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ZitatAlles anzeigenWie Notfallsanitäter zukünftig Ärzte entlasten sollen
Sanitäter Sascha Zach arbeitet seit über 30 Jahren im Rettungswesen. Er stieß das Projekt im Main-Taunus-Kreis an.
In einem Pilotprojekt im hessischen Main-Taunus-Kreis sollen Notfallsanitäter besser ausgebildet werden. Sie könnten dadurch viele Fälle allein übernehmen und Notärzte hätten mehr Zeit für die wichtigen Einsätze.
Sascha Zach hat Gänsehaut, sagt er. Denn dass er nun in der Rettungswache in Flörsheim-Wicker vor Vertretern von Rettungsdiensten, Feuerwehr und Politik stehen und ein Projekt erläutern darf, das auf seine Idee zurückgeht und das er künftig auch leiten wird, ist für den Notfallsanitäter nicht selbstverständlich.
Doch in seinem Vorgesetzten Jörg Blau, ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes im Main-Taunus-Kreis, fand er einen Verbündeten, der die Idee sofort gut fand. Blau überzeugte Kreis und Ämter, Zach legte los und organisierte alles, was nötig war. Nun beginnt das Pilotprojekt, das den etwas sperrigen Namen „ICCNotSan“ trägt. Das steht für „Intensive Critical Care Notfallsanitäter“ – eine Zusatzausbildung für Rettungskräfte.
In einigen europäischen Ländern können sich Rettungssanitäter schon weiterbilden, etwa in Österreich, auch in England gibt es den „advanced paramedic“. Ganz neu erfinden musste Zach die Ausbildung also nicht, doch in Deutschland klafft bislang eine Lücke zwischen Notfallsanitäter und Arzt.
Sanitäter können Hilfe leisten, sind aber nicht diagnostisch geschult. Die Ressource Arzt ist jedoch knapp, und Rettungswagen sind oft im Dauereinsatz, denn die Notrufe häufen sich. Im Main-Taunus-Kreis betreibt das Rote Kreuz drei Wachen, im Zusammenschluss mit dem Rheingau-Taunus und Wiesbaden sind es zwölf, insgesamt haben sie rund 75.000 Einsätze im Jahr.
„Ein Problem ist, dass Hausärzte keine Hausbesuche mehr machen“, sagt Dirk Mehler, Aufsichtsratsvorsitzender des Roten Kreuzes Main-Taunus. In den Notaufnahmen herrschten lange Wartezeiten, daher riefen viele Menschen kurzerhand den Notarzt. Für die Leitstellen sei es schwierig einzuschätzen, wie dringlich ein Fall wirklich sei. „Mitteldringliche Notfälle sind oft ein Problem“, sagt auch Blau, denn diese würden vielfach unterschätzt.
Künftig könnten statt eines Arztes auch zwei Sanitäter vorbeikommen, die die 800 Stunden umfassende Zusatzausbildung absolviert haben. Vor allem in Sachen Diagnostik werden die Sanitäter geschult, aber auch für eine Beatmung oder das Setzen von Luftröhrenschnitten. Drei Wochen Fortbildung in der Kardiologie gehört ebenfalls dazu. Das soll sie befähigen, nicht nur Symptome zu behandeln, sondern auch nach Ursachen zu suchen und im Umgang mit Patienten sicherer zu werden. Zwei Jahre lang werden die Fachkräfte ausgebildet. Das Pilotprojekt soll wissenschaftlich begleitet werden, vermutlich durch die THM Mittelhessen in Gießen.
Zehn oder elf Rettungskräfte werden von September an die Ausbildung durchlaufen. „Was man braucht, sind Menschen, wie sie sich beispielsweise im DRK zusammengefunden haben, die aus der Praxis kommen“, sagt Landrat Michael Cyriax (CDU).
Zu der Ausstattung der künftigen ICCNotSan gehört auch ein eigens ausgestattetes Fahrzeug, ein Pkw mit viel Technik an Bord und Platz für zwei Sanitäter. Das vorgestellte Modell ist mit allen Raffinessen der Telemedizin ausgestattet und konnte dank der Kooperation zahlreicher Sponsoren finanziert werden.
Im Inneren finden sich neben dem üblichen Verbandszeug, Venenkanülen, einem Notfall-Teddy für Kinder, Magensonde und Skalpell auch ein erweitertes Beatmungsgerät, das mehr Therapien ermöglicht als die übliche Maske, und ein mobiles Ultraschallgerät. Das kann an Smartphone oder Tablet angeschlossen werden, um beispielsweise bei Atemnot nach Ursachen zu fahnden: Hat der Patient Wasser in der Lunge, ist die Lunge gar kollabiert?
„Für die Ursachenforschung braucht man klinische Erfahrung“, sagt Blau, das sei in der normalen Ausbildung für Rettungssanitäter nicht enthalten. Ganz auf sich gestellt bleiben die Notfallsanitäter bei ihren Einsatzen jedoch nicht, der diensthabende Arzt kann auf alle Monitore und Daten zugreifen und Rat geben.
In zwei Jahren sollen die Erfahrungen mit dem Pilotprojekt ausgewertet werden. Wenn die Ausbildung einmal staatlich anerkannt wird, könnte sie auf einer Stufe mit einem Bachelor stehen. „Wir machen die Meisterschule“, sagt Zach. „Wir wollen den Notarzt nicht ersetzen, wir wollen ihm mehr Freiraum geben für die wirklich wichtigen Fälle.“
Ich sehe schon die nächste Reportage vor mir: Zach fragt den Notarzt am Telefon, ob er tracheotomieren darf. Und zur Analgesie gibt's vorher ein Gramm Perfalgan.
Service: Für zukünftige Reiseplanungen die Lage des Main-Taunus-Kreises in Deutschland:
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