Forderung der Medikamentengabe im RettAss-Examen

  • Um Medikamente anzuwenden braucht es in aller erster Linie Fachwissen und nicht Erfahrung.


    Und ich sage das stimmt so ganz und gar nicht, es braucht beides Erfahrung und Fachwissen, wie bei allen anderen Dingen auch. Reines Fachwissen ist schön und gut, die direkte Erfahrung von Wirkung, Nebenwirkung, Applikationsart und -schnelle aber eine erheblich wichtige Komponente. Nicht umsonst hat jeder Arzt so seine Medikamente mit denen er sich nicht nur theoretisch auskennt, sondern die er praktisch auch schon viele Male angewendet hat. Das theoretische Wissen ist Voraussetzung, die praktische Anwendung und das Erfahren ist aber das Salz in der Suppe. Ohne Erfahrung kann man seltene Verläufe nicht abfangen, sondern man hat eben nur ein Standardschema drauf, das kann gut gehen, muss aber nicht. Gut anfühlen tut sich das in der Regel auch nicht, es sei denn man hat Kollegen als Backup, die eben schon Erfahrung haben (Erfahrung würde ich mal definieren als alles aufwärts von mindestens 5 Jahren durchgehend im Job und auch regelmässig mit der entspr. Maßnahme befasst, Ausbildung nicht mitgerechnet).

  • Dieser Diskussion stelle ich mich sehr gerne. Aber das was hier als Erfahrung gelistet wurde, nämlich Applikationsart, Wirkung, Nebenwirkung und seltene Verläufe fallen unter Fachwissen. Ich hoffe doch inständig, dass dies heutzutage niemand mehr im Patientenversuch herausfindet. Allerdings sehe ich natürlich auch den Unterschied, eine Nebenwirkung zu kennen und sie gesehen zu haben. Allerdings bleibe ich dabei, und bitte tunlichst darum dies nicht permanent aus dem Kontext zu nehmen, dass dies bei den Medikamenten, die üblicherweise über die BÄK Empfehlung hinaus durch Rettungsassistenten angewandt werden, eher eine untergeordnete Rolle spielt.


    Aber wenn mir so vehement widersprochen wird, gibt es denn ein Beispiel dafür, wo Erfahrung eine maßgebliche Rolle spielen würde? Allgemein formulierte Aussagen sind hier viel zu leicht zu treffen.

    Land zwischen den Meeren,
    vor dem sich sogar die Bäume verneigen,
    du bist der wahre Grund,
    warum Kompassnadeln nach Norden zeigen!

  • Zitat

    Zitat von Â?cerebralperfusionÂ?
    Wenn ich nicht die Wirkung über cAMP, CA-ATPase und die Physiologie der Muskelkontraktion bei Beta-2-Sympathomimetika verstanden habe, bringt mir das relativ wenig.


    Erkläre mir doch bitte einmal, weshalb. Was genau ändert sich durch dieses Wissen im Bezug auf die Medikamentengabe durch Rettungsassistenten?


    Das man erstmal überhaupt versteht, wie die Muskeldilatation zustande kommt. Wenn ich nicht weiß, wie etwas genau funktioniert, kann ich nicht den Anspruch haben, es sicher einsetzen zu können.


    Andersherum: Wie willst Du einem RettAss die Pharmakodynamik und Kinetik beibringen? Wo hört für Dich das notwendige Wissen auf, wo fängt es an?


    Mein Statement dazu:
    Wenn wir uns daran halten wollen Medikamente eigenmächtig geben zu wollen und auch diese Qualifikationen erreichen möchten, dann müssen Wissen im gewissen Grundlagenumfang gleich dessen derer sein, die es als Vorgabe machen - die Humanmedizin.
    Ich finde den Schrei nach mehr Medikamentenkompetenzen dann lächerlich, wenn die Kollegen weder die allgemeine Pharmakodynamik und Kinetik noch die Grundlagen der biochemischen Wirkungsweisen kennen. Dann sind wir wieder bei Kochbuchmedizin und das ist mir zu gefährlich. Entweder verstehen und anwenden oder die Finger davon lassen.

