Ich hätte weinen können, als ich die Maiausgabe der Zeitschrift Rettungsdienst durchblätterte.
Da hat es doch 2 abgedruckte Leserbriefe zu einem Artikel von J. Becker (DRK-Schule Mainz) gegeben. Argumentativ durchaus richtig wird dort angemerkt, daß die von Becker vorgestellte "Studie" (Umfrage wäre das bezeichnendere Wort dafür) zwar Auskunft gibt über die prozentuale Verteilung von Rettungsassistenten in den DRK-Wachen in Rheinland-Pfalz (Regelausbildung nach § 4, "verkürzte" nach § 8 oder übergeleitete Rettungsassistenten nach § 13 RettAssG), keinesfalls aber die qualitative Leistung (also die Qualität der abgelieferten Arbeit oder das theoretische Wissen) abgefragt wird. Trotzdem wagte Becker es, diesen Beitrag zu einem inquisitorischen Feldzug gegen jene große Zahl an "verkürzt" ausgebildeten Rettungsassistenten (was bitte ist an dieser Ausbildungsform kürzer? und was ist daran um Himmels Willen schlechter) zu nutzen: HiOrgs sollten diese (im Verhältnis zu den ach so fortbildungswilligen Rettungsassistenten nach §13 RettAssG/übergeleitete RettAss) schlecht qualifizierten Kräfte nicht einstellen.
Aber von vorne: Die Umfrage hatte exakt 4 Punkte:
1. wie viele RettAss werden Beschäftigt die beim DRK Mainz ausgebildet wurden? (291 = 21%)
2. Wie viele übergeleitete RettAss nach § 13 werden beschäftigt? (683 = 51%)
3. wie viele RettAss in Vollzeitausbildung von anderen Schulen als dem DRK Mainz werden beschäftigt? (135 = 10%)
4. Wie viele RettAss nach § 8 (verkürzter Lehrgang) werden beschäftigt? (247 = 18%)
Fazit von Becker aus diesen Punkten:
- Übergeleitetes Personal hat durch Aus- und Fortbildungsbereitschaft Wissensvorsprung regulärer RettAss ausgeglichen
- 37% (woher nimmt er diese Zahl?? Ist das der bundesweite Schnitt? Leider keine Quellenangabe, und seine eigene Umfrage kann er nicht meinen) ausgebildete RettAss nach § 8 (verkürzte Ausbildung) sind eine bedenkliche Tatsache
- in kürzerer Ausbildungszeit könne kein im Vergleich zur Vollzeitausbildung gleichwertiger Wissensschatz erworben werden
- um der Verantwortung für den Patienten gerecht zu werden, sollten RD-Organisationen kein verkürzt ausgebildetes Personal einstellen
Hmmmmmmmmmmmmmm...
Da haben wir ja tatsächlich messerscharfen Sachverstand bei der Beweisführung beobachten können... Ich für meinen Teil hätte keine derart abseits der Umfrageinhalte liegenden Ergebnisse sehen können. Aber der Mann hat sicher Ahnung von dem, was er da von sich gibt, immerhin bildet er ja qualifiziertes Personal aus und gibt sich an seiner Schule nicht mit einer derart unqualifizierenden und leider nur nach juristischen Formalien rechtmäßigen Ausbildungsform ab.
Aber egal, das war ja nur der Artikel im Aprilheft, so richtig geärgert habe ich mich ja erst im Mai...
Also: die zu Recht verwunderten Leserzuschriften ob derartiger Erkenntnisse aus seiner Umfrage waren sehr höflich und argumentativ schlüssig aufgebaut, ich für meinen Teil hätte beide ohne zu zögern unterschrieben. Man las sehr deutlich heraus, daß die Leser zwar verärgert, aber um Konsens bemüht waren und sich nicht der Verlockung hingaben, in irgendeinem Punkt durch unsachliche Äußerungen angreifbar zu werden.
Genau dies schien Herrn Becker jedoch nicht anzufechten. In gewohnter Manier der Zeitschrift Rettungsdienst bekam der Autor selbstverständlich Gelegenheit, sich zu den Leserzuschriften zu äußern.
J. Becker packt die Gelegenheit beim Schopfe und geht Punkt für Punkt die Kritik an seiner Argumentation durch:
[zusammenfassung_durch_nd]Das Problem der §8-Absolventen wird seit 1994 in Fachzeitschriften und Vorträgen diskutiert, die Leserzuschriften seien das Aufheulen des getroffenen Hundes. Die gesetzliche Lücke würde geschlossen, wenn Schulen Verkürzungen nicht mehr anbieten und Arbeitgeber derartiges Personal nicht mehr einstellen würden [/zusammenfassung_durch_nd]
Na Prost.
