Pyramidenprozess soll weiterentwickelt werden - Kommen jetzt bundeseinheitliche SOP?

  • Sobald der Arzt nicht daneben steht ist er Unerreichbar und die Rechtfertigung gegeben.


    Ja - wenn die Maßnahme unverzüglich erfolgen muss, um den Tod oder schwere Gesundheitsschäden abzuwehren.


    Nein, wenn die Maßnahme nicht der Lebensrettung oder der Verhinderung schwerer Gesundheitsschäden dient, sondern nur "nice to have" ist, oder wenn ohne Gefahr für den Patienten bis zum Eintreffen des Arztes abgewartet werden kann.


    Das ist - wie sooft im Leben - eine Abwägungsfrage.


    Nach internationalen wissenschaftlichen Studien und Standards ist es mir nicht ersichtlich wo gerechtfertigt wird auch nur eine Minute die Behandlung zu verzögern wenn ich die Maßnahme beherrsche und ebenfalls die möglichen Komplikationen.


    Das Gesetz rechtfertigt nicht nur, es verpflichtet im Grundsatz dazu, die Behandlung nicht nur zu verzögern, sondenr zu unterlassen, wenn es sich dabei um eine heilkundliche Maßnahme, d.h. eine Maßnahme zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen handelt, die von einigem Gewicht ist, also ärztliche Fachkenntnisse voraussetzt und bei falscher Handhabung und bei deren Durchführung bei generalisierender und typisierender Betrachtung gesundheitliche Schäden drohen können.


    Das ist die Grundregel. Auch im Rettungsdienst.


    Diese Grundregel darf man missachten, wenn man nur so - durch die Verletzung dieser Regel - Schlimmeres verhüten kann, insbesondere, wenn man nur so erhebliche Gesundheitsschäden bei einem Patienten abwehren kann. Das setzt, um der gesetzlichen Regelung trotzdem die größtmögliche Geltung zu verschaffen, zusätzlich voraus, dass die Maßnahme (jetzt) dringend geboten ist, dass man sie beherrscht (dazu dient die Aufnahme dieser Maßnahmen in den Ausbildungszielkatalog im NotSanG) und dass ein Arzt unerreichbar ist. Ich würde als weitere Voraussetzungen hinzufügen, dass der Patient baldmöglichst in ärztliche Behandlung verbracht wird, sei es durch Eintreffen eines Arztes, sei es durch Verbringen zu einem Arzt.


    Aus erworbener Sach- und Fachkunde entsteht auch die Verpflichtung nach stand von Wissenschaft und Technik zu handeln sonst greift §13 StGB.


    Eine wichtige Einschätzung: § 13 StGB verpflichtet nur zum rechtmäßigen Handeln. Aus einer Garantenstellung lässt sich keine Verpflichtung zum Verstoß gegen gesetzliche Verbote ableisten.


    Und noch ist mir kein Urteil bekannt wo Gerichte anders entschieden hätten.


    Dass eine Frage gerichtlich noch nicht entschieden ist, ändert ja nun nichts an der Rechtslage. :)

  • nein eben nicht, ich berufe mich darauf das ich die Sach- und Fachkunde beherrsche(das muss ich natürlich nachweisen können!) und auf internationale Studien und Standards sowie die vom Patienten wortwörtlich oder mutmaßliche Einwilligung nach §228 StBG und stehe dann als Beschützergrant nach §13 StBG ein. Daraus leitet ich den Willen des Patienten ab.


    Du vermengst da mehrere Dinge.