    Einmal editiert, zuletzt von cerebralperfusion ()

  • Vieles zu wissen schadet grundsätzlich nicht. Ich halte es aber für überzogen davon zu sprechen, dass eine "sichere" Anwendung nur dann erfolgen kann, wenn ich den Wirkmechanismus eines Medikamentes bis ins Detail wiedergeben kann. Wer kann das für alle von ihm irgendwann einmal applizierten Medikamente (außer vielleicht Matthias Bastigkeit ;) )? Für einige Medikamente kann noch nicht einmal genau gesagt werden, wie sie wirken.
    Selbstverständlich gehört ein fundiertes Grundlagenwissen dazu, aber ich glaube, du schießt mit deinen Vorstellungen etwas über das Ziel hinaus. Es genügt meines Erachtens für unsere Zwecke völlig, die Indikation, Kontraindikationen, Neben- und mögliche gefährliche Wechselwirkungen unserer Notfallmedikamente zu kennen - eingesetzt mit Erfahrung. Wenn ich eine differenziertere medikamentöse Therapie machen möchte, muss ich - und das aus meinem Munde - Medizin studieren.


    Und ja, wir machen "Kochbuchmedizin". Würden wir das nicht machen, würden wir kreativ kochen und am Ende sehen, was dabei heraus kommt.

    Knüpfe dich nicht an Geringes, es zieht dich ab und hinab, fügt dir Geringeres zu.

  • Nun, da hat dann jeder seine Meinung dazu. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen, das mir hier das Medizinstudium (auch wenn nicht abgeschlossen) viel gebracht hat, denn ich verstehe jedes meiner Medikamente auf dem von mir beschriebenen Niveau. Ich würde mich sonst auch nicht sicher genug fühlen, Medikamente differenziert einzusetzen. Dieses mag aber auch mein besonderes Fabel für die Pharmakologie sein.


    Da eine Analgesie zur differenzierten Medikamentenapplikation gehört, fällt dieses nun für den RettAss raus ? ;)


    Wie würdest Du deine Pharma-Skills nach deiner EEMSP Weiterbildung sehen? Hat es dazu beigetragen, das Du dich sicherer gefühlt hattest also vorher, da Du nun mehr wusstest?


    Pharmakologie ist kein Buch mit sieben Siegeln und man kann es gut verstehen, wenn es so reduziert oder aufgebaut wird, das es Zielgruppengerecht unterrichtet wird. Die von Dir beschrieben "groben" Eckdaten eines Medikamentes tragen (meine Meinung) nicht dazu bei, das es beherrscht wird. Dieses geht nur dann, wenn ich mir die Wirkungen und Nebenwirkungen auch erklären kann. Dazu brauche ich den eigentlichen Wirkungsmechanismus ;).


    Das führt dann dazu, das Rettungsassistenten bei Salbutamol anfangen Patienten in einem hochgradigen Asthmaanfall das Medikament inhalativ zu verweigern, weil der Patient eine HF von 140/min hat und man darf das ja dann nicht mehr geben??
    1. Selbst die DG Pulmologie empfiehlt hier die HF in den meisten Situation unbeachtet zu lassen.
    2. Ist Salbutamol sehr ß2-Sensitiv, was dem Herzen also meist schnuppe sein kann.
    Das ist dann für den Patienten sehr schade, da ihm eine wichtige Therapie verwehrt wird, aus Unkenntnis.



    Wenn wir uns dann Ketanest/Dormicum anschauen und ich nach NMDA frage oder GABA, kommt wieder das Fragezeichen.
    Das kann doch nicht das Ziel sein, wenn wir als RettAss über Professionalisierung und erweiterte Kompetenzen nachdenken oder :)?

  • @cp


    Was Du in Deinen Ausführungen für die Rettungsassistenten verlangst, ist weitab von jeder Realität. Es bestehen weder die Notwendigkeit, noch die Zeit in der Ausbildung, noch das intellektuelle Anforderungsprofil für solches Detailwissen (gilt nicht nur für die Pharmakologie). Ob die die Kenntnisse der intrazellulären Second Messenger zu einem besseren Verständnis für die Wirksamkeit eines Medikamentes führen, wage ich zu bezweifeln. Mir hat es jedenfalls nicht geholfen und für einen Rettungsassistenten in Deutschland reicht es völlig aus, wenn er weiß, daß Theophyllin die Bronchien weit macht. Jedes weitere Wissen ist Luxus und nicht notwendig, es sei denn, Pharmakologie ist das persönliche Steckenpferd eines Rettungsassistenten.

  • Wenn man die Linie konsequent durchziehen will, darf man aber nicht aufs Ketamin setzten, dies hat die BÄK ja als Analgetikum neben anderen ausgeschlossen.

    Echt? In der von mir benannten Richtlinie steht nichts davon. Dort entscheidet der ÄLRD.

