Transport wegen nicht kompatibler Trage abgelehnt | Patientin verstorben | Staatsanwaltschaft leitet Vorermittlung ein

  • Ich würde mich im Zweifelsfall auch für das Wohl des Patienten entscheiden, insbesondere dann wenn der Transport dringend notwendig ist und es sich lediglich um eine Strecke von ein paarhundert Metern handelt.
    Allerdings würde es mich interessieren ob der (Not)Arzt tatsächlich - wie Ani schreibt - dem Fahrer die Verantwortung abnehmen kann, oder ob die Verantwortung beim Fahrer bleibt, dieser aber die Einschätzung des Arztes als Rechtfertigungsgrund nutzen kann.


  • Und immer dran denken: nicht nur Juristen fragen, sondern auch den GMV, bevor sich in solchen Einsätzen auf die Hinterbeine stellen. Und natürlich auch die moralische Verantwortung berücksichtigen.

    Den GMV benutze ich immer. Allerdings zeigte mir nicht erst die Geschichte eines Forumisti mit einem verstorbenen Obdachlosen und der folgenden Gerichtsverhandlung, dass man vor Gericht nicht immer auf einen solchen bauen kann.


    Und mir ist das Hemd immer näher als die Hose.


    Die "es ist noch immer gut gegangen"-Einstellung mag vor 20 Jahren bedenkenlos anwendbar gewesen sein. Heute (leider oder zum Glück, wie man es eben sieht) nicht mehr.

  • Den Vergleich mit den Medikamenten verstehe ich jetzt nicht.

    Wenn ich mit dem RTW beim Patient bin und rufe das nachrückende NEF (also Dich) mit meinem Handy an, um von Dir eine Medikation deligiert zu bekommen, dann sind wir im Falle eines Problems beide dran. Deine Freigabe befreit mich sozusagen nicht von der rechtlichen Verantwortung.


    Das selbe vermute ich beim Transport: Der Fahrer ist dran und der die Verantwortung auf sich nehmende Doc genauso.

  • In Deinem Beitrag sind einige Widersprüche. So schließen sich u.a.: "Mir ist das Hemd immer näher als die Hose." die Inanspruchnahme des GMV in vielen Fällen aus. Unabhängig davon: Als 08/15-Retter wirst Du mit dieser Einstellung möglicherweise gut fahren, ein Highperformer wirst Du damit aber sicherlich nicht werden. Und guter Arzt scheidet sowieso aus. Aber das steht wahrscheinlich auch gar nicht zur Debatte.


    Zu den Medi's: Mit dem "...sind wir beide dann dran" kann ich nicht viel anfangen. Was bedeutet das? Und wo ist der Zusammenhang?



    Und für alle, die sich mal mit dem Begriff "Verantwortung" näher auseinandersetzen wollen:


    https://de.wikipedia.org/wiki/Verantwortung

  • Allerdings würde es mich interessieren ob der (Not)Arzt tatsächlich - wie Ani schreibt - dem Fahrer die Verantwortung abnehmen kann, oder ob die Verantwortung beim Fahrer bleibt, dieser aber die Einschätzung des Arztes als Rechtfertigungsgrund nutzen kann.



    Letztendlich hat der behandelnde Notarzt auch die (End-)Verantwortung für die sachgerechte Behandlung des Patienten.
    Zusätzlich gilt er (rechtlich) immer als der mit dem größten Sachverstand am Ort des Geschehens.
    Wenn er sagt: Der Patient ist tot, wenn er nicht in 30 Minuten in der Klinik XY ist, dann muss man das erstmal als Fakt zur Kenntnis nehmen.
    Nun hat man die Wahl zwischen dem sicheren Tod innerhalb von 30 Minuten (Ablehnung) oder dem etwaigen Schaden (Durchführung).
    Diese Entscheidung und die Verantwortung hierfür liegt hier natürlich beim Durchführenden.
    Allerdings:
    Wenn wir jemanden als Notfall (z.B. BAA) operieren, dann haben wir immer einen etwaigen Schaden. (ARDS nach Aspiration bei RSI, Verbluten, TRALI usw.)
    Wenn wir ihn nicht operieren dann stirbt er sicher.
    Daher machen wir diese Güterabwägung, die dir Sorge bereitet, tagtäglich in der Medizin.


    Ein anderes Beispiel:
    Wenn eine Aorta im Schockraum abgeklemmt wird, dann behaupte ich einfach einmal, dass die Lüftungsanlagen nicht dem üblichen Standard im OP entsprechen.
    Dennoch betritt niemand von der Klinikhygiene das Set und sagt: "Aufhören, jetzt ist Schluss, das geht so nicht!"

  • :popcorn:

    Ich komme aus Ironien, das liegt am sarkastischen Meer.

  • Dem kann ich aus dem anästhesiologischen Alltag hinzufügen: wenn ich bedenken habe, einen Patienten für einen Eingriff zu narkotisieren, kann der Operateur durchaus mit der Entscheidung zur Unausweichlichkeit einer Operation die Verantwortung übernehmen, wenn der Patient z.B. durch die Operation verstirbt das entbindet mich natürlich nicht vor Narkosefehlern). Wenn ich mich weigere, die Narkose zu übernehmen, trage ich auf jeden Fall eine Mitverantwortung für den möglicherweise abzuwenden gewesenen Tod des Patienten. Möglicherweise auch juristisch, so wie jetzt im Falle des Rettungsassistenten geprüft wird.

