Erkenntnisse des Sanitätsdienstes der Bundeswehr aus dem Ukrainekrieg

  • Dafür muss man wissen wie Armeen und deren Führung bzw Organisation funktioniert. Und da macht es einen erheblichen Unterschied ob es eine Teilstreitkraft ist oder eine unterstellte Organisationseinheit (völlig unabhängig wie groß die dann ist, bzw was sie im Endeffekt macht).

  • Aber nicht im Kontext dieses Threads.

    You know as well as I do decisions made in real time are never perfect. Don't second-guess an operation from an armchair. [Noah Vosen]

    Oldschool EMS. The Gold Standard of Ass Kickin'!

  • Aaalso- ich habe ja ein paar Auslandseinsätze hinter mir:

    Das HVR kommt ja aus der Zeit wo zwei Staaten (und ihre Verbündeten) gegeneinander gekämpft haben. Da hat man sich auf gewisse Spielregeln geeinigt.

    In den frühen Einsätzen der Bundeswehr wurde natürlich das Schutzzeichen getragen- es gab auch keinen Grund, es nicht zu tun.
    Ich weiss gar nicht wie wir das konkret zB in Georgien gehandhabt haben- aber da waren wir eh unbewaffnet und wir hatten es nicht mit feindlichen Truppen zu tun. eher mit Mafia und Co. Und uns kannte eh jeder der wichtig war.


    In Afghanistan wurde am Anfang auch noch das Schutzzeichen getragen. Sogar in meinem ersten Einsatz war das noch mehr oder weniger gemischt. ABER: Auch da waren am Anfang Kampfhandlungen eher eine Seltenheit.
    Dann kam die Diskussion, ob Sanitäter an der Lagersicherung am MG eingesetzt werden dürfen (Ja, dürfen sie).

    Und auch wenn sich die Bundeswehr auch in Afghanistan grundsätzlich an HVR gehalten hat (das machen wir grundsätzlich, egal was für einen Status ein Konflikt oder ein Gegner hat), war das kein Konflikt wie er im HVR beschrieben ist.
    Der Kampf gegen irreguläre Kräfte war ja nicht das was der Hintergrund des HVR war.
    Das ganze ging dann soweit, dass ich in meinem vorletzten Einsatz ein MG mit Gunner auf dem BAT hatte. Da war auch wichtig auszusehen wie alle anderen Fahrzeuge. Wenn sich der Gegner eh nicht dran hält, bringt mir das Schutzzeichen keinen Schutz und ganz im Gegenteil- Sanis werden gezielt angegriffen und das rote Kreuz als Zielhilfe genutzt- dann trage ich es auch nicht.

    Russland-Ukraine ist ein klassischer Krieg wie man ihn kennt. Dass Russland das HVR nicht achtet- naja ist jetzt nicht DIE Überraschung. es werden nicht nur militärische Sanitätseinrichtungen gezielt angegriffen, sondern auch zivile med. Infrastruktur.

  • Zur Verwundetenversorgung:

    Bisher konnten wir uns es leisten quasi eine Individualversorgung im Einsatz zu leisten. Die Verwundetenzahlen waren gering, die Ressourcen sehr gut (und auch noch so nette Vorteile wie Luftüberlegenheit). Das was ich anno dunnemal mal über Verwundetenversorgung im Krieg gelernt habe, gab es da nur noch in Grundzügen.

    Und in jedem Szenario sind wir immer von mehr oder weniger "sterilen" Gefechtsfeldern ausgegangen. Die Zivilbevölkerung spiele nur eine untergeordnete Rolle.


    Der Krieg in der Ukraine zeigt aber, dass wir uns damit wieder beschäftigen müssn. Ich durfte im Rahmen einer Fortbildung einen etwas genaueren Einblick darein bekommen- und es ist einfach nur schrecklich. Es fehlt an allem. Und jetzt kommt noch ein Problem hinzu: Der Kampf mit Drohnen. Sobald ein Rettungswagen oder EvacFahrzeug hält, dauert es keine 2 min bis eine Drohne eine Granate genau darauf wirft.
    In den Stabilisierungspunkten werden sowohl Zivilisten als auch Soldaten behandelt. Sie sind komplett überlastet. Die med. Einrichtungen weiter westlich werden auch angegriffen. Wir werden uns mit dem TRansport vieler Verwundeter über längere Strecken beschäftigen müssen.


