Bayern: Notarzt stand wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht

  • Ein 34-jähriger Chirurg stand im bayerischen Nördlingen nach einem Notarzteinsatz im letzten Jahr wegen fahrlässiger Tötung vor dem Schöffengericht. Das Gericht hatte die Frage zu klären, ob der Notarzt für den Tod einer 52-jährigen Frau mitverantwortlich ist.


    Der Chirurg wurde als Notarzt an einem Abend im Frühjahr vergangenen Jahres zu der Frau gerufen, die alkoholisiert in ihrem Fahrzeug saß. Nach Auskunft der anwesenden Tochter hatte die Frau in suizidaler Absicht 30 Tabletten eingenommen und wollte nun mit dem Auto wegfahren. Die Tochter bedrängte den Notarzt, ihre Mutter in ein Krankenhaus einzuweisen. Nach eingehender Untersuchung der Frau, die keine auffälligen Befunde ergab und einem 20-minütigen Gespräch mit ihr, wollte der Notarzt die 52-Jährige in ein Krankenhaus mitnehmen, was diese allerdings verweigerte. Da ihre Handlungen augenscheinlich überlegt und gesteuert sowie die vom Notarzt gesichteten Tabletten offensichtlich harmlos waren, respektierte der Arzt den Willen der Frau und beauftragte den ebenfalls anwesenden 21-jährigen Sohn, sie zu beaufsichtigen und im Schlaf nach ihr zu schauen, was dieser auch tat.
    Am nächsten Morgen wurde der Notarzt erneut zu der Adresse alarmiert, wo er nun die 52-Jährige tot im Bett liegend vorfand. Neben dem Bett fanden sich eine leere sowie eine halbleere Flasche eines starken Beruhigungsmittels - laut Gutachter hatte die Frau eine tödliche Dosis eingenommen.


    Das Gericht hatte nun die Frage zu klären, wie weit die Anamnese des Notarztes hätte gehen müssen. Den Umstand, dass die Alkohol abhängige Frau über Depressionen litt, hatte ihm am Abend des Einsatzes niemand mitgeteilt. Die Aussagen von Tochter, Sohn und einer Nachbarin der 52-Jährigen, die das Gericht als Zeugen anhörte, gingen weit auseinander, sodass die Richter diese als Vermutungen und Gerüchte werteten.
    Ein weiterer, vom Gericht hinzugezogener Gutachter führte aus, dass die Aufregung, Verwirrung und mangelnde Beobachtungsfähigkeit der Zeugen auf die Situation zurückzuführen sei: "Alle Anwesenden hatten das Gefühl, dass Gefahr im Verzug war, es herrschte eine allgemeine Atmosphäre der Angst." Aufgrund des Verhaltens der 52-Jährigen hätten die Anwesenden bemerkt, dass ihre Depressivität gesteigert war. "Der Bestand der erheblichen Eigengefährdung war erfüllt", so der Gutachter, der selbst als Notarzt tätig ist. "Das Verhalten des Notarztes war nicht fachgerecht. Ich hätte darauf bestanden, die Krankenhausbehandlung durchzuziehen."


    Richter und Oberstaatsanwältin schlossen sich dieser Ansicht nicht an. Der Notarzt sei kein Fachmann für psychiatrische Fragen, er sei in ein kritisches soziales Milieu hineingerissen worden und in eine Situation, der wohl auch ein Familienstreit vorausgegangen sei. In dieser Situation extreme Handlungsverläufe vorherzusagen, könne man ihm fachlich nicht abverlangen. Wegen geringer Schuld des Angeklagten stellte das Gericht die Verhandlung ein und verhängte eine Auflage von 4.000 Euro, zahlbar an karitative Einrichtungen.


    Quelle: http://www.augsburger-allgemei…rgruenden-id15819656.html

  • . Der Notarzt sei kein Fachmann für psychiatrische Fragen, er sei in ein kritisches soziales Milieu hineingerissen worden und in eine Situation, der wohl auch ein Familienstreit vorausgegangen sei. In dieser Situation extreme Handlungsverläufe vorherzusagen, könne man ihm fachlich nicht abverlangen.


    Absolut gute Entscheidung. Das einzige was ich krass finde, ist das der Doc am Ende doch noch 4000 Euro bezahlen muss.

