Warum diskutieren wir uns eigentlich immer noch an dieser "Arzt vs. Nicht-Arzt" Geschichte bzw. dieser Akademisierungsthematik kaputt, obwohl diese den geringsten Einfluss auf die Lösung der Probleme hat?
Für mich gibt es nur drei wirklich Bereiche in diesem Papier, welche langfristig zu einer wirklichen Systementlastung führen werden:
- Beendigung von Fehlanreizen (am Ende geht es den Unternehmen, Organisationen, etc. nur um Geld und nicht um das Wohl der Menschen)
- Möglichst nahtlose Integration der Sektoren hausärztliche Versorgung, ausserklinische Akut- und Notfallmedizin, sowie innerklinische Akut- und Notfallmedizin
- Fokus auf die Steigerung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung (enge Kooperation mit dem Bildungsministerium // zeitnahe Umsetzung)
Alle Dinge wie Gemeindenotfallsanitäter, Community Nurse, Telenotarzt, etc. sind nur dazu da das Schiff vor dem Untergang zu bewahren.
KEINE dieser Massnahmen ändert etwas an der Grundproblematik: Zu viele Patienten für zu wenig Kapazitäten im Gesundheitswesen.
Die zuletzt genannte Problematik wird sich in den nächsten 12 Jahren weiter massiv verstärken.
1.8 Millionen Stellen werden im Jahr 2035 im deutschen Gesundheitswesen offen sein.
Bis 2035 werden mehr als 11.000 Hausarztpraxen unbesetzt bleiben.
Für 12,5 Millionen Menschen in Deutschland wird dann eine hausärztliche Grundversorgung nicht mehr gewährleistet sein.
Jede und Jeder hier im Forum kann sich ausmalen, was das in Sachen Arbeitsverdichtung und -belastung für den Rettungsdienst und die Notaufnahmen bedeuten wird.
Die Wenigsten werden sich das freiwillig (weiter) antun. Denn die Menschen sind nicht dumm und sehen welche Entwicklungen sich anbahnen.
Wer glaubt, dass man bei diesen zu erwartenden Rahmenbedingungen durch neue Studiengänge zum Verbleib in der bzw. neue Menschen für die Branche gewinnen kann, irrt.
Die Prioritäten sind wirklich andere, auch wenn ich die Weiterentwicklung unserer Berufsgruppe als absolut wichtig empfinde.
Wer sich ansehen möchte, in welche Richtung unser Gesundheitssystem gerade steuert, sollte einen Blick nach UK werfen.
Dort sieht man, was passiert, wenn man zwar ein weltweit führendes Ausbildungsframework für "Paramedics" hat, aber die Leute in Scharen das sinkende Schiff verlassen, weil die Last für die Schultern der Mitarbeitenden zu schwer geworden ist. Klar kann man sagen, dass das System dort unterfinanziert ist. Das ändert nichts an der Tatsache, dass die Bevölkerung schneller überaltert als bei uns, die nachgeordneten Versorgungsmöglichkeiten (Spitex, Pflegeheime, etc.) bei weitem nicht in dem Masse vorhanden sind, wie man sie benötigen würde (passiert gerade in DE und auch in CH, dort v.a. in der Westschweiz), Hausärzte sind Mangelware und damit bleibt am Ende nur noch die 111 (äquivalent zur 116 117 - und auch in UK geht immer mehr an den RD), der Rettungsdienst mit Paramedic Practitioner, ACP, oder wie sie alle heissen und dann eben das A & E Department. Man hat damit kein Bisschen von der Grundproblematik gelöst.
Mit der Einführung von prescribing HCP (z.B. Paramedics die Medikamente verschreiben/herausgeben dürfen) hat man am Ende nichts anderes als eine Verantwortungsdiffusion betrieben, weil man irgendeine Grundversorgung für die Bevölkerung aufrecht erhalten muss. Hier geht es aber nicht primär um die Menschen, sondern ausschliesslich um das politische Überleben. Denn auch Politiker sind nicht dumm, haben die bisherige Entwicklung in Kauf genommen und brauchen jetzt eine Überlebensstrategie.
Wenn man hier im Forum durch die Beiträge der letzten 10 Jahre scrollt und sich betrachtet in welcher Breite und Tiefe wir hier Lösungsansätze (oftmals auch hitzig) diskutiert haben, könnte das jetzt vorliegende Papier auch von uns verfasst worden sein, nur eben deutlich früher. Dafür möchte ich einfach mal Danke sagen. Es zeigt, dass wir sehr helle Köpfe hier haben, die eigentlich in ganz anderen Positionen sitzen sollten.
Mein Fazit zu dieser "Neunten Stellungnahme und Empfehlung der Regierungskommission" ist dieses:
Wir werden keine Verbesserung der Problematik erzielen, ohne die grundlegende Gesundheitskompetenz unserer Gesellschaft signifikant zu verbessern.
Darauf MUSS der Fokus liegen.
Alles andere sind am Ende nur überbrückende Massnahmen, damit der Kahn nicht zu früh absäuft.