Feuerwehrleute müssen Malteser huckepack nehmen

  • Und jetzt muss ich mal aus purem Eigeninteresse fragen: kann man das tatsächlich aus diesem Artikel ableiten? Kennt sich da jemand genau aus?


    Es geht mir um den geäußerten Vorwurf der "unterlassenen Hilfeleistung" im Bezug auf die "Heldentat" von Polizeibeamten.


    IANAL, aber ich versuch' mal, mit den noch vorhandenen Resten aus der Sozialkunde die Hintergründe meiner Aussage etwas zu präzisieren.
    Hier anwesende Rechtskundige mögen mich ggf. korrigieren.



    Ein Einschreiten der Polizei ist nach der polizeilichen Generalklausel (siehe Polizeigesetze) zulässig, wenn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder die öffentliche Ordnung vorliegt.


    Unter dem Schutzgut der öffentlichen Sicherheit werden in erster Line verstanden:
    - der Schutz des Staates und seiner Einrichtungen
    - Schutz der Rechtsgüter des Einzelnen (Individualrechtsgüter des Bürgers)
    - der Schutz der gesamten geschriebenen Rechtsordnung


    Erforderlich für eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit ist ein Öffentlichkeitsbezug. (z.B. eine Straftat).
    Bei einer ausschließlichen Selbstgefährdung kann das öffentliche Interesse fehlen, bei Selbstmord bejahen die Landesgesetze teils ein Eingreifen.


    Unter "öffentliche Ordnung" sind all diejenigen Verhaltensweisen zu verstehen, die nicht durch Rechtsnormen erfasst, aber trotzdem für ein das menschliche Zusammenleben unerlässlich sind. Allerdings ist die öffentliche Ordnung gegenüber dem Schutzgut der öffentlichen Sicherheit
    subsidiär.


    Ein polizeilicher Eingriff ist nur bei Vorliegen einer konkreten Gefahr zulässig, also bei einer Sachlage, die bei ungehinderter Fortentwicklung mit
    hinreichender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit zu einer Beeinträchtigung der polizeilichen Schutzgüter führt.
    Dabei bemisst sich das Vorliegen einer Gefahr nach der korrekten polizeilichen Lagebeurteilung zum Entscheidungszeitpunkt; ob tatsächlich ein Schaden drohte ist nicht maßgeblich.


    Der Bürger hat einen Anspruch auf polizeiliches Einschreiten, wenn das Ermessen der Polizei so stark reduziert ist, dass ein Nicht-Einschreiten ein Ermessensfehler wäre (sog. Ermessensreduktion auf Null). Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn eine akute Gefährdung für Leib und Leben eines Bürgers drohen (Art. 2 Abs. 2 GG), hier muss die Polizei einschreiten; ihr Ermessen ist reduziert. (Unaufschiebbarkeitsgrundsatz)
    Das Recht auf körperliche Unversehrtheit der Beamten kann (nicht muss) ggf. hinten anstehen (z.B. Schlägerei).


    Ein Anspruch auf Einschreiten wird dagegen nach überwiegender Rechtsmeinung abgelehnt, wenn bloß die Gefährdung von Sacheigentum droht.
    Am Rechtsschutzbedürfnis fehlt es auch, wenn der Schutz des Bürgers auf andere Weise möglich und zumutbar ist, z. B. auf dem Zivilrechtsweg.

    Grüße, 0-85-1


    Sapere aude! (Horaz)
    Bei Gefahr im Verzug ist körperliche Abwesenheit besser als Geistesgegenwart!
    Der Anfang einer jeden Katastrophe beginnt mit den Worten: "Ich dachte ...", "Ich wollte...", "Ich glaube ...", "Ich kann ...", "... mal eben ..." !

  • 0-85-1: Das was du da alles geschrieben hast, habt ihr aber nicht in Sozialkunde gelernt oder?! :>


    Nach meiner Einschätzung sind die Ausführungen soweit richtig, die Ausführung hierzu


    "Erforderlich für eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit ist ein Öffentlichkeitsbezug. (z.B. eine Straftat).
    Bei einer ausschließlichen Selbstgefährdung kann das öffentliche Interesse fehlen, bei Selbstmord bejahen die Landesgesetze teils ein Eingreifen."


    hättest du dir aber sparen können. Falls eine Straftat begangen wurde, greift ja die StPO. Die Polizeigesetze sind ja Gesetze zur Gefahrenabwehr. Das mit dem Öffentlichkeitsbezug ist im konkreten Fall meiner Meinung nach auch nicht korrekt dargestellt, da nach herrschender Meinung auf das Grundrecht Leben nicht verzichtet werden kann und die Polizei in diesem Falle zum Einschreiten verpflichtet wäre. Den Begriff "öffentliches Interesse" kenne ich an sich nur was relative/absoloute Antragsdelikte im Strafverfolgungsbereich angeht und nicht bei präventiven Maßnahmen.


