Beiträge von pillenhaendler

    Was reizt dich an der Stelle? Was sind deine Handlungsspielräume?

    Die Schilderung klingt für mich so, als wäre es deine Hauptaufgabe, die Anweisungen von oben (Dienstplan!) durchzusetzen und dafür die Prügel der Wachmannschaft einzustecken. Plus das Personal zu bewerten ohne vermutlich tatsächliches Mitsprache- oder Veränderungsrecht zu haben.

    Jeder kennt ja diese Geschichten. Aber für mich ist es schon auch nochmal ein Unterschied, ob so ein Patient nochmal zuckt bzw. irgendwelche finalen Reflexe zeigt, bevor er endgültig abtritt, oder ob er (siehe oben) drei Tage später geheilt nach Hause geht und noch heute lebt, wenn er denn nicht gestorben ist…

    Sorry, etwas verkürzt dargestellt: Der Patient entwickelte wieder einen Rhythmus und lebte noch mehere Tage in der Klinik.

    Das ist, glaube ich, etwas, was am Bundesland liegt. Lösen ließe sich das, das der Transport nur mit Einweisung erfolgt. Dann muss er schon Mal hin.

    Mein KV-Bezirk hat eine Nord-Süd-Ausdehnung von 75km. Da bleibt dem motiviertesten Dienstarzt häufig nichts anderes übrig, als an den Rettungsdienst abzuturfen.
    Und wenn aus dem Meldebild bzw. dem Telefonat mit dem Patienten eindeutig hervorgeht, dass eine klinische Vorstellung unumgänglich ist, sehe ich auch keinen Sinn darin, warum der Dienstarzt sich das unbedingt noch mal vor Ort anschauen muss.
    Was mich mehr aufregt: Das Dienste durch Ärzte besetzt werden, die fachlich dazu nicht qualifiziert sind. (aber das hatten wir neulich erst in einem anderen Thread... und ich rege mich schon wieder auf) Das trifft auf den berenteten Augenarzt genauso zu wie auf die Orthopädie-Weiterbildungsassistentin im zweiten Jahr.

    Ein Kollege aus Stuttgart berichtete, dass ein achtjähriger Bub, angestachelt von seinem Vater versuchte, einen Böller durch die halb heruntergelassene Seitenscheibe des RTW zu werfen.

    Gegenüber der Polizei habe der Vater dann verständnislos reagiert und gesagt, es sei doch Silvesterbrauch, Einsatzkräfte mit Raketen und Böllern zu beschießen.

    Aber warum nicht einfach Propofol geben, wenn man etwas in der Postrea Phase braucht? Gibt genügend Evidenz dafür, das sollte wohl überall herumliegen und dürfte über eine Perfusorspritze auch astrein steuerbar sein bis ein Arzt ankommt. Warum muss man das Rad denn erst als Quadrat neu erfinden?

    In Bayern dürfte das in vielen Rettungsdienstbereichen dein berufliches Todesurteil sein...

    Propofol steht auf der berühmt-berüchtigten Kompetenzmatrix im roten Bereich und würde zumindest bei meinem ÄLRD (sowie zwei weiteren mit bekannten) zu erheblichstem Ärger bishin zur Entziehung der Delegation führen.

    Ein bisschen anders beideutet aber gleichsam, dass es so große Unterschiede ja nicht gibt. (Und ob man bei den kleinsten Abweichungen gleich jemandem einen Strick drehen kann, sei einmal dahin gestellt.) So schlimm kann der Flickenteppich damit ja auch nicht sein.

    Sicherlich anekdotisch, aber leider trotzdem wieder (bayerische) Realität: Während im Landkreis A die Aussage des Notarztes "ich fahre nicht mit, wenn Schmerzen > NRS 5, dann noch mal 0,1mg Fentanyl" kein Problem darstellt, gibt es im Landkreis B - falls am Ende so digital dokumentiert - richtig Ärger wegen BtMG-Verstoß.
    Wohlgemerkt: Landesweit einheitliche Delegation, nur von den einzelnen ÄLRD unterschiedlich ausgelegt.

    Um mal etwas einzuwerfen: Wir haben 16 Bundesländer mit 16 Landesrettungsdienstgesetzen, x Landkreisen und fast ebensovielen ÄLRD.
    Alleine in Bayern, wo alle Landkreise erst einmal die gleichen Voraussetzungen (vier Medikamente!!!) haben, sehe ich alleine zwischen meinem Landkreis und dem Nachbarlandkreis große Unterschiede: Während mein ÄLRD sehr gerne Stellungnahmen liest und diese immer unter der Prämisse "Durfte er das überhaupt?" bearbeitet und ständig "Konsequenzen", "strengste Beobachtung" und "letzte Ermahnung" im Raum stehen, gibt's nebenan konstruktive Kritik, lobende Worte und eher Rücfragen der Sorte "was waren in diesem Moment euere Abwägungen?" und dazwischengegrätscht wird nur bei mutwilligen oder grob fahrlässigen Verstößen. Ein System, zwei Personen, zwei Welten.

