HLW wird Unterrichtsfach

  • Aus der aktuellen AINS


  • Ich grabe diesen alten Thread an dieser Stelle wieder aus, um einen kleinen Zwischenbericht aus der Schulpraxis zu geben:


    An meiner Schule, einem mittelgroßen Gymnasium in Südhessen, wurde in der vergangenen Woche mit allen Neuntklässlern ein Reanimationstraining durchgeführt. Dies erfolgte auf Initiative der Mutter einer Schülerin, die Notfallmedizinerin ist und im Rahmen des Projektes "Ein Leben Retten" (Initiative von Berufsverband Deutscher Anästhesisten e.V., Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e.V. und Stiftung Deutsche Anästhesiologie; unterstützt vom Bundesgesundheitsministerium) für die Ausbildung von Schülerinnen und Schülern anhand eines eigens dafür entwickelten Curriculums fortgebildet wurde. Unsere Schule hat dieses Angbot aufgegriffen und auf unsere Bedürfnisse/Voraussetzungen angepasst. Beispielsweise wurde die Ausbildungsdauer pro Lerngruppe von 2 UE auf 3 UE erhöht.
    Da die Schulung im Klassenverband und somit in Gruppen von jeweils ca. 25 Schülerinnen und Schülern stattfand, wählten wir die Form des Team-Teachings, wobei die o.g. Notärztin den Unterricht gemeinsam mit mir als Lehrer der Schule und Lehrrettungsassitenten durchführte, was gerade bei den ausführlichen Praxisanteilen von Vorteil war.


    Ein paar Informationen zu unseren Rahmenbedingungen:


    Zielgruppe:
    Ausgebildet wurde der komplette Jahrgang 9, bestehend aus vier Klassen mit insgesamt etwa 100 Schülerinnen und Schülern.


    Zeitansatz:
    Wir haben pro Gruppe drei Unterrichtsstunden á 45 Minuten angesetzt, waren mit dem einen Jahrgang also zwei komplette Vormittage beschäftigt.


    Räumliche und materielle Voraussetzungen:
    Uns stand ein Klassenraum mit Smartboard zur Verfügung, über welches sowohl Präsentationen als auch Video- und Audioeinspielungen möglich sind und welches auch "klassisch" als Tafel verwendet werden kann.
    Sämtliche benötigten Unterrichtsmaterialien (incl. AED-Trainingsgerät, 3 Reanimatins-Torsos, "Yoga-Matten", Checklisten, Quiz und Teilnahmeurkunden) wurden von der Notfallmedizinerin mitgebracht.
    Für Videoeinspieler und Audioclips ("Staying alive", "Highway to hell", etc., 100 bpm halt) wurde auf das Internet zugegriffen (via Smartboard).


    Personelle Durchführung:
    - eine Notfallmedizinerin
    - ein Lehrer/LehrRettAss/Ausbilder RD
    - vier Schülergruppen mit je ca. 25 TN


    Inhaltlicher Ansatz:


    Theorie:
    Das Programm konzentriert sich ausschließlich auf die Reanimation. Die didaktische Reduktion bezieht sich auf das Prinzip "Prüfen-Rufen-Drücken".
    Der Einstieg besteht aus einer kurzen Abfrage von persönlichen Erfahrungen der TN und deren Motivation sowie aus ein bisschen Statistik (Inzidenz von beobachteten Kreislaufstillständen, Überlebensraten, Zahlen zur Ersthelfer-Reanimation und Vergleich mit anderen europäischen Staaten.
    Es folgt ein kurzer Theorieteil zum Erkennen einen Kreislaufstillstandes (Feststellen der Bewusstlosigkeit, Überprüfen der Atmung bzw. Suchen nach "Kreislaufzeichen" [kein Pulstasten], Abgrenzung zur Bewusstlsoiglkeit mit Atmung --> Seitenlage).
    Außerdem ist der Notruf ein Thema, Hinweis auf europäischen Notrufnummer 112, Wichtigkeit der genauen Ortsangabe, Leitstelle leitet und beendet das Gespräch (keine Auflistung von W-Fragen).
    Es folgt eine praktische Demonstration des Ablaufs Auffinden einer Person, Feststellen des Kreislaufstillstands, Beginn der Reanimation. Beatmung wird gezeigt, aber später nicht geübt. Begründung wird gegeben und bei Bedarf diskutiert.


