Beiträge von Jan Waldorf

    Die genannten Punkte spiegeln auch meine Erfahrungen was die Berufswahl Notfallsanitäter angeht wieder und der Punkt mit dem Freigaben ist meinem Gefühl nach doch höher als erwartet. Ich kenne mehrere, die sich in unserem Kreis nicht beworben haben bzw. auf der Suche nach einem neuen Arbeitgebern selbigen bewusst verlassen haben weil es ihnen schlicht nicht reicht nach Notarztalarmierung einen Gramm Perfalgan in den Patienten rein laufen zu lassen.

    Der Hauptgrund, warum auch ich nach 7 Jahren nebenberuflicher Tätigkeit seit einiger Zeit nicht mehr im entsprechenden Landkreis unterwegs bin - insofern ganz gut nachvollziehbar ;-)


    Hab das Ganze mal überflogen. Auch wenn es teilweise für mich etwas schwer verständlich formuliert ist, klingt die Stellungnahme eigentlich doch sehr vernünftig.

    Wenn ich das richtig verstehe: 1c und 2c Massnahmen nach SAA durch die ÄLRD. Wenn keine SAA vorhanden weiterhin im Rahmen des rechtfertigenden Notstands. Und das Ganze eben ohne Vorabklärung bei den lebensrettenden Massnahmen.

    Wenn jetzt die SAA für 1c und 2c vernünftig gestaltet sind, wäre das doch eigentlich eine sinnvolle Lösung (und das vom BV ÄLRD). Weil gerade bei 1c (Lebensrettung) wird sich das ja z.B. im Bereich der ACLS-Algorithmen (Kardioversion, Pacing, Rea) oder Trauma-Algorithmen (z.B. Entlastungspunktion) etc. ansiedeln und das liesse sich in SAA ja gut abbilden. Und dass für Pat., bei denen der NotSan diese Massnahmen durchführen muss, ein NA (wenn verfügbar) dazu kommt, ist ja auch durchaus in Ordnung.

    Oder habe ich da was übersehen?

    Auch ich halte den Vorschlag des BV-ÄLRD für überraschend ausgewogen. Den Teil "1c ohne SAA" lese ich allerdings zumindest auf den ersten Blick anders - es wird nach meinem Verständnis explizit erwähnt, dass das HPG keine Anwendung in entsprechenden Situationen finden soll. Insofern wäre die Ausübung der Heilkunde zwar "nicht so richtig erlaubt, aber auch nicht mehr verboten", so dass ein Rückgriff auf §34 StGB nicht mehr notwendig wäre - mehr "beating around the bush" geht eigentlich gar nicht mehr, aber im Ergebnis wäre das vermutlich ausreichend. Der Vorschlag löst in der Tat ein paar Knoten recht geschickt auf.

    Mein zentrales Problem mit diesem Vorschlag ist: Das ganze Vorhaben würde wahrscheinlich wieder einmal an Bedenkenträgern auf lokaler Ebene scheitern, so wie es schon beim Pyramidenprozess der Fall war. Und genau aus diesem Grunde wünsche ich mir eben eine Regelung, die absolut unmissverständlich ist & eine "Blockadehaltung" seitens einzelner ÄLRD unmöglich macht.

    Meine Vermutung in der Richtung ist, dass aufgrund der kurzen Verweilzeit von wenigen Jahren im Beruf ein großer Teil gar kein Interesse daran hat, dass sich der eigene Beruf sich berufspolitisch weiterentwickelt. Nach dem Motto: "In ein paar Jahren betrifft mich dieses nicht mehr."

    Ein interessanter Gedanke. Wobei mein Eindruck ist, dass die Berufswahl inzwischen zumindest ein wenig bewusster getroffen wird, v.a. auch im Hinblick auf die längere Ausbildungsdauer. Das Berufsbild des Rettungsassistenten war nach meiner (zugegebenermaßen in dieser Hinsicht sehr subjektiven) Wahrnehmung oftmals von vorneherein nur als "Durchgangsstation" geplant - gerade für ehemalige Zivildienstleistende, Ehrenamtliche etc. war durch die Möglichkeit der verkürzten Aus- bzw. Weiterbildung zum RA kein sonderlich hohes Invest notwendig um den Beruf ergreifen zu können, weder in zeitlicher noch in finanzieller Hinsicht. Die Ausbildung zum Notfallsanitäter ist jedoch deutlich länger & mitunter aufgrund der deutlich geringeren Zahl an Ausbildungsstätten auch mit gewissen "Unannehmlichkeiten" verbunden (die Auszubildenden in unserer Region fahren in den Schulblöcken teilweise 130km weit bis zur Ausbildungsstätte!) - für jemanden der von vorneherein nur eine "Durchgangsstation" sucht ist der Aufwand wahrscheinlich inzwischen in vielen Fällen zu hoch. Ich habe schon den Eindruck, dass die meisten Auszubildenden sich mit einem gewissen Grad an Überzeugung für das Berufsbild entscheiden.

    Natürlich ist es häufig ein „Ursachenmix“ der zur Abwanderung führt. Die erhebliche Diskrepanz zwischen „Können“ und „Dürfen“ scheint bei Notfallsanitätern aber ein wesentlicher Faktor (unter mehreren zu sein) – vor allem ist es (neben gesamtgesellschaftlichen Veränderungen & der „organisatorischen Einbettung“ in das System der Gesundheitsvorsorge, d.h. der Tatsache dass es vielerorts zu einer immer umfassenderen Übernahme nicht originär dem Aufgabenfeld des NotSan entsprechenden Aufgaben kommt) mehr oder minder der einzige Faktor, welcher meist nicht bzw. nur sehr bedingt durch die Arbeitgeber beeinflusst werden kann. Ich sehe auf Seiten vieler Arbeitgeber ein ernsthaftes und aufrichtiges Bemühen, gute und qualifizierte Mitarbeiter zu binden und zu halten & in dieser Hinsicht hat der Arbeitgeber durchaus Möglichkeiten – so z.B. durch:

    • Die Vermittlung von Wertschätzung für die geleistete Arbeit
    • Ein aktives Gesundheitsmanagement (kostenfreie Mitgliedschaft im Fitnessstudio etc.) & Maßnahmen zum Gesundheitsschutz (Beschaffung von Raupenstühlen, elektrifizierte Fahrtragen etc.)
    • Monetäre Anreize, z.B. in Form von Prämien oder der großzügigen Anrechnung von Berufserfahrung bei der Einstufung
    • Die Etablierung flexibler Arbeitszeit- und Schichtmodelle
    • Verbesserungen der Rahmenbedingungen im Kleinen (kostenloses Wasser & Obst auf den Wachen, moderne & vollklimatisierte Wachräumlichkeiten, kostenfreie WLAN etc.

    Hier sind in den letzten Jahren schon massive Fortschritte in der Fläche zu erkennen, was sich nicht zuletzt auch in den Formulierungen von Stellenausschreibungen wiederspiegelt. Zumindest manche Arbeitgeber scheinen begriffen zu haben, dass hier Handlungsbedarf bestand und besteht, wenn man im Wettbewerb um die besten Mitarbeiter noch Chancen haben möchte. Was sich aber auch immer mehr zeigt: Die seitens der Arbeitgeber realisierbaren Verbesserungen reichen häufig nicht. Andere Faktoren wie z.B. gesamtgesellschaftliche Veränderungen lassen sich nicht ändern, man kann nur versuchen Ihren Effekten durch „Systemanpassungen“ ein wenig auszuweichen. Letztlich bleiben damit nicht allzu viele wirkungsvolle Stellschrauben übrig.