    Die Gefahr die hier bestehen würde, ordne ich zu den Individualrechtsgütern des Einzelnen ein. Die Pflicht für polizeiliches Einschreiten ergibt sich z.B. aus dem §214 Landesbeamtengesetz RLP



    § 214
    Besondere Pflichten des Polizeibeamten
    Neben den allgemeinen sich aus diesem Gesetz ergebenden Pflichten hat der Polizeibeamte die im Wesen des Polizeidienstes begründeten besonderen Pflichten. Er hat das Ansehen der Polizei zu wahren, Dienstzucht zu halten und sich rückhaltlos für den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung einzusetzen.
    Das "rückhaltlos" bedeutet jedoch nicht, dass der Polizeibeamte einschreiten muss, wenn er dabei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit selbst schwerst verletzt oder sterben würde.


    Natürlich immer Einzelfallabhängig.

  • Es mag zwar richtig sein, das Polizeibeamte zur Rettung in voller Montur ins Wasser springen, aber der Bürger hat auch einen Anspruch auf polizeiliches Einschreiten, wenn sein Leben akut bedroht ist (Art. 2 Abs.2 GG) - ohne das die Polizeibeamten eine mögliche eigene Gefährdung geltend machen können (Ermessensreduzierung).


    Art.2 Abs. 2 GG

    Zitat


    (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.


    Man hat das Recht. Der Staat ist laut Art.1 Abs.1 auch verpflichtet die Würde des Menschen zu achten und zu schützen.


    Hier zeigt sich einmal wieder, wie praxistauglich unser GG doch ist...
    Was ist mit unseren Soldaten in Afghanistan? Der Staat verpflichtet sie sich selbst in Gefahr zu bringen und fordert auch auf von der Waffe gebrauch zu machen.


    Deswegen:
    Mit dem GG würde ich an dieser Stelle nicht argumentieren.
    Wichtiger ist doch hier das Strafgesetzbuch. Dort heißt es im §323c:


    Zitat


    Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.


    Es bleibt im Einzelfall die Frage der Zumutbarkeit zu klären.

  • Zitat

    Hier zeigt sich einmal wieder, wie praxistauglich unser GG doch ist...
    Was ist mit unseren Soldaten in Afghanistan? Der Staat verpflichtet sie sich selbst in Gefahr zu bringen und fordert auch auf von der Waffe gebrauch zu machen.


    Den Einwand versteh ich nicht.

    We are the pilgrims, master; we shall go always a little further.

  • Wird das hier der Thread der abstrusen rechtlichen Ansichten??? :popcorn:


    Wenn es nur eine Wahrheit gäbe, könnte man nicht hundert Bilder über das selbe Thema malen. (Pablo Picasso)

  • Ausgangspunkt war ja das hier:

    Ich hab mir diesen Artikel gerade nochmal durchgelesen. Und jetzt muss ich mal aus purem Eigeninteresse fragen: kann man das tatsächlich aus diesem Artikel ableiten? Kennt sich da jemand genau aus?


    Grüße

    Und die Pflicht zum polizeilichen Einschreiten kann man garantiert NICHT aus dem StGB entnehmen. Und schon garnicht aus dem 323c StGB.


    ( advomedix: Ich hoffe dass mein Post oben nicht mit dem abstrus gemeint war. Falls doch, bitte PN !)

  • Ich auch nicht.


    Vielleicht etwas kürzer zusammengefasst:
    In Deutschland gibt es das Bundesverfassungsgericht. Dessen Interpretation der Verfassung zählt.
    Die Interpretationen der Verfassung von Meier, Müller, Hinz und Kunz tun es nicht.
    Auch wenn jeder das Recht zur Interpretation hat.
    Mit dem GG zu argumentieren ist manchmal etwas weit hergeholt und endet oftmals in "rechtlich abstrusen Ansichten".


    Fissi
    Den §323c habe ich bereits zitiert. Hieraus ergibt sich die Strafbarkeit der unterlassenen Hilfeleistung. Wichtig bleibt aber: Zumutbar, keine Gefahr etc...

  • die kollegen vom MHD haben sich durch diese aktion nicht mit ruhm bekleckert, das steht wohl außer frage. aber juristisch halte ich dieses verhalten für vollkommen irrelevant. der reflexartige ruf nach einem strafverfahren für jede kleinigkeit macht mir sorgen.

