http://www.op-marburg.de/op/home.news.lo...20060529.582554
2.Bericht aus der Oberhessischen Presse vom 30.Mai. 2006
Rettungsassistenten stehen im Konflikt zwischen Eigenverantwortung und Kompetenzüberschreitung
Marburg. Die ausgebliebene Alarmierung eines Notarztes hat für einen Rettungsassistenten zu einer Abmahnung geführt.
Am 21. Dezember vergangenen Jahres ist Erika Becker auf ihrem Grundstück ausgerutscht und hingefallen. Sie schlug mit dem Knie auf dem Boden auf, worauf es an drei Stellen brach. Bewegungsunfähig verharrte die 54-jährige Frau auf dem Boden und wartete auf den Rettungsdienst, den ihr Sohn alarmiert hatte.
Die zentrale Rettungsleitstelle in Marburg benachrichtigte die Rettungswache in Hachborn, und Rettungsassistent Christof Tzioras sowie ein Kollege fuhren zu der verunglückten Frau nach Oberwalgern.
Die Außentemperaturen von Minus 3 Grad hätten sie die Frau im Garten zwischen einem Holzstoß und einer Hecke vorgefunden, erklärte Dr. Hans-Berndt Ziegler, der Anwalt von Tzioras.
? Ohne ihr noch mehr Schmerzen zuzufügen, hätten wie sie nicht dort herausbekommen?, sagte Tzioras im Gespräch mit der OP. Akuter Handlungsbedarf habe aus seiner Sicht bestanden, da die Frau unter Epilepsie litt und die Schmerzen einen Anfall hätten hervorrufen können.
Um sie umzulagern und transportieren zu können, spritzte Tzioras der Frau ein Schmerzmittel. Zuvor hatte er ihr erklärt, dass er als Rettungsassistent dazu grundsätzlich nicht berechtigt sei, bis zum Eintreffen des Notarztes jedoch 15 Minuten verstreichen würden.
Erika Becker hatte diese Wartezeit abgelehnt, wie sie im Gespräch mit der OP bestätigte und den Rettungsassistenten gebeten, ihr das Schmerzmittel zu verabreichen. Dieser habe sie außerdem zu Risikofaktoren und Medikamenteneinnahme befragt. ? Herr Tzioras war sehr freundlich und entgegenkommend. Ich möchte nicht, dass er wegen mir seine Arbeit verliert?, sagte Erika Becker.
Abmahnung mit Vorgeschichte
Am folgenden Tag wurde Tzioras von seinem Arbeitgeber aufgefordert, den Einsatz zu protokollieren und dazu Stellung zu beziehen. Es folgten mehrere Gespräche und Briefwechsel, und am 28. April erhielt Tzioras eine Abmahnung für den Einsatz. Der Betriebsleiter des DRK-Rettungsdienstes Mittelhessen, Heiko Hartmann und sein Geschäftsführer Markus Müller werfen ihm vor, entgegen einer persönlich für ihn erlassenen Dienstanweisung keinen Notarzt zur Absicherung der Patientin verständigt zu haben. Diese Dienstanweisung ging auf einen früheren Fall zurück, als Tzioras einen Patienten, da kein Notarzt vor Ort erreichbar war, in die Klinik gebracht hatte, ohne auf den von der Leitstelle benachrichtigten Rettungshubschrauber zu warten.
Die Abmahnung wurde inzwischen aufgrund eines Formfehlers wieder aus der Personalakte des Rettungsassistenten entfernt. Dennoch bleibt Heiko Hartmann dabei, dass es sich um einen Verstoß gegen die Dienstanweisung handele. Er hat Tzioras bis zum 31. Mai Zeit eingeräumt, sich nochmals zu dem Einsatz zu äußern. Tzioras rechnet inzwischen mit einer weiteren Abmahnung.
Dass dieser Fall eine Vorgeschichte hat, erklärt sowohl der Rettungsassistent als auch der Betriebsleiter. Dennoch besteht für den Assistenten am Unfallort die Schwierigkeit, in Stress-Situationen schnell zu entscheiden.
Zu dem vorliegenden Fall wollte sich Heiko Hartmann nicht äußern, da er ein vertrauliches Verhältnis mit einem Beschäftigten betreffe und der Konflikt noch offen sei. Er erklärte jedoch allgemein, welche Rechte und Pflichten Rettungsassistenten am Unfallort zu befolgen haben.
Alles, was über Lagerung, Betreuung und Überwachung hinausgehe, falle unter die Notkompetenz, die beim DRK Mittelhessen als ?erweiterte Maßnahmen? bezeichnet werden. ?Doch auch diese werden von unseren Rettungsassistenten erwartet und in jährlicher Pflichtweiterbildung gelehrt?, erklärte Hartmann.
Ärztliche Versorgung ist zu gewährleisten
Unabhängig davon, was der Betrieb anordne, habe der Rettungsassistent immer auch eine Garantenstellung gegenüber seinem Patienten. Wenn der Patient einer Behandlung zustimmt, praktisch einen Vertrag mit dem Assistenten schließt, sei dieser auch zur Behandlung berechtigt. ?Als Betrieb kommen wir dabei in eine schwierige Situation und stellen deshalb gewisse Anforderungen für solche Fälle?, sagte Hartmann.
Der Rettungsassistent müsse nachweisen, dass er zu einer Behandlung befähigt ist, und müsse darüber hinaus sicherstellen, dass der Patient in ärztliche Versorgung kommt ? sprich: der Notarzt benachrichtigt wird. Dieses Zeitfenster dürfe nicht verzögert werden. Zudem müsse der Fall ordentlich dokumentiert werden.
?Unter diesen Maßgaben hatten wir noch keinen Fall, bei dem sich der Betrieb kritisch geäußert hat. Wir fordern viel mehr, dass das Gelernte auch angewandt wird? sagte der!