    Was übrigens immer häufiger in Stellenausschreibungen zu lesen ist: Der Verweis auf im Vergleich weit reichende Kompetenzregelungen. Es gibt schon Gründe dafür, dass dies durch die Arbeitgeber zunehmend betont wird. Allem voran die simple Tatsache, dass gerade junge & besonders qualifizierte Mitarbeiter Ihr Können auch gerne unter Beweis stellen möchten – was bei der Stellenwahl offenkundig mehr und mehr Gewicht hat. Ich bin auch auf Basis meiner Kenntnis entsprechender (aus gutem Grunde nicht veröffentlichter) Erhebungen der festen Überzeugung dass eine zufriedenstellende und „praxistaugliche“ Regelung der Kompetenzen zu einer höheren Berufszufriedenheit & einer längeren Verweildauer im Beruf führen kann und wird. Die längere Verweildauer wiederum führt unweigerlich zu einem erhöhten Erfahrungsschatz der inzwischen weit überwiegend sehr gut ausgebildeten Mitarbeiter – was letztlich auch der Versorgungsqualität zu gute kommen wird. Klar, das alleine wird’s nicht retten, aber in Kombination mit anderen und vielerorts bereits eingeleiteten Maßnahmen (auch und gerade seitens der Arbeitgeber) sehe ich da enormes Potential.


    „Valide herausgefunden“ ist in diesem Zusammenhang ein sehr hochtrabender Begriff, vollumfänglich wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Arbeiten gibt es zu diesem Themenkomplex nach meiner Kenntnis in der Tat nicht. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass vielerorts entsprechende Daten erhoben und ausgewertet werden – nur werden diese aus den unterschiedlichsten Gründen nicht veröffentlicht, u.a. auch weil die aus den Daten gezogenen Erkenntnisse mitunter einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil bedeuten können. Die Response-Quoten bei z.B. organisationsinternen Umfragen sind übrigens im Regelfall hervorragend und liegen sehr deutlich über den bei wissenschaftlichen Untersuchungen sonst üblichen Werten (oft deutlich >50%). In einem ganz zentralen Punkt muss ich Dir aber vorbehaltlos zustimmen: Die Thematik „Bias“ lässt sich nicht wegdiskutieren, gerade bei „internen“ Befragungen.


    Die durchaus hohe Abwanderungstendenz in den nicht-akademischen medizinischen Berufen (und insbesondere in der Pflege) bringe ich dagegen übrigens eher mit einer (auch durch Überregulierung) zunehmenden Arbeitsverdichtung in Verbindung, welche leider oftmals mit mangelnder Wertschätzung & mangelnden Verbesserungen der organisatorischen Rahmenbedingungen einhergeht. Bei Ärzten sehe ich dagegen kaum Tendenzen zur grundsätzlichen/vollständigen Aufgabe des „erlernten“ Berufs – wohl aber eine sehr deutliche Tendenz zur Teilzeit, was auch dem in den letzten Jahren gestiegenen Frauenanteil in den ärztlichen Berufen geschuldet sein dürfte. Ebenso sehe ich oftmals einen Wunsch nach höherer Flexibilität im Hinblick auf das eigene Lebenskonzept – was dazu führt, das Ärzte seltener unternehmerische Risiken eingehen (möchten) und beispielsweise zu Gunsten einer Festanstellung in einem MVZ auf die eigene Praxisgründung verzichten.

    Ich finde die Aussagen schon sehr pathetisch, es gibt hier genügend Beispiele im Forum, wo es mit SOP/SAA gut funktioniert.

    Ohne jede Frage gibt es solche Bereiche, einen davon kenne ich selbst. Wobei es natürlich zum einen von den handelnden Personen, zum anderen aber auch von den allgemeinen Rahmenbedingungen abhängt, in wie weit ein System mit SOP/SAA funktioniert. Ich vertrete lediglich die Meinung, dass starre SOP/SAA oft nicht die beste Lösung sind, finde Algorithmen mit gewissen "Spielräumen" in vielen Situationen gleichzeitig aber durchaus nützlich.

    Wir sind nicht mehr in der RA Zeit, wo du aus der Schule kommst und die Realität erst wahrnimmst.

    Du wächst 3 Jahre mit deinen Aufgaben und SAA.

    Bedingt. In vielen vielen Bereichen ist die Diskrepanz zwischen Ausbildungsinhalten und tatsächlichen Kompetenzen allerdings schon recht deutlich. Die Auszubildenden merken das natürlich relativ schnell - ich habe erst heute wieder von einem NotSan-Azubi gehört, der derzeit seine Prüfungen ablegt, innerhalb einer überschaubaren Zeitraumes aber wohl ein ("nicht-medizinisches") Studium aufnehmen möchte. Einzelfälle sind das leider nicht. Wie bereits erwähnt gehe ich davon aus, dass die durchschnittliche Verweildauer im Beruf bei Notfallsanitätern nur unwesentlich höher sein wird als bei Rettungsassistenten.

    Ich glaube vielmehr an ein lokales oder persönliches Problem.

    Wenn ich viel mehr erwarte kann ich auch umso mehr enttäuscht werden.

    Du darfst davon ausgehen, dass ich bundesweit (und auch deutlich darüber hinaus) einen recht guten Überblick habe. Natürlich gibt es zwischen (individueller) Erwartungshaltung & beruflicher Zufriedenheit einen sehr engen Zusammenhang. Die Frustration bei vielen Auszubildenden ist allerdings schon recht hoch, v.a. gegen Ende der Ausbildung. Natürlich gibt es auch Bereiche und Regionen, in denen es gut läuft - aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es vielerorts eben nicht so gut läuft.

    Fazit: ich weiß vom ÄLRD jetzt, dass eine SOP 2c "Sauerstoffgabe" in der "mache" ist, dieses Gespräch ist aber ziemlich ausgeartet in ein philosophieren des Notarztes wie schwierig es ist so eine SOP rechtsfest zu schreiben ohne dass er Verantwortung für Blödsinn übernimmt...

    Mancherorts stört es die ÄLRD überhaupt nicht, Verantwortung für völligen Blödsinn zu übernehmen. Lustig wird's hin und wieder, wenn man die Sachen wirklich macht & dann jemand dazu kommt der die SOP/SAA nicht kennt. Gott sei Dank legen zumindest in unserer Gegend sowohl Notärzte als auch das klinisch-ärztliche Personal da inzwischen einen gesunden Pragmatismus an den Tag. Wenn ich mir den Verlauf der hiesigen Diskussion so anschaue wird es wohl einfach noch eine Weile dauern bis sich wirklich grundlegend etwas ändert. Mich persönlich betrifft das nur noch am Rande, weil ich den Beruf genau aufgrund dieser Probleme an den Nagel gehangen habe & nur noch gelegentlich im Rettungsdienst tätig bin. Mir tun die jungen Kollegen leid, welche 3 Jahre Ihres Lebens investiert haben um einen Beruf zu erlernen - und anschließend feststellen, dass es diesen Beruf eigentlich gar nicht gibt & sie genauso gut bei DHL anfangen könnten. Aber so wie es aussieht, werden etliche dieser jungen Kollegen aus dieser Situation auch Konsequenzen ziehen. Vielleicht gibt das ja Hilfestellung beim Umdenken.

    Weil ich durchaus überzeugt bin, dass man die wenigen Situationen, in denen ein NotSan ausserhalb der „Lebensrettung“ tätig werden muss, in SAA abbilden könnte (z.B. fällt mir da Analgesie, Agitiertheit, Hyper-, Hypotonie, Hypoglykämie, Übelkeit, Schwindel etc. ein, was bleibt denn sonst übrig?).

    Genau weil es so wenig ist glaube ich nicht dass man SAA für diese Fälle braucht. Aber ein zur Ausübung der Heilkunde berechtigter NotSan schließt ja den Erlass von SAA im Übrigen nicht aus.

    Das sind, wie Du selbst sagst und wir alle wissen, nun definitiv keine Einsatzsituationen, die das Berufsbild prägen.