  • Wie würdest Du deine Pharma-Skills nach deiner EEMSP Weiterbildung sehen? Hat es dazu beigetragen, das Du dich sicherer gefühlt hattest also vorher, da Du nun mehr wusstest?


    Meine EEMSP-Weiterbildung war 2003. Ich weiß nicht, was sich inzwischen alles verändert hat (die Ausbildung wurde meines Wissens weiter verbessert), aber um auf deine Frage zu antworten: nein, ich habe mich im Hinblick auf die Pharmakologie nicht sicherer gefühlt, als zuvor.


    Das führt dann dazu, das Rettungsassistenten bei Salbutamol anfangen Patienten in einem hochgradigen Asthmaanfall das Medikament inhalativ zu verweigern, weil der Patient eine HF von 140/min hat und man darf das ja dann nicht mehr geben??
    1. Selbst die DG Pulmologie empfiehlt hier die HF in den meisten Situation unbeachtet zu lassen.
    2. Ist Salbutamol sehr ß2-Sensitiv, was dem Herzen also meist schnuppe sein kann.
    Das ist dann für den Patienten sehr schade, da ihm eine wichtige Therapie verwehrt wird, aus Unkenntnis.


    Das weiß ein halbwegs gut aus- und fortgebildeter, erfahrener Rettungsassistent auch ohne das von dir geforderte, vertiefende Wissen.

    Knüpfe dich nicht an Geringes, es zieht dich ab und hinab, fügt dir Geringeres zu.

  • Da eine Analgesie zur differenzierten Medikamentenapplikation gehört, fällt dieses nun für den RettAss raus ?


    Wieso ausgerechnet die Analgesie?
    Mit einer differenzierten Medikamentenapplikation meinte ich, aus einer Bandbreite verschiedener Medikamente auswählen zu können, welches ich dem Patienten verabreiche.

    Knüpfe dich nicht an Geringes, es zieht dich ab und hinab, fügt dir Geringeres zu.

  • @cp


    Was Du in Deinen Ausführungen für die Rettungsassistenten verlangst, ist weitab von jeder Realität. Es bestehen weder die Notwendigkeit, noch die Zeit in der Ausbildung, noch das intellektuelle Anforderungsprofil für solches Detailwissen (gilt nicht nur für die Pharmakologie). Ob die die Kenntnisse der intrazellulären Second Messenger zu einem besseren Verständnis für die Wirksamkeit eines Medikamentes führen, wage ich zu bezweifeln. Mir hat es jedenfalls nicht geholfen und für einen Rettungsassistenten in Deutschland reicht es völlig aus, wenn er weiß, daß Theophyllin die Bronchien weit macht. Jedes weitere Wissen ist Luxus und nicht notwendig, es sei denn, Pharmakologie ist das persönliche Steckenpferd eines Rettungsassistenten.

    das mag für Rettungsassistenten stimmen, deren einziges Arbeitsumfeld ist Medikamente für den Notarzt aufzuziehen.


    Sollte von Rettungsassistenten aber erwartet werden Medikamente zu verabreichen (und das ist bundesweit ja eher auf dem VOrmarsch als auf dem Rückzug), dann müssen diese aber auch über die theoretischen Grundlagen bescheid wissen.
    Dann reicht es vermutlich immer noch zu wissen, dass "Theophyllin die Bronchien weit macht", über Salbutamol, dass eher in die Gruppe gehört, die man Rettungsassistenten an die Hand geben kann, würde ich dann aber auch deutlich detaillierteres Wissen erwarten. Leitlinien / SOPs hin oder her, wer nicht weiss, was er da grade einsetzt, sollte das erst mal nicht einsetzen.


    Wenn Teile des Personals dieser "intellektuellen Herausforderung" nicht gewachsen sind, dann bekommen sie nicht die Freigabe diese Medikamente einzusetzen. Irgendeiner muss den RTW ja auch fahren ;)


    Ciao,


    Madde

    "You won't like me when I'm angry.


    Because I always back up my rage with facts and documented sources."



    The Credible Hulk.

