Hamburg: Verdacht des versuchten Tötungsdelikts durch Unterlassen in Hamburg-Billstedt

  • Um das mal theoretisch aufzudröseln: wir hätten


    an Tatbeständen im Angebot (vorsätzlichen) Totschlag (mit drei abgestuften Vorsatzformen) und fahrlässige Tötung,
    durch aktives Tun oder durch Unterlassen und
    (bei der Vorsatztat) mit Erfolg und als Versuch.


    Plus KV durch Unterlassen samt Todesfolge? Da dürfte es dann unter Umständen doch etwas enger für die nichthandelnde Fachkraft werden...

    Lügen ist keine Kunst. Kunst ist, anderen die Wahrheit in einem neuen Licht zu zeigen.

  • In der Praxis wird es aber in der Regel am Vorsatz fehlen - man mag ja Pflegepersonal viel unterstellen, aber bewusst einen Bewohner sterben zu lassen oder seinen Tod auch nur schulterzuckend in Kauf zu nehmen, diese Haltung liegt doch eher fern. Und sie wird sich v.a. auch kaum je beweisen lassen. In der Regel wird die Pflegekraft vielmehr nicht erkennt haben, dass man jetzt mal besser etwas täte ("dem geht's noch nicht so schlecht" - "der ist ja schon tot"). Wenn man diese Annahme nicht widerlegen kann, scheidet versuchter Totschlag durch Unterlassen aus, weil der Vorsatz nicht bewiesen werden kann. Totschlag durch Unterlassen scheidet aus, weil man (a) den Vorsatz nicht beweisen kann und (b) nicht beweisbar ist, dass der Bewohner mit sofortiger Wiederbelebung überlebt hätte. Fahrlässige Tötung scheidet aus, weil nicht beweisbar ist, dass der Bewohner mit sofortiger Wiederbelebung überlebt hätte; einen Versuch einer Fahrlässigkeitstat kann des denklogisch nicht geben. Und unterlassene Hilfeleistung scheidet aus, weil es ebenfalls am Vorsatz fehlt; wer nicht erkennt, dass er Hilfe leisten müsste oder denkt, dass jede Hilfe zu spät kommt, handelt ebenfalls vorsatzlos.


    Fett durch mich.

    Vielen Dank für die Ausfühung. Eine Frage zu den Markierten Stellen: Gibt es denn eine Art minimum was man erwartet? Also schön und gut, wenn man nun diese Pflegekraft entschuldigt, weil sie vielleicht den Notfall nicht erkannt hat. Aber wo zieht man da die Grenze? Kann ich als Notfallsanitäter auch meinen Patienten minderversorgen und dann argumentieren ich hab gar nicht verstanden wie schlecht es dem Onkel geht?


    Und kann der Notarzt das auch so machen?



    Ich vermute natürlich, dass du mir sagen wirst, dass je nach Beruf und Situation das Gericht überlegen muss, ob ich die Dramatik hätte erkennen müssen oder nicht. Wa mich interessiert, werden dafür Gutachter herangezogen? Sonst könnte ein Notarzt zB. ja täglich die STEMIs unversorgt zuhause lassen, und erklären er hats nicht verstanden. Wo und wie wird da die Grenze gezogen?

    Under pressure, you don't rise to the occasion. You sink to your level of training.

  • Vielen Dank für die Ausfühung. Eine Frage zu den Markierten Stellen: Gibt es denn eine Art minimum was man erwartet? Also schön und gut, wenn man nun diese Pflegekraft entschuldigt, weil sie vielleicht den Notfall nicht erkannt hat. Aber wo zieht man da die Grenze? Kann ich als Notfallsanitäter auch meinen Patienten minderversorgen und dann argumentieren ich hab gar nicht verstanden wie schlecht es dem Onkel geht?


    Und kann der Notarzt das auch so machen?


    In der Regel wirst ja auch Du als Notfallsanitäter Deine Patienten nicht bewusst fehlerhaft versorgen, sondern aufgrund von mehr oder weniger schweren (und mehr oder weniger nachvollziehbaren) Fehlern. Daher wird in der Regel immer nur ein Fahrlässigkeitsvorwurf zu erheben sein. Konstellationen, in denen med. Personal eine bewusste Patientenschädigung vorgeworfen werden kann, sind sicherlich denkbar, aber doch sehr, sehr selten.