    Du fragtest ja auch explizit nach dem Gegenteil ;-)

    Lass uns doch bitte darüber sprechen und nicht über lebensrettende Maßnahmen. Die sind völlig zweifelsfrei erlaubt, und die Kritik am Referentenentwurf dreht sich nach meinem Verständnis auch nicht darum. Oder doch?

    Erlaubt sind Sie eben nicht. Ein Verstoß gegen das Verbot wird nur regelhaft nicht bestraft weil es einen Rechtfertigungsgrund gibt und damit die Rechtswidrigkeit im Nachhinein (!) entfällt. Für mich ist das ein himmelweiter Unterschied. Wobei es hier und da durchaus zu arbeitsrechtlichen Sanktionen gekommen ist welche dann im Anschluss gerichtlich wieder kassiert werden mussten, was ich mir für den Betroffenen im Einzelfall sehr belastend vorstelle. In einem Fall war ich persönlich "ganz nah dran" am Geschehen, schön war das wahrlich nicht.

    Unabhängig davon kritisiere ich am Referentenentwurf durchaus auch die geplanten Regelungen im Hinblick auf 1c-Maßnahmen - in allen Fällen, in welchen keine SAA vorliegt, wären die Hürden im Hinblick auf invasive Maßnahmen noch höher als heute (weil eine zusätzliche Hürde - nämlich der Versuch einer Kontaktaufnahme mit einem Arzt - eingezogen wird). Das Problem des regionalen Erlasses möglicherweise völlig ungeeigneter SAA kommt noch hinzu. Ja, es gibt auch heute noch Rettungsdienstbereiche, in denen darf der Notfallsanitäter maximal rosa Venenverweilkanülen legen. Nur auf dem Handrücken und vielleicht noch im Bereich des Unterarms. Ohne eine Infusion anzuschließen. Das ist dann die "SAA" für manchen Patientenzustand - aber was mache ich, wenn sich der Patientenzustand trotz einer solchen SAA verschlechtert? Versuchen, einen Arzt zu erreichen, damit ich eine Infusion anhängen darf? Das kann im Jahr 2020 hoffentlich nicht ernst gemeint sein.


    Je nun. Jetzt sagen nicht wenige Ärzte, Lebensrettung sei aber der klarste Teil der Geschichte. Und die haben da - no pun intended - vermutlich den besseren Überblick.

    Ich kenne auch nicht wenige Ärzte, die genau das Gegenteil behaupten. Und nun?

    Und ich habe immer noch nicht verstanden, was gegen SAA spricht, die das regeln. Wenn es keine gibt, ist das ja ein Argument für ihre Einführung und nicht für eine formale Handlungsfreiheit von Notfallsanitätern im Umgang mit Medikamenten.

    Die Realität zeigt, dass genau das in der Fläche nicht funktioniert. Man hätte seit 2014 fünf Jahre Zeit gehabt, Entsprechendes umzusetzen - passiert ist vielerorts annähernd nichts. In Bayern feiert man sich auch noch für die landesweite Delegation von Analgesie & Glucosegabe, während der NotSan inzwischen oftmals im Falle einer Sauerstoffgabe das NEF nachfordern muss - DAS gab es selbst in der 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts nicht.

    Ich glaube, bei den SAA geht es weniger darum, dem Notfallsanitäter Sicherheit zu vermitteln. Da bin ich ganz bei Dir. Abzugrenzen ist: Wieviel Dimenhydrinat kann ohne vertiefte medizinische Kenntnisse und ohne ärztliche Diagnosestellung bei einem bestimmten Zustandsbild mit so geringem Risiko verabreicht werden, dass es den Nutzen unterschreitet, und zwar so, dass dies immer zutrifft?

    Ich empfehle einen Blick in die Fachinformation. Das, in Kombination mit einer dreijährigen medizinischen Berufsausbildung, sollte für eine Maßnahme ausreichen, die de facto jede pharmazeutisch-kaufmännische Assistentin mehrfach täglich durchführt indem sie das gleiche Präparat ohne jede Untersuchung des Patienten über die Ladentheke schiebt. Wir sollten hier mal die Kirche im Dorf lassen...



    Ich glaube, dass wir hinsichtlich der diskutierten Problematik wahrscheinlich zu unterschiedliche Sichtweisen haben, um wirklich auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Ja, ich gebe zu, ich beziehe hier (aus tiefster inhaltlicher Überzeugung!) gerne die "Extremposition", ähnlich wie Du es auch tust ("therapeutische Freiheit vs. rigide Vorgaben/enge Leitplanken"). Vielleicht sollten wir uns auf die Frage konzentrieren, wie eine gute Lösung aussehen könnte, welche den unterschiedlichen Sichtweisen von Juristen, Ärzten und Rettungsfachpersonal gerecht wird. An einer Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde, beschränkt auf den Bereich der Notfall- und Akutmedizin, wird m.E. aber mittelfristig dennoch kein Weg vorbei führen - alles Andere wird letztlich wieder nur Flickschusterei, mit allen damit verbundenen Unwägbarkeiten.

    Aus meiner Sicht: Gar nicht, Du sollst die SAA ausführen und / oder in lebensbedrohenden Situationen erweiterte Erste Hilfe leisten ;).

    Dafür halte ich den gegenwärtigen Ausbildungsumfang allerdings ein wenig überzogen ;-) Das bekommt man anderenorts mit deutlich kürzeren Ausbildungsgängen hin.

    Das ganz bestimmt, aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist: Wo ist der Unterschied hinsichtlich der eigenständigen Ausübung der Heilkunde über den erlernten Beruf hinaus? Hast Du mal ein Beispiel für das Konfliktfeld, über das wir reden? Also eines, wo Notfallsanitäter in der Ausbildung lernen, eine weitreichende medizinische Entscheidung zu treffen? Vielleicht müssten wir auch klären, was Du unter "weitreichend" verstehst - nach meinem Verständnis taucht in der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung dazu nichts auf.

    Beispiele für entsprechend invasive und zumindest nicht völlig risikofreie Interventionen wären die Kardioversion bei tachykarden Rhythmusstörungen mit Instabilität oder die Entlastungspunktion beim Spannungspneumothorax - ohne Frage seltene Maßnahmen & vielerorts gibt es dafür noch nicht einmal eine SAA. Wenn's drauf ankommt wird vom NotSan jedoch erwartet, dass er die jeweilige Maßnahme beherrscht und durchführt. Nach meinem Verständnis ist das jedoch keine eigenständige Ausübung der Heilkunde über den erlernten Beruf hinaus, sondern elementarer Ausbildunginhalt und damit auch eine Kernaufgabe des Notfallsanitäters. Der NotSan kein medizinisch-technischer Assistent (mit breiten, aber meist nicht sehr tief gehenden Kenntnissen), sondern ein hochspezialisierter Fachberuf - die Ausübung von Heilkunde ist Kern der Berufsausbildung und auch der späteren Berufsausübung. Insofern ist die Heilkundeausübung nichts, was in "Extremsituationen ausnahmsweise mal gemacht werden darf" - sondern das schlichte und völlig schnörkellose Tagesgeschäft. Nur gibt die Rechtslage das streng genommen nicht her & das ist genau der Kern des Problems. Man bemüht sich hier, Regelungen für Ausnahmesituationen zu schaffen - ohne dabei zu verstehen, dass es eben keine Ausnahmesituationen sind.

    Das finde ich erstaunlich, denn der Sinn liegt m. E. auf der Hand und deckt sich mit dem, was ich aus dem einen oder anderen Gespräch mit Ärzten mitgenommen habe: Je weiter ich auf der Zeitachse in den Bereich vor einer Lebensgefahr gehe, desto komplexer wird die Medizin, desto mehr ist zu bedenken und desto eher ist eine höhere Qualifikation angezeigt. Daraus resultiert die Idee, diese höherrangige Qualifikation in einer gewissen Anzahl von Fällen in SAA / SOP zu fassen, um Ressourcen optimiert einzusetzen.

