§ 323c StGB

  • Unterlassene Hilfeleistung


    hierin heisst es:

    Zitat

    ...und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten

    .


    ausser der aufsichtspflicht fällt mir keine weitere wichtigere ein.
    kennt ihr noch welche?


    und wo wir grad bei ausbildung sind. in meinen eh-kursen wird grundsätzlich immer nach abbinden bei amputationsverletzungen gefragt.

    Zitat

    ...und was ist wenn das bein oben am oberschenkel abgerissen wird? dann blutet der doch aus. da muss man doch abbinden


    so eine situation habe ich glücklicher weise noch nicht gehabt. nur mal gesetz den fall, da wird einem tatsächlich das bein am oberschenkel abgetrennt.
    ich stell mir das so vor, dass das gewebe und die muskulatur dann soweit beschädigt sind, dass man da wahrscheinlich nicht mehr genug untergrund hat, um abbinden zu können, weil alles so fluffig und weich ist, dass der gürtel (z.b.) keinen halt hätte.


    lieg ich da falsch?
    was würdet ihr als "ERSTHELFER" vor ort machen?

  • Es gibt nur sehr wenige Blutungen, die sich nicht durch Druck stoppen lassen. Im der Mehrheit der Fälle ist in so einer Situation auch die Pol mit dabei. Und dann beschlagnahmst du halt einen von den Jungs (oder Deerns), gibst ne Runde Handschuhe aus und lässt ordentlich Verbandszeug auf die offene Blutung drücken.

    Alle sagten: "Das geht nicht!". Dann kam einer, der wusste das nicht und hat es einfach gemacht.

  • arischa


    Eine weitere Pflicht wäre zum Beispiel die Abwehr weiterer Gefahren (z.B. das Absichern von Unfallstellen, kriminelle Bedrohung) durch Polizeibeamte...

  • @ani


    ach so, das hatte ich bereits mit zur ersten hilfe gezählt. ok




    p.s.
    *g* jetzt hatte ich eben doch promt die klammer übersehen und gelesen: kriminelle Bedrohung durch Polizeibeamte

  • Es ist hier eine Art Güterabwägung der Fall. Auch Maschinen oder Regelmesswarten können natürlich ein höherwertiges Gut darstellen. Bspw. könnte ich mir vorstellen, dass der Kollege am Schaltpult im Atomkraftwerk nicht so unbedingt da weg sollte...

  • wäre auch zu überlegen. aber gehen wir mal davon aus, dass dieser gleich so in einer halben stunde seinen dienst antreten will. er ist also nun auf dem weg zur arbeit. vor ihm passiert ein unfall. darf er dann weiterfahren, nur weil er gleich auf die roten atomknöpfen aufpassen muss?


    dazu noch eine andere überlegung.
    wie sieht das im personenschutz aus?
    wenn jetzt nun so ein personenschützer mit einer schutzperson im auto auf einen frisch passierten unfall zukommt. wer ist nun wichtiger? der auftraggeber oder die verletzte person am unfallort?
    darf er nun weiter fahren, weil er die "aufsichtspflicht" einer schutzperson hat? schliesslich muss es ja schon irgendwie eine "wichtige" persönlichkeit sein, sonst würde man der ja nicht einen bodyguard an die seite stellen. gehört hab ich es zumindest mal so, das der personenschützer weiter fahren darf.
    aber ist das dann auch "rechtens"? oder verstösst er somit gegen §323c?

  • Ist doch keine Problem. Dann bleibt die Vorschicht halt länger. Ist doch auch so, wenn ich als Arzt Sonntagmorgen zum Dienst fahre...


    Zum Personenschützer (meist Polizeibeamte): der Schutz der Person hat prinzipiell Vorrang. Möglicherweise ist der Unfall ja fingiert und dient als Falle.


  • hierin heisst es:

    .


    ausser der aufsichtspflicht fällt mir keine weitere wichtigere ein.


    Diese sind nicht abschließend aufgeführt und daher der Prüfung des Einzelfalls unterworfen. Daher: Abwägungsfrage. Es macht auch keinen Sinn, dies abstrakt aufzuführen.

  • Die rechtswissenschaftliche Literatur diskutiert über die bereits genannten Gesichtspunkte hinaus im Rahmen der "anderen wichtigen Pflichten" zum Beispiel, wie sich die Hilfeleistungspflicht aus § 323c StGB zu Garantenpflichten nach § 13 StGB verhält. Also: Wie ist zu entscheiden, wenn ein Vater nur eines von zwei ertrinkenden Kindern retten kann, von denen eines seines ist und das andere nicht?