    Die Durchführung invasiver heilkundlicher Maßnahmen durch nichtärztliches Rettungsfachpersonal verwirklicht zwei strafrechtliche Tatbestände:


    1. Zum einen ist nach der langjährigen, ständigen und gefestigten Rechtsprechung jeder ärztliche Heileingriff, der mit einer Verletzung der körperlichen Unversehrtheit oder mit der Zuführung körperfremder Stoffe verbunden ist, eine Körperverletzung, die nur deshalb nicht bestraft wird, wenn und weil sie gerechtfertigt ist. Gerechtfertigt wird die Körperverletzung durch die Einwilligung des Patienten (nicht durch Notstandserwägungen). Die Einwilligung des Patienten setzt zu ihrer Wirksamkeit dessen Einwilligungsfähigkeit voraus, eine ausreichende Risikoaufklärung (die im Rettungsdienst typischerweise bei oder nahe Null liegen wird und das auch darf), seine darauf erfolgende Einwilligung und die Durchführung des Eingriffs nach den Regeln der ärztlichen Kunst bzw. dem Stand der medizinischen Wissenschaft, typischerweise auf dem Standard eines Facharztes des jeweiligen Fachgebiets. Dasselbe gilt auch dann, wenn nicht der Arzt, sondern der NotSan/RettAss/RettSan tätig wird.


    Hier ist es richtig, dass Du den Willen des Patienten erkennen musst, seine Einwilligung brauchst - ggf. konkludent oder mutmaßlich - und dass Du die Maßnahmen auf dem Stand der aktuellen Studienlage beherrschen musst. Das ist aber nur die halbe Miete.


    2. Zum anderen - und das gilt nicht für Ärzte, sondern nur für Rettungsfachpersonal - verbietet das Gesetz dem Nichtarzt ohne Heilpraktikererlaubnis die Ausübung der Heilkunde. Die Ausübung der Heilkunde ist jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen, wenn sie ärztliche Fachkenntnisse voraussetzt und bei generalisierender und typisierender Betrachtung gesundheitliche Schäden drohen. Das wird für viele invasive Maßnahmen im RD gelten. Dieses Verbot gilt völlig unabhängig vom Willen des Patienten. Auch der Nicht-Arzt und Nicht-Heilpraktiker, der mit vollem Einverständnis seine Patienten behandelt, macht sich strafbar.


    a) Eine Einschränkung für Maßnahmen der berufsmäßigen Erstversorgung oder für den Notfall gibt es nicht; ebenso wenig hat das RettAssG oder das NotSanG durch die Bestimmung des Ausbildungsziels (!) zugleich eine Berechtigung zur Ausführung von Maßnahmen verliehen. Das war bereits vor dem NotSanG im wesentlichen der Stand der juristischen Diskussion, unbeschadet abweichender Einzelmeinungen oder erstinstanzlicher Urteile in der Arbeitsgerichtsbarkeit und lässt sich auch gut begründen.


    aa) Es gibt nämlich - erstens - keinen Grund, weshalb der Arztvorbehalt in der Notfallrettung nicht gelten sollte; wenn ein wirklicher Notfall vorliegt, genügen die Grundsätze des rechtfertigenden Notstandes, liegt kein Notfall vor, gibt es keinen Grund, die Anforderungen an die Durchführung heilkundlicher Maßnahmen zu senken.


    bb) Und - zweitens - kann man aus der Entscheidung des Gesetzgebers, den RettAss und NotSan zu verpflichten, bestimmte Maßnahmen zu erlernen und zu beherrschen, wenn er den Beruf ausüben möchte, gerade nicht schließen, dass er diese Maßnahmen deshalb auch alleine durchführen dürfen muss. Man kann nämlich genauso gut vertreten, dass er die Maßnahmen erlernen muss, damit er sie im Notfall unter den Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands durchführen kann (und damit er diese Voraussetzungen erkennen kann). Aus dem Ausbildungsziel eine Ausübungsberechtigung zu machen, geht fehl. (Jeder Volljurist, ob er Rechtsanwalt, Staatsanwalt, Verwaltungsjurist ist, muss die "Befähigung zum Richteramt" nachweisen, und die Ausbildung war auch bis kürzlich im wesentlichen auf die Tätigkeit als Richter zugeschnitten. Daraus ergibt sich jetzt aber nicht, dass jeder Jurist als Richter tätig werden darf, auch wenn er das gelernt hat. ;))


