Ketanest-Gabe durch RettAss: Rechtsgutachten zum Schreiben des Innenministeriums Rheinland-Pfalz

  • Ich sehe die Gabe von Analgetika, gerade Ketamin+Dormicum, durch i.d.R. ungeübtes Personal kritisch.
    Gerade bei Ketamin+Dormicum ist eine titrierung IMHO eher schwierig da man den Patienten nicht so gut fragen kann "Na? wie sehr tut's denn noch weh?"
    Eine Analgesie (bzw. Analgosedierung) bei einem schwer(st) verletzten ist nicht ohne.
    Obwohl auch bei einer isolierten Fraktur die Schmerzen sehr heftig sein können und eine frühzeitige Analgesie auch für den Patienten deutliche Vorteile bringt, ist ein gebrochener Arm, ein gebrochener Unterschenkel o.ä. i.d.R. nicht lebensbedrohlich.
    Also heißt es gegenüber stellen. Vorteile für den Patienten auf der einen Seite und Gefahren für den Patienten auf der anderen Seite. Wie groß die Gefahr durch die Analgetika-Gabe ist hängt von dem ab, der es gibt. Seinem Wissensstand, seiner Übung, seiner Erfahrung.



    Eine interessante Sicht der Dinge, die man nicht außen vor lassen sollte.

  • Ein gutes Argument, einem Patienten mit stärksten Schmerzzuständen eine mögliche Analgesie vorzuenthalten: "Seien Sie froh - ihre Schmerzen sind nicht lebensbedrohlich" :pardon:

    Knüpfe dich nicht an Geringes, es zieht dich ab und hinab, fügt dir Geringeres zu.

  • @DG


    Ich habe das selbst nie erlebt und das hätte ich vorher nie geglaubt.
    Verdachtsdiagnose auf Beckenprellung bei einem stabilen Becken. Der Notarzt sichtete gerade einen anderen Patienten, ich bin gerade aus dem RTW gegangen um den Notarzt noch was zu bringen. 2 Minuten später nach meiner Rückkehr stand mein Kollege da und spritzte dem Patienten Ketanest.
    Ich konnte über so eine Blödheit wirklich nur den Kopf schütteln.
    1) Die Schmerzen waren nicht stark.
    2) Ein Arzt war an der Einsatzstelle und man hätte sich die Analgesie deligieren lassen können.


    Aber nein, man spielt lieber: Oh, ich bin so toll und kann das alleine, um den weiblichen, vollbusigen Patienten zu beeindrucken...
    Und das ist doch ebenfalls der Punkt bei der isolierten Extremitätenfraktur.
    Wann pack ich das Analgetikum aus ?
    Warum müssen so viele in diesem Beruf irgendwas kompensieren ?


    Ich glaube, dass sich die Analgesie auf den Menschen bezieht, dem gerade ein Panzer über beide Beine gefahren ist etc...
    Das Mädel, das sich den kleinen Finger gebrochen hat gehört hier nicht dazu.

  • Und genau da sind wir wieder am Anfang. Keiner wird doch hier bestreiten wollen dass die breite Masse der Rettungsdienstler überhaupt nicht über das notwendige Wissen verfügt selbstständig Analgesien durchzuführen und alle Komplikationen zu beherrschen.
    Weiterhin gibt es aktuell trotzdem die Möglichkeit durch einen ÄLRD (sofern vorhanden) abgesegnet solche Maßnahmen durchzuführen.


    Mal ganz ernsthaft: Nachdem einige hier sehr großen Wert auf therapeutische Freiheit legen, wäre es nicht sinnvoll Heilpraktiker zu werden? Dann dürft ihr Thoraxdrainagen legen, Koniotomien durchführen, Schrittmacher anwenden und dem Patienten Fett absaugen.

  • Mal ganz ernsthaft: Nachdem einige hier sehr großen Wert auf therapeutische Freiheit legen, wäre es nicht sinnvoll Heilpraktiker zu werden? Dann dürft ihr Thoraxdrainagen legen, Koniotomien durchführen, Schrittmacher anwenden und dem Patienten Fett absaugen.


    ?(

  • @ Onkel Doc Ani


    Nicht jeder, welcher seine Regel hat ist auch der Kompetenz habhaft :ironie:
    Scheinst aber deinen festen Standpunkt zu haben. Dennoch.....wer sich weigert anderen eine Tür auf zu machen hat Angst,
    daß man SEINEN Raum betritt!
    Was mir allerdings auffällt ist die Tatsache, daß man hier expliziet nur von der Analgesie spricht, nicht aber von der Analgo-Sedierung.
    Es muß ja nicht der von "fakl" an Land gezogene Panzer sein der Beckenbrechend rumeiert, ein frakturierter Finger ( ja welcher nun? )
    tuts ja auch!
    Und ja...es ist schon richtig wenn man das fehlende Narkose Fachwissen hier anspricht und erkennen muß, daß selbst bei der Vorbereitung der selben noch gravierendes Defizit erkennbar ist. Aber ich denke doch, daß nach Schulung durch...Achtung...kompetente Ärzte das Spektrum der Narkose, der Analgesie und Sedierung dem....Achtung....Regelfreien RA die Assistenz gerade bei dieser NÄ Therapie näher gebracht wird, DAMIT er in Zeiten der (ver)schwindenden NÄ dieser Situ auch gewachsen ist!!!!!
    Hans

  • Was mir - mal so nebenbei - immer wieder auffällt, ist, dass sich das Rettungsdienstpersonal sehr wohl kompetent in Sachen Analgesie fühlt oder zumindest davon ausgeht, diese Kompetenz zumindest erlangen zu können. So weit so gut. Warum aber sucht Ihr Euch als Dozenten dann immer wieder Ärzte aus? Gibt man damit nicht automatisch zu, dass man es dann halt doch nicht so routiniert kann?