    Kann man so argumentieren, sticht aber m.E. nicht. Ich finde es wesentlich anspruchsvoller, in einer Notfall- und Akutsituation eine Anamnese zu erheben, Symptomatik, Patientengeschichte etc. zu würdigen & zu bewerten und dann postwendend u.U. "maximalinvasiv" tätig zu werden. Nochmal: Es geht hier ja nicht um eine generelle Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde, sondern nur um den Werkzeugkasten den man für's Tagesgeschäft braucht. In aller Deutlichkeit: Ich glaube wer für eine Ampulle Dimenhydrinat eine SAA braucht, der hat deutlich den Beruf verfehlt.

    Wie gesagt, ich kann diesen Punkt nicht greifen. Mir fällt auch bei ernsthaftem Nachdenken wirklich kein einziges anderes Feld ein, in dem das Fachpersonal meint, seinen Beruf nicht ausüben zu können, weil bestimmte Tätigkeiten der Entscheidung einer höher qualifizierten Berufsgruppe obliegen. Ich kann verstehen, wenn das jemandem zu wenig ist und er deshalb den Beruf wechselt, aber nicht, dass man an der Berufsausübing gehindert sei.

    Mir fällt auch kein weiterer Beruf ein, in diesem diese Problematik so ausgeprägt ist - was aber daran liegt, dass ich kein Berufsbild kenne, in welchem der KERNBEREICH der eigenen Berufsausübung zu 100% von Entscheidungen einer anderen Berufsgruppe abhängt. Es geht ja hier eben nicht um "bestimmte Tätigkeiten", sondern um annähernd ALLE berufsfeldspezifischen Tätigkeiten. Natürlich schicke ich gerne mal ein EKG an den Kardiologen, wenn ich mir unsicher bin. Natürlich rufe ich gerne mal den Hausarzt an, wenn ich bei der Anamnese die Enden nicht zusammenbekomme. Und natürlich fordere ich einen Notarzt an, wenn ich merke dass die Komplexität eines Notfallbildes mit meinem eigenen Fähigkeitsprofil nicht ganz in Einklang zu bringen ist ;-) Aber ich suche eben den Rat einer höher qualifizierten Berufsgruppe nur dann wenn ich ihn brauche.

    Zunächst mal ein herzliches Dankeschön an thh & Michael Neupert für die sehr engagierte Diskussion & die vielen wertvollen Impulse. Ich hatte aus vielerlei (i.e.L. beruflichen) Gründen schon eine Weile keine Zeit mehr für diesen Austausch & gerade im Moment wird mir klar wie sehr ich das vermisst habe. Letztlich ringen wir alle um eine vernünftige Lösung & es ist gut, dass qualifizierte Juristen sich so intensiv an dieser Diskussion beteiligen!

    Deshalb verstehe ich Deinen Hinweis nicht, für die Vorabdelegation fehle eine Rechtsgrundlage. Ja, genau das ist das Problem, und genau das will der Referentenentwurf lösen. Ob er das wirklich sinnvoll tut - gute Frage.

    Wenn Du Die Frage schon nicht beantworten kannst - wie soll ich das hinten im RTW tun? ;-)


    Sorry, ich nicht. Ich meine das nicht böse, sehe aber nicht, welche Besonderheit gegenüber anderen Fachberufen bei Notfallsanitätern besteht.

    Die Besonderheit ist, dass der Notfallsanitäter unter Zeitdruck weit reichende medizinische Entscheidungen treffen und anschließend u.U. "maximalinvasiv" tätig werden muss. Und genau darauf bereitet die Ausbildung auch (m.E. sehr gut) vor. Da sehe ich ich schon einen Unterschied zu den meisten anderen Gesundheitsfachberufen - sowohl im Hinblick auf das Tätigkeitsprofil als auch im Hinblick auf die Ausbildungsinhalte. Und zumindest die Ausbildungsinhalte der Gesundheits- und Krankenpflege sind mir (u.a. durch Dozententätigkeit an einer entsprechenden Ausbildungsstätte) durchaus bekannt - der Schwerpunkt ist hier ein deutlich anderer, die Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten nimmt hier einen geringen bis gar keinen Raum ein, mitunter wird sogar explizit Wert darauf gelegt dass die Heilkundeausübung nicht zum Tätigkeitsprofil der Krankenpflege gehört. Beim NotSan sind es dagegen geschätzt rund 70-80% des Ausbildungsinhalts. Daraus resultiert ganz sicher keine "Höherwertigkeit" der NotSan-Ausbildung, aber ebenso sicher eine deutlich höhere Kompetenz im Bereich der Heilkundeausübung gerade in Notfall- und Akutsituationen.

    Nochmal sorry, das ist doppelt falsch: Erstens üben alle von mir oben genannten Berufe mehr oder weniger die Heilkunde im Sinne des Heilpraktikergesetzes aus.

    Ich habe sehr bewusst "im engeren Sinne" geschrieben. Natürlich üben alle diese Berufe in letzter Konsequenz Heilkunde aus. Aber das Ausmaß der Invasivität ist beim Notfallsanitäter dann doch ein anderes, gleiches gilt für den "Arbeitszeitanteil" der Heilkundeausübung (...selbst auf einer "Landwache"!).

    Der Vorschlag des Bundesrates ist nun wirklich komplett ungeeignet, weil er das Problem nicht einmal anfasst, was hinsichtlich der Vorabdelegation besteht (S. 20 der zitierten Veröffentlichung).

    D'accord. Deswegen betone ich auch immer wieder, dass das nur ein erster Schritt sein kann - letztlich wird man hier langfristig "aufweiten" müssen. Der Sinn einer Differenzierung zwischen 1c/2c erschließt sich mir bis heute nicht. Salopp ausgedrückt: Wer kardiovertieren kann (und darf), der kann (und sollte) bei massiver Übelkeit im Akutfall (und nur dann) auch zur Anwendung eines Antiemetikums berechtigt sein.

    Dann ist der Weg klar: Raus aus dem Fachberuf in den akademischen. Gilt in allen Bereichen des Berufslebens.

    Ich für meinen Teil bin diesen Schritt schon vor vielen Jahren gegangen - und ich fürchte, dass ihn noch viele gute Notfallsanitäter gehen werden, die Aussagen aktueller Auszubildender lassen es jedenfalls vermuten. Die "Verweildauer" im Beruf wird schlussendlich wahrscheinlich nicht deutlich höher sein als bei Rettungsassistenten. Was ich außerordentlich bedaure. Ich für meinen Teil würde sehr gerne wieder hauptberuflich in diesem BERUF arbeiten. Weil ich ihn liebe, weil ich glaube dass ich "gut" in diesem Beruf bin & weil ich ihn wirklich als "Berufung" ansehe. In Anbetracht der gegenwärtigen Rechtslage ist das aber leider keine ernsthafte Option...

    Genau so verstehe ich aber Deine bisherigen Beiträge in der Diskussion...

    Klares Nein. Aufgabe eines Notfallsanitäters ist die außerklinische Notfall- und Akutversorgung, wobei es hierbei durchaus Schnittmengen zum ÄBD geben kann und immer geben wird. Auch im Hinblick auf diese "Schnittmenge" sollte ein Notfallsanitäter m.E. handlungsfähig sein, natürlich immer im Bewusstsein der eigenen Grenzen. Dann ist aber Schluss - für "mehr" ist der NotSan weder ausgebildet noch zuständig. Genau da verläuft für mich auch die Trennlinie zwischen GesundheitsFACHberuf und der ärztlichen Ausbildung. Ich bin seit langer Zeit mit einer Fachärztin verheiratet & weiß daher sehr genau, auf welchen Fachgebieten ich besser kleine Brötchen backe ;-)

    Ich hab's nicht mehr nachgelesen (auch mein Schreibtisch ist heute leider noch beruflich voll), meine mich aber zu erinnern, dass die sektorale Heilkundeerlaubnis für Phyisotherapeuten dann erforderlich ist, wenn Physiotherapie auch ohne ärztliche Verschreibung (also ohne ärztliche Diagnosestellung!) erbracht werden soll, weil eben das auch für Phyisotherapeuten nicht zulässig ist. Insofern ging es nicht um eine bloße Erleichterung der Abrechnung.