  • Natürlich ist es immer schwierig, solch einen Fall nachträglich zu beurteilen, wenn man selbst nicht involviert war. Ich denke aber, der Notarzt hat hier Glück gehabt. Die Suizidabsicht der alkoholisierten Frau war ja durch die Einnahme der 30 Tabletten ersichtlich, auch wenn sie dies vermutlich später abgestritten hat (man kennt solche Fälle ja). Da eine Eigengefährdung hier sicherlich nicht ausgeschlossen werden konnte, hätte man besser darauf bestanden, die Frau psychiatrisch vorzustellen. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals einen Patienten nach der Einnahme von Tabletten in (auch vermutlich) suizidaler Absicht Zuhause gelassen zu haben. Was daraus resultieren kann, wenn man es doch tut, sieht man an diesem Fall anschaulich.

    Knüpfe dich nicht an Geringes, es zieht dich ab und hinab, fügt dir Geringeres zu.

  • Ich habe es in so einem Fall aber auch noch nie erlebt, dass der Patient die Mitfahrt wirklich verweigert hat. Und ob es sinnvoll wäre die Polizei zur Zwangseinweisung zu holen, mag ich von hier aus nicht beurteilen.

  • Wie das Gericht richtig festgestellt hat, ist der Chirurg kein Psychiater. Demzufolge hätte - meiner Meinung nach - die Patientin einem Psychiater zugeführt werden müssen. Auf welchem Wege auch immer (Krhs-Einweisung unter Zwang, KV-Dienst...). Da finde ich die Begründung, soweit sie hier hervorgeht, etwas unschlüssig.

  • Ich schließe mich der Meinung von Bodo an. Gerade WEIL er als Chirurg wenig Erfahrung mit psychischen Erkrankungen hat, wäre eine Zwangeinweisung angemessen gewesen. Ob ein suizidale Absicht dahinter steckte oder nicht, eine konkrete Eigengefährdung kann man ja nach 30 Tabletten (was auch immer das gewesen sein mag) auf jeden Fall annehmen.
    Allerdings hat die Patientin ja NACH dem Notarzteinsatz nochmals "Beruhigungsmittel" eingeworfen, was sicher nicht unerheblich für die Todesfolge ist. Von daher kann man dem Notarzt mMn nichts vorwerfen.

  • Und wenn sie nicht mit will? Bei einer Alkohlikerin welche ungefährliche Tabletten genommen hat, kann man ja schwer nach zwei Bier sagen sie ist nicht mehr zurechnungsfähig.

  • Guten Morgen!!

    Und wenn sie nicht mit will? Bei einer Alkohlikerin welche ungefährliche Tabletten genommen hat, kann man ja schwer nach zwei Bier sagen sie ist nicht mehr zurechnungsfähig.


    aber sie hat die suizidale (gibts das Wort?) Absicht mit der Einnahme der Tabletten untermauert-ob Absicht oder Hilfeschrei....egal , und deshalb-siehe Bodos Aussage-zur Not unter Zwang..



    Grüsse

    Wenn man tot ist, ist das für einen selbst nicht schlimm, weil man ja tot ist. Schlimm ist es aber für die anderen...
    Genau so ist es übrigens wenn man doof ist...

  • Er hat doch scheinbar 20 min mit ihr gesprochen. Wenn sie dabei so klar war das sie geschäftsfähig wirkte und sich von suizidalen Gedanken distanziert hat, frage ich mich, auf welcher Grundlage sie zwangseingewiesen werden sollte? Es muss eine akute Gefährdung bestehen nicht nur die abstrakte Gefahr das sie es vielleicht machen möchte.

  • Also ich als Psychologe kann dazu nur sagen, dass bei uns der Grundsatz gilt, dass jeder der von Suizid spricht, als gefährdet gilt und das so lange bis das Gegenteil erwiesen ist. Aber das kann man nicht in einem Gespräch von 20 min, mit einer Patientin die unter Alkoholeinfluss steht, sicher feststellen. Ich hätte eine Zwangseinweisung empfohlen. Wenn sich das Gegenteil heraus stellt ist der Patient nach spätestens 48h wieder draußen.

  • Er hat doch scheinbar 20 min mit ihr gesprochen. Wenn sie dabei so klar war das sie geschäftsfähig wirkte und sich von suizidalen Gedanken distanziert hat, frage ich mich, auf welcher Grundlage sie zwangseingewiesen werden sollte? Es muss eine akute Gefährdung bestehen nicht nur die abstrakte Gefahr das sie es vielleicht machen möchte.


