OLG Hamm beschränkt Beweislastumkehr nicht mehr nur auf rein medizinische Behandlungen

  • Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hat sich in seinem Urteil vom 26. Oktober 2022 (Az. 11 U 127/21) mit den Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruchs aufgrund einer möglichen Pflichtverletzung durch Rettungsdienstmitarbeitende auseinandergesetzt. [...]


    Aufgrund dieser groben Pflichtverstöße kämen für den vorliegenden Fall die für die Arzthaftung entwickelten Grundsätze für die Beweislastumkehr zur Anwendung. Folglich stünden nicht die Kläger in der Beweispflicht, dass die Pflichtverletzung der Rettungsdienstmitarbeitenden den Tod herbeigeführt hat, sondern der Rettungsdienstträger müsste beweisen, dass der Tod auch bei Öffnung der Schranke eingetreten wäre.

    Do your job right – Treat people right – Give all out effort – Have an all in attitude.

    ~ Mark vonAppen

  • prinzipiell interessantes Urteil, du zitierst allerdings die Ansicht des Klägers, interessanter ist die Auffassung des Gerichtes und die Beurteilung durch den Verlag:

    Zitat

    Allerdings hält das Gericht in seiner Entscheidung fest, dass die Grundsätze der Beweislastumkehr bei groben ärztlichen Behandlungsfehlern nicht mehr auf rein medizinische Behandlungsfehler des Rettungsdienstpersonals beschränkt sein sollen, d.h. auch Pflichtverletzungen, die den Transport oder dessen Vorbereitung betreffen wären künftig vom Anwendungsbereich der Beweislastumkehr erfasst. Demzufolge müsste der Rettungsdienstträger bei Amtshaftungsfällen, in denen grobe Pflichtverletzungen vorgeworfen werden, beweisen, dass der jeweilige Schaden auch ohne die behauptete Pflichtverletzung eingetreten wäre. Gerade in Fällen mit zeitlicher Verzögerung dürfte sich die Beweiserbringung schwierig gestalten.

    Derzeit ist das Verfahren beim Bundesgerichtshof (BGH) anhängig. Sollte diese Entscheidung vom BGH bestätigt werden, kämen die Grundsätze zur Beweislastumkehr für den gesamten Rettungsdiensteinsatz zur Anwendung, also auch für jegliche operative und organisatorische Komponente, und nicht bloß für die medizinischen Handlungen.

    ich bin mal gespannt, wie sich das entwickelt, sollte tatsächlich die juristische Urteilsbildung auch eine Beweislast Umkehr bei operativen und organisatorischen Komponenten beinhalten, wird das auf allen Ebenen schwieriger:

    Mögliche Probleme, die m.E. Auftreten können:

    Beim Notruf keine Reanimationssituation erkannt, daher keine Telefon-Rea angeleitet - Beweislast—Umkehr
    Aus irgendwelchen Gründen Umweg gefahren – Beweislast Umkehr

    Hilfsfrist nicht erreicht (hier geht es argumentativ aber nicht um den Einzelfall, sondern funktioniert nur, wenn dargelegt werden kann, dass in einem bestimmten Gebiet die Hilfsfrist immer überschritten wird) - Beweislast Umkehr


    Da kann Sprengstoff drin sein

  • prinzipiell interessantes Urteil, du zitierst allerdings die Ansicht des Klägers, interessanter ist die Auffassung des Gerichtes und die Beurteilung durch den Verlag:

    Oh Mist, danke für den Hinweis. Dachte, ich hätte den relevanten Teil erwischt.

    Do your job right – Treat people right – Give all out effort – Have an all in attitude.

    ~ Mark vonAppen

  • War das OLG Hamm nicht das OLG dessen Urteile in der Juristerei als kontinuierlicher Treppenwitz angesehen werden?

  • ich bin mal gespannt, wie sich das entwickelt, sollte tatsächlich die juristische Urteilsbildung auch eine Beweislast Umkehr bei operativen und organisatorischen Komponenten beinhalten, wird das auf allen Ebenen schwieriger:

    Mögliche Probleme, die m.E. Auftreten können:

    Beim Notruf keine Reanimationssituation erkannt, daher keine Telefon-Rea angeleitet - Beweislast—Umkehr
    Aus irgendwelchen Gründen Umweg gefahren – Beweislast Umkehr

    Hilfsfrist nicht erreicht (hier geht es argumentativ aber nicht um den Einzelfall, sondern funktioniert nur, wenn dargelegt werden kann, dass in einem bestimmten Gebiet die Hilfsfrist immer überschritten wird) - Beweislast Umkehr

    Ich bin eher darüber erstaunt, dass das bisher noch nicht so ist. Wenn ich 30 Minuten auf einen RTW warten muss, und mein Angehöriger in der Zeit verblutet ist, wäre das nach meinem Rechtsempfinden richtig, dass derjenige, der die lange Zeit bis zum Eintreffen zu verantworten hat (RTW fährt 10 Minuten im Kreis, Rettungsdienstkreis toleriert seit längerem das Überschreiten der Hilfsfrist usw.), dies dann auch im Einzelfall verantwortet bzw. darlegen muss, dass sein Handeln nicht zu Schäden oder Tod geführt hat.

  • Es ging um die Frage, ob die RTW-Besatzung an einer Schranke weiterlaufen durfte oder hätte fahren müssen, einschließlich der Frage, ob ein passender Schlüssel da war.


    Allerdings hat das OLG hier schon ein Fehlverhalten an sich verneint, da das Laufen vertretbar war.


    Damit hätte man eigentlich das Urteil beenden können. Stattdessen hat aber anscheinend eine Tendenz Rechtsgeschichte zu schreiben (Obiter dictum).


    Inhaltlich überrascht mich die Ausweitung des "groben Behandlungsfehlers" überhaupt nicht. Wenn man die Tendenz der BGH-Entscheidungen betrachtet hat (Hausnotrufentscheidung, Badeaufsicht-Fall), war das absehbar.