Grundsätzlich finde ich den Ansatz, dass die gesamte Zeit, die der Rettungsdienst beeinflussen kann, betrachtet, erfasst und optimiert werden soll, keine schlechte Idee. Typischerweise erfolgt nur dann eine Verbesserung, wenn der gesamte Prozess in Summe optimiert wird. Wobei aus Patientensicht das Erreichen des Krankenhauses "A" nicht notwendigerweise einen Vorteil bringt, wenn das Erreichen des Krankenhauses "B" länger gedauert hätte.
Der verlinkte Rettungsdienstplan zielt zunächst auf die Tracerdiagnosen ab und spricht von Erreichen eines "geeigneten Krankenhaus" von im Regelfall unter 60 Minuten.
Ich gebe Hilope recht, dass ein Einzelfall hier nicht geeignet ist die Versorgungszeit bzw. Prähospitalzeit zu beurteilen, da zu viele individuelle Faktoren maßgeblich sind. Die Frage an dieser Stelle ist eher, wie mit einer solchen Zieldefinition umgegangen wird, bzw. wer bestimmte Anreize zur Zielerreichung besitzt und ob es hier um eine planerische Größe oder um ein individuelles Qualitätsmerkmal pro Einsatz geht. Weiterhin hat Hilope recht, wenn er betont, dass es kaum belastbare Daten gibt, die einen Vorteil einer kurzen Prähospitalzeit für viele Krankheitsbilder zeigt. Im Gegenteil zeigt doch die Zentralisierung der Krankenhäuser in Dänemark, dass es sogar Vorteile haben kann längere Wege in Kauf zu nehmen und dafür eine Behandlung in einem Zentrum zu erhalten. (Bsp. Link zur FAZ - ggf. Paywall - "weniger Krankenhäuser sind gut" oder dänische Hospitalrevolution)
Der Rettungsdienstplan gibt vor, dass eine planerische Optimierung vorgesehen ist, die sich auf den gesamten Prozess von der Gesprächsannahme bis zur Einlieferung ins Krankenhaus erstreckt. Hierzu sind die Zeiten zu erfassen und zu evaluieren.
Der springende Punkt ist nun, zu was das Ziel "Prähospitalzeit kleiner 60 Minuten" - als planerische Größe - führt:
Wenn das Ergebnis darin besteht, dass jeder Patient in das nahegelegene Krankenhaus gebracht wird, das derzeit gar nicht aufnehmen oder zeitnah behandeln kann, weil "wir in unter 60 Minuten im Krankenhaus sein müssen", ist das sicher nicht im Sinne des Erfinders. Ebenso ist es sicher nicht hilfreich, wenn die planerische Zielgröße dazu führt, dass jeder Einsatz als "load and go" abgearbeitet wird oder notwendige und hilfreiche Maßnahmen unterlassen werden, weil dies die Prähospitalzeit verlängert. Kontraproduktive Verhaltensweisen durch definierte Ziele, sind überall möglich und als sog. "Kobra-Effekt" bekannt. Diese Effekte gilt es in der Ausgestaltung im Blick zu haben.
Aus einer planerischen Zielgröße, die die gesamte Prähospitalzeit umfasst, können jedoch auch sinnvolle Maßnahmen abgeleitet werden, die zu begrüßen wären:
- Allgemein mehr Aufmerksamkeit auf das Thema "Versorgungszeit", könnte in Verbindung mit standardisierten Verfahren eine Beschleunigung herbeiführen.
- Unnötiges Warten auf einen Notarzt könnte unterlassen werden.
- Technische Hilfsmittel, die den Transport des Patienten in den RTW beschleunigen oder ohne Tragehilfe ermöglichen, können mit Verweis auf das Ziel durchgesetzt werden.
- IT Unterstützung bei der Suche einer freien und geeigneten Klinik verringert die eigenständige Suche und das "Abtelefonieren"
- Das nähere Krankenhaus, das im anderen Landkreis liegt, kann mit Verweis auf die Zieldefinition ggf. leichter angefahren werden.
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Wie bei allen Dingen im Leben, kommt´s am Ende drauf an, was man draus macht. Solange dann im QM Bericht aber wieder nur steht, dass die Kunden / Patienten mit der Leistung des Rettungsdienstes offenbar zufrieden sind, weil mal wieder die Einsatzzahlen gestiegen sind, bin ich mir nicht ganz sicher, was die Zukunft bringen wird.