Quelle: Osinth Newsletter
Spiegel 17. Dezember 2006
BAGDAD
30 Mitarbeiter des Roten Halbmonds entführt
Der Überfall kam nur einen Tag nach einer so genannten
Versöhnungskonferenz im Irak: Bewaffnete Männer haben in Bagdad bis zu
30 Mitarbeiter der Hilfsorganisation Roter Halbmond entführt. Premier
al-Maliki will unterdessen suspendierte Ex-Militärs aus den Tagen
Husseins in die Armee zurückholen.
Bagdad - Die Entführer seien gewaltsam in ein Büro der
Hilfsorganisation am Al-Andalus-Platz in der irakischen Hauptstadt
eingedrungen und hätten zunächst Frauen und Männer getrennt, sagte ein
Sprecher des Roten Halbmondes der Nachrichtenagentur dpa. Dann hätten
die Kidnapper zwischen 25 und 30 Männer in fünf Pick-ups mit zivilen
Kennzeichen gezerrt. Es ist nur eine von zahlreichen
Massen-Verschleppungen, die in den vergangenen Wochen in Bagdad
stattfanden. Vergangene Woche erst hatten Männer in Uniformen 30
Menschen in einem Industriegebiet im Zentrum Bagdads entführt, die
Geiseln aber nach wenigen Stunden wieder frei gelassen.
Mitarbeiter des Roten Halbmonds im Irak: Die Männer wurden von den
Frauen getrennt und in Autos gezerrt
Derweil traf Großbritanniens Premierminister Tony Blair zu einem
überraschend Besuch in Bagdad ein. und wurde vom Flughafen mit dem
Hubschrauber in die stark gesicherte "Grüne Zone" gebracht, in der die
irakische Regierung und die ausländischen Botschaften ihren Sitz
haben. Er sei unverzüglich in eine Besprechung mit seinem irakischen
Kollegen Nuri al-Maliki gegangen. Auch mit Staatschef Dschalal
Talabani sei ein Treffen geplant, sagte der Sprecher.
"Uns ist klar, dass die Regierung des Irak heute großen
Herausforderungen gegenübersteht, und der Premierminister will seine
Unterstützung für Ministerpräsident al-Maliki zeigen", sagte der
Sprecher. Blair ist derzeit auf einer mehrtägigen Nahost-Reise
unterwegs, um die Friedensbemühungen in der Region zu verstärken. Er
flog von Ägypten aus in den Irak. Großbritannien hat im Rahmen der
US-geführten ausländischen Truppe 7100 Soldaten im Irak stationiert.
al-Maliki will Ex-Militärs in die Truppen zurückholen
Auf einer Versöhnungskonferenz gestern hat al-Malikis derweil die
Wiedereingliederung ehemaliger Militärangehöriger in die irakische
Armee angeboten. Die irakische Regierung unterscheide zwischen
Mitgliedern der aufgelösten Baath-Partei, "deren Hände nicht mit Blut
beschmiert sind", und solchen, die abscheuliche Verbrechen gegen ihre
Landsleute begangen hätten, sagte er.
Nach dem US-geführten Einmarsch im Irak im Frühjahr 2003 hatte die
Besatzungsmacht die damalige irakische Armee aufgelöst und
zehntausende Baath-Mitglieder aus öffentlichen Ämtern entlassen. Viele
der geschassten Sunniten griffen daraufhin zu den Waffen und lehnten
sich gegen die neue, überwiegend schiitische Regierung auf. Die
wachsende Gewalt im Irak sollte im Mittelpunkt der zweitägigen
Konferenz in Bagdad stehen.
Die USA begrüßten die Idee Malikis. Washington sei "ermutigt" von der
Rede, die er gestern auf der Versöhnungskonferenz in Bagdad gehalten
hatte, erklärte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats der USA,
Gordon Johndroe. Der Regierungschef habe sich klar dafür
ausgesprochen, einen Irak aufzubauen, "der auf nationaler Einheit und
nicht auf individuellen Sekten beruht". Die US-Regierung rufe alle
Seiten dazu auf, "einen Kurs der Stabilität und Sicherheit einzuschlagen".
Haushaltsexperten und Militärplaner der US-Regierung überlegen derweil
der "New York Times" zufolge, wie sich zehntausende weitere Soldaten
im Irak stationieren ließen. Die Fachleute sollen für US-Präsident
George W. Bush mehrere Möglichkeiten ausarbeiten, wie die US-Truppe im
Irak um 20.000 oder mehr Soldaten verstärkt werden könnte. Es sei
sogar darüber nachgedacht worden, an die 50.000 weitere Soldaten zu
stationieren, hieß es in dem Bericht unter Berufung auf führende
Regierungsmitarbeiter. Derzeit seien rund 17.000 im Einsatz, um die
irakische Hauptstadt Bagdad zu sichern. Selbst wenn nur die
vorsichtigsten Vorschläge der Fachleute umgesetzt würden, könnte sich
die Truppe dort also verdoppeln.
Dass die Experten für Bush solche Vorschläge ausarbeiten sollen, deute
auf eine Kursänderung in der Politik der US-Regierung hin. Denn in den
vergangenen Monaten sei zwar immer wieder darüber diskutiert worden,
mehr US-Soldaten in den Irak zu schicken, um der Lage dort Herr zu
werden. Bislang habe die Regierung aber den Standpunkt vertreten, dass
vielmehr die Ausbildung der irakischen Truppen verstärkt werden
sollte, damit sie schnellstmöglich selbst für Sicherheit sorgen könnten.
ase/AFP/dpa/Reuters