    Daher steht und fällt die Strafverfolgung in diesen Fällen immer mit dem Kausalitätsnachweis. Ein Behandlungsfehler ist meist nachweisbar, aber nur sehr selten ist nachzuweisen, dass er ursächlich für den Tod - oder eine Schädigung - wurde.


    Zivilrechtlich sieht das anders aus, weil dort in verschiedenen Fällen eine Beweislastumkehr in Betracht kommt, aufgrund derer dann der Behandler nachweisen müsste, dass sein Fehler _nicht_ kausal war, was ... auch nicht einfacher ist,


    Ich vermute natürlich, dass du mir sagen wirst, dass je nach Beruf und Situation das Gericht überlegen muss, ob ich die Dramatik hätte erkennen müssen oder nicht.


    "Hätte erkennen müssen" ist ein Fahrlässigkeitsvorwurf. :) -- Vorsatz in der Minimalform des bedingten Vorsatzes wäre "dass Du die Dramatik erkannt hast und es Dir egal war, was passiert".


    Wa mich interessiert, werden dafür Gutachter herangezogen? Sonst könnte ein Notarzt zB. ja täglich die STEMIs unversorgt zuhause lassen, und erklären er hats nicht verstanden. Wo und wie wird da die Grenze gezogen?


    Der Nachweis eines Behandlungsfehlers und ggf. der Kausalität (bzw. die Klärung der Frage, ob Behandlungsfehler vorliegen und diese kausal für Tod oder Schädigung waren) erfolgt durch Hinzuziehzung eines Sachverständigen, ja.

  • Aber dem NA (oder mir) Vorsatz zu unterstellen wird schwierig, wenn er behauptet er hat nicht begriffen wie schlecht es dem Patient geht? :pfeif:

    Under pressure, you don't rise to the occasion. You sink to your level of training.

  • Zitat

    Aber dem NA (oder mir) Vorsatz zu unterstellen wird schwierig, wenn er behauptet er hat nicht begriffen wie schlecht es dem Patient geht? :pfeif:


    Das hängt natürlich von den näheren Umständen ab, nicht zuletzt davon, ob man die Einlassung noch rational nachvollziehen kann. Andererseits stellte sich dann die Frage, warum ein NFS oder NA seinen Patienten töten wollen sollte oder auch nur seinen Tod in Kauf nehmen. Das ist ja doch eher nicht der Regelfall.

  • In Regelfall verstößt niemand gegen Gesetze. Wenn doch, ist es kein regelhaftes Verhalten.


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  • In Regelfall verstößt niemand gegen Gesetze. Wenn doch, ist es kein regelhaftes Verhalten.


    Auch der Vorsatz ist nachzuweisen; als innere Tatsache ist das nur indirekt über den Rückschluss aus äußeren Tatsachen - also dem Handeln oder Unterlassen - möglich. In manchen Fällen liegt das sehr nahe - wer auf Ebay die nicht vorhandene Kamera an fünf verschiedene Personen gegen Vorkasse verkauft, wird wohl einen Betrugs-Vorsatz haben, wer einem anderen mit der Faust inst Gesicht schlägt, den für die Körperverletzung notwendigen Vorsatz, und wer kraftvolle Messerstiche auf den Rumpf eines Menschen ausführt, in der Regel auch einen Tötungsvorsatz. Warum hingegen ein Arzt oder NFS/RA/RS einen Patienten töten wollen oder dessen Tod billigen sollte, bedarf doch eines größeren argumentativen Aufwandes, weil es dafür in der Regel keinen naheliegenden Grund gibt. Und genau deshalb steht in der Regel nur ein Fahrlässigkeitsvorwurf im Raum.


    Freilich mag es Konstellationen geben, in denen das anders ist. Wenn Pause oder Dienstschluss wichtiger sind, wenn eine Patientenschädigung lieber in Kauf genommen wird als eigene Versäumnisse, Behandlungsfehler oder Defizite eingestehen zu müssen, kann eine Vorsatztat in Betracht kommen. Das ist aber ein Ausnahmefall, der mir bisher nicht begegnet ist. Never say never, freilich.