Ich lese die Beiträge gerade mit steigendem Interesse, weil mich die Diskussion gerade sehr an einen konkreten Fall erinnert, den ich zur Besprechung vorstellen möchte.
Vorbemerkungen:
1. Ich bin (noch) "nur" Rettungsassistent, war aber der deutlich erfahrenere Kollege. Wir haben den Einsatz auf "Augenhöhe" abgearbeitet und jeder von uns beiden hatte ein unausgesprochenes Vetorecht.
2. Der Kollege ist mit der Veröffentlichung einverstanden.
Der Fall:
Alarmierung des bayerischen RTW, besetzt mit NotSan (schulische Ausbildung, grob zwei Jahre Berufserfahrung als NotSan) und RettAss (ich, 27 Jahre Berufserfahrung) zum Notfalleinsatz "RD 1 - R1000 Bewusstsein" in unmittelbarer Nähe der Rettungswache.
Vor Ort ein ca. 50jähriger, männlicher, bewusstloser Patient, von Ehefrau auf dem Wohnzimmerboden in eine Art stabile Seitenlage verbracht. Puls tastbar, Atmung vorhanden, jedoch bradycard und bradypnoeisch. Nachforderung Notarzt.
Der Patient wird in Rückenlage verbracht und nach Ausschluss eines A-Problems von mir assistiert beatmet.
Parallel Anbringen von Monitoring und Erheben der Anamnese.
Anamnese: Pat. hatte in den vergangenen Wochen immer wieder über Schwindel und "Schwarzwerden vor den Augen" geklagt, sei auch schon zwei-, dreimal kollabiert, aber immer wieder schnell wieder okay gewesen. Keine Medikation, keine Vorerkrankungen, keine Risikofaktoren.
Monitoring: SpO2 nicht zuverlässig ableitbar, Druck hypoton (genaue Werte habe ich leider nicht mehr im Kopf, RR sys. aber jedenfalls < 80), HF 28, breite, deformierte Kammerkomplexe - im Ausdruck AV-Block III.° erkennbar.
10 for 10: kritischer Patient, hämodynamisch und respiratorisch instabil. Leitliniengerechte Therapie wäre nun externes Pacing, dies ist allerdings ausdrücklich dem Notarzt vorbehalten. Rückfrage bei ILS, welcher Notarzt kommt? Rückmeldung: Notarzt kommt aus Crailsheim, hat sich noch nicht gemeldet (Nachbarbundesland mit Analogfunk, d.h. vor Kanalwechsel nicht ort- und erreichbar) - erfahrungsgemäß braucht der NA dann mindestens noch 15 Minuten. Load and go ist keine Alternative, da nächstes geeignetes Krankenhaus 25 Fahrminuten entfernt. Im Konsens beschließen wir, den Patienten zu pacen.
Daraufhin wird der Patient deutlich vigilanter und versucht sich die Elektroden aufgrund des Schmerzreizes zu entfernen. Pacing wird gestoppt, Pat. wird wieder bewusstlos und ateminsuffizient.
Erneutes 10 for 10: Abwartendes Nichtstun bis zum Eintreffen des Notarztes inakzeptabel, Analgosedierung erforderlich. Konsensgespräch: Piritramid (für NotSan in enger Indikationsstellung (hier nicht vorliegend) zur Analgesie freigegeben) ist aufgrund der bereits vorliegenden Atemdepression kontraindiziert, zur Analgesie in diesem Fall vermutlich off-label und als BTM rechtlich heikel, alternativ stehen Propofol oder Esketamin/Midazolam zur Auswahl. Aufgrund der positiven Kreislaufwirkung und der höheren Erfahrung wird zweitere Kombination gewählt.
Der Patient wird mit einer körpergewichtsadaptierten Dosierung analgosediert, woraufhin er das wieder begonnene Pacing gut toleriert. Der Blutdruck steigt über syst. 100, die assistierte Beatmung kann zugunsten einer O2-Maske eingestellt werden.
Ca. 5 Minuten später trifft die Notärztin (FÄin Anästhesie) ein, die von der komplexen Situation erst einmal überrumpelt ist. Nach Übergabe wird der Patient schließlich doch noch problemlos intubiert und transportiert.
Es erfolgt unsererseits der Wunsch nach einer Nachbesprechung, die durch die Notärztin auch gerne und ausführlich durchgeführt wurde:
Die Diagnose AV-Block III.° war natürlich richtig, die Schrittmachertherapie indiziert, eine Analgosedierung ziemlich sicher notwendig.
Sie hätte selbst vor der Schrittmachertherapie einen Versuch mit hochverdünntem Epinephrin versucht und die Narkose mit Propofol plus Fentanyl plus ggf. Katecholamin geführt, dies sei aber Facharztniveau und von uns keinesfalls zu verlangen.
Ansonsten waren ihrer Ansicht nach die angewandten Maßnahmen adäquat, korrekt durchgeführt und vermutlich lebensrettend.
Das Nachspiel:
Ein halbes Jahr später wird der Kollege zum Einzelgespräch mit dem zuständigen ÄLRD geladen. Der Arbeitgeber war an dem Gespräch nicht beteiligt.
Das Gespräch dauerte fast anderthalb Stunden, es ging nur sehr am Rande um die medizinischen Details sondern nur darum, dass der Kollege (nota bene: den ÄRLD interessierte nur der Kollege als verantwortlicher NotSan. Ich wurde, trotz meines Widerspruchs, als Erfüllungsgehilfe gesehen, der nur auf seine Weisungen reagierte.) Maßnahmen anwandte, die er nicht erlernt hatte und auch nicht sicher beherrschen konnte. Er hat seine Kompetenzen aufs Äußerste überschritten und starke Zweifel an seiner Eignung zur Berufsausführung aufkommen lassen. Eine "strenge persönliche Beobachtung" wurde angekündigt. Alternativen zum Vorgehen wurden trotz mehrmaliger Rückfrage nicht genannt.
Letztendlich war's vermutlich nur ein sehr kräftig erhobener Zeigefinger - ob berechtigt oder nicht sei erst einmal dahingestellt.
Weitere Konsequenzen hatte es bislang nicht, in der Zwischenzeit durfte er bereits mehrere andere Routine-Stellungnahmen schreiben (unser ÄLRD liest sehr gerne...)
Jetzt die Frage: Juristisch und medizinisch korrekt?
PS: Bin jetzt erst mal unterwegs, d.h. kann erst spät abends auf Rückfragen antworten.