechseln Mitarbeiter in schlechter bezahlte Jobs? Weil es bessere Motivatoren gibt

  • Ohne zu wissen woher sie kommen soll: viel wichtiger als ein alleinfahrender und triagierender Gemeinde-Notfallsanitäter fände ich eine mind. 16 Stunden erreichbarer Fahrdienst einer Gemeinde-Pflegekraft/Arzthelferin (darf auch ein Mann sein), der die Aufgabe übernimmt.


    Zusätzlich bräuchte es einer zwingenden Pflicht des ärztlichen KV-Dienstes auch wirklich zu den Patienten zu fahren, die die Kompetenzen der oben genannten Kraft übersteigen.


    Weiterhin bräuchten wir eine soziale Struktur, die ältere Menschen kurzfristig (quasi notfallmäßig) unterstützen kann, bis der ganze Verwaltungsaufwand für Pflege… befriedigt ist und der Pflegedienst leisten kann.


    An den Krankenhäuser braucht es Portalpraxen, um die ZNA zu entlasten und davor geschaltet eine Triagestelle, die den Patienten zur richtigen Ambulanz schickt, ohne dass jeder erstmal in der ZNA steht und dort Arbeit erzeugt.


    Und für alle oben genannten fahrende Dienste inkl. Rettungsdienst und genügend KTW braucht es eine gemeinsame Leitstelle, gerne mit Beratungsarzt, der die korrekte Zuweisung des richtigen Fahrzeuges macht. Und zwar ohne Dienste-Ping-Pong.


    Aber das werde ich wohl eher nicht mehr erleben.


    Eddy

  • Es ist kompliziert mit den Motiven. Aber Du hast Recht, zweifelsohne. Trotzdem kann man mit mehr Geld zumindest teilweise verhindern, dass Leute abwandern. Geld ist ja auch eine Form von Anerkennung.


    Intrinsische Motive wirken aber mitunter stärker und auch dauerhaft. Sie müssen nicht wiederholt werden.

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  • Der ein oder andere Rettungsdienstbetreiber hat oder plant die Einführung von einer Pauschale pro abgerechnetem Einsatz. Ein Beispiel ist Berlin.

    Ich höre aus Berlin drei Stimmen bei der Feuerwehr.

    1. Beamter, RS, der im 4er-Block 0 bis maximal 2 mal RTW fahren muss. "Super Idee, mehr davon!"

    2. Beamter, NotSan, der im 4er-Block 4 mal RTW fahren muss. "Was soll das? Geld bringt mir nicht, ich brauche Entlastung."

    3. Alle Angestellten: "Voll unfair, dass bekommen ja nur die Beamten!"


    Geld ist keine Motivationsquelle. Ich stimme da securo zu und die Fachliteratur ist da auch unserer Meinung.

    Mal davon ab, dass Brutto mehr Geld nicht zwangsläufig Netto mehr ist.

    Mehr Brutto führt schnell zu anderem (höherem) Steuersatz, höheren Sozialabgaben, ggf. sogar wieder Solidaritätszuschlag, höhere Krankenkassenbeiträge und vieles mehr. Wirklich was vom Netto bleibt da nicht übrig.

    Meine persönliche Beobachtung geht eher in die Richtung, dass die Personen Stunden reduzieren, dadurch nicht wirklich viel weniger Netto haben, aber deutlich mehr Freizeit.