Staatsanwaltschaft Kiel ermittelt gegen Rettungsassistenten wegen unerlaubter Medikamentengabe

  • Pauschale Antworten sind in rechtlichen Fragen meistens zu oberflächlich. Das gilt in beide Richtungen, was Deine Frage angeht.


    Ich habe ja weiter oben schon einmal eine ähnliche Gegenfrage gestellt: Warum geben Rettungsassistenten nicht regelmäßig unter Berufung auf rechtfertigenden Notstand Schmerzmittel?

    Tun sie mancherorts. Man spricht nur nicht drüber.

    Under pressure, you don't rise to the occasion. You sink to your level of training.

  • Pauschale Antworten sind in rechtlichen Fragen meistens zu oberflächlich. Das gilt in beide Richtungen, was Deine Frage angeht.


    Ich habe ja weiter oben schon einmal eine ähnliche Gegenfrage gestellt: Warum geben Rettungsassistenten nicht regelmäßig unter Berufung auf rechtfertigenden Notstand Schmerzmittel?


    ich tue das hin und wieder, nicht regelmäßig, da ich üblicherweise innerhalb einer vertretbaren zeit ein NEF vor ort habe. manchmal aber halte ich aber eine sofortige analgosedierung für angebracht. nachdem die BÄK in ihrem letzten update der stellungnahme zur notkompetenz der rettungsassistenten ausgewählte analgetika ins spiel gebracht hat, gehe ich davon aus, dass dies auch durch den rechtfertigenden notstand gedeckt ist, was auch meinem rechtsempfinden entspricht. notstandsfähig ist jedes rechtsgut. sehr starke schmerzen zu haben, ist ein eingriff in die körperliche unversehrtheit, dessen beseitigung bzw linderung eine unerlaubte ausübung der heilkunde wesentlich überwiegt. ich kläre aber natürlich den patienten sorgfältig auf, unter anderem dahingehend, dass ich kein arzt bin, und weiß zum zeitpunkt meiner analgesie, wann ich mit dem eintreffen des obgligatorisch nachgeforderten notarztes rechnen kann.


    PS:


    ich entscheide das im einzelfall aufgrund meiner persönlichen selbsteinschätzung, die 23 jahre erfahrung und viel routine auf dem NEF umfasst. das lässt sich natürlich nicht verallgemeinern.

  • colt: das witzige an der ganzen Thematik ist ja gerade, dass wir durchaus progressive Vorschläge von (auch: Forums-) Juristen kennen, die zur zumindest teilweisen Lösung des Problems beitragen könnten. Das Problem ist eher, dass die Politik entweder das Problem erst gar nicht sehen will oder aber andere Dinge für wichtiger erachtet. Da jedoch steter Tropfen den Stein angeblich höhlt, werden wir auch weiterhin an den entsprechenden Positionen bohren. Mit vielen Leuten an vielen unterschiedlichen Stellen. Bei 17 Parlamenten hierzulande muss es ja irgendwann irgendwie mal einen Durchbruch geben.

  • Auf der anderen Seite finde ich die Dramatisierung der derzeitigen Situation auch unangebracht.


    Erstens sind die Notfälle mit zwingender zeitnaher Interventionsnotwendigkeit eher rar gesät.


    Zweitens ist der dogmatische Diskurs der Juristen nicht zwingend ein Anhaltspunkt für einrelevantes Problem. Ich zumindest habe nie ein Opiat vermisst. Und alles andere ist dann ja nicht sooo problematisch, sofern indiziert. Auch wenn ich von Tenecteplase und ähnlichen Risikoprofilen eher die Finger lassen würde ;-)

  • Zum Morphin-Projekt Cuxhaven konnte ich heute noch einmal Kontakt mit Kollegen aufnehmen. Somit kann ich jetzt noch ein paar Details dazu sagen (wertungsfrei):