    Gruß, Christian

  • @Mr.Blaulicht


    Ich sehe du hast meinen dezent ironischen Unterton nicht verstanden...nicht schlimm, das lernste noch!
    Auch ein Pharmareferent, ein Apotheker wären Ansprechpartner in der Sache.
    Der lernende kann nur so gut werden wie es der lehrende schon ist!!!
    Und Routine....entschuldige bitte aber bei meinen 10 Einsätzen heute nacht ergab es sich nicht auch nur einen Patienten, diesem Thema entsprechend versorgen zu können. Routine asoziiere ich mit Regelmäßigkeit, Frequenz und Steigerung!
    Und wer sich scheut, etwas zuzugeben der scheut sich auch davor zu lernen.


    Hans

  • Was mir - mal so nebenbei - immer wieder auffällt, ist, dass sich das Rettungsdienstpersonal sehr wohl kompetent in Sachen Analgesie fühlt oder zumindest davon ausgeht, diese Kompetenz zumindest erlangen zu können. So weit so gut. Warum aber sucht Ihr Euch als Dozenten dann immer wieder Ärzte aus? Gibt man damit nicht automatisch zu, dass man es dann halt doch nicht so routiniert kann?


    Gruß, Christian

    Weil man in der Regel davon ausgehen dass ein Anästhesist der tausende von Narkosen durchgeführt hat vermutlich mehr Ahnung von Schmerzmitteln hat als ein 25-jähriger Lehrrettungsassistent. Und weil gottseidank im realen Leben die meisten Rettungsdienstler nicht so engstirnig denken wie das Heer von arbeitssuchenden Pflegepädagogen.

  • Ob sich diese Diskussion irgendwann erübrigen wird?
    Wahrscheinlich nicht, solange es noch genug RA's gibt, die mit den Dingen, die sie können sollten/müssen noch überfordert sind.
    Insofern ist die ärztliche Seite, die so etwas nicht möchte, schon nachzuvollziehen.


    Leider gibt es aber auch unter der Ärzteschaft, trotz des hochgepriesenen Studiums, auch genug Ärzte, die keine suffiziente Analgesie durchführen können. Ich weiß, ich weiß, das ist kein Argument dafür, dass es in die Regelkompetenz von RA's aufgenommen werden sollte, aber das Argument, dass Ärzte alles besser wissen und können aufgrund ihres langen Studiums, greift eben auch nicht immer.

    "You are one of God's mistakes" --->(Placebo - Song to say Goodbye)

  • Das stimmt wohl....find es einfach schade, dass sich die Fronten in dieser Diskussion immer so erhärten und es wohl erstmal keine Einigung geben wird.

    "You are one of God's mistakes" --->(Placebo - Song to say Goodbye)

  • fakl


    Dem von dir geschilderten Fall gegenüber kann ich ebenfalls nur mit Unverständnis reagieren, um solche Fälle geht es aber auch grundsätzlich überhaupt nicht. Die Unterstellung, Rettungsassistenten, die ihre Patienten nicht unnötig lange Schmerzzuständen ausgesetzt sehen möchten müssten etwas kompensieren, ist garnicht einmal so falsch: sie müssen den gerade nicht verfügbaren Notarzt kompensieren.
    Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass bislang keiner der Patienten, die von mir bzw. meinen Kollegen durch den Einsatz von Ketanest / Dormicum versorgt wurden, hätte länger auf einen Notarzt warten wollen. Diese wollten lediglich eines: nicht länger Schmerzen ertragen müssen. Das Argument, Patienten wollten grundsätzlich durch einen Arzt versorgt werden, entspricht schlichtweg nicht der Realität. Sie möchten durch denjenigen versorgt werden, der dazu imstande ist.
    Ich hatte vor wenigen Monaten diesbezüglich während eines Einsatzes eine Unterhaltung mit dem Ehemann der Patientin. Dieser kannte das Problem, dass die Gabe von schmerzstillenden Medikamenten den Rettungsassistenten im Regelfall nicht gestattet ist, bereits aus einem anderen Fall. Er reagierte mit sehr großem Unverständnis - wohlwissend um die vergleichsweise kurze Ausbildung der Rettungsassistenten. Wir hatten in den knapp 20 Minuten, die wir auf den nachgeforderten Notarzt warten mussten ausreichend Gelegenheit, das Problem zu erörtern.