    Die Aussage "Das System ÄLRD ist gescheitert" ist somit für mich grob populistisch. Das System wird von Menschen mit Inhalt gefüllt, die ihren Auftrag unterschiedlich interpretieren. Vielleicht muss einfach nur der Auftrag klarer formuliert werden?

    Ein kleiner Einwurf zu SmED: Man kann das System auf der Website des kassenärztlichen Notdienstes online "ausprobieren":
    https://www.116117.de/de/patienten-navi.php


    Ich habe mir einmal den Spaß gemacht, einen aktuellen Fall aus meinem Rettungsdienstalltag durchzuklicken:
    Mann Ende 40, seit zwei Tagen unspezifische, eher drückende Kopfschmerzen und Unwohlsein. Behandlung mit allem, was die Hausapotheke hergab (ASS, Ibu, PCM) brachte mäßige, kurzfristige Linderung. Am dritten Tag plötzliche Änderung der Schmerzcharakteristik: Nun stärkster, nie dagewesener Vernichtungskopfschmerz holocephal, einmal erbrochen, danach "will meine Ruhe, will schlafen". Risikofaktor Rauchen, keine Dauermedikation, keine bekannten Vorerkrankungen, Vater früh an Gehirnblutung verstorben.
    Ich denke, die (Verdachts-)Diagnose dürfte jedem klar sein. Die Frau rief den Rettungsdienst, der Patient wurde bei zunehmender Vigilanzminderung noch vor Ort intubiert und per RTH in eine Stroke Unit mit Neurochirurgie gebracht, Outcome leider infaust.
    Gebe ich nun den Fall wahrheitsgemäß in den SmED-Dialog ein, lande ich stets entweder bei "ärztlicher Vorstellung innerhalb von 24h" oder zumindest manchmal bei "schnellstmöglicher ärztlicher Behandlung", hier jedoch auch mit der Empfehlung die 116117 und nicht etwa die 112 zu rufen.
    Je nach Antworten kamen dann auch unzählige Distraktoren wie "könnte eine Lebensmittelvergiftung vorliegen" (jo mei, kann schon sein...) oder "waren sie im Ausland?" (ja). Familienanamnese wurde nie abgefragt.
    Ich denke die drei Antworten, die das System auf die falsche Spur brachten waren:
    1. Die Situation wurde von Patient wie Ehefrau zwar als höchst unangenehm und kaum auszuhalten, aber nicht als akut lebensbedrohlich eingeschätzt.
    2. Die seit zwei Tagen bestehenden Kopfschmerzen (a.e. hypertensiv bedingt) lenken von der plötzlichen (rupturbedingten) Veränderung des Schmerzcharakters ab.
    3. Die zunächst mäßige Besserung auf Analgetika aus der Hausapotheke.
    Dies mag jetzt ein Extrembeispiel oder ein statistischer Ausrutscher gewesen sein (in einer Musestunde werde ich noch weitere Fälle durchspielen), bestätigt mich in meiner eher ablehnenden Meinung zur zunehmenden Algorithmisierung des Gesundheitswesens. Ich habe vor meinem inneren Auge jetzt eine ganz spezifische MTS-Triagekraft und auch einige Leitstellendisponenten, die diesem Patienten ebenfalls die dringende Hilfe versagt hätten - weil der Computer es so vorgibt. Und ich habe auch (v.a. junge) Kollegen vor Augen, die nur noch nach Algorithmen handeln - weil sich ihr gesamtes Lernen entlang dieser Algorithmen entlanghangelte und sie gar nicht wissen, was es links und rechts davon noch gibt und vor allem, weil Abweichen von Algorithmen in Form von Stellungnahmen sanktioniert wird.
    Und irgendwann, wenn das ganze flächendeckend etabliert ist, wird jemand die Frage stellen: Wozu brauchen wir am Tiragetresen, in der ILS, im Rettungsdienst noch teures Fachpersonal, wir haben doch unsere Algorithmen, die statistischen Auswertungen zufolge zu 99,8% eingehalten werden...

    [Fentanyl] zumal es bei Problemen schnell mittels Naloxon "unschädlich" gemacht werden kann.

    Diese Denkweise halte ich für gefährlich.
    Naloxon hilft weder, wenn ich durch zu forsche Fentanylgabe den Blutdruck bis zur Reanimationspflichtigkeit in den Keller gespritzt habe noch wenn der Patient nach opiatbedingter Asphyxie aufgrund Hyperkapnie in der CO2-Narkose ist noch wenn er erbrochen und aspiriert hat.

    Außerdem habe ich nach Antagnoisierung wieder das Ausgangsproblem: Einen schmerzgeplagten Patienten, der zudem nun nicht mehr gut auf Opiate anspricht.

    Nota bene: Ich habe alles schon erlebt - allerdings bei Notärzten. Insofern ist mein Einwurf keinesfalls als Argument gegen Opiatgaben bei NotSan zu werten. Sondern lediglich als Reminder, dass Komplikationen trotz Naloxon antizipiert und beherrscht werden müssen.