    So ist es. Lesenswert in diesem Zusammenhang u.a. VG München, Urteil v. 15.01.2019 – M 16 K 17.4427 / BeckRS 2019, 2635

    Inzwischen gibt es einen eigenen "Fachverband Sektoraler Heilpraktiker Physiotherapie e.V." - und offenkundig ist je nach Bundesland bzw. Behörde die Möglichkeit der Erteilung einer sektoralen HP-Erlaubnis inzwischen nicht mehr auf Physiotherapeuten begrenzt:

    https://www.hp-physio-verband.…rapie-und-logopaedie.html

    Aus einer breiten Praxis im juristischen Graubereich (oder auch klar jenseits des Erlaubten) muss nicht unbedingt eine Änderung der Rechtslage resultieren. Genausogut denkbar ist ein unangenehmes Erwachen für die "Entschlossenen", gefolgt von kleineren Anpassungen, die sich über Jahre ziehen, aber viele "einfache, "unbürokratische" Vorgehensweisen, die oft auch aus Unkenntnis der und Desinteresse an der Rechtslage beruhen, strafbar lassen.

    Absolute Zustimmung. Wäre es nicht schön und sinnvoll, mal einen anderen Weg zu versuchen?

    Es macht einfach keinen Sinn, jemanden für etwas zu prüfen und ihm eine gesonderte Erlaubnis abzuverlangen, worin er geprüft ist und für das er eine explizite Erlaubnis hält.

    Seltsam. Bei Notfallsanitätern macht man das vielerorts jedes Jahr. Aber ich weiß worauf Du hinaus willst. Albern finden darf ich das hoffentlich trotzdem noch ;-)

    Je nun, entweder geht das schon jetzt unter dem Gesichtspunkt des Notstands, dann geht es auch nach dem Entwurf, nur dann statt gerechtfertigt erlaubt (oder es kann jetzt wie zukünftig über das Konzept der generellen ärztlichen (Vorab-)Delegation gelöst werden) - oder es geht derzeit ebenfalls nicht. Dann wäre der Entwurf kein Rückschritt und eine Änderung nicht ernsthaft zu erwarten. Dass nicht beabsichtigt ist, Notfallsanitätern eine generelle Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde außerhalb von Notfällen und außerhalb ärztlicher Vorgaben zu verleihen, ist ja klar kommuniziert - und m.E. auch sinnvoll.

    Letztlich fällt annähernd keiner dieser Fälle unter §34StGB, da im Regelfalle weder eine akute Lebensbedrohung noch eine Gefahr erheblicher Folgeschäden bestehen. Dennoch machen diese Fälle einen nicht unerheblichen Teil des Rettungsdienstalltags aus. Und zum "Konzept" der ärztlichen Vorabdelegation (dem es leider an einer belastbaren Rechtsgrundlage fehlt) habe ich mich ein Stück weiter oben ja bereits geäußert. Niemand fordert für den Notfallsanitäter eine generelle Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde außerhalb von Notfall- und Akutsituationen. Wer kardiovertieren soll, müsste m.E. aber auch in der Lage sein (und rechtlich in die Lage versetzt werden) deutlich weniger "spektakuläre" Routinefäle abzuarbeiten. Irgendwann kommen wir in die irrwitzige Situation (in manchen deutschen RD-Bereichen sind wir da schon heute...) dass zwar eine akute Atemnot ohne Notarzt versorgt werden darf, für eine Ampulle Dimenhydrinat bei Übelkeit aber das NEF nachgefordert wird.

    Dann muss man ggf. die SOP ändern. Es kann generell nicht Aufgabe eines Heilhilfs- (oder Gesundheitsfach-) Berufs sein, eigene Therapieideen an die Stelle ärztlicher verordneter zu setzen.-

    Interessante Sichtweise...

    Mir ist immer noch nicht klar, wo sich aus dem Entwurf ein "Rückschritt" ergeben soll. Ich sehe nicht, welche Maßnahmen jetzt möglich wären, die der Entwurf dann nicht mehr möglich macht.

    Im Vergleich zur jetzigen, völlig desolaten Rechtslage ist es in der Tat kein Rückschritt. Im Hinblick auf den gelebten Alltag in vielen Rettungsdienstbereichen schon - denn es sollen Regularien zementiert werden, welche in der Praxis seit 20-40 Jahren völlig überholt sind.

    Die Ausübung der Heilkunde durch Notfallsanitäter außerhalb der engen Grenzen des rechtfertigenden Notstands (und der Delegation, im Einzelfall oder generell vorab, wobei dann ja gerade keine Heilkunde durch Notfallsanitäter ausgeübt wird) ist verboten und strafbar. Ich glaube nicht, dass sich Gesetzentwurf sich daran messen lassen sollte.

    Genau das ist das Problem. In vielen RD-Bereichen ist es völlig normales "Alltagsgeschäft", dass außerhalb der o.a. Grenzen heilkundliche Maßnahmen ausgeübt werden & ausgeübt werden müssen (!). Bedingt durch die unbefriedigende Rechtslage sowie durch meine Tätigkeit im Präsidium einer großen deutschen Hilfsorganisation war ich in den vergangen 4 Jahren nur noch sehr unregelmäßig selbst im RD tätig - nachdem ich in letzter Zeit aber wieder einen etwas tieferen Einblick gewinnen konnte, bin ich mehr als überrascht was teilweise inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Ich selbst hatte und habe ja schon wenig Berührungsängste im Hinblick auf die sog. "heilkundlichen Maßnahmen" - aber offensichtlich wurde auch ich von der Realität überholt. Was die teilweise noch jungen Kollegen täglich draußen leisten, nötigt mir jedenfalls ein erhebliches Maß an Respekt ab. Ob irgendwelche Maßnahmen nun "freigegeben" sind oder nicht, fragt sich (im Gegensatz zu mir) jedenfalls anscheinend fast niemand mehr. Wir können nun entweder einen ganzen Berufsstand kriminalisieren - oder eben dafür sorgen, dass die Kollegen Ihren Beruf ausüben dürfen. Ich als lediglich nebenberuflich tätiger, "ergänzungsgeprüfter" Notfallsanitäter bin jedenfalls mehr als beeindruckt von der fachlichen Kompetenz, der hervorragenden Ausbildung & der Entschlossenheit der neuen Kollegen. Und ich wünsche mir, dass diese sehr leidenschaftlichen, fachlich über jeden Zweifel erhabenen Menschen endlich Ihren Job (richtig) machen dürfen. Und dafür braucht es m.E. eine Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde in Notfall- und Akutsituationen - nicht mehr und nicht weniger. Es wird sicherlich juristisch herausfordernd, hier eine saubere Abgrenzung hinzubekommen. Umso mehr würde es mich freuen, wenn fachlich qualifizierte und interessierte Juristen - auch jene aus diesem Forum - genau daran mitarbeiten würden.

    Jan Waldorf - du schreibst, dass sich der rettungsdienstliche Alltag NICHT mit SOP bewältigen lässt (sinngemäss, sonst korrigiere mich bitte).


    Jetzt möchte ich, nach meinem Verständnis, die SOP als eine unverrückbare Anweisung definieren, im Gegensatz zu einem Algorithmus, der einen „roten Faden“ darstellt und situationsbedingte Abweichungen zulässt.

