Mannheimer Retter helfen schwäbischen Sanitätern
Zu jedem WM-Spiel in Stuttgart rücken 70 Feuerwehrleute, Ärzte und Helfer aus / Spezieller Container beschafft
Von unserem Redaktionsmitglied Peter W. Ragge
Zunächst hat er arg gewackelt, waren Seitenwände nicht stabil, haben Verschlüsse geklemmt, weshalb ihn die Herstellerfirma zurücknehmen und nachbessern musste. Aber am Samstag, wenn er nach gut viermonatigem internen Training offiziell bei einer Großübung gezeigt wird, soll alles klappen - schließlich ist der 13. Juni nah: Dann rücken erstmals Mannheimer Feuerwehrleute und Sanitäter mit dem neuen MANV-Container nach Stuttgart zur Fußball-WM aus. Bei allen sechs WM-Spielen in der Landeshauptstadt sind stets rund 70 Rettungskräfte aus der Quadratestadt dabei, um einen möglichen "Massenanfall von Verletzten" (MANV) zu bewältigen.
In Mannheim - wie auch in Karlsruhe, Ravensburg und Stuttgart selbst - wurde dazu je ein so genannter MANV-Container stationiert. Jeweils eine halbe Million Euro ließ sich das Land diese Blechkisten kosten, die auf (nur bei den Feuerwehren vorhandene) Spezial-Lkw gepackt und zu den WM-Spielen ins Gottlieb-Daimler-Stadion gefahren werden. Es bietet 57 000 Zuschauern Platz, vier Vorrunden-Begegnungen, ein Achtelfinale und das Spiel um Platz drei werden hier ausgetragen. Doch die Vorgaben der Fifa hätten den regulären Stuttgarter Rettungsdienst überfordert. Das Land bewilligte daher 4,6 Millionen Euro für zusätzliches Katastrophenschutz-Gerät, schaffte einen Großraum-Rettungswagen (Bus) und vier "MANV-Container" an. Die wurden, damit sie auch nach der WM noch gute Dienste leisten können, bereits auf die Regionen verteilt - aber zu den WM-Spielen müssen sie, und zwar mit den sie betreuenden Rettungskräften, nach Stuttgart, um wenigstens 200 Verletzte gleichzeitig versorgen zu können.
So kommen rund 70 Mannheimer Helfer je Spiel zu einem WM-Einsatz der besonderen Art - vermutlich ohne jemals ein Tor, wohl nicht einmal den Rasen dort gesehen zu haben. Schließlich muss der Behandlungsplatz weit weg vom möglichen Gefahrenherd aufgebaut werden. Dafür haben Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr, Abteilung Nord, lange trainiert. Der weiß/leuchtorange lackierte Container ist auf der Wache Nord stationiert. Er enthält viele Medikamente, zahlreiche hochwertige Infusions- und Arztbestecke, sogar je sechs Beatmungsgeräte und Defibrillatoren für Intensivbehandlungsplätze, zudem Zelte, Heizgeräte, Tische, Stühle, Tragen. Pro Spiel fahren 16 Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr beziehungsweise Beamte der Berufsfeuerwehr mit ihm nach Stuttgart, bauen ihn da auf - mit den anderen drei baden-württembergischen Containern.
Kommt es zum Notfall, sollen die Feuerwehrleute technische Hilfe leisten oder Verletzte herbeischleppen. Zur medizinischen Versorgung stehen aus Mannheim pro WM-Spiel ein Leitender Notarzt, acht Notärzte und 30 Rettungsassistenten beziehungsweise Sanitäter bereit, ferner stets zwei Notfallseelsorger. 120 Mitglieder der vier Sanitätsorganisationen Arbeiter-Samariter-Bund, Johanniter, Malteser und Rotes Kreuz wurden dafür speziell ausgebildet und (nach aufwändigen Sicherheitsüberprüfungen) bei der Fifa akkreditiert. Daher zieren den Container auch, worauf die Beteiligten großen Wert legten, die Aufkleber aller vier Rettungsorganisationen.
Sie haben für die Zeit der WM eine Urlaubssperre verhängt - und setzen in Stuttgart überwiegend Hauptamtliche ein, die sonst in Mannheim im Rettungsdienst fahren. Dabei hatte es innerhalb der Organisationen zunächst lange Zweifel gegeben, ob diese Unterstützung für Stuttgart von Mannheim aus leistbar ist. So herrschte die Sorge, Mannheim könne "ausverkauft" sein, zumal hier ja parallel die WM-Aktionen rund um den Wasserturm stattfinden, teilweise Mannschaften in Hotels einquartiert sind und bei Notfällen während der Spiele in Kaiserslautern auch der im Hauptbahnhof stationierte (und von Johannitern besetzte) Rettungszug eingesetzt werden könnte. Diese Bedenken sind, zumindest offiziell, verstummt. "Es besteht keine Gefahr, alle Systeme sind besetzt, wir fahren in Mannheim nicht 'runter", versichert daher Boris Rendsland, der beim DRK den Einsatz des MANV-Containers vorbereitete. Dass dieser nach der WM in Mannheim bleibt, empfinden viele Notärzte und Rettungskräfte sogar mittlerweile als Gewinn - wenngleich noch nicht geklärt ist, wer die Unterhaltskosten trägt, sprich etwa Medikamente erneuert.
? Mannheimer Morgen - 19.05.2006
MANV
Von einem "Massenanfall von Verletzten und Erkrankten (MANV)" spricht man, wenn plötzlich - durch ein Unglück, Attentat oder eine Lebensmittelvergiftung etwa in einem Altenheim - eine große Zahl von Notfallpatienten zu versorgen ist, mit denen der reguläre Rettungsdienst sowie die Krankenhäuser überfordert wären. Damit in einem solchen Chaos nicht unkoordiniert einfach irgendein Verletzter von irgendeinem Rettungswagen eingeladen und weggefahren wird, versucht man, schon in der Nähe des Unglücksorts Behandlungsplätze einzurichten und Prioritäten festzulegen. Notärzte übernehmen dort zunächst die Triage, sprich die Sichtung nach vier festen Kriterien. Da wird entschieden, ob jemand ganz schnell in eine Klinik muss, ob es ausreicht, ihn zunächst vor Ort zu behandeln und später zu transportieren oder gar nur ambulant zu verbinden oder ob eine Fahrt mit dem Rettungswagen ohnehin aussichtslos wäre, man also nur noch die schlimmsten Schmerzen stillt. Für diese vier Gruppen werden jeweils Zelte aufgebaut, die Verletzten dort entsprechend der Vorgaben des Leitenden Notarztes versorgt und, soweit möglich, die Personalien aufgenommen, um Anfragen von Angehörigen beantworten zu können. pwr
Stichwort
? Mannheimer Morgen - 19.05.2006