  • Der §323c ist aber auf Polizeibeamte bzw. die Rettungskräfte nach meiner Kenntnis nicht anwendbar. Bei denen ist es wenn dann Begehen durch Unterlassen nach §13 StGB. Dies dürfte von der Garantenstellung abhängig sein. Jedoch lasse ich mich gerne Belehren.


    Zu der bereits von mir nochmals zitierten Frage aus was man die Pflicht zum polizeilichen einschreiten bzw. der Gefahrtragungspflicht ableiten kann habe ich ja schon etwas geschrieben. Die Zuständigkeit und Ermächtigungen ergibt sich im konkreten Fall aus den jeweiligen Polizeigesetzen. Der von mir genannte §214 LBG RLP regelt eben quasi die Pflicht des Beamten, um es mal vereinfacht auszudrücken.


    Hier verflechten sich grad eh 2 Themen.
    1. Die von trident gestellte Frage aus welchen Rechtsnormen sich das polizeilich gebotene einschreiten herleiten lässt.
    2. Die eventuell geforderte Sanktion gegen die Rettungskräfte des MHD.


    Die Zumutbarkeit im Bezug der Eigengefährdung dürfte mitterweile eh nur noch schwer nachzuprüfen sein. Die Brühe wird ja nicht mehr da stehen.

  • Der §323c ist aber auf Polizeibeamte bzw. die Rettungskräfte nach meiner Kenntnis nicht anwendbar. Bei denen ist es wenn dann Begehen durch Unterlassen nach §13 StGB. Dies dürfte von der Garantenstellung abhängig sein. Jedoch lasse ich mich gerne Belehren.


    die unterlassene hilfeleistung ist durchaus auf angehörige der genannten berufsgruppen anwendbar, wenn eine bestrafung wegen körperverletzung oder tötung durch unterlassen beispielsweise am nachweis der kausalität zwischen tathandlung und tatbestandlichem erfolg scheitert.

  • Der §323c ist aber auf Polizeibeamte bzw. die Rettungskräfte nach meiner Kenntnis nicht anwendbar. Bei denen ist es wenn dann Begehen durch Unterlassen nach §13 StGB. Dies dürfte von der Garantenstellung abhängig sein. Jedoch lasse ich mich gerne Belehren.


    Der User thh sieht dies anders und hat dies bei XING auch jüngst sehr ausführlich erläutert: https://www.xing.com/net/pri83…ngen-323-c-stgb-34323595/
    Das Thema kam auch hier im Forum kurz auf: Patientin nicht reanimiert: Rettungsassistent wegen unterlassener Hilfeleistung verurteilt



    edit: und die zwischenzeitlich von rc vorgenommene Kommentierung liefert die Begründung dazu knapp und deutlich :-)

  • Nunja, ziemlich blöd gelaufen die Sache ....


    Was mir eher mehr Sorgen macht, ist dieser Absatz im Artikel :

    Diese Aussage sehe ich sehr kritisch.


    Kein Grund zur Sorge. Aus Flexers Link:

    Zitat

    Wert legt Polizeisprecher Burkhard Rick in dem Zusammenhang auf die Feststellung, dass sich seine Einschätzung, es könne sich um eine unterlassene Hilfeleistung handeln, nicht auf den konkreten Fall bezog.

  • Mich irritiert etwas, was gerade auch im hiesigen RD-Bereich zum Tragen kommt:


    Zitat

    Wie Frank Riebandt, der Leitende Notarzt des Kreises auf Anfrage sagte, wird es wegen der Vorkommnisse "eine Anlass bezogene Einsatznachbesprechung" geben.

    Quelle: Auszug aus dem oben verlinkten Text



    Nachdem wir bereits über die Befugnisse von ÄLRD diskutieren kommen nun auch noch die LNA hinzu. Der LNA war wohl kaum in diesen Einsatz eingebunden. Weshalb er sich nun dazu berufen fühlt, hier ein Gespräch mit dem nichtärztlichen Personal anzuberaumen, ist mir ein Rätsel.

    Knüpfe dich nicht an Geringes, es zieht dich ab und hinab, fügt dir Geringeres zu.

  • Kein Grund zur Sorge. Aus Flexers Link: ...


    Ich hab's gelesen ... :whistling:

    Grüße, 0-85-1


    Sapere aude! (Horaz)
    Bei Gefahr im Verzug ist körperliche Abwesenheit besser als Geistesgegenwart!
    Der Anfang einer jeden Katastrophe beginnt mit den Worten: "Ich dachte ...", "Ich wollte...", "Ich glaube ...", "Ich kann ...", "... mal eben ..." !