  • Wir dürfen gespannt sein. Werden die Rettungsdienstorganisationen dann auch in ihren Dienstplänen berücksichtigen, daß mindestens ein Rettungsassistent mit "Medikamentenschein" auf dem RTW sitzt? Nicht, daß der Patient noch mehr benachteiligt wird als bei manchen Rettungsteams heute. ;)

  • Wir dürfen gespannt sein. Werden die Rettungsdienstorganisationen dann auch in ihren Dienstplänen berücksichtigen, daß mindestens ein Rettungsassistent mit "Medikamentenschein" auf dem RTW sitzt? Nicht, daß der Patient noch mehr benachteiligt wird als bei manchen Rettungsteams heute. ;)

    Zumindest bei uns spielt das keine Rolle ;)

  • Ich finde es als Notarzt gut, wenn meine Mitstreiter an der Einsatzstelle Rettungshelfer, RHiP, Rettungssanitäter, RSiP,RAiP, Rettungsassistenten und dann zusätzlich neu: Rettungsassistenten Spezial heißen. Klare und übersichtliche Strukturen - wer braucht das schon?


    Aber das nur nebenbei. Suruck zum Thema...

  • Wir dürfen gespannt sein. Werden die Rettungsdienstorganisationen dann auch in ihren Dienstplänen berücksichtigen, daß mindestens ein Rettungsassistent mit "Medikamentenschein" auf dem RTW sitzt? Nicht, daß der Patient noch mehr benachteiligt wird als bei manchen Rettungsteams heute.

    es gibt auch gute Gründe in Richtung dieses Vorgehens. Das manche Landkreise ihre NEFs schon jetzt zeitweise gar nicht besetzt bekommen, dürfte eines der Argumente sein, auf das wir uns hoffentlich alle verständigen können. Irgendjemand sollte dann zumindest in der Lage sein, die unbedingt notwendigen Medikamente zu Verabreichen und dabei sowohl handlungssicher als auch rechtssicher arbeiten.


    Ciao,


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  • Wir werden das nicht erleben. :)

    Das NEFs unbesetzt geblieben sind für mehrere Stunden / Tage und der Bereich mit mehreren angeschlossenen Rettungswachen ohne NEF war habe ich diverse mal selbst erleben dürfen, als ich noch in der "Landrettung" tätig war.


    Ciao,


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  • Ich hab mich mißverständlich ausgedrückt: Wir werden diese Variante der Problemlösung nicht erleben.

    Wenn die Ärztekammern bei ihrer grundsätzlichen Ablehnung bleiben, da sie einen "Dammbruch" befürchten, wird das schwer. Welche Problemlösung schlägst du denn vor?


    Ciao,


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  • Müsste man nicht wenigstens das ASS bereits vor dem NA applizieren, da ja die Leitlinien von AHA und ERC die frühestmögliche Gabe von Aspirin bereits durch Laienhelfer im Angesicht von Brustschmerzen verlangen?


    So ist es. Aus diesem Grunde hat zumindest der ÄLRD für die Bereiche Mainz-Bingen und Rheinhessen-Nahe die intravenöse ASS-Gabe durch Rettungsassistenten in Form einer SOP geregelt. Die anderen 4 ÄLRD in RLP sträuben sich noch ein wenig, aber auch das sollte irgendwann vorbei gehen.


    Um Medikamente erfolgreich anzuwenden, braucht man beides: Wissen und Erfahrung.


    Das sehe ich ähnlich.


    Ich finde den Schrei nach mehr Medikamentenkompetenzen dann lächerlich, wenn die Kollegen weder die allgemeine Pharmakodynamik und Kinetik noch die Grundlagen der biochemischen Wirkungsweisen kennen. Dann sind wir wieder bei Kochbuchmedizin und das ist mir zu gefährlich. Entweder verstehen und anwenden oder die Finger davon lassen.


    Was auch für diesen Beitrag gilt!


    Mir hat es jedenfalls nicht geholfen und für einen Rettungsassistenten in Deutschland reicht es völlig aus, wenn er weiß, daß Theophyllin die Bronchien weit macht.


    Nein, das reicht (definitiv) nicht.


    Wir dürfen gespannt sein. Werden die Rettungsdienstorganisationen dann auch in ihren Dienstplänen berücksichtigen, daß mindestens ein Rettungsassistent mit "Medikamentenschein" auf dem RTW sitzt?


    Das tun sie bereits. In ganz RLP darf kein RA mehr als verantwortlicher Beifahrer auf dem RTW eingesetzt werden, wenn er nicht den "Medikamentenschein" hat (bei uns EVM-Prüfung genannt). "Und das ist gut so!"


    Ich hab mich mißverständlich ausgedrückt: Wir werden diese Variante der Problemlösung nicht erleben.


    Wenn Du Dich da mal nicht täuschst.