Beiträge von Captain Joy

    Mein Auto hat einen Defekt. Das Licht vorne links funktioniert nicht, eine neue Glühbirne muss her. Aufgrund eines Zahlendrehers kommt aber nicht die gewünschte Glühbirne, sondern ein Keilriemen. Mit diesem Keilriemen kann ich nichts anfangen. Aus einem Keilriemen wird zeitlebens keine Glühbirne, auch nicht durch Reflexion oder Strafe. In diesem Sinne ist der Keilriemen ungeeignet, und die Ungeeignetheit ist zeitlich stabil - nach menschlichem Ermessen bis in alle Ewigkeit.



    Im vorliegenden Fall hat ein Kollege eine vorsätzliche Straftat begangen, und der Staat hat vielleicht tatenlos zugesehen, sich jedenfalls nach der Tat tatenlos gebärdet. Diese Straftat und die folgende Tatenlosigkeit sind nicht zu rechtfertigen, weder rechtlich noch moralisch noch sonstwie. Nach modernen, abendländischen Vorstellungen ist auf den ersten Blick kein Setting zu konstruieren, in dem man sagen müsste, dass die Tat in diesem Setting akzeptabel ist. Egal, in welchem Begriffssystem: Die Tat passt nicht zu unseren Vorstellungen von Zivilisation. Der Täter hat sich schuldig gemacht. Dafür ist er verantwortlich. Es gibt daran nichts zu deuten und nichts zu relativieren. Um diesen Zivilisations-Bruch zu würdigen, sind nach unseren derzeitig gängigen Vorstellungen sozialer Systeme bestimmte Schritte notwendig, zum einen arbeitsrechtlicher Art, zum anderen muss eine schuldangemessene strafrechtliche Sanktionierung gefunden werden. Der durch die Tat entstandene Schaden muss, soweit möglich, ersetzt werden. Für alle diese Schritte gibt es Standard-Prozesse, die rechtsstaatlich legitimiert sind. Eines haben diese Schritte in der Regel gemeinsam: Sie wirken an Individuen, nicht am System. Das Problem: In der modernen Theorie ist das Individuum ohne das System nicht zu verstehen. Der Keilriemen ist ohne das ganze Auto vollkommen unverständlich.



    Wir müssen zusehen, dass wir das System am Laufen halten. Perfekt wird es nie sein, da Menschen bekanntlich Fehler machen, aber wir können es kontinuierlich verbessern, resilient machen gegen menschliche Fehler. Dazu müssen wir aber so tief wie möglich verstehen, was wann warum passiert. Ein System, dessen Funktion ich nicht verstehe, kann ich nicht verbessern. Ich kann es höchstens verderben. Zu diesem Verständnis gehört zunächst, dass Individuen keine Maschinenteile sind. Der Stempel „ungeeignet“ signalisiert eine zeitliche Stabilität, die mindestens spekulativ ist. Eine solche Auffassung widerspricht dem modernen Humanismus und damit auch unserem humanistischen Strafrechtssystem mit seinem Gedanken der Re-Sozialisierung. Menschen ändern sich zuweilen. Ich habe in meiner langjährigen Tätigkeit oft den Stempel „ungeeignet“ verwendet und musste hin und wieder feststellen, dass ich nicht bis in alle Ewigkeit Recht hatte. Manche, die ich für ungeeignet hielt, haben irgendwann doch die Kurve gekriegt und sind sogar überdurchschnittlich gute und beliebte Kolleg*Innen geworden. Wenn man also schon das Prädikat „ungeeignet“ erteilt, sollte man als nicht allwissender Mensch immer ein „derzeit“ davorsetzen. Man sollte auch nicht vergessen, dass man als Individuum in einem System jederzeit selbst in eine Lage geraten kann, die andere dazu motiviert, einem den Stempel ungeeignet aufzudrücken. Ein sehr geschätzter Ausbilder, der mich vor vielen Jahren in meinem Anerkennungsjahr zum RettAss begleitet hat, sagte einmal, dass es in jedem Gehirn einen roten Knopf gibt. Und wenn ich den erwische, dann nehmen die Dinge unaufhaltsam ihren Lauf. Die Hirnforschung stimmt damit überein. Wir verfügen als Menschen des 21. Jahrhunderts noch immer über die evolutiven Überbleibsel Amygdala, limbisches System und Fight or flight-Reaktion. Wenn der Faustkeil in mir durchkommt, versagt die Zivilisation. Moral und Recht sind dann außen vor. Das Großhirn des Homo sapiens sapiens ist dann eine Weile nur Zuschauer. Das schlechte Gewissen kommt hinterher – zu spät. Deshalb ist eine wichtige Frage: Was tue ich nach der Tat? Und was tun wir nach der Tat? Wäre es nicht fahrlässig, nicht zu erforschen, wie wir künftig die Auftrittswahrscheinlichkeit des Faustkeils reduzieren können?



