Wie sollten sie das? Dass eine Erstversorgung durch Notfallsanitäter - und in den Jahrzehnten früher: durch Rettungsassistenten - tatsächlich und rechtlich möglich ist (und auch in den Jahrzehnten früher möglich war), ändert doch nichts an der Notarztindikation?
"Notarztindikation" ist für mich ein sehr relativer Begriff. Notarztindikationen sind nicht gottgegeben, sondern werden schlicht und einfach "festgelegt" - wobei meist nicht nur die medizinische Notwendigkeit eine Rolle spielt. Mit dem Ergebnis, dass die Notarztindikationskataloge je nach Region sehr unterschiedlich aussehen & ich behaupte mal, dass man jeden deutschen Notarztindikationskatalog ohne Auswirkung auf das Outcome problemlos drastisch zusammenstreichen kann. Vielerorts passiert das auch schon. Für mich persönlich gibt es exakt eine "harte" Notarztindikation: Das Team vor Ort entscheidet, dass der Notarzt benötigt wird.
So wie ich den Entwurf lese, ist damit künftig folgendes Prozedere möglich: Ich injiziere nachts um 03:00 einem Patienten im hypertensiven Notfall Urapidil ohne einen Notarzt zu rufen, der dafür anrücken muss, damit ich ihm im Perfekt erzählen kann, was ich gerade gemacht habe, um danach Papierkram zu erledigen und wieder einzurücken. Stattdessen befördere ich den Patienten im Anschluss in eine Klinik und ersetze dadurch den jetzt durchschlafenden Notarzt durch den ohnehin wachen Aufnahmearzt. Der Notarzt bleibt frei für einen Patienten, bei dem er einen Unterschied macht. Für mich wäre es ein deutlicher Fortschritt.
Das wird vielerorts seit geraumer Zeit auch genau so praktiziert. Die Rechtslage hinkt der versorgungsdienstlichen Realität leider auch weiterhin mindestens 10-15 Jahre hinterher.
Das ist nicht aufrichtig.
Die ganzen Buchstabenkurse sehen keinen Notarzt vor.
Alle Notfallsanitäter und Rettungssanitäter werden berufsintern nach den Buchstabenkursen ausgebildet.
Für den Rest wird es den RTH geben.
Was ist daran nicht aufrichtig? Ich bin ein großer Freund der "Buchstabenkurse" & habe die "Lernkurve" in diesen Kursen immer als recht steil empfunden. Aber: Wie auch die meisten meiner Kollegen bin ich mir der Grenzen meiner Fähigkeiten durchaus bewusst & es macht einen bedeutenden Unterschied, ob man eine Entlastungpunktion während des ITLS-Kurses am Phantom oder am echten Patienten durchführt. Das Problem ist doch viel eher, dass man in der Praxis sehr selten an diese Grenzen kommt & der (in der Praxis leider oftmals gar nicht vorhandene) Wissens- und Erfahrungsvorsprung des Notarztes noch viel seltener wirklich benötigt wird. Insofern stimme ich Dir zu: Das bodengebundene Notarztsystem wird über kurz oder lang abgeschafft werden, in eine ähnliche Richtung zielte ja auch das Forschungsprojekt "PrimAir" (http://www.projekt-primair.de) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
Ich erinnere mich an gekündigte RettAss. Das wird wohl kaum noch einer probieren, wenn ein NotSan (eigentverantwortlich!) Maßnahmen ergreift, die er gelernt hat und beherrscht, und die dann gemäß NotSanG auch erlaubt sind. Für mich ist das ein großer Schritt.
Das sehe ich ähnlich. Wir haben uns, auch in diesem Forum, immer sehr stark auf strafrechtliche Fragestellungen fokussiert, welche in der Praxis zu keinem Zeitpunkt eine relevante Rolle gespielt haben. De facto waren fast alle Verfahren in diesem Zusammenhang arbeitsrechtlicher Natur & ich glaube in dieser Hinsicht wird die neue Regelung einen erheblichen Unterschied machen.
Korrigiert mich, aber um diese Patient*innen soll es in diesem Gesetzesentwurf doch gar nicht gehen. Der Hypertensive Notfall könnte entweder durch eine SOP abgedeckt werden oder aber in der Regel auch auf einen Notarzt warten.
Vielleicht muss man dazusagen, dass wir in Baden-Württemberg ja noch nichts erreicht haben, was Delegation betrifft.
Im Hinblick auf die Delegation wurde noch annähernd nirgends etwas erreicht, weil viele ÄLRD ihre Position eher zur Blockade als zur Gestaltung nutzen. Und deswegen wage ich mal die Prognose, dass es sich bei der nächsten Novelle des NotSanG um entsprechende Maßnahmen drehen wird. Es ist doch ein Treppenwitz der Geschichte, dass der NotSan jetzt zwar kardiovertieren darf, für ein paar mg Urapidil, Metamizol oder Dimenhydrinat aber einen Notarzt nachalarmieren soll (also z.T. für Präparate, welche man in vielen Ländern dieser Erde in jedem gut sortierten Supermarkt findet!).