    cc) Schließlich - drittens - gibt es auch keinen Konflikt zwischen der allgemeinen Hilfeleistungspflicht aus § 323c StGB bzw. der besonderen Hilfeleistungspflicht eines Garanten aus § 13 StGB in Verbindung mit der jweiligen Strafnorm. Der Bürger ist nämlich ebenso wenig wie der Garant verpflichtet, rechtswidrige Handlungen vorzunehmen. Allgemeine Hilfspflicht und Garantenstellung verpflichten ihn nur zur Hilfeleistung im Rahmen der Gesetze. Sie fordern daher einen ärztlichen Heileingriff bzw. heilkundliche Maßnahmen auch nur dann, wenn deren Voraussetzungen vorliegen, sie also durch Notstand gerechtfertigt sind. Einen Konflikt, den man auflösen müsste, gibt es dort nicht. Man sollte bei dieser Argumentationsschiene im übrigen auch nicht vergessen, dass nicht nur Rettungsdienstpersonal im Dienst eine Garantenstellung hat, sondern auch Eltern für ihre Kinder, Babysitter für ihre Schützlinge, Erzieherinnen für ihre Gruppe ... Sollen alle die jetzt, wenn sie sich medizinisch fortgebildet haben, ärztliche Maßnahmen vornehmen müssen? Auch ohne Vorliegen einer Notstandslage? ;)


    b) Unabhängig davon hat der Gesetzgeber sich beim Erlass des NotSanG ausdrücklich dagegen entschieden, heilkundliche Maßnahmen im RD zu erlauben. Ein entsprechender Änderungsantrag wurde abgelehnt. Er stellt im übrigen in der Begründung des NotSanG ausdrücklich seine Auffassung dar, dass der NotSan invasive heilkundliche Maßnahmen nur im Rahmen des Notstands durchführen darf, dass er sie aber für diesen Fall erlernen muss und auch erlernen muss, die Voraussetzungen des Notstands zu beurteilen, und dass diese Regelungen des NotSanG eine Auslegungshilfe für die Beurteilung der im Notstand zulässigen Maßnahmen darstellen sollen. Wer das nicht glaubt, mag es nachlesen. Spätestens jetzt kann man die vorher diskutierten Auffassungen - auch für den RettAss - nicht mehr vertreten.


    Ob ich mich da selbst widerspreche, ich sehe das halt nicht als gegeben an das §34 StGB überhaupt Anwendung findet da dieser sich doch eher auf Situation begründet das eben nicht ausreichende Sach- und Fachkunde gegeben ist (nehmen mal das Tür eintreten mal raus :) )


    Nein, gerade nicht. Völlig unabhängig von Deiner Sach- und Fachkunde verbietet Dir das Gesetz die Ausübung der Heilkunde. Auch im Notfall. Gerechtfertigt ist dieser Gesetzesverstoß daher nur unter den Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands.


    Für die Gewährleistung, dass der Patient im Notfall dringliche gebotene Maßnahmen erhält, genügt das auch. Für die standespolitisch und auch organisatorisch wünschenswerte Lage, dass bspw. Standardmaßnahmen wie ein Zugang oder andere Maßnahmen im Rahmen von SOPs auch ohne Arzt erfolgen können, genügt das allerdings nicht. Das ist eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers gewesen, mit der wir leben müssen.


    Grüße,
    -thh

  • Es wird wohl nie eine in Stein gemeisselte juristische Sicherheit für das Rettungsfachpersonal geben. Wo rauf ich hinaus will ist das in gebotenen Situationen die erlangte Sach- und Fachkunde( :smile_1: ) auch angewandt wird ohne durch "ich trau mich nicht, und nehme Folgeschäden in kauf" weil ja die Rechtssicherheit fehlt (das sehe ich halt anders) oder noch schlimmer weil man ja ach so wenig verdient. Das ein Jurist das alles sicher anders argumentiert als ich es kann ist natürlich klar und hast du aufgezeigt aber zeit gleich doch auch das man in geboten Situationen eben doch eine gewisse Rechtssicherheit hat.