    Ich selber arbeite mit beiden Systemen, so haben wir eine SOP „Abbruch einer Reanimation ohne ärztliche Präsenz“. Diese habe ich zu befolgen. Ansonsten arbeite ich mit Algorithmen (in diesem Falle modifizierte SMEDREC) und diese ermöglichen mir eigentlich alle gängigen Situationen (legal) zu bewältigen, mit einem situativen Freiraum.


    Ich würde dir (wenn ich dich richtig verstanden habe) zustimmen, dass SOP (ähnlich wie in den USA) nicht die Lösung sind, aber vernünftig aufgestellte Algorithmen funktionieren zu 98%.

    OK, da habe ich unsauber argumentiert und nicht strikt zwischen SOP und Algorithmen differenziert. Nach einhelliger Meinung mehr oder minder aller mir bekannten Juristen darf eine SOP letztlich keinerlei eigene Ermessens- oder Entscheidungsspielräume eröffnen, so dass letztlich in der Tat eine absolute Verbindlichkeit gegeben ist. Allerdings: Viele der mir bekannten SOP lassen solche Spielräume (zu erkennen an Worten wie "oder" bzw. "erwäge"), so dass es sich letztlich eher um Algorithmen handelt. Was Algorithmen mit "situativem Freiraum" angeht sind wir vermutlich völlig einer Meinung - diese bieten Sicherheit & eine Entscheidungshilfe in zeitkritischen Situationen, gleichzeitig (in gewissen, aber meist durchaus akzeptablen Grenzen) aber auch eine Möglichkeit zu einem situationsadäquat angepassten Vorgehen bei Zustandsbildern welche vom beschriebenen Ausgangsszenario abweichen. Nur: Genau diesen Handlungspielraum möchte der deutsche Gesetzgeber dem NotSan allem Anschein nach nicht gewähren.

    Ebenso SAA Schmerz. Ich habe mehrere Präparate, ich darf frei wählen.

    Genau damit handelt es sich aber nicht mehr um eine SOP i.e.S. - und um genau diese Entscheidungsspielräume geht es letztlich.

    Was jetzt gefordert werden muss, und wo ich am meisten genervt von bin, ist dieses Denken auf der lokalen Arbeitsebene. Es gibt hier einige ÄLRD um uns herum, da dürfen die Kollegen so gut wie nix.

    Ein Problem, welches ich weiter oben ja bereits beschrieben hatte & die Kollegen in den Nachbarlandkreisen sind damit bundesweit betrachtet in bester Gesellschaft.

    Ich verstehe hier ehrlich gesagt nicht, wo einige das Problem sehen...

    Es soll doch bevorzugt nach SOPs gearbeitet werden, und diese zählen als Delegation und sind somit auch rechtssicher.

    Und genau das bestreite (nicht nur) ich. So formulierte z.B. der in Rettungsdienstkreisen nicht ganz unbekannte Jurist Thomas Hochstein in seinem Vortrag "Was darf der Notfallsanitäter?" zum Thema "eigenständige Durchführung im Rahmen der Mitwirkung": "Am ehesten handelt es sich wohl um eine Form der Vorab oder Generaldelegation. Eine solche kennen Rechtslehre und Rechtsprechung bisher aber nicht." Genau die Juristen, die nun versuchen, die Vorab- oder Generaldelegation als Mittel der Wahl zu verkaufen, sind jene, welche bis vor kurzem medienwirksam behauptet haben, dass genau dies innerhalb der deutschen Rechtsordnung kaum möglich sei. Weitere Zitate aus dem gleichen Vortrag:

    - "Die in § 4 Abs. 2 Nr. 2 c) NotSanG vom Gesetzgeber vorausgesetzte Vorabdelegation schafft rechtlich mehr Probleme als sie löst."

    - "Es gibt dazu nicht nur keine Rechtsprechung sondern auch keine gesicherte Lehrmeinung"

    - "Es ist fast unmöglich, sinnvolle SOPs zu schaffen, bei denen der NotSan keine Indikation stellen muss." (Mit "Indikationsstellung" ist hier letztlich die Ausübung von Heilkunde gemeint!)

    - "Die Bundesregierung wollte stattdessen die Delegationslösung auf die Notfallversorgung ausweiten. Diese Lösung stößt aber auf die geschilderten

    rechtlichen Schwierigkeiten in der praktischen Umsetzung."


    Dann noch ein paar Zitate aus dem durchaus aufschlussreichen Aufsatz "Tätigkeit als Notfallsanitäter im öffentlichen Rettungsdienst - Anwendung von Maßnahmen zur Lebensrettung und zur Abwehr schwerer gesundheitlicher Schäden, veröffentlicht in der "Notfall + Rettungsmedizin" im Jahr 2015, Co-Autor der meinerseits sehr geschätzte Michael Neupert:

    - "Lesen kann man in der Gesetzesbegründung allerdings auch, Notfallsanitäter sollten durch § 4 Abs. 2 Nr. 2 c) NotSanG auf eine Tätigkeit im Rahmen der Delegation ärztlicher Aufgaben vorbereitet werden. Die Delegation ärztlichen Handelns ist nach etablierter juristischer Sichtweise durch einen starken Bezug zum Einzelfall geprägt, bei welcher ein Arzt die Indikationsstellung und die daraus folgenden medizinischen Anordnungen sowie die Personalauswahl jedes Mal konkret verantwortet und lediglich die Durchführungsverantwortung auf paramedizinisches Fachpersonal übergeht. Diese etablierte Sichtweise greift auch der Text des NotSanG auf, indem er von einer Mitwirkung bei Standardmaßnahmen spricht, welche der ÄLRD „verantwortet“. Wie ein ÄLRD eine Verantwortung für konkrete Maßnahmen ohne Einzelfallprüfung tragen soll, ist dabei nicht ersichtlich; eine standardisierte Vorgabe wird schwerlich im Sinne eines „abstrahierten Entscheiders“ den delegierenden Arzt ersetzen können."

    - "Dass der Gesetzgeber etwa „en passant“ mit dem NotSanG von den bekannten Grundsätzen der Delegation ärztlichen Handelns abweichen und eine ganz neue Delegationsform begründen wollte, deutet er nicht einmal an"

    - "Sinnvollerweise kann man das Gesetz daher nur so verstehen, dass der Gesetzgeber die üblichen Regelungen der Delegation und damit einen dem NotSanG vorausliegenden rechtlichen Rahmen in Bezug nehmen wollte. Dies bedeutet im Ergebnis, die Kombination aus Gesetzesbegründung und Formulierung eines Ausbildungsziels sind als Vorbereitung des Rettungsfachpersonals auf andere Erlaubnistatbestände zu verstehen."


    ...rechtssicher?

    Und wie ich schrieb, man kann die SOP auch weiträumig verfassen und muss nicht unbedingt alles mit Werten fixieren.

    Das halte ich für schwierig. Denn dann handelt es sich wie o.a. streng genommen um Algorithmen, welche wiederum eigene Entscheidungsspielräume eröffnen. Und genau die sind ja offenbar nicht gewollt und nach herrschender Rechtslage vermutlich auch nicht zulässig.

    Ehrlicher Weise habe ich den Eindruck, dass viele beim Ruf nach einheitlichen Vorgaben einerseits eigentlich "Mindestanforderungen" meinen, andererseits nicht ganz klar ist, dass das dann eben auf ein Endergebnis nahe dem kleinsten gemeinsamen Nenner hinauslaufen dürfte.

    Genau das ist meines Erachtens Teil des Problems. Wenn man sich dann noch an den schwächsten Tieren in der Herde orientiert, wird das Ergebnis verheerend. In dieser Hinsicht sind wir auf einem guten Weg...