    1) Dauer des Projekts:
    - ca. 4 Jahre
    2) eingesetztes BTM:
    - Morphin
    3) Einsatzbereich:
    - Extremitätentrauma, Rippenfraktur, Bandscheibenvorfall
    4) Anwendung durch:
    - bisher besonders fortgebildete RettAss
    - alle zwei Jahre Auffrischungsausbildung mit Überprüfung
    5) Organisation / Einsatz:
    - Freigabe durch ÄLRD
    - Call-Back-Verfahren (diensthabender LNA wird durch RTW vor Ort angerufen, dann erfolgt die Freigabe bei Bedarf)
    - QM-1: zusätzliches Analgesieprotokoll, Durchschlag geht an ÄLRD
    - QM-2: ÄLRD nimmt mit jedem Patienten Kontakt auf, der so analgesiert wurde, und befragt diese
    6) Dosierung
    - 2mg Morphin titiert alle 2min bis Wirkungseintritt, maximal 0,2mg/kgKG
    7) Komplikationen
    - laut der Kollegen sind in dem Zeitraum keine bekannt geworden, sogar die Übelkeit hält sich in Grenzen bei entsprechender Anwendung
    8) Sonstiges
    - ob durch den ÄLRD und den Träger des RD, dem Landkreis, zuvor ein Rechtsgutachten bzw. eine Klärung bezüglich des BTMG eingeholt wurde konnte ich nicht klären


    Die Frage die sich mir stellt, ob hier ein selbstständiges Handeln vorliegt oder es sich um eine Delegation handelt (Rückfrage beim LNA, Freigabe einholen)? Ich tendiere eher zu einer Delegation.


    Gruß

    Ich komme aus Ironien, das liegt am sarkastischen Meer.

  • Okay, danke. Auch eine telefonische "Anwesenheit" nicht? Das ist ja auch im Krankenhaus durchaus eine übliche Praxis.


    Gruß

    Ich komme aus Ironien, das liegt am sarkastischen Meer.

  • Aber wie auch immer, die Praxis scheint ja zu funktionieren...

    Ich komme aus Ironien, das liegt am sarkastischen Meer.

  • da ist der arzt aber insofern "anwesend", als dass er bei komplikationen zügig herbeigerufen werden kann. ferner dürfte er das personal besser kennen als der notarzt die sanis. die delegation hat einige rechtliche voraussetzungen, die bei so einer aktion kaum erfüllt sein dürften. so hat der arzt zum beispiel die kenntnisse und fähigkeiten des assistenten zu berücksichtigen, und die anordnungsverantwortung bleibt ja beim arzt. wie der arzt die anordnungsverantwortung tragen will, wenn er den patienten nicht gesehen hat, wäre eine interessante frage.

  • Ich frage mich schon langsam, wie solche Projekte, die seit Jahren (Cuxhaven, Marburg) bestehen, überhaupt durchgesetzt werden konnten und weiterhin bestehten, wenn es eigentlich rechtlich umstritten ist? Zusätzlich ist im letzten Jahr ja auch ein neues Projekt in Cloppenburg entstanden, im Lande SH wird wohl auch eines entstehen. Dann kommen noch die neuen Algorithmen der NotSan, z.B. Niedersachsen, hinzu. Hat man hier seine Hausaufgaben nicht richtig gemacht? Als rechtlicher Laie vertraue ich ja eigentlich auch darauf, was mir Lehrkräfte der Schule und der ÄLRD lehren. Da steht man irgendwann auf dem Schlauch, wenn man das mal hinterfragt...


    Gruß

    Ich komme aus Ironien, das liegt am sarkastischen Meer.


  • Ich frage mich schon langsam, wie solche Projekte, die seit Jahren (Cuxhaven, Marburg) bestehen, überhaupt durchgesetzt werden konnten und weiterhin bestehten, wenn es eigentlich rechtlich umstritten ist? [...] Da steht man irgendwann auf dem Schlauch, wenn man das mal hinterfragt...


    [Loriot] Ach? [/Loriot]


    Wenn man als Jurist genau darauf hinweist, darf man aber lesen, dass


    Zitat

    wer Opiate (z.B. Morphium) im notfallmedizinischen Einsatz nach wie vor zum juristischen Problem macht, ist weder ein medizinischer Fachmann und vertritt ausschließliche, dümmliche und vor allem gegen den Patienten gerichtete Politik.

  • Ich frage mich schon langsam, wie solche Projekte, die seit Jahren (Cuxhaven, Marburg) bestehen, überhaupt durchgesetzt werden konnten und weiterhin bestehten, wenn es eigentlich rechtlich umstritten ist? Zusätzlich ist im letzten Jahr ja auch ein neues Projekt in Cloppenburg entstanden, im Lande SH wird wohl auch eines entstehen. Dann kommen noch die neuen Algorithmen der NotSan, z.B. Niedersachsen, hinzu. Hat man hier seine Hausaufgaben nicht richtig gemacht? Als rechtlicher Laie vertraue ich ja eigentlich auch darauf, was mir Lehrkräfte der Schule und der ÄLRD lehren. Da steht man irgendwann auf dem Schlauch, wenn man das mal hinterfragt...