    Genau das war auch mein Gedankengang. Wir haben hier doch schon öfters darüber diskutiert, dass zu oft Ärzte Patienten gegen Ihren willen mitnehmen und dies nicht in Ordnung ist. Hier sehe ich es genauso.

  • Hallo!!


    Nach Auskunft der anwesenden Tochter hatte die Frau in suizidaler Absicht 30 Tabletten eingenommen und wollte nun mit dem Auto wegfahren.


    da ist der Grund für die Zwangseinweisung



    Gerade WEIL er als Chirurg wenig Erfahrung mit psychischen Erkrankungen hat, wäre eine Zwangeinweisung angemessen gewesen. Ob ein suizidale Absicht dahinter steckte oder nicht, eine konkrete Eigengefährdung kann man ja nach 30 Tabletten (was auch immer das gewesen sein mag) auf jeden Fall annehmen.


    so sehe ich das auch



    Und wenn sie nicht mit will? Bei einer Alkohlikerin welche ungefährliche Tabletten genommen hat, kann man ja schwer nach zwei Bier sagen sie ist nicht mehr zurechnungsfähig.


    m.M. nach vollkommen egal, sie hat Suizidabsichten geäußert


    das Beispiel hat doch gezeit das unter den vielen vielen Suizidversuchen doch welche sind, die das wirklich wollen, und ich(und alle NA´s die ich kenne) ziehen sich den Stiefel nicht an, in einem 20min Gespräch festzustellen,"die hat nur Spaß gemacht und die lassen wir zu Hause".
    Vorstellung in einer Fachklinik....


    Grüsse

    Wenn man tot ist, ist das für einen selbst nicht schlimm, weil man ja tot ist. Schlimm ist es aber für die anderen...
    Genau so ist es übrigens wenn man doof ist...

  • Es gibt in der MedR vom Mai 2011 einen interessanten Beitrag zur Einstellung eines Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft München. Ich werd das bei Gelegenheit mal zusammenfassen.


    Möglicherweise ist das der Beginn eines Paradigmenwechsels. In Diskussionen mit Ani hab ich hier schon früher mein Unverständnis darüber geäßert, dass der Selbsttötungswillen per se krankhaft sein soll und mit allen Mitteln dieses Staates verhindert werden muss.

  • Ich behaupte einfach irgendwer hat Tabletten genommen und schon wird er zwangsweise eingepackt? Auch wenn es der glaubhaft verneint welche genommen zu haben und klar Geschäftsfähig ist/erscheint? 8|

    :rtw: "Rettungsdienst" sind die Typen, die zu einem kommen, wenn man etwas getan hat, wofür man eigentlich zu dämlich ist. :rtw:

  • Ich behaupte einfach irgendwer hat Tabletten genommen und schon wird er zwangsweise eingepackt? Auch wenn es der glaubhaft verneint welche genommen zu haben und klar Geschäftsfähig ist/erscheint? 8|


    Frag doch mal DSK, was passiert, wenn jemand einfach was behauptet!


    :pfeif: J.

  • Nur dazu noch erwähnt, wenn nicht ganz klar und sogut wie zweifelsfrei eine grundlage für eine Zwangseinweisung vorliegt spielt die Polizei bei uns nicht mehr mit, da es offenbar zunehmend zu Zwangseinweisungen kam die nicht gerechtfertigt waren! :!:

    :rtw: "Rettungsdienst" sind die Typen, die zu einem kommen, wenn man etwas getan hat, wofür man eigentlich zu dämlich ist. :rtw:

  • Wäre ja auch irgendwie schlimm, wenn jeder seinen Nachbarn mir nichts dir nichts in die Psychiatrie einweisen lassen könnte...


    Und außerdem finde ich nicht unbedingt, dass ein Psychiater bei einem Gespräch mit einem potenziellen SUizidanten unbedingt im Vorteil gegenüber einem Chirurgen ist. Wenn der Patient die Sache herunterspielt und Suizidabsichten wehement verneint was soll man dann machen? Wie SanSold sagte, welche Grundlage hat man dann den Patienten zwangsweise mitzunehmen?

    Einmal editiert, zuletzt von drittermann ()