    Das wäre allerdings eine Sonderstellung unter allen Heilberufen, einschließlich des ärztlichen. Weshalb ausgerechnet Notfallsanitäter der einzige Beruf sein sollte, der über seine Ausbildung hinaus zur Heilkundeausübung berechtigt sein sollte, erschließt sich mir wirklich nicht.

    Das würde auch zu einer kompletten Zersplitterung führen, die in der Praxis niemand nachhalten und irgendwie tauglich prüfen könnte. Und ich verstehe auch nicht, was die praktische Konsequenz dieser Lösung sein sollte. An welche Weiterbildungen denkst Du denn, die über die Berufsausbildung hinaus einen Bedarf an Heilkundebefugnis erzeugen, welcher nicht durch den jetzt vorgelegten Entwurf abgedeckt wird?


    Oder geht es bei dem Wunsch eher um weisungsfreies Arbeiten, verstehst Du "Heilkunde" also als anderen Ausdruck für "frei von ärztlichen Vorgaben"?

    Im Vergleich zu vielen anderen Berufen halte ich eine entsprechende Sonderstellung vor dem Hintergrund von Ausbildung und Aufgabenspektrum durchaus für gerechtfertigt. Es gibt im Übrigen wenige Berufe, bei denen wirklich eine "Heilkundeausübung" i.e.S. erfolgt bzw. zwangsläufig ist, in diesem Fall werden ggf. sektorale Genehmigungen zur Ausübung der Heilkunde erteilt. Und dann gibt es es den Notfallsanitäter - der macht den ganzen Tag nichts anderes, erhält bisher aber eben keine entsprechende Erlaubnis. Ärzte sind im Hinblick auf die Berufsausübung mehr oder minder völlig frei (Sorgfaltspflichten und haftungsrechtliche Belange mal außen vor gelassen). "Vorgaben" machen die einschlägigen Fachgesellschaften in Form von Leitlinien - und ich habe überhaupt kein Problem damit (ganz im Gegenteil), wenn ein guter & engagierter ÄLRD auf entsprechender Basis SOP entwickelt. Aber solche SOP können dann eben nur die Richtschnur sein, nicht das Maß aller Dinge.

    Wenn das so wäre, müsste man sich sicherlich in den einzelnen Rettungsdienstbereichen anschauen, aus welchem Grund die Anwendung landesweiter SOP nicht gestattet ist. Zumindest die mir bekannten ÄLRD sind durchaus reflektierte Leute, die sich überlegen, was in ihrem jeweiligen Rettungsdienstbereich sinnvoll ist.

    Wo Licht ist, ist auch Schatten.

    Danke! Das ist nun aber nicht eben ein Beispiel für ein auf Gesetzesebene spielendes Problem... Nach meiner Erinnerung gab es dort eine relativ heftige Auseinandersetzung.

    Nicht nur eine. Ein Problem auf Gesetzesebene sehe ich hier sehr wohl - denn niemand zwingt den ÄLRD, sinnvolle SOP zu veröffentlichen. In diese Richtung zielt ja (grob) die aktuelle BMG-Initivative, nur geht sie halt leider an anderer Stelle deutlich am Ziel vorbei.

    So schlägt es der Entwurf ja aber nicht vor. Die Regelung betrifft Fälle, in denen es keinen gesonderten Vorbehalt gibt. Aber selbst wenn: Was spricht sachlich dagegen? Jeder Assistenz- und Stationsarzt fragt in schwierigen Lagen seinen Oberarzt, der Zimmermann den Bauleiter und der zweite Küchenchef den ersten. Bei mir stehen regelmäßig jüngere Kolleginnen und Kollegen im Büro, die nach vier Jahren Studium, zwei Jahren Referendariat, einer Promotion und ein bis drei Jahren Berufserfahrung lieber nachfragen.

    Wenn Du wüsstest, wie oft ich um ärztlichen Rat bitte - oder aus dem Einsatz heraus einen Arzt anrufe. Der Unterschied ist: Ich bin mir meiner Grenzen bewusst und suche Hilfe & Rat, wenn ich sie brauche. Genau wie der Assistenzarzt oder der Zimmermann. Aber eben nicht, weil ein Gesetzgeber mir von vorneherein völlige Inkompetenz unterstellt.

    Bislang dreht sich die gesamte Diskussion doch um eine rechtssichere Anwendung des in der Ausbildung erlernten Könnens und nicht um eine darüber hinausgehende Befugnis?

    Korrekt. Und da ein NotSan in seiner Ausbildung primär in der Ausübung von Heilkunde im medizinischen Not- und Akutfall ausgebildet wird, benötigt er diesbezüglich eine klare und unmissverständliche Erlaubnis - da wären wir beim Vorschlag des Bundesrates, der aber nur ein erster Schritt sein kann. Was wir ganz sicher nicht brauchen ist ein "wenn das Kochbuch versagt, das Telefon ausgefallen ist & nach einer umfassenden juristischen Einschätzung Handlungsbedarf besteht - versuch Dein Glück, wenn Du die entsprechende Maßnahme mal gelernt hast".

    "Eigenständig" ist für Dich, dass Dir niemand sagt, wie Du einen Patienten behandeln sollst?

    In letzter Konsequenz: Eher ja als nein. Das gilt aber nur für mich persönlich, ich kenne auch Kollegen die froh über klare Handlungsanweisungen sind bzw. der Überzeugung sind, dass mehr Verantwortung zunächst eine entsprechende Vergütung erfordert. Ich bin allerdings ebenso der Meinung, dass das Eine das Andere nicht ausschließen muss.

    Ich weiß nicht genau, wen Du meinst, aber falls Du mich ansprechen möchtest: Das tue ich seit Jahren. Im letzten Jahr mit einem ganz erheblichen Zeitaufwand nebenher, ehrenamtlich. Auswirkung auf die Diskussion: Null. Stattdessen ist - no pun intended - aus dem einen Lager stets zu hören, man könne nicht "richtig" arbeiten, und "ärztliche Skeptiker" wären das Problem. Das ist nun zum einen beides nicht wahr (und insbesondere hinsichtlich der Ärzte habe ich da einen ganz guten Einblick) und zum andere nicht sachlich. Also provokante Gegenfragen: Was ist denn Deine Erwartungshaltung, und an welcher Stelle genau siehst Du die durch die (teils seit Jahren bekannten) Vorschläge nicht erfüllt?

    Meine Erwartungshaltung ist recht simpel: Der Notfallsanitäter wird hinsichtlich der in Aus-, Fort- und Weiterbildung vermittelten Inhalte zur Ausübung der Heilkunde berechtigt (aktuelle Gesetzesentwürfe nehmen meist nur Bezug auf die "Ausbildung" - was bei wörtlicher Auslegung jede Weiterentwicklung verhindern würde). Der Gesetzentwurf des Bundesrates war da ein erster (!) Schritt in die richtige Richtung.

    Konkrete Rückfrage: An welchen SOP hast Du das gespiegelt? Mein Informationsstand ist, dass es in allen Bundesländern SOP gebe.

    Dein Informationsstand ist insoweit korrekt, als das in jedem Bundesland irgendwer irgendwelche SOP "veröffentlicht" hat. Teilweise ist die Zahl der SOP extrem überschaubar und deckt nur ein unwesentlich über die damalige "Notkompetenz" hinausgehendes Spektrum ab (z.B. Rheinland-Pfalz), anderenorts gibt es zwar auf dem Papier "landesweite" SOP, deren Anwendung in vielen Rettungsdienstbereichen aber nicht gestattet ist (NRW ist da das Paradebeispiel).

    Würdest Du mir das per PN schicken, bitte? Dann müssen wir die hier nicht nennen.