    Gruß


    Bei einer Strafandrohung von mehrern Jahren Gefängnis würde ich mich persönlich ganz bestimmt nicht auf die Meinung eines Ausbilders einer Rettungsdienstschule oder eines ÄLRD verlassen.

  • Zweitens ist der dogmatische Diskurs der Juristen nicht zwingend ein Anhaltspunkt für einrelevantes Problem.


    Harris NRÜ: Juristen streiten sich über alles mögliche. Sie streiten sich sogar bei gleichem Ergebnis im Zweifel darum, wessen weg zum Ziel denn nun der bessere (oder: einzig richtige) sei. Dabei geht es zunächst um Rechtsfragen und nicht um die Frage, ob diese Rechtsfrage eine empirische Bedeutung habe.


    Empirisch sagt der Praktiker in mir: So lange sich in einem RD-Bereich ÄLR, Ärzte, Rettungsdienstorganisationen etc. einig sind, dass Mo durch RettAss erlaubt ist, wird keiner die Staatsanwaltschaft aufstacheln. Die StA kommt ja nicht von sich aus auf den Trichter, aus lauter Langeweile mal sämtliche Rettungsdienstprotokolle zu lesen und auszuwerten. Es muss schon einen geben, der die überhaupt auf den Plan ruft.


    Aus einem fehlenden Verfahren jedoch den Schluss zu ziehen, dass es dann doch problemfrei sei, ist ein gefährliches Terrain. Es zeigt lediglich ein soziologisches Phänomen auf, kein rechtliches.


    Man kann also durchaus auf die Lotterie setzen und sagen: der Hauptgewinn ist so unwahrscheinlich, ich kann relativ bedenkenlos mitspielen. Aber eine gewisse Chance bleibt halt, so unwahrscheinlich sie auch ist.

  • Bei einer Strafandrohung von mehrern Jahren Gefängnis würde ich mich persönlich ganz bestimmt nicht auf die Meinung eines Ausbilders einer Rettungsdienstschule oder eines ÄLRD verlassen.


    Auf wen soll man sich dann noch verlassen, wenn nicht auf die Schule und den ÄLRD, die für die Ausbildung (mit) verantwortlich sind?


    Gruß

    Ich komme aus Ironien, das liegt am sarkastischen Meer.

  • Auf wen soll man sich dann noch verlassen, wenn nicht auf die Schule und den ÄLRD, die für die Ausbildung (mit) verantwortlich sind?


    Gruß


    In dieser ganz speziellen Frage (!) verlasse ich persönlich mich auf die Juristen in meinem persönlichen Umfeld und deren fachliche Expertise. In dieser ganz speziellen Frage (!) hilft auch der Blick ins (BtM)Gesetz vergleichsweise viel.


    J.

  • Gar keine Frage, neben der Ausbildung ansich ist das Selbststudium von irgendwelchen ausbildungsrelevanten Dingen natürlich auch selbstverständlich. Grundsätzlich erwarte ich jedoch, dass mir eine Schule das richtige bei bringt und das ein ÄLRD sowie der Träger des RD rechtlich einwandfreie Dinge in die Retterwelt setzt. Das scheint ja nicht der Fall zu sein. Nicht falsch verstehen, denn es geht mir nicht um das abschieben der eigenen Verantwortung. Das geht nicht und soll auch nicht sein! Aber eine Etage höher sollten die Hausaufgaben in der Hinsicht auf die Rahmenbedingungen auch einwandfrei sein, damit keine Stolperfallen entstehen. In den letzten Wochen mache ich mir diesbezüglich (BTM Gabe durch NotSan/RettAss) auch immer mehr Gedanken, ärgere mich dann jedoch, dass dieses scheinbar noch nicht ausgereift scheint (rechtlich). Trotz das es einige Projekte schon gibt und wohl auch in kürze weiter entstehen werden. Ich bin gespannt (sowie neugierig und motiviert)...


    Gruß

    Ich komme aus Ironien, das liegt am sarkastischen Meer.