    Das eine schließt das andere auch gar nicht aus. Etwas zu verstehen oder verstehen zu wollen ist etwas ganz anderes, als Verständnis dafür zu haben oder gar einverstanden zu sein. Menschen sind für ihr Verhalten verantwortlich, und doch sind sie beeinflussbar. Wie muss man die Gesellschaft gestalten, um dem Individuum ein Umfeld zu schaffen, in dem es sozial akzeptables Verhalten entwickeln kann? Und unter diesem Blickwinkel müssen wir uns mit Fragen beschäftigen, die im Verlauf des Threads schon aufgetaucht sind. Wie können wir den Arbeitsplatz Rettungsdienst und die rettungsdienstlichen Ausbildungen so gestalten, dass die Auftrittswahrscheinlichkeit von Gewalt gegenüber Patienten (oder anderer Fehler) minimiert wird? In dieser Hinsicht steckt der deutsche Rettungsdienst noch in den Kinderschuhen. Deshalb ist dieser Fall auch ein CIRS-Fall, wie ich finde, obwohl blame and shame hier natürlich durchaus angebracht sind. Die Human Factor-Forschung sieht blame and shame für bestimmte Fehlerkategorien ja durchaus vor. Aber wir dürfen dabei nicht stehen bleiben.

    Ich finde den Ambu-Man am besten. Das sind robuste Dinger in praktischen Taschen. Wenn man die zusammen mit einem AED-Trainer benutzt, sollte man Magnet-Patches beschaffen. Die üblichen Klebe-Patches halten erstens nicht sehr lange, und zweitens sehen die Puppen innerhalb endlicher Zeit nicht mehr ansehnlich aus, es sei denn, man reinigt sie regelmäßig und aufwändig mit Waschbenzin oder so. Was eine ziemliche Arbeit ist. Kleiner Tipp: Für die AED-Trainer werden in der Regel IR-Fernbedienungen geliefert. Dafür sollte man großzügig Ersatzbatterien bereithalten.

    Ich weiss aber auch nicht, was gegen eine SOP „Nausea/Emesis“ sprechen sollte

    Die inhomogene Strutur des bundesdeutschen Rettungsdienstes. Im rückständigen Baden-Württemberg kennt man keine SOPs. Das würde bedeuten, dass Menschen, die jenseits der Brücke wohnen, besser versorgt werden als diesseits. Ich fände es vorzugswert, das ganze ebenfalls über eine Ausnahmeregelung vom Heilpraktikergesetz zu regeln. Oder aber eine Selbstverpflichtung der Bundesländer herbeizuführen, die diese dazu zwingt, solche SOPs zu erarbeiten (oder abzuschreiben) und in Kraft zu setzen.

    Die Patientin mit der unkomplizierten Unterarmfraktur die schon unter normalen Autofahrten Dank ausgeprägter Reisekrankheit spuckt darf ich dann also weiterhin rückwärts liegend durch den Schwarzwald karren, egal wie sehr sie spuckt, oder?