    Stichwort "Drehscheibe Deutschland".

  • Wenn ich noch Fragen zu TCCC, taktischer Verwundetenversorgung, taktischer Versorgung etc. habt- nur zu.


    Achso- gemeinhin nutzt man in der takt. Versorgung ein System dass man vorne qualifizierte Ersthelfer hat und immer weiter nach hinten qualifizierteres Personal. Das hängt damit zusammen, dass das med. Personal seltener ist und in der Regel taktisch schlechter ausgebildet. UND- die taktischen Gegebenheiten sind meist so, dass man "vorne" bestimmte Maßnahmen nicht sicher durchführen kann und deswegen das Fachpersonal da nicht gebraucht wird.


    In Afghanistan wurden durch die Begleitung von Konvois durch BATs und Rettungstrupps Mischformen angewendet.


    Beispiel: Im Laufe eines Gefechtes erleidet ein Soldat einen Hitzschaden (Mischung aus Sonnenstich, Hitzeerschöpfung und beginnender Hitzschlag). EEH-B (das sind Soldaten der Truppe, also keine Sanitäter, aber mit Zusatzausbildung) machen eine Erstversorgung, legen den Zugang, nutzen Coolpacks um die Körpertemperatur zu senken. Da die Maßnahmen keine wesentliche Besserung bringen und man vorne nicht zu lange Personal binden will, ruft man den RettAss des BAT dazu. Der schaut sich das ganze an und nimmt den Patienten mit zum BAT wo er dann vom (Not)Arzt weiter versorgt und letztendlich mit Rückverlegung des Infanteriezuges in die Role II (kleine Klinik mit stationärer Behandlungsmöglichkeit) im Camp gebracht wird. Eine Nacht überwachung und dann war´s auch wieder gut.

    Derweil wurde noch ein 2. Patient mit ähnlichem Krankheitsbild für den BAT angekündigt- bedeutet, Gang freiräumen, da es nur eine Behandlungsmöglichkeit liegend plus mehrere sitzend gibt. Letztendlich fährt er aber mit der Truppe zurück ins Camp und wird dann am Sammelplatz an den BAT übergeben, der ihn dann noch mit in die Klinik nimmt (war einfach wegen notwendiger Nachbereitungen die einfachste Lösung.

  • DocUlli - Ich verstehe das richtig, dass z.B. bei der Firma Y Verfahren wie die Walking Bloodbank durch Soldaten mit Zusatzausbildung angewandt werden?

    Wo hast du dass denn rausgelesen?

    Under pressure, you don't rise to the occasion. You sink to your level of training.

  • DocUlli - Ich verstehe das richtig, dass z.B. bei der Firma Y Verfahren wie die Walking Bloodbank durch Soldaten mit Zusatzausbildung angewandt werden?

    Heiß diskutiertes Thema. Man kann es wohl so formulieren: nicht in der Breite, dh in der regulären Truppe und definitiv nicht im Inland und ohne Sonderfreigabe. Denn das Transfusionsgesetz gilt auch für die Truppe und deutsche (rechtliche) Standards gelten (zumindest erstmal) auch im Auslandseinsatz weiter.

    Aber, das mit Walking Bloodbank und ROLO/SOLO habe ich jetzt aus DocUlli Kommentar auch nicht entnehmen können. Und das ist auch nichts für EHH-A/B :D

  • Vortrag 2023-10-19 Joint Trauma System Blood Ucraine > https://wwalla-my.sharepoint.c…6jAgq7dsNcrnXY6w?e=xItixr


    Ergänzend, manche reden, andere machen es! Österreich ist leider ein "weisser" Fleck bei "fresh blood" !!

  • Nein, bei der Bundeswehr ist das (noch) nicht etabliert.
    Möglicherweise ist Material und Ausbildung bei Spezialkräften vorhanden.


    Nach meinem Stand ist das nicht einmal auf Ebene BAT vorgesehen. Für EEH B(Einsatzersthelfer- also normale Soldaten mit erweiterter EH-Ausbildung) ist das auf absehbare Zeit undenkbar.

    Es gibt aber die Möglichkeit für Warmblutspenden ab Role 2 (Role 1 theoretisch, aber meines Wissens nach nicht praktisch umgesetzt).


    Bei den Amerikanern wird das inzwischen ausgebildet (die haben aber ein etwas anderes Konzept der "Medics"). In der Ukraine gibt es erste Berichte.