  • Es wird wohl nie eine in Stein gemeisselte juristische Sicherheit für das Rettungsfachpersonal geben.


    Gestern noch wieder bei der 30 Stunden-Sani-Fortbildung beim Mittagessen gehört: "Wir brauchen eine Kompetenzerweiterung und- sicherung, damit wir aus der Grauzone rauskommen.". Nachgeplappertes Totschlagargument ohne sinnvoll zu füllenden Inhalt. Glücklicherweise waren diese Heißkisten mit einer Person in der Minderheit.

  • Der tut mir halt leid, aber anscheinend hat er sich such nicht einmal wirklich mit dem Thema auseinander gesetzt, du sagst es ja... nachgeplappert.

  • Dem ist schon in den Neunziger Jahren einer abgegangen, als er hörte, daß sie für den grenzüberschreitenden Rettungsdienst in den NL Fentanyl spritzen dürfen. Bei aller Unkerei muß man fairerweise auch sagen, daß er sich auch damals schon mit dem 12-Kanal-EKG beschäftigt hat, als es die noch gar nicht auf den Rettungsmitteln gab und dafür von seinen Kollegen schief angeschaut wurde.

  • Sind wir uns einig dass die Heilkundegesetzgebung in ihrer aktuellen ("aktuell" eine niedergeschriebene Auffassung aus den 50ern) Fassung das Problem bzw der Dreh- und Angelpunkt vieler Argumente ist?


    Nur mal kurz was so in den 50ern so aktuell war: Spiegelrettung, Götter in weiss und so einigrs anderes!


    Polemik aus!

  • Hier ist es richtig, dass Du den Willen des Patienten erkennen musst, seine Einwilligung brauchst - ggf. konkludent oder mutmaßlich - und dass Du die Maßnahmen auf dem Stand der aktuellen Studienlage beherrschen musst. Das ist aber nur die halbe Miete.


    Praktisch betrachtet würde ich darin eher "90% der Miete" sehen.


    Die Diskussion um den Arztvorbehalt dürfte weitestgehend nicht praxisrelevant sein, wenngleich sie juristisch hochspannend ist und daher die Rechtslage m. E. auch nicht "klar und eindeutig" ist.

  • Praktisch betrachtet würde ich darin eher "90% der Miete" sehen.


    Die Diskussion um den Arztvorbehalt dürfte weitestgehend nicht praxisrelevant sein, wenngleich sie juristisch hochspannend ist und daher die Rechtslage m. E. auch nicht "klar und eindeutig" ist.


    Das scheint die Vergangenheit zu lehren, in der es aber auch nicht um Maßnahmen ging, die wirklich weit von Notstandslagen entfernt waren. Deshalb ist das juristisch sehr unspektakulär. Mit einer Übertragung dieser Argumentation auf ausgedehntere Maßnahmen durch Rettungsfachpersonal sollte man vorsichtig sein. Das entspringt allerdings auch der Haltung, dass eine zukunftsgerichtete juristische Beratung auf Risikoverringerung ausgerichtet sein sollte und nicht auf "et hätt noch immer jotjejange".

  • Darf ich am Rande noch anfügen das das Heilpraktikergesetz von 1939 ist da ist von Preußen und Reichsministern die Rede. Sicher kommt so was auch in andern Gesetzen vor die "übernommen" wurden. Aber ich denke schon das die Gerichte durchaus feststellen könnten das der aktuelle Stand der Wissenschaft als vorausgenommenes Gutachten (AHA, ERC etc.) höher wiegen. Es geht ja auch nicht darum mit dem RTW durch die Republik, äh Pardon durch´s Reich, umherzuziehen um Erkältungen zu heilen oder Tinkturen zu verkaufen.

  • Es geht ja auch nicht darum mit dem RTW durch die Republik, äh Pardon durch´s Reich, umherzuziehen um Erkältungen zu heilen oder Tinkturen zu verkaufen.


    Najaaa... manchmal hat man halt so das Gefühl...... :blush: