?Das Vertrauen ist weg? - Rettungswagen nimmt Patienten nicht mit / Schwere Operation / Künstliches

  • Aus dem Bielefelder Tageblatt, Donnerstag 14. September 2006



    VON STEFFEN PORALLA


    Bielefeld . ?Eine riesengroße Enttäuschung?, nennt Gerlinde H. (Name von der Redaktion geändert) den Vorfall. Als ?eine Verkettung unglücklicher Umstände? bezeichnet ihn Rainer Kleibrink von der Bielefelder Feuerwehr. Wie auch immer man die Geschehnisse charakterisiert ? tragisch waren sie allemal: Gerlinde H.s 27-jähriger Sohn lag mehrere Tage im künstlichen Koma und rang mit dem Tod, nachdem weder Rettungssanitäter noch Notarzt den Ernst der Lage erkannt hatten.


    Am Abend des letzten Augustsamstages klagt Michael H. (Name von der Redaktion geändert) über Kopfschmerzen, die minütlich anschwellen. Der Vater von Zwillingen kann sich nicht mehr auf den Beinen halten und legt sich ins Bett, doch die Schmerzen werden stetig schlimmer.


    Irgendwann schreit der gelernte Kfz-Mechaniker vor Schmerzen, seine Frau wählt die Nummer des Notrufes. Erst nach langer Diskussion hätte die Leitstelle einen Rettungswagen vorbeigeschickt, berichtet Mutter Gerlinde: ?Man sagte meiner Schwiegertochter, für Kopfschmerzen käme kein Krankenwagen. Ich bin sofort zu ihm gefahren.? Als Gerlinde H. in der Wohnung ihres Sohnes eintrifft, verlassen die Sanitäter gerade das Krankenzimmer. ?Sie sagten, es handle sich um Migräne und er solle Kopfschmerztabletten nehmen. Dann sind sie wieder abgefahren.?


    Rainer Kleibrink, stellvertretender Leiter der Bielefelder Feuerwehr, hat die Protokolle des Einsatzes analysiert und seine Schlüsse gezogen: ?Die beiden Sanitäter befanden beide, dass ein Transport ins Krankenhaus nicht nötig ist. Außerdem sagte der Patient, dass es ihm lieber wäre, nicht ins Krankenhaus zu fahren.?


    Doch schon wenige Minuten nach der Abfahrt des Rettungswagens verschlechtert sich sein Zustand dramatisc
    h. ?Er war zwar noch ansprechbar, schrie aber permanent vor Schmerzen. Meine Schwiegertochter und ich wussten nicht, was wir machen sollen?, erzählt die Mutter. Die beiden Frauen sind mit der Situation überfordert, können den Mann alleine nicht nach draußen tragen, um ihn ins Krankenhaus zu fahren. Auf den Gedanken, Nachbarn um Hilfe zu bitten, kommen sie nicht. ?Wir waren furchtbar durcheinander?, sagt sie.


    Stattdessen wählt die 50-Jährige erneut 112, um einen Rettungswagen anzufordern, der 20 Minuten später mit Blaulicht eintrifft. ?Auch hier gab es am Telefon erst Diskussionen, weil bereits ein Wagen vor Ort gewesen ist?, berichtet Gerlinde H. ?Ich habe nicht lockergelassen.?


    Wieder untersuchen zwei Sanitäter den Kranken, wieder ist kein Arzt dabei. ?Kopfschmerzen an sich sind kein lebensbedrohlicher Zustand ? außerdem muss ein Notarzt extra angefordert werden?, erklärt Rainer Kleibrink. ?Die Besatzung des zweiten Rettungswagens erstellte dieselbe Verdachtsdiagnose wie die des ersten Wagens. Eine offensichtliche Verletzung lag zudem nicht vor?, verteidigt er die Sanitäter, die schließlich den ärztlichen Notdienst rufen, ehe sie wieder abfahren. ?Der Abend bestand aus Verkettungen unglücklicher Umstände?, sagt Kleibrink, der Fehler bei der internen Kommunikation einräumt: ?Die zweite Besatzung wusste offenbar nichts von der ersten Sanitätstruppe.?


    ?Spätestens beim zweiten Anruf hätte der Patient ins Krankenhaus gemusst", meint ein Rettungsdienstexperte, der für die Ausbildung von Sanitätern verantwortlich ist und namentlich nicht genannt werden möchte. ?Bei so starken Schmerzen kann man nicht davon ausgehen, dass der Patient übertreibt. Wäre ein Notarzt zum Einsatzort gekommen, hätte er ihn sofort abtransportieren lassen.?