Ein derart arroganter Rundumschlag ohne jegliches Eingehen auf auch nur einen der angesprochenen Kritikpunkte findet natürlich meine ungeteilte Begeisterung und Aufmerksamkeit. Wenn er sich schon nicht in der Lage sieht, sich inhaltlich mit Beiträgen auseinanderzusetzen, so möchte ich es statt dessen mit seinem tun.
- Artikel in Fachzeitschriften (für Vorträge gilt selbiges) braucht es nur eines: der Meinung eines Autoren. Ob diese richtig oder falsch ist, vielleicht auch richtig aber mit der falschen Argumentation - darüber sagt allein die Drucklegung nichts aus.
- es geht aus keinem der eingegangenen Leserbriefe hervor, daß die Kritiker seines Beitrages nach § 8 RettAssG ausgebildet wurden
- eine Gesetzeslücke wird auch nicht "weitestgehend" dadurch geschlossen, daß man sie nicht mehr anwendet. Geschlossen würde sie vom Bundestag und von niemandem sonst.
Sorgfältig vermeidet er überdies auf die in den Leserbriefen angesprochenen Hinweise des Diskriminierungsproblematik oder der von ihm unterstellten höheren fachlichen Potenz der §13er gegenüber den §8er Rettungsassistenten einzugehen. Kein under, fehlen ihm doch hierzu jegliche Daten die seine Aussagen untermauern könnten.
Es ist (kommen wir zu meiner persönlichen Meinung) eine Frechheit, auf der einen Seite nach einer dreijährigen dualen Ausbildung für Rettungsfachpersonal zu schreien und auf der anderen Seite jene Kollegen zu verdammen, die genau diese für die Zukunft geforderte dreijährige Ausbildung in Eigenregie vorwegnehmen (RS; praktische Tätigkeit im RD mit einem dadurch anwachsendem Erfahrungsschatz; verkürzter Lehrgang der mit den Fragen aus vielen Monaten Rettungsdienst endlich die ersehnten Antworten bringen soll), auf eine derart unverschämte und arrogante Weise zu disqualifizieren. Natürlich dürfte niemand (und eine anständige RD-Schule wird das hoffentlich auch nie zulassen) direkt vom RS-Kurs in den Aufbaukurs einsteigen - daß hemmt den Fortschritt des Unterrichtsgeschehens. Diese Fallkonstellation aber ohne jede statistische Grundlage als den zu verdammenden Regelfall hinzustellen ist eine Unverschämtheit. Noch mehr in Rage gerate ich allerdings, wenn ich etwas von einer verkürzten Ausbildung lese. Verkürzt ist der § 8-Kurs, ja. Die RS-Ausbildung + § 8-Kurs ist aber keinen Deut kürzer als die ach so hoch gepriesene Vollzeitausbildung.
Ich habe (dies will ich keinesfalls als den Regelfall verstanden wissen, aber als Anmerkung sei mir dies gestattet) an meiner RD-Schule die Ehre gehabt, einen Vollzeitkurs kurz vor der Prüfung zu erleben und kann zu diesem speziellen Kurs sagen: wer in meinem "verkürzten" Kurs vom Theoriewissen her am unteren Ende der Klassenskala stand, wäre in diesem Kurs locker im oberen Mittelfeld gelandet. Es gibt nämlich einen kleinen, aber ganz entscheidenden Vorteil, den die § 8-Teilnehmer haben: sie kennen die Praxis. Wer schonmal ohne Notarzt dastand, wird niemals "komplizierte" Inhalte der Ausbildung mit dem Hinweis "das muß doch der Notarzt wissen, nicht ich" abtun. Ein unglaublicher Motivator für diese kurzen (ja, er ist kurz, aber das ist die Vollzeitausbildung auch, wenn man da die RS-Inhalte mal rausrechnet...) Kurse ist eben das Wissen um die praktische Anwendbarkeit des erlernten. Eine Erfahrung jedoch, die Herr Becker nicht machen wird, da er ja aus ideologischen Gründen eine derart unqualifizierende Ausbildungsform ablehnt und daher nicht aus eigener Erfahrung im Umgang mit solchen Kursen sprechen kann.
Statt dessen schreibt er lieber drüber.