    Kontrovers wird etwa auch erörtert, ob und inwieweit sittliche oder religiöse Pflichten im Rahmen des § 323c StGB berücksichtigungsfähig sind: Ehefrau F benötigt nach einer schweren Geburt eine Blutransfusion. Sie berät sich mit ihrem Mann M darüber, weil beide einer religiösen Sekte angehören, welche Blutransfusionen ablehnt. M rät ihr aus echter religiöser Überzeugung - und gegen dringenden ärztlichen Rat - ausschließlich auf göttliche Hilfe zu vertrauen. F stirbt. Hat M sich strafbar gemacht?

  • Das Verletzungsmuster einer extremem Amputation ist so selten, dass wohl viele ihre berufliche Laufbahn beenden werden, ohne jemals mit einem solchen Szenario konfrontiert geworden zu sein.


    Andererseits (Al-Kaida sei Dank :ironie: ) haben die Menschen in London und Madrid von jetzt auf gleich erleben müssen, wie dutzendfach schwerstverletzte Menschen mit abgerissenen bzw. zerfetzten Extremitäten zu versorgen waren.


    Einerseits wird die Abbindung nicht mehr gelehrt - andererseits ist (für die militärische Anwednung) ein einfaches Gerät entwickelt worden, um eine Abbindung schnell zu ermöglichen.


    Natürlich haben alle Vorredner recht, wenn sie das Aufpressen von Verbandmaterial oder sonstwie geeignetem Material
    auf die Wunde empfehlen.


    Andererseits kann ich mir gut vorstellen, dass es in einer solchen extremen Situation auch zu Massnahmen kommen könnte, die eigentlich seit langem obsolet sind.
    Egal ob es das Abklemmen von spritztenden Blutgefäßen ist oder eben eine Abbindung: die Massnahme wurde vom Helfer gewählt, weil er geglaubt hat, nur so wäre das Überleben des Patienten möglich.


    Eine sorgfältige Triage bzw. Korrektur bereits vorgenommener Massnahmen vor Abtransport bzw. klin. Versorgung sollte falsche bzw. überreagierende Massnahmen korrigieren können.


    Sollte der Patient mit Amputationsverletzung Wochen bis Monate später in der Lage sein, Klage darüber zu führen, dass die Wundheilungsstörungen auf eine "falsche" Behandlung zurück zu führen sei, bedeutet das nichts anderes als die Rückkehr der Lebensqualität, die sich mit der Suche nach einem greifbaren "Schuldigen" gerne eine Aufgabe sucht.


    Nachtrag / Edit:
    mein Beispiel bezieht sich nicht auf einen individualmedizinischen Notfall, bei dem z.B. die harmlose Schnittverletzung im Zeigefinger mit Hilfe von Blumendraht am Oberarm durch einen nassgeschwitzten Sanitöter abgebunden wird und der Verletzte dann stundenlang in der Klinik auf definitive Pflasterversorgung wartet, weil gerade viel zu tun ist.

    raphael-wiesbaden


    Artikel 1
    (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.


    Selig sind die geistig Armen - nur: kann der Himmel die ganzen Seligen auch wirklich aufnehmen ?

    2 Mal editiert, zuletzt von raphael-wiesbaden ()

  • @raph.-wi.


    Ein sehr guter Beitrag! Gerade das Abklemmen von arteriellen Gefäßen sollte vermieden werden, weil sonst eine mögliche Rekonstruktion verhindert werden kann. Vor allem, wenn die Klemme weit proximal gesetzt wird. Arterielle Gefäße sind sehr empfindlich, in der Gefäßchirurgie wird deshalb nur mit sehr kleinen, "weichen" Gefäßklemmen gearbeitet. Eine Pean-Klemme zerstört die Gefäßwand irreversibel.

  • Ich glaube Raphael-Wiesbaden bezog sich hier vornehmlich auf den Bereich der Ersten Hilfe. Hier ist sie in der Tat schon seit mehr als zehn Jahren nicht mehr enthalten.

  • Auch das ist nicht vollständig richtig. Als ultima Ratio ist die Abbindung auch in den mir zuletzt bekannten Lehraussagen zur EH enthalten. Richtig bleibt, dass es nicht "offensiv" propagiert werden soll.

  • Also in meiner Lehraussage steht davon nichts drin. Die davor hab ich nicht mehr, aber auch hier hätte es mich gewundert eine diesbezügliche Aussage zu finden. Die erste Ausbildungsvorschrift, welche ich persönlich in Händen hatte und so etwas gefunden habe war aus den 70er Jahren.