    Eine Alternative wäre, mit der Patienin unterwegs an einer Apotheke zu halten. Denn ich als Notfallsanitäter darf zwar einem engmaschig überwachten Patienten in meinem RTW nach Aufklärung und Abklärung der Kontraindikationen kein Vomex verabreichen. Die Patientin darf es sich in der Apotheke aber rezeptfrei kaufen und selbst einnehmen.

    Das korrekte Vorgehen wäre, den Patienten an die richtige Stelle zu verweisen. Rohrbruch -> Klempner, Hypertonie -> Hausarzt oder ÄBRD.

    Das finde ich vollkommen richtig. Es scheitert in der Praxis indes oft. Zum einen sind da Patient*Innen, die darauf bestehen, dass man sie irgendwo hinfährt und Zeter und Mordio schreien, wenn man das in Frage stellt, und Beschwerden und Anzeigen androhen. Zum anderen verweigern hin und wieder die richtigen Stellen die Mitarbeit. Und dann ist man halt doch irgendwie in der Pflicht.

    Tja, vielleicht müsste man auch mal über die für die FoBi's aufgerufenen Preise diskutieren..... Nur mal so ein Gedanke.

    Ich glaube tatsächlich, dass diese Preise im Wesentlichen angemessen sind - bei einem Verhältnis von 4:1 (Tn:Trainer). Die jeweiligen Anbieter sind ja Unternehmen, die Geld verdienen wollen, und das gleiche gilt für's Personal. Diese Kosten müssen getragen werden.

    Und es muss ja auch nicht der Buchstabenkurs sein, es könnte auch das Abo der Fachzeitschrift sein.

    In meinem Leben vergeht kein Tag, an dem ich nicht etwas über Notfallmedizin lese, darunter zwei Fachzeitschriften, aber auch jede Menge Open-Access-Quellen wie Nerdfallmedizin, ToxDocs und so weiter. Nicht zu unterschätzen die Forenbeiträge hier. Dazu wünsche ich mir aber Skilltraining, zum Beispiel durch zwei Wochen Anasethesie-Praktikum pro Jahr. Das ist natürlich durch Lesen nicht zu ersetzen. Dazu kann ich mir gut vorstellen, einen regelmäßigen Sim-Teil mit verschiedenen Fallsimulationen zu machen, gerne auch in Buchstaben-Kursen mit einer adäquaten TN-Trainer-Ratio, dazu wahlweise hochwertige Theorie-Vorträge (Geburt, EKG etc.) mit echten Experten.


    Das kostet aber echt Geld und Zeit, und da würde ich mir wünschen, dass man das einfach in die Hand nimmt.

    und man wird von einem NotSan erwartet dürfen, dass er da auch etwas privates Engagement (zeitlich und finanziell) zeigt.

    Kannst Du diese Erwartung begründen? Ich sehe das nämlich nicht so. Mein Beruf nützt ja nicht mir persönlich, sondern der Allgemeinheit. Und wenn ich von (m)einem NotSan-Gehalt Miete, Kindesunterhalt und PKW-Rate abziehe, bleibt da nicht so viel übrig, als dass ich beispielsweise Buchstabenkurse aus der Portokasse finanzieren könnte. Wenn die Gesellschaft fitte Retter haben will, muss die Gesellschaft auch fitte Retter finanzieren.

    So wie ich den Entwurf lese, ist damit künftig folgendes Prozedere möglich: Ich injiziere nachts um 03:00 einem Patienten im hypertensiven Notfall Urapidil ohne einen Notarzt zu rufen, der dafür anrücken muss, damit ich ihm im Perfekt erzählen kann, was ich gerade gemacht habe, um danach Papierkram zu erledigen und wieder einzurücken. Stattdessen befördere ich den Patienten im Anschluss in eine Klinik und ersetze dadurch den jetzt durchschlafenden Notarzt durch den ohnehin wachen Aufnahmearzt. Der Notarzt bleibt frei für einen Patienten, bei dem er einen Unterschied macht. Für mich wäre es ein deutlicher Fortschritt.