erweiterte Maßnahmen für den RettAss? konträre Vorstellungen (Ursprung:Nitro-Spray bei Nierenkolik?)


  • Und eins noch hintendrauf:
    Dass es überhaupt an vielen Standorten so läuft, dass erweiterte Massnahmen durch den RA zugestanden werden liegt m.E. zum grossen Teil auch einfach daran, dass - meines Wissens - noch nie etwas passiert ist. (Im Sinne von: Es gab noch nie eine strafrechtliche Verfolgung weil ein RA eine solche Massnahme durchgeführt hat - zumindest ist mir keine bekannt).
    Das meine ich jetzt gar nicht so: "Puuuh - Glück gehabt!" sondern sehe es vielmehr als Beweis dafür an, dass mit diesen Massnahmen so veranbtwortungsvoll umgegangen wird, dass es eben wohl bisher gar keinen gerechtfertigten Grund gab über eine Rücknahme bzw. ein (was ja auch möglich wäre) generelles Verbot erweiterter Maßnahmen nachzudenken.

  • Ich möchte kurz auf das eingehen, was Vossi geschrieben hat und bitte korrigiere mich, wenn ich dich falsch interpretiere:


    Du beschreibst die föderale Problematik und sog. Insellösungen, die nicht anstrebbar wären. Ich möchte dir hier wiedersprechen.


    Die Problematik sehe ich darin, dass der deutsche Föderalismus von oben nach unten funktioniert, anders als der schweizerische Förderalismus.


    Ich sehe den Vorteil in den "Insellösungen", dass man extrem kurze Entscheidungswege hat und damit viel schneller reagieren kann.


    Da man in Deutschland möglichst eine Einheitlichkeit haben, wird die BÄK befragt, die dann von oben nach unten (Landesärztekammern) seine Entscheidung mitteilt und an seine ärztlichen Leiter RD weitergibt. Dass dieser Prozess sehr langwierig ist und von unterschiedlichen Interessenskonflikten begleitet wird, ist uns allen geläufig.


    Also, dies soll jetzt kein Hurra-Schwyz-Pamphlet geben, sondern nur mal ein alternatives Modell darstellen:
    Hier gibt es praktisch ausschliesslich Insellösungen, der ärztliche Leiter RD gibt dem Personal seines Rettungdienstes Massnahmen frei. Eine übergeordnete Stelle wird allerhöchstens darüber informiert. Dies macht das System extrem flexibel, kann er jederzeit Massnahmen neu freigeben oder zurückziehen (ebenfalls ohne mit einer übergeordneten Stelle sich abzusprechen). Der ärztliche Leiter wird auf Grund seiner alleinigen Verantwortung ein hohes Mass an Qualität in der Ausbildung und Ausführung verlangen, da er auch der einzige ist, der dafür gerade steht. Und gerade diese kurzen Wege überzeugen mich von derl "Insellösung" mehr, als der Versuch einer Bundeseinheitlichkeit, die nicht vorran geht.

  • Hallo securo,


    Zitat

    Original von securo
    Der ärztliche Leiter wird auf Grund seiner alleinigen Verantwortung ein hohes Mass an Qualität in der Ausbildung und Ausführung verlangen, da er auch der einzige ist, der dafür gerade steht. Und gerade diese kurzen Wege überzeugen mich von derl "Insellösung" mehr, als der Versuch einer Bundeseinheitlichkeit, die nicht vorran geht.


    wenn ich die bisherigen Beiträge unserer Schweizer User richtig interpretiert habe, gibt es da einen kleinen, aber feinen Unterschied zwischen ÄLRD in .de und in der Suisse:
    bei euch kommt seltenst ein Notarzt raus, insofern wird der ÄLRD sowohl in Sachen Schulung als auch in Sachen Freigabe von Medikamentenapplikation einen deutlich anderen Schwerpunkt setzen als sein deutscher Kollege. Letzterer hat nämlich nicht nur den deutschen Rettungsassistenten die Wünsche von den Augen abzulesen (Achtung: der erste Satzteil könnte Spuren von Nüssen, Milcheiweißen und Ironie enthalten), sondern überdies die (ihm viel näher stehnden) Notärzte im Rücken, welche keinerlei Interesse an einem Vorpreschen der Besatzung vor Ort hat. Teilweise sogar durchaus berechtigt.