    Ribosom


    Bitte rede doch mal Klartext: zu welchen Komplikationen kommt es denn im Regelfall bei einer durch Rettungsassistenten durchgeführten Analgesie und wieso können sie diese nicht beherrschen ? Dieses regelmäßig weit gefasste Dogma der "durch den Rettungsassistenten nicht beherrschbaren Komplikationen" wird ja gerne bemüht, aber bislang konnte mir noch niemand ein konkretes Beispiel dafür nennen das es plausibel gemacht hätte, dass die Analgesie mit dem hier angesprochenen Ketanest durch Rettungsassistenten ein absolutes No-Go darstellt. Kommt es zu diesen Komplikationen bei einer analgetischen oder anästhetischen Dosis ?
    Gerne angeführt wird ja auch der Hinweis, dass Ketanest nur durch einen in der Anästhesie erfahrenen Arzt angewandt werden soll. Hierzu zitiere ich dann aus der Fachinfo zu Ketanest S:


    Zitat

    Ketanest S sollte als Narkotikum nur durch einen in der Anästhesie oder Notfallmedizin erfahrenen Arzt eingesetzt werden


    Rettungsassistenten führen keine Narkosen durch.


    Und zum Thema Überdosierung:


    Zitat

    Oberhalb der 25-fachen üblichen anästhetischen Dosis ist mit vital bedrohlichen Symptomen zu rechnen.


    Aha.


    Weshalb wird denn keiner der Ärzte in seinen Ausführungen konkret ? Wieso ist überall lediglich davon zu lesen, dass "Ketanest wegen seiner Gefahren für den Einsatz durch Rettungsassistenten nicht infrage kommt" ? Womit wird dies belegt ? Weshalb ist es in zahlreichen Ländern dieser Erde doch möglich ?
    Ich denke ich bin niemand, der sich nicht überzeugen lässt. Aber bislang konnte man mich diesbezüglich nicht überzeugen und ich gehe auch nicht davon aus, dass dies gelingen wird.



    Es geht einzig und alleine darum, dem Patienten schnell und adäquat zu helfen. Das ist Aufgabe des Rettungsdienstes. Für diese Aufgabe muss das Personal im Rettungsdienst entsprechend ausgebildet und die dafür notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Wer sich neben einen schmerzgeplagten Patienten stellen und auf den Notarzt, der "sicherlich bald" eintrifft verweisen möchte, soll dies tun - meine Auffassung meiner Aufgabe ist eine andere. Persönlich bekomme ich mehr Bauchschmerzen dabei, nichts zu tun, als etwas für meinen Patienten zu tun.



    @Mr. Blaulicht


    Zitat

    Warum aber sucht Ihr Euch als Dozenten dann immer wieder Ärzte aus?
    Gibt man damit nicht automatisch zu, dass man es dann halt doch nicht
    so routiniert kann?


    Man gibt damit zu, dass man von den Besten auf diesem Gebiet lernen möchte.

    Knüpfe dich nicht an Geringes, es zieht dich ab und hinab, fügt dir Geringeres zu.

  • @DG


    1. Ketanest ist ein Narkotikum, weil es narkotische Eigenschaften hat. Genau wie die Begrifflichkeiten gehen auch die Wirkungen Analgesie - Sedierung - Narkose fließend ineinander über. Es gibt keine Grenze zwischen den einzelnen Anwendungsbereichen.


    2. In anderen Ländern liegen die Qualitätsansprüche niedriger. Da wird es möglicherweise toleriert, wenn ein Patient hypoxisch oder bewußtlos nach Ketamingabe in die Notaufnahme gebracht wird und dort erst auf den ersten Arzt trifft. Oder es wird von vornherein aus Sicherheitsgründen eine Unterdosierung vorgenommen.

  • Zu den Nebenwirkungen: Atemstillstände sind zwar insgesamt selten, kommen aber unter Ketamin vor, wie ich schon einige mal erleben durfte. Weiterhin bleiben viele Situationen -ältere, kardial vorbelastete Patienten- in denen es nicht Mittel der Wahl ist.


    Ich habe nicht gesagt dass ich es grundsätzlich ablehne dass RAs in einzelnen Extremsituationen Analgetika geben dürfen. Allerdings gehen die meisten ja gleich einen Schritt weiter und fordern diese Anwendung als "Regelkompetenz". Ich habe ernste Bedenken dass ein Großteil der werten Kollegen hier im Sinne der Verhältnismäßigkeit handelt. Zudem neigt der gemeine Rettungsdienstler dazu bestimmte dogmatische Denkweisen anzunehmen ("Kein Nitro ohne Zugang", "Bei Krämpfen nur Midazolam, wegen der HWZ" ,"Kein Patient muss Schmerzen ertragen" "kein Nitrospray zur Blutdrucksenkung" etc.)


    Und nicht zuletzt fällt halt auf dass sich die Forderungen nahezu ausschlieslich auf besonders spektakuläre Maßnahmen beziehen: Ketanest, Thoraxdrainage/punktion, Koniotomie etc.
    Ich habe noch nie von z.B. der Forderung nach Anwendung von Prednisolon im Rahmen der beginnenden Anaphylaxie gehört.