    Es kommt jedoch kein Notarzt, sondern ein Internist des kassenärztlichen Notdienstes, der dem Kranken Schmerzmittel spritzt und Beruhigungstabletten gibt. ?Die Nacht konnte er ruhig schlafen?, erzählt seine Mutter. Doch als die Schmerzen am anderen Morgen mit großer Vehemenz zurückkehren, entscheiden die beiden Frauen, den Kranken ins Hospital zu fahren. Drei Fußballer aus der Nachbarschaft tragen den 27-Jährigen ins Auto, und seine Frau fährt ihn ins Städtische Krankenhaus, von wo aus er sofort in die Gilead-Klinik transportiert wird.


    Und erst in Bethel wird die korrekte Diagnose gestellt: Michael H. leidet unter einem Aneurysma. Eine Ader in seinem Kopf ist geplatzt und das austretende Blut quetscht das Gehirn. Eine Entlastungsbohrung nimmt den Druck aus dem Kopf des Patienten und lässt das Blut abfließen. ?Die Symptome der Krankheit sind klassisch und schnell feststellbar. Die Sanitäter des Krankenwagens hätten das erkennen müssen?, sagt der Rettungsexperte.


    Die Ärzte versetzen den Patienten für die komplizierte Operation in ein künstliches Koma. Tagelang bangt die Familie um das Leben des Mannes. ?Wir hatten großes Glück, dass er die Sache überlebt hat?, sagt Gerlinde H. leise: ?Wenn wir nicht die Eigeninitiative ergriffen hätte, wäre er wohl gestorben.?


    Inzwischen liegt ihr erwachsener Sohn nicht mehr auf der Intensivstation, sein Zustand ist stabil. ?Er hat zwar noch Schmerzen, ist aber auf dem Weg der Besserung?, freut sich die Mutter. ?Und Langzeitschäden hat er wohl auch nicht zu befürchten.? Lediglich ihr Verhältnis zum Rettungsdienst hat Schäden davontragen. Noch immer überfällt sie Wut, wenn sie an jenen Augustabend denkt: ?Das Vertrauen ist vollkommen weg.?

  • Was soll man dazu noch groß sagen ?
    Ich denke, dass der Artikel sicherlich einseitig geschrieben ist. Man weiß weder, wie sich die Einsatzsituation vor Ort dargestellt, welche Vitalwerte der Pat. hatte noch irgendetwas weiteres.
    Desweiteren ist ein ruptiertes Aneurysma, vor allem wenn es sich um ein kleineres handelt, eher atypisch im Verlauf, da denkt man nicht sofort an eine Blutung. Außerdem muß davon ausgegangen werden, dass es keine neurologischen Ausfälle und keine Pupillendifferenz gab, denn sonst wäre der Pat. garantiert sofort in eine neurologische Klinik transportiert worden.
    Auch weiß man nicht ob es noch weitere Faktoren wie C2 oder soziale Umstände gab, die die Angaben des Pat. nicht gerade glaubwürdig erschienen ließen. Ich weiß, dass man sich von so etwas nicht beeinflussen lassen soll, aber unbewußt geschieht es doch immer wieder, habe mich selber schon dabei ertappt.
    Sollte der Pat. allerdings wirklich vor Schmerzen geschrien haben, so ist das für mich allein schon deshalb eine NA-Indikation, ob das aber wirklich der Fall war, weiß man auch nicht. Wir waren ja nicht dabei und haben auch die Protokolle der BF nicht gesehen.

  • Was mir ein wenig sauer aufstösst, ist der "Rettungsexperte", der namentlich nicht genannt werden möchte.


    Also, ich muß zugeben, in einer ähnlichen Situation hätte ich vermutlich anhand des Gesamtbildes auch erstmal an Migräne bzw. Spannungskopfschmerz gedacht. Da der Patient auch geäußert hat, daß er nicht mit ins KH möchte, ist das Abrücken der KTW (RTW?)-Besatzung im ersten Fall nicht weiter strittig. Beim zweiten Anrücken des RD macht mich allerdings stutzig, daß die zweite Besatzung nix vom ersten RD-Besuch mitbekommen hat (oder haben die Angehörigen das nicht erwähnt? merkwürdig!). Aber wenn die Symptomatik und die Äusserungen des Patienten keine andere war, dann ist das Hinzuziehen des ÄND auch imho in Ordnung.


    Mal ne fachliche Frage: Wie will ich denn präklinisch (laut dem "Rettungsexperten") ein Aneurysma im Gehirn feststellen, sofern die Symptomatik nicht offensichtlich ist (sprich Pupillendifferenz, Hirndruckzeichen etc.), denn wenn ich demnächst bei jedem Einsatz, bei dem ein Patient über Kopfschmerzen klagt, Schraube und nen Bett in der Neurochirurgie klar mache, dann sollte ich mir überlegen, ob ich da noch alles richtig mache

  • Zitat

    Original von Retter30


    Mal ne fachliche Frage: Wie will ich denn präklinisch (laut dem "Rettungsexperten") ein Aneurysma im Gehirn feststellen, sofern die Symptomatik nicht offensichtlich ist (sprich Pupillendifferenz, Hirndruckzeichen etc.), denn wenn ich demnächst bei jedem Einsatz, bei dem ein Patient über Kopfschmerzen klagt, Schraube und nen Bett in der Neurochirurgie klar mache, dann sollte ich mir überlegen, ob ich da noch alles richtig mache


    Absolut meine Meinung

  • Sehr schlechte Presse...