    MfG, Oli

  • Zitat

    [i]Original von Olive


    MfG, Oli


    Absolut korrekt, tatsächlich gibt es genug Rettungsdienstbereiche in Deutschland, in denen die fachliche Qualität des nichtärztlichen Personals sicherlich nicht so stark ausgeprägt wäre. Gründe hierfür sind vielfältig.


    Allerdings stellt sich mir dann auch die Frage: "Warum wird dies durch den Rettungsdienstbetreiber und den ärztlichen Leiter nicht geändert?" Ist nicht vielmehr der Fehler hier zu suchen?

  • Zitat

    Original von securo


    Hier gibt es praktisch ausschliesslich Insellösungen, der ärztliche Leiter RD gibt dem Personal seines Rettungdienstes Massnahmen frei. Eine übergeordnete Stelle wird allerhöchstens darüber informiert. Dies macht das System extrem flexibel, kann er jederzeit Massnahmen neu freigeben oder zurückziehen (ebenfalls ohne mit einer übergeordneten Stelle sich abzusprechen). (...) Und gerade diese kurzen Wege überzeugen mich von derl "Insellösung" mehr, als der Versuch einer Bundeseinheitlichkeit, die nicht vorran geht.


    Ich habe nichts gegen Insellösungen und was Du schreibst klingt für mich nach einem vernünftigen Modell - nur muss es m.E. Bundeseinheitlich gesetzlich so verankert sein - irgendwo...


    Nur ums nochmal ganz deutlich zu machen:
    In D begibt sich der ÄLRD, der "seinen" RA bestimmte erweiterte Massnahmen ("Gebt das Hanf frei! ;) ) zugesteht rein rechtlich auf sehr dünnes Eis - und seine Jungs zieht er gleich noch mit hinterher.


    Völlig aus der Luft gegriffen ein (abstraktes) Beispiel:
    Ein Patient erleidet durch eine anaphylaktische Reaktion auf ein Medikament, das ihm von einem RA verabreicht wurde (vom ÄLRD abgesegnet) einen hypoxischen Hirnschaden (oder verstirbt, mir wurst).
    Die Angehörigen erstatten Anzeige wegen Körperverletzung (fahrlässiger Tötung) - wer muss sich jetzt vor Gericht verantworten? Der RA oder der ÄLRD?
    Eben!
    Und auf welchen Rechtfertigungsgrund kann sich der arme Kerl jetzt berufen?
    Die "Erlaubnis" des ÄLRD?
    Ein heisses juristisches Eisen...


    Gäbe es eine klare gesetzliche Regelung, was der RA darf und was nicht, müsste er sich wahrscheinlich auch vor Gericht verantworten, hätte aber zumindest de jure einen ganz anderen Stand... (ausser er handelt grob fahrlässig oder kann seine entsprechenden Fortbildungen nicht nachweisen - ganz ähnlich wie im Arzthaftungsrecht)


    Ich weiss, dass das Beispiel nicht den rettungsdienstlichen Alltag wiederspiegelt - aber in diesem urdeutschen Grundbedürfnis nach permanenter Rechtssicherheit liegen die Bedenken der Kollegen, die sich hier geäussert haben (zu recht) begründet.

  • Zitat

    Original von Mütom


    Allerdings stellt sich mir dann auch die Frage: "Warum wird dies durch den Rettungsdienstbetreiber und den ärztlichen Leiter nicht geändert?" Ist nicht vielmehr der Fehler hier zu suchen?


    Und damit könnte man schon wieder eine ganz andere Diskussion eröffnen unter dem Motto:
    "Warum haben die meisten Rettungsdienstbetreiber und ärztlichen Leiter gar kein grosses Interesse daran das zu ändern?"


    Beispiele für Antwortmöglichkeiten?


    Keine gesetzliche Grundlage = Keine Verpflichtung = Keine Veränderung am bestehenden System ("Hat ja die letzten 50 Jahre funktioniert, kann nicht soooo falsch sein")


    Kostengründe (Weniger Stundenkräfte und EA können die vorausgesetzten Ausbildungen /Ausbildungsnachweise erbringen, ergo: Vermehrt HA Personal...)


    Ärztliche Standeswahrung: Nichtärzte dürfen nicht heilen und so soll es auch bleiben...


    etc...


    Aber das führt (zumindest in diesem Thread wohl zu sehr am Thema vorbei - dafür gibts z.B. den hier oder auch den hier...)

  • Genau Vossi, in den Finanzen und der jeweiligen Rettungsdienstbetreiberpolitik sehe ich auch die Verzögerung einer schnellen notwendigen Kompetenzerweiterung des nichtärztlichen Rettungsdienstpersonals.