    Übergang zum praktischen Teil:
    Die Teilnehmer werden in drei Gruppen (jeweils etwa 8 TN) aufgeteilt, ein Schüler / eine Schülerin pro Gruppe wird freiwillig zum Patientendarsteller.
    Die TN erhalten das Szenario vorgegeben, dass sie abends gemeinsam mit der fast leeren Straßenbahn aus der nahen Großstadt nach Hause fahren, als plötzlich ein ihnen nicht bekannter Mitfahrer kollabiert und zusammensackt. Sie erhalten den Auftrag, sich in der Gruppe einen "Plan" für die Abarbeitung dieses Szenarios auszudenken und diesen anschließend praktisch zu demonstrieren. Jede Gruppe erhält einen HLW-Torso.
    Alle Gruppen stellen mit Tischen und Stühlen eine typische Straßenbahn nach und spielen die Situation selbständig durch.
    Alle Gruppen reagieren sofort auf das dargestellte Ereignis (der einfache Teil) und stellen einen "Kreislaufstillstand" fest, alle denken an einen sofortigen Notruf und beauftragen einen TN ihrer Gruppe damit. Dieser Notruf wird bei einem der Ausbilder simuliert und realistisch beantwortet (Abfrage der Notrufnummer, Abfrage des genauen Notfallortes, Angebot der Anleitung zur HLW). Alle Gruppen denken daran, den "Straßenbahnfahrer" aufzufordern, an der nächsten Haltestelle stehen zu bleiben, und auch daran, sich dort dem Rettungsdiuenst bemerkbar zu machen.
    Alle Gruppen führen eine durchgehende Thoraxkompression bei überstrecktem Patientenkopf durch und wechseln sich innerhalnb des Teams regelmäßig ab. Die Reanimation wird bis zu einer realistischen Eintreffzeit des Rettungsdienstes (10-12 Minuten) durchgeführt, dann übernehmen die beiden Ausbilder als "Notärztin" und "Rettungsdienst" (als Showeffekt mit original roten Jacken).
    In einer weiteren Runde wird den Gruppen während der laufenden Reanimation kommentarlos ein AED-(Trainings-)Gerät gereicht, welches sie vorher nicht gesehen haben. Alle Gruppen gehen souverän damit um und bringen den AED gemäß Kurzanleitung (Pictogramme) und Sprachanweisungen korrekt und erfolgreich zum Einsatz.


    Abschluss:
    Zum Schluss folgt das Ausfüllen eines kurzen Multiple-Choice-Qiuizzes sowie eine ausführliche Feedback-Runde.
    Die (etwa 15jährigen) Jugendlichen, die von Anfang an motiviert, interessiert und dem Thema gegenüber aufgeschlossen mitgearbeitet haben, wirken zufrieden. Es habe ihnen Spaß gemacht; das hat man auch gemerkt. Alle erhalten eine Teilnahmeurkunde.


    Eigenes Fazit:
    Mit erscheint die Idee (sowieso) und das Konzept gut und unterstützenswert. Wir wollen an unserer Schule versuchen, dieses Projekt (zunächst jeweils für den Jahrgang 9) jährlich fortzuführen und zu etablieren. Die beteiligte Ärztin hat ihre weitere Unterstützung in Aussicht gestellt.
    Ich sehe aber auch weiterhin Probleme. In unserem konkreten Fall hatten wir das Glück, eine erfahrene und speziell qualifierte Notfallmedizinerin an der Hand zu haben, die dieses Projekt inhaltlich vorbereitet, materiell unterstützt und nicht zuletzt rein ehrenamtlich durchgeführt hat. Meine Anwesenheit als rettungsdienstlich qualifizierter Lehrer war sicher auch kein Nachteil, sicherlich aber je nach Gruppengröße kompensierbar.
    Trotz dieser beinahe optimalen Voraussetzungen hielte ich es nach wie vor (siehe Diskussion im Verlauf dieses Threads) für kaum umsetzbar, ein solches Projekt flächendeckend, jedes Jahr und erst recht in allen Klassenstufen ab Jahrgang 7 umzusetzen. In unsrem konkreten Fall würde das (bei gleicher personeller Konstellation) eine zeitliche Ausdehnung von zwei kompletten Unterrichtstagen (jetzt) auf zwölf Unterrichtstage bedeuten. Das ist selbst vor den Sommerferien schulorganisatorisch kaum leistbar. Von anderen Schulen, an denen die personellen Voraussetzungen (und womöglich die ideelle Unterstützung durch die Schulleitung) weniger gut sind, spreche ich da noch gar nicht.
    Bei uns waren die Voraussetungen beinahe ideal, die Unterstützung der Schulleitung war voll gegeben, die Schüler waren motiviert. Vor diesem Hintergrund bin ich zunächst einmal total zufrieden damit, wie das gelaufen ist und wäre froh und glücklich, wenn wir dieses Projekt jedes Jahr als feste Größe für einen (!) Jahrgang (Klasse 9 fand ich aus verschiedenen Gründen ganz gut, darüber lässt sich aber streiten) etablieren könnten.
    Die Idee der Kulutusministerkonferenz, ein solches Projekt jährlich flächendeckend in allen Jahrgängen ab Klasse 7 umzusetzen, halte ich persönlich bei den aktuellen Voraussetzungen für utopisch. Und wie vor zwei Jahren von mir prognostiziert, hat sich ja auch noch immer kein Politiker dazu geäußert, wie das funktionieren könnte. Auch in unsreen Fall kam die Initiative aus der Eltern-/bzw. Ärzteschaft und wurde von uns als Schule individuell unterstützt. Das war ein richtiger Schritt, aber nur ein erster kleiner auf einem sehr langen Weg.