    Zum eigentlichen Fall möchte ich mich aufgrund fehlender, fachlicher Informationen nicht äussern.

    Knüpfe dich nicht an Geringes, es zieht dich ab und hinab, fügt dir Geringeres zu.

  • Mein Nichtäussern war ja auch nicht auf deine Frage, sondern auf den beschriebenen Fall bezogen ;)

    Knüpfe dich nicht an Geringes, es zieht dich ab und hinab, fügt dir Geringeres zu.

  • Was ist eigentlich mit dem Internisten des ärztlichen Notfalldienstes? Da schiebt man die ganze Schuld auf die "Rettungssanitäter", aber der Arzt darf ihn zu Hause lassen?


    Tragisch. Aber das gibt es halt immer wieder.

  • Sollte man nicht einfach jeden Patienten ins Krankenhaus mitnehmen und wenn das Personal meckert, diesen und auch schon andere gepostete Artikel vorlegen ?

  • Zitat

    könnt man mal probieren.
    ich glaube nur, dass das die meisten in der aufnahme herzlich wenig interessiert.


    Und mich interessiert nicht, ob es die Aufnahmeschwester interessiert - ich komme meiner Tansportpflicht nach.
    Wenn ein Patient von mir in die Klinik transportiert werden möchte, fahre ich ihn dorthin. Ich kann ihm evt. Alternativen aufzeigen, aber ich werde meinerseits einen Transport sicher nicht verweigern.
    Wenn ich keine Transportindikation erkenne, sage ich das dem Patienten und weise ihn darauf hin, dass er die Rechnung u.U. selbst bezahlen muss. Wenn er dann immer noch mit möchte, dann ist das so.


    Und ein Patient, der vor Schmerzen schreit, erweckt schon mein Interesse...


    J.

  • Wie definiert man einen schlechten Sani, wo liegen die Grenzen,
    wer kennt einen?


    Spruch: Eigenlob - st.....!


    Hat nicht jeder schon mal falsch gehandelt?

  • Zitat

    Original von Butzers
    Wie definiert man einen schlechten Sani, wo liegen die Grenzen,
    wer kennt einen?


    Spruch: Eigenlob - st.....!


    Hat nicht jeder schon mal falsch gehandelt?


    dann fange ich mal an...


    mögliche kennzeichen eines schlechten sanitäters


    * baut keinen guten patienten-kontakt auf [künstliche freundlichkeit, offensichtliche unsicherheit, phrasendrescherei, körpersprache, hört nicht gut zu etc.]
    * hat keinen roten faden in seinem vorgehen und kann seine massnahmen nicht begründen
    * lernt nicht aus erfahrung [sondern verdrängt sie]
    * hat kein interesse, besser zu werden
    * ist unsorgfältig, zB bei der dokumentation oder bei der messung von vitalfunktionen
    * kennt sein material nicht gut [habt ihr kortison dabei? keine ahnung.]
    * kennt die infrastruktur seines bereiches nicht [fährt demzufolge zu oft in's haus der maximalversorgung]
    * erkennt keine patienten-bedürfnisse
    * schlechte terminologische kenntnisse
    * schlechtes fachwissen
    * mangelnde geschicklichkeit
    * mangelndes selbstvertrauen [wenn auch begründet]. vertraut blind der ärztlichen einweisung und lässt sich von laien verunsichern
    * keine durchsetzungsfähigkeit
    * kennt seine grenzen nicht. hört vom NA öfters mal "und weswegen bin ICH jetzt hier?" und vom aufnahmepersonal "und das ohne NA? respekt!"


    wo die grenzen liegen?


    wenn der patient mit einem x-beliebigen anderen sani besser fährt und nur dadurch zu schaden kommt, dass der jetzige bestimmte wesentliche defizite hat, dann ist die grenze überschritten.


    wer kennt einen?


    ich kenne so viele, dass es eine nette party gäbe.


    falsch gehandelt?


    habe ich schon oft. ich mache dann aber keine innerliche wegwerfende handbewegung, sondern analysiere meine fehler, auf dass der nächste patient davon profitiere. manchmal nehme ich sogar ein buch zur hand oder frage einen RA/arzt meines vertrauens, wie er/sie reagiert hätte. und wenn ich mit erfahrenen kollegInnen fahre, dann gucke ich mir von denen gerne was ab.



    blubb
    höppi