    Allerdings, was Dein juristisches Konstrukt angeht, sehe ich bei weitem nicht die Problematik.


    1. Die BÄK und der ÄLRD können Maßnahmen des nichtärztlichen Personals nur verbieten (Medikamente werden von nichtarztbesetzten Fahrzeuge genommen) oder aber empfehlen. Derzeit haben diese Institutionen nicht die Möglichkeit dem nichtärztlichen Personal weitreichende medizinische Maßnahmen vorzuschreiben.


    2. Die Durchführungverantwortung (Indikationsstellung und korrekte Durchführung der Maßnahme) trägt ausschließlich der Durchführende. Die Verantwortung kann meines Wissens nicht auf höhere Instanzen übertragen werden. Deswegen werden bei der sog. Freigabe von weitreichenden medizinischen Maßnahmen durch BÄK oder ÄLRD ja auch immer nur von Empfehlungen gesprochen.


    3. Die Rückendeckung bei einer fehlerhaft durchgeführten medizinischen Maßnahme, bzw. bei plötzlich auftretenden Komplikationen nach einer medizinischen Maßnahme, mit anschließenden Schaden für den Patienten, durch das nichtärztlichen Personal würde vielmehr doch so ausschauen, dass der ÄLRD das "Können einer Maßnahme" dem Assistenzpersonal aufgrund durchgeführter Schulungen und Prüfungen bescheinigt.


    Von einem gesamten Organisationsverschulden könnte man doch eigentlich nur sprechen, wenn z.B. der Reanimationsalgorhythmus sich als komplett falsch erweisen würde, dies der BÄK und dem ÄLRD bekannt wäre und trotzdem die Durchführung nach dieser Richtlinie weiter Bestand haben würde.


    Oder habe ich Deinen Post jetzt falsch verstanden?

  • Zitat

    Original von Oliver
    ... bei euch kommt seltenst ein Notarzt raus, insofern wird der ÄLRD sowohl in Sachen Schulung als auch in Sachen Freigabe von Medikamentenapplikation einen deutlich anderen Schwerpunkt setzen als sein deutscher Kollege. Letzterer hat nämlich ... die (ihm viel näher stehnden) Notärzte im Rücken, welche keinerlei Interesse an einem Vorpreschen der Besatzung vor Ort hat. Oli


    Stimme dir vollkommen zu !


    Zitat

    Original von Vossi
    In D begibt sich der ÄLRD, der "seinen" RA bestimmte erweiterte Massnahmen ... zugesteht rein rechtlich auf sehr dünnes Eis ...


    Auch hier muss ich vollkommen rechtgeben, mit dem Zusatz zur Stellungnahme Notkompetenz, welcher etwa 1998 zu der bestehenden Darlegung hinzugefügt wurde "...es steht dem örtlichen ärztlichen Leiter RD frei, weitere Massnahmen im Rahmen der Notkompetenz freizugeben" hat die BÄK seinen Kopf aus der Schlinge der "Aufforderung zur unterlassenen Hilfeleistung" (ein Vorwurf, der im Raum stand) gezogen und die ärztlichen Leiter (vor allem die Inovativen) in erhebliche persönliche Spannungen versetzt.


    @ all
    Es liegt mir fern, das geschilderte Modell als "Stein der Weisen" zu präsentieren oder gar für eine Übernahme nach Deutschland zu empfehlen. Es sollte lediglich mal zeigen, dass es auch andere Ansätze gibt - übrigens auf rechtlich einwandfreiem Boden - als bisher angeführte.

  • Zitat

    Original von Mütom


    Oder habe ich Deinen Post jetzt falsch verstanden?


    Nein, nur vielleicht etwas zuviel rein interpretiert.
    Ich wollte nicht die Frage aufwerfen Persönliche Haftung oder Organisationsverschulden, sondern wirklich nur an einem (banalen) Beispiel aufzeigen, dass eine (bundesweite) gesetzliche Regelung dem Rettungsfachpersonal wesentlich mehr Rechtssicherheit geben würde.


    Ansonsten haste ja recht!

  • Und ich mal wieder...


    Was den Vorschlag angeht, analog zu den Hebammen, die KOmpetenzen des RettAss festzuschreiben...
    Der KOllege imgb01 hat sich in seiner Doktorarbeit hierüber ausführlich Gedanken gemacht, wie das in rechtlichem Rahmen zu lösen wäre.