    Ein Kollege und ich haben vor einigen Jahren mal mit einem Physiocontrol-Vertriebler gewitzelt, was wohl passieren würde, wenn Corpuls die Ausschreibung im bayerischen Rettungsdienst gewinnen sollte (was ja nun tatsächlich passiert ist).

    Er meinte darauf völlig trocken: "Dann kaufen wir die Firma auf."


    "Nordic Capital steigt Mehrheitlich bei GS ein, um das dortige Wachstum sowie weitere Entwicklung zu begleiten." ist natürlich ein schöner Euphemismus für "Wir möchten die Anteile mit Gewinn weiterverkaufen" - mal sehen, wer am Ende der Käufer ist. Groß ist der Markt ja nicht unbedingt.

    Man muss auch zwei Formen der Überprüfung unterscheiden. Die prospektive ("Ist sichergestellt, dass der NotSan die Maßnahme beherrscht?") und die retrospektive ("War die Maßnahme indiziert und wurde sie korrekt durchgeführt?").

    Gegen Beides gibt es, sofern ordentlich geregelt und transparent durchgeführt, wenig einzuwenden.

    Beide Fragen interessierten die bayerischen ÄLRD in der Vergangenheit jedoch wenig, so dass die Intention - M1k3 hat es ja schon angedeutet - auf eine dritte Form hindeutet: "Durfte der NotSan es?"

    Übrigens dürfte das bei der durchschnittlichen Verweildauer im Beruf des Notfallsanitäters eine zunehmend untergeordnete Rolle spielen.

    Das sehe ich genau umgekehrt.
    Ich kenne inzwischen eine ganze Reihe, die von ihren "Ausflügen" zurückgekehrt ist. So manche(r) hat gelernt, dass eine Notaufnahme mit ihrer Arbeitsverdichtung, die Leitstelle mit Personalmangel oder eine ITS, wo man ohne pflegerische Ausbildung doch nur eine glorifizierte Hilfskraft ist auch nicht das gelobte Land sind und ein Rettungsdienstjob, wo man während der einsatzfreien Zeit auf dem Sofa lümmeln kann und in aller Regel nur für einen Patienten gleichzeitig verantwortlich ist auch seine Vorzüge bietet.
    Und je känger die Pause im Rettungsdienst war, desto wichtiger wird (Nach-)Schulungsbedarf.

    Passt alles vollkommen in meine Meinung zu diesem Bundesland.

    Auf den Rettungsdienst bezogen: Nicht alles ist schlecht.
    Landesweit zentrale Beschaffung von Fahrzeugen (die inzwischen kaum noch Wünsche offen lassen) und Medizinprodukten sind zwei Dinge, die nicht mehr missen möchte. Auch (zumindest beim BRK) landesweite Poolwäsche.
    In ca. fünf Jahren wird jedes Rettungsmittel über eine elektrische Trage verfügen - landesweit im flächengrößten Bundesland.
    Telenotarzt soll auch innerhalb von 10 Jahren landesweit etabliert sein.

    Und die Vernetzung der Leitstellen mit landesweitem GPS-Routing und Einsatzweiterleitung ist m.M.n. auch vorbildlich.
    Über die kommende landesweite Einführung von IVENA kann man sicherlich streiten...

    Diese sollte aber rechtlich die Tätigkeit der NFS in Bayern kaum tangieren, wenn sie sich auf §2 berufen (können).

    Ich befürchte anderes.

    Die Dokumentation erfolgt bayernweit elektronisch (NIDA-Pad). Bestimmte Dokumentationen lösen beim örtlich zuständigen ÄLRD automatisch einen Hinweis oder eine Warnung (insb. wenn bei 2c-Maßnahmen gegen Algorithmen verstoßen wurde).
    Beispiele:
    - Auswahl Tracer-Diagnose (Reanimation, ACS, Stroke, ARDS, Polytrauma, Sepsis) ohne Notarzt

    - NRS > 5 ohne Analgesie

    - Analgetikagabe ohne EKG

    - Gabe von Medikamenten außerhalb der 2c-Algorithmen ohne Notarzt

    - NACA >= 4 ohne Notarzt

    - pvK-Anlage, Sauerstoffgabe oder Absaugen ohne Notarzt (bis zur Freigabe entsprechender 2c-Algorithmen)

    Dies führt regelmäßig dazu, dass vom ÄLRD Stellungnahmen eingefordert werden oder zum persönlichen Gespräch gebeten wird.

    Vermutlich werden die in der Veröffentlichung genannten Medikamente ebenfalls mit einem Trigger versehen - die Gabe von "gelben" oder "roten" Medikamenten bzw. Maßnahmen wird also automatisiert beim ÄLRD aufschlagen und dieser wird, je nach Persönlichkeit, überprüfen, ob der einzelne Mitarbeiter dazu qualifiziert ist.