  • Ein anderes Beispiel:
    Wenn eine Aorta im Schockraum abgeklemmt wird, dann behaupte ich einfach einmal, dass die Lüftungsanlagen nicht dem üblichen Standard im OP entsprechen.
    Dennoch betritt niemand von der Klinikhygiene das Set und sagt: "Aufhören, jetzt ist Schluss, das geht so nicht!"


    Eure Klinikhygiene ist anscheinend zahmer :drinks:

  • Dein Beispiel hinkt, Ani.
    Ehr richtig wäre: Wenn du dich weigerst weil der Patient z.B. die Spezifikationen des Narkosegerätes überschreitet und der Chirurg sagt "mach trotzdem"... Dies wäre weitaus vergleichbarer zur aktuellen Situation.

  • fakl:
    Mir bereitet diese Güterabwegung in keinster Weise Sorgen. Ich hätte den Patienten auch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit transportiert, nicht zuletzt weil bei mir das Wohl des Patienten immer über abstrakten rechtlichen Überlegungen steht.
    So kombiniere ich Ketanest auch immer mit Midazolam, obwohl dies so in unserem Kreis ausdrücklich nicht vorgesehen ist, ich mich im Zweifelsfall also vor Chef und Co rechtfertigen muss.
    Meine Frage bezog sich lediglich auf die von Ani getätigte Aussage, dass die Verantwortung im geschilderten Fall übertragbar sei.

  • So wie ich das jetzt verstehe, bezieht Ihr das ausschließlich auf die rechtliche Verantwortung für das Führen des Fahrzeuges, richtig? Dieser Einzelaspekt bei so einem komplexen Ereignis dürfte schwer zu bewerten sein.

  • So wie ich die Bedeutung des Begriffes "Verantwortung" erkenne, ist kein Begriff, der sich nur auf juristischer Ebene zu klären ist. Man findet im Alltag viele Beispiele, wo eine Person oder Institution die Verantwortung für andere Übernimmt, die normalerweise Verantwortungsträger sind.

  • Das einzige was ich bei dieser Sache hoffe ist, dass sich alle drei Seiten Gedanken machen.
    Der Giessener ITH, ob sie sich vielleicht eine zumindest DIN-kompatible Trage anschaffen, wie es der gesamte mir bekannte Luftrettungsdienst in Deutschland macht (entweder "Untergestellkompatibel", DIN-kompatibel oder gleich ne Roll-In-Trage nach Norm).
    Das RTW-Team und der Rettungsdienstbetreiber, wie man mit so etwas jetzt und zukünftig verfahren will.
    Und die Klinik, über ihren Landeplatz.

  • Hoffen tue ich das auch, glauben tue ich das jedoch nicht!

    Ich komme aus Ironien, das liegt am sarkastischen Meer.

  • In den letzten Jahren ist das Personal im Gesundheitswesen durch detaillierte Vorschriften sehr stark reglementiert, vielleicht ist dies nur gefühlt, eventuell aber auch objektiv. Ein Beispiel sind die Diskussionen um das Medzinproduktegesetz, aber auch QM-Vorgaben etc. Daraus resultiert eine starke Verunsicherung, wie zu verfahren ist, wenn eine Situation eintritt, bei der eine Interessenskollision erkennbar ist.

  • Ist diese Problematik denn auch den Rettungsdienstbetrieben mit "Stryker Power Load Pro"- und "Kartsana powerBRAVA"-Ausstattung bewusst?


    Hier dazu nochmal eine Bemerkung, um es hier nicht zum Exkurs des Exkurses im Exkurs zu machen: eigentliches Thema

    Land zwischen den Meeren,
    vor dem sich sogar die Bäume verneigen,
    du bist der wahre Grund,
    warum Kompassnadeln nach Norden zeigen!

  • @Ani, da ich gerade am Mittwoch einen Ecmo Transport hatte, ist mir sehr genau bewusst, wie lange umlagern dauert.
    Aber bei einem seit über einem Jahr bestehenden Problem kann es nicht angehen, dass die, die am wenigsten für das Problem können (die RTW Besatzung), jetzt Gegenstand der Ermittlung sind.
    Und was alles an Gerätschaften im Einsatz war, wissen wir nicht.
    Insofern wissen wir auch nicht, wie lange ein umlagern gedauert hätte.
    Ich persönlich habe eher wenig Probleme damit, fünfe gerade sein zu lassen und das zu tun, was am besten hilft. Das ist aber rechtlich nicht immer safe und wenn jetzt jemand sagt, das ist verboten, das mache ich nicht, dann kann ich dieser Person einfach keinen Vorwurf machen.
    Und mWn ist für die korrekte Sicherung des Patienten der Fahrer zuständig, sonst niemand.
    Eine Aussage des NA könnte als Rechtfertigung im Sinne §34 gewertet werden, der NA kann aber die Verantwortung nicht übernehmen.


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  • Es kommt weniger auf die Dauer des Umlagerns, als auf die Komplexität und das unter Umständen nicht unerhebliche Lagerungstrauma (kardiozirkulatorische Störungen, respiratorische Störungen, Drainagen- und Katheterverluste, Auskühlung etc.). Deshalb sollte das Umlagern von schwerkranken Intensivpatienten auf ein Minimum reduziert werden.