    Meiner Ansicht nach wäre eine Berufsordnung für Rettungsfachpersonal genau das Richtige Mittel. Eine bundeseinheitliche Regelung, die den Patienten im Norden, Süden, Osten, WEsten, eine qualitativ gleichwertzige Versorgung sichert. Selbstverständlich flankiert von entsprechenden Weiterbildungen und zertifizierungen des Personals. Ob man dann das Berufsbild anders benennt oder die Bezeichnungen belässt ist in meinen Augen nebensächlich.


    by the way... Ich habe Herrn Ackermann von der FDP mal angeschrieben um nach dem Reformationswillen des RettAssG zu fragen. Bislang ist eine kleine ANfrage an die Bundesregierung rausgegangen, die wohl im Laufe des Sommer beantwortet wird. Damit wird dann der Reformationswille der BundesReg abgeklopft.... Und wenn die wollen, könnte in dieser Legislaturperiode sogar noch was passieren. WEnn die wollen...


    Wenn es nur eine Wahrheit gäbe, könnte man nicht hundert Bilder über das selbe Thema malen. (Pablo Picasso)

  • Ich habe vor kurzem mal eine Fortbildung meines Arbeitgebers besucht, genau zu diesem Thema, welches wir hier diskutieren.
    Die Essenz des ganzen war schliesslich, dass das Hauptproblem zur Maßnahmen der Notkompetenz darin besteht das nirgendwo steht das wir es dürfen. Allerdings auch nirgendwo das wir es nicht dürfen. Denn gegen das Heilpraktikergesetz, auf das sich die BÄK immer beruft verstossen wir nicht, da wir keine Maßnahmen mit dem Ziel von geschäftlichem Profit durchführen.
    Für die Juristen sind nämlich alle Maßnahmen, die wir im Rahmen unserer Ausbildung lernen, Maßnahmen der Regelkompetenz. Notkompetenz steht den Juristen nach für die Dinge die man mal gelesen hat oder dabei zugeschaut hat und sie dann zur Rettung eines Patienten einsetzt.
    Insofern bedarf es keinem Maßnahmenkatalog der im Gesetz steht, was das ganze nur für die weitere Entwicklung zu unfelxibel macht. Es bedarf nur einer vernüftigen Ausbildungsrichtlinie, wie sie für jeden anderen Lehrberuf existiert.
    Übrigens werden wenn wir Maßnahmen im Rahmen unserer "Notkompentenz" durchführen, wird die falsche Durchführung weniger oder seltener bestraft, als wenn wir es nicht tun. "Schädigung durch unterlassen". Weiterhin wird von vielen Experten schnelle die Analgesie als lebensrettend bei Patienten im Schock eingestuft, da sie schädigende Stressmechnismen des Körpers reduziert. Ich sag da nur Juristische Notkompetenz und für die Kollegen, bei denen das im Kreis ausgebildet wird Regelkompetenz.


    Gruss Alex

  • Zitat

    Übrigens werden wenn wir Maßnahmen im Rahmen unserer "Notkompentenz" durchführen, wird die falsche Durchführung weniger oder seltener bestraft, als wenn wir es nicht tun


    Wie kann man für etwas Bestraft werden das man gar nicht darf???
    Kannst Du mir das erklären??

  • @ R.A. Pioneer: Wo steht denn das man es nicht darf.


    @ Ani: Ich kenne leider keinen RettAss der für sowas ausgebildet ist, wäre wohl etwas über das Ziel hinausgeschossen. (Ironie aus).


    Nochmal ich habe hier nur von Maßnahmen gesprochen die entweder Teil der Ausbildung sind oder und da hab ich mich wahrscheinlich schlecht ausgedrückt, akut lebensrettend. Als Beispiel nannte der Dozent Notkonotomie oder Entlastungspunktion bei Spannungspneu.


    Gruss Alex

  • WolF


    Mir ging es um die deeeeehnbare Definition von "lebensrettend" und die damit möglicherweise verbundenen Grenzen, sei es in Bezug auf Zeit oder einer verantwortbaren Durchführung...



    Gruß,


    Ani

  • Ärztliche maßnahmen sind leider nirgentwo festgeschrieben, und das Heilpraktikergesetz auf das sich in diesem Fall angeführt wird untersagt nur die Ausführung ärztlicher Maßnahmen, wenn man einen geschäftlichen Profit daraus zieht und das ist dem RD ja fern.
    Es wurde ja auch dafür entworfen, durch die Lande ziehende Quacksalber zu unterbinden, die heute ja (zum Glück nicht mehr existieren)


    Gruss Alex