    Über eine Diskssion würde ich mich freuen.


    Links zum Projekt "Ein Leben Retten":
    https://www.einlebenretten.de/
    https://www.dgai.de/projekte/100-pro-reanimation


    Bilder unseres Projektes:


  • Quelle und vollständiger Artikel: http://www.faz.net/aktuell/rhe…-stillstand-14828067.html

  • Eigenes Fazit:
    Mit erscheint die Idee (sowieso) und das Konzept gut und unterstützenswert. Wir wollen an unserer Schule versuchen, dieses Projekt (zunächst jeweils für den Jahrgang 9) jährlich fortzuführen und zu etablieren. Die beteiligte Ärztin hat ihre weitere Unterstützung in Aussicht gestellt.
    Ich sehe aber auch weiterhin Probleme. In unserem konkreten Fall hatten wir das Glück, eine erfahrene und speziell qualifierte Notfallmedizinerin an der Hand zu haben, die dieses Projekt inhaltlich vorbereitet, materiell unterstützt und nicht zuletzt rein ehrenamtlich durchgeführt hat. Meine Anwesenheit als rettungsdienstlich qualifizierter Lehrer war sicher auch kein Nachteil, sicherlich aber je nach Gruppengröße kompensierbar.
    Trotz dieser beinahe optimalen Voraussetzungen hielte ich es nach wie vor (siehe Diskussion im Verlauf dieses Threads) für kaum umsetzbar, ein solches Projekt flächendeckend, jedes Jahr und erst recht in allen Klassenstufen ab Jahrgang 7 umzusetzen. In unsrem konkreten Fall würde das (bei gleicher personeller Konstellation) eine zeitliche Ausdehnung von zwei kompletten Unterrichtstagen (jetzt) auf zwölf Unterrichtstage bedeuten. Das ist selbst vor den Sommerferien schulorganisatorisch kaum leistbar. Von anderen Schulen, an denen die personellen Voraussetzungen (und womöglich die ideelle Unterstützung durch die Schulleitung) weniger gut sind, spreche ich da noch gar nicht.
    Bei uns waren die Voraussetungen beinahe ideal, die Unterstützung der Schulleitung war voll gegeben, die Schüler waren motiviert. Vor diesem Hintergrund bin ich zunächst einmal total zufrieden damit, wie das gelaufen ist und wäre froh und glücklich, wenn wir dieses Projekt jedes Jahr als feste Größe für einen (!) Jahrgang (Klasse 9 fand ich aus verschiedenen Gründen ganz gut, darüber lässt sich aber streiten) etablieren könnten.


    Heute und morgen findet bei uns die Fortsetzung dieses Projektes statt, wieder mit dem kompletten Jahrgang 9, in derselben Konstellation wie vor einem Jahr oben ausführlich beschrieben.
    Meine Bewertung bleibt unverändert, für Rückfragen stehe ich gerne zur Verfügung.

  • Hallo Jörg. Vielen Dank für Dein Engagement!
    Während Du gestern das Reanimationstraining in Deiner Schule durchgeführt hast, hat der Vorsitzende des deutschen Rates für Wiederbelebung ein Online-Seminar(Webinar 4) abgehalten. Einer seiner Themenschwerpunkte war in Hinblick auf den "Resuscitation2017"-Kongreß in Freiburg im Herbst(Motto: "Society saving lives") die Ausbildung von Schülern in Wiederbelebung. Der diesbezügliche Stand in BaWü wurde explizit gelobt.
    Abends habe ich Deinen Bericht gelesen und mir Gedanken gemacht. In meiner Region gibt es etliche weiterführende Schulen, keine bietet m.W. Reanimationstraining an.
    Eine meiner Töchter beendet aktuell Klassenstufe 7 in einer Gemeinschaftsschule mit drei Klassen pro Jahrgang. Ich werde mich mit der Schulleitung in Verbindung setzen, mal schauen, auf wieviel Interesse ich stoße.
    Im Netz habe ich noch auf eine Initiative zur Ausbildung von Lehrkräften gefunden: Löwen retten Leben Hat jemand Erfahrungen damit gesammelt?

  • Heute und morgen findet bei uns die Fortsetzung dieses Projektes statt, wieder mit dem kompletten Jahrgang 9, in derselben Konstellation wie vor einem Jahr oben ausführlich beschrieben.
    Meine Bewertung bleibt unverändert, für Rückfragen stehe ich gerne zur Verfügung.


    Auch in diesem Jahr findet das Projekt an unserer Schule wieder in oben beschriebener Form statt und macht immer noch Spaß!