    Sie haben Post ;-)

    Wie verhält sich Deine Kritik dazu, dass ein "Absegnen" nur dann erforderlich ist, wenn Notfallsanitäter ohne vorliegende SOP handeln wollen, also im - aus Sicht des Gesetzgebers - Normalfall auf Grundlage einer SOP handeln dürfen?

    Ein entsprechendes Vorgehen lässt sich für mich nicht mit einer qualifizierten Ausbildung in Einklang bringen. Sicher kann man bestimmte Maßnahmen unter einen gesonderten "Erlaubnis- bzw. Freigabevorbehalt" stellen, aber ich glaube da hätten wir beide sehr unterschiedliche Anwendungsfälle im Hinterkopf. Im Übrigen bin und bleibe ich der Überzeugung, dass sich ein wesentlicher Teil des rettungsdienstlichen Alltags nicht mit SOP abbilden lässt.

    Worin liegt aus Deiner Sicht der Unterschied?

    Es hat doch seinen Grund, dass in den einschlägigen Gesetzesentwürfen immer nur der Begriff "heilkundliche Maßnahmen" und nicht das Wort "Heilkunde" auftaucht. Es geht bei dieser Haarspalterei letzten Endes darum, dass der NotSan nur einzelne / isolierte Maßnahmen durchführen soll, welche aufgrund Ihrer Komplexität und evtl. Invasivität mitunter dem Erlaubnisvorbehalt des HPG unterliegen. "Heilkunde" ist wie bereits in zahlreichen juristischen Fachbeiträgen auch aus Deiner Feder dargelegt ein deutlich "generalistischer" Begriff, welcher ein eigenständiges Würdigen von Sachverhalten & das Treffen eigener Entscheidungen umfasst. Die "Durchführung heilkundlicher Maßnahmen" ist für mich eine mehr oder minder beschönigende Umschreibung für jede Form der Delegation - denn wer in diesem Rahmen arbeitet, führt mitunter heilkundliche Maßnahmen durch, aber eben ohne selbst die Heilkunde auszuüben. Im stationären Bereich gibt es den Begriff der "Behandlungspflege" - hier werden im Rahmen konkreter Handlungsanweisungen heilkundliche Maßnahmen durchgeführt, aber es erfolgt keine eigenständige Ausübung der Heilkunde.


    Das macht er ja schon, und das ganz legal. Kann man in einer seit letztem Jahr öffentlich verfügbaren Stellungnahme mit ausführlicher Begründung lesen. Und damit schließt sich der Kreis dann wieder zum Einstieg: Wieviel juristisches Engagement soll es denn (noch) sein?

    Es gibt viele Stellungnahmen mit zum Teil sehr unterschiedlichen Einschätzungen. Genau das ist ja einer Gründe, warum vielerorts Rechtsunsicherheit beklagt wird. Aus meiner Sicht ist es seit vielen Jahren überfällig, den mitunter sehr krassen Widerspruch zwischen Realität und Gesetzeslage "einzuebnen". Wenn ich als Notfallsanitäter im Einsatz bin, treffe ich diagnostische und therapeutische Entscheidungen - anders ausgedrückt: Ich übe Heilkunde aus. Von morgens bis abends. Wenn ein ÄLRD mir dabei eine nutzbare SOP als Guideline (und mehr kann eine SOP niemals sein wenn man seinen Beruf und seine Aufgabe ernst nimmt!) zur Verfügung stellt, bin ich mehr als dankbar dafür. Die kann und darf aber niemals das eigene Denken oder gar das Treffen von Entscheidungen ersetzen, sondern nur eine Entscheidungshilfe sein.

    Das kann ich nicht nachvollziehen.

    Ich kann dieses Problem aus dem Entwurf auch nicht herleiten. Dafür sehe ich aber zwei andere Problemkreise:


    a) Fälle, in denen zwar keine unmittelbare Lebensbedrohung vorliegt und auch keine schwerwiegenden Folgeschäden drohen, gleichzeitig aber eine invasive Intervention bzw. Medikamentenapplikation vor Ort unzweifelhaft notwendig ist - schwere Übelkeit, Schmerzzustände NAS 5-6, Nierenkolik, hypertensive Entgleisungen, systemische allergische Reaktionen ohne akute Vitalgefährdung, Pseudokrupp etc.; ich halte es nicht nur für unwahrscheinlich sondern für völlig ausgeschlossen dass alle diese Fälle von SOP erfasst werden können und werden. Und genau diese "low-budget-Fälle" sind es welche ein Notfallsanitäter routiniert ohne NA abarbeiten sollte um die wertvolle Ressource Notarzt zu schonen.

    b) Fälle, in denen eine "ungeeignete" SOP vorliegt - laut Entwurf soll die Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde daran geknüpft sein, dass für das betr. Notfallbild keine SOP vorliegt oder eine eine entsprechende SOP nicht angewendet werden darf. Was aber, wenn eine SOP vorliegt, die inhaltlich nicht weiterhilft? Ich kenne da zwei große Rettungsdienstbereiche in unserer Region, in welchen genau das häufiger der Fall ist (nur ein Beispiel von vielen: In einer Analgesie-SOP wird über viele Jahre ein de facto unwirksames Präparat gelistet, anschließend wird über einen langen Zeitraum zusätzlich ein Präparat genannt, welches auf dem deutschen Markt weder zugelassen noch erhältlich - und wahrscheinlich in vielen Fällen auch nicht sonderlich geeignet - ist).


    Insgesamt betrachtet halte ich den Entwurf aus dem BMG gelinde gesagt für unangemessen und ungeeignet. Auch der hier und da zu hörende, durchaus etwas spöttische Kommentar "Wir sind auf dem Rückweg in die 80er" scheint nicht ganz unberechtigt - in meinen rettungsdienstlichen Anfangsjahren (Mitte der 90er) war es in der Tat nicht unüblich, sich invasive Maßnahmen telefonisch durch den Aufnahmearzt "absegnen" zu lassen. Weniger aufgrund eines Bedarfes an ärztlicher Expertise, sondern einfach um sinnbefreiten Diskussionen aus dem Weg zu gehen. Freunden der Telemedizin sei übrigens der Eintrag "Biophone" in der englischsprachigen Wikipedia ans Herz gelegt. Nach Lektüre dieses Beitrages ist klar, dass Herr Spahn uns vermutlich weniger in die 80er des vergangenen Jahrhunderts befördern würde...sondern eher in dessen 70er.


    Zusammenfassend: Der Entwurf des BMG bleibt MEILENWEIT hinter den Realitäten in vielen Rettungsdienstbereichen zurück. Die Ausübung der Heilkunde (und nicht nur "heilkundlicher Maßnahmen") durch Notfallsanitäter ist vielerorts Routine, und genau daran wird sich ein Gesetzesentwurf messen lassen müssen. Ich habe in 25 Jahren als RA/NotSan übrigens erst drei Ärzte getroffen, die damit ein grundsätzliches Problem haben. Einer ist seit langem verrentet, bei der zweiten Dame scheint das Problem überschaubar zu sein...und der Dritte verdingt sich (aufgrund besonderer Umstände) aktuell als ÄLRD. Ärgerlich, aber scheinbar setzt auch da langsam ein Umdenken ein.


    Was mich persönlich in entsprechenden Diskussionen immer wieder irritiert: Warum haben manche (auch durchaus sehr qualifizierte und engagierte) Juristen so ein großes Problem damit, sich für eine zielführende, den tatsächlichen Realitäten entsprechende und vor allem zukunftsfähige Lösung einzusetzen? Egal, wie lange das Kernproblem noch mit blumigen und seitenlangen Formulierungen in Gesetzestexten "umschwurbelt" wird: Früher oder später wird (nicht nur) der Notfallsanitäter ganz offiziell die Heilkunde ausüben - und das scheint sogar für die drei obig beschriebenen ärztlichen Skeptiker ausgemachte Sache zu sein...