Sind junge Fahrer im Rettungsdienst überfordert?

  • Ich habe leider kein Fahrsicherheitstraining, geschweige denn eine Einweisung bekommen. Es hieß nur ich muss den LKW-Führerschein machen.
    Bin zuvor glückicherweise betreits mit großen gelben Sprintern rumgefahren, daher war das Beherrschen und Abschätzen kein Problem mehr.


    Nichts desto trotz hatte ich vor meiner ersten Sondersignalfahrt die Hosen voll, will mir nicht vorstellen, wie das ohne vorhandene Fahrpraxis gewesen wäre.

  • Es ist bitte zu bedenken, dass längst nicht jeder Rettungsdienst KTW zur Verfügung hat. Unsere RAiP lernen in den 2-3 Monaten, in denen sie als Dritter fahren und ihre 200 Einsätze sammeln, schrittweise mit den Fahrzeugen umzugehen. Wenn es mit jungen Fahrern Probleme gibt, dann liegt das in der Regel an mangelnder Schulung. Allerdings sollte man Berufseinsteigern schon die Chance geben, dass sie auch lernen können, mit den Fahrzeugen umzugehen. Es ist ja gar nicht so selten der Fall, dass die grunsätzliche Fahrpraxis beim Erwerb des C1 noch sehr klein ist, und wenn gleichzeitig noch grundlegende Fahrpraxis gesammelt wird und sich an die Dimensionen eines 5,75 Tonnen Fahrzeugs gewöhnt wird, dann kann man ihnen schon noch etwas Zeit geben, bis sie das ganze noch unter einem gewissen Zeitdruck machen müssen. Die schlimmsten Erfahrungen habe ich persönlich allerdings auch eher bei Kollegen mit erheblicher Fahrerfahrung gemacht.

    Land zwischen den Meeren,
    vor dem sich sogar die Bäume verneigen,
    du bist der wahre Grund,
    warum Kompassnadeln nach Norden zeigen!

  • Naja, es fängt mit umfangreicher Erklärung und einfachen Trockenfahrübungen an, z.B. mal Umparken zum Waschen, Ortskundefahrten im Kerneinsatzgebiet ohne Auftrag etc, dann Leerfahrten ohne Sonderrechte mit dem Anlernen von schonendem Fahren, dann Patientenfahrten ohne Sonderrechte, und dann Einsatzfahrt mit Sonderrechten, dann Patiententransporte mit Sonderrechte. Jeweils mindestens 30 (Ausnahme Ortskunde, das nach Ermessen des LRA) und maximal soviele wie notwendig. Wir halten uns auch nicht ausschließlich an die gesetzliche 200 Einsätzeregel (in SH muss der nicht Rettungsassistent 200 Einsätze nachweisen, bis er als Zweiter auf dem RTW eingesetzt werden darf), wenn die RAiPs noch ein paar Einsätze mehr benötigen, bis sie als zweiter fahren können, dann bekommen sie auch mehr Zeit. Ist aber selten der Fall, gerade durch die eher mäßige Frequenz bei uns kann das Ausbildungsziel in der Zeit meist recht gut erreicht werden. Man darf aber nie vergessen, dass auf den Azubi sehr viele neue Dinge einprasseln und manchmal ist es wirklich hilfreich, ein wenig Druck rauszunehmen.

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  • Ist das nur in der Theorie so, oder wird das tatsächlich so gelebt? Könnt Ihr das auch personell so stemmen? Wie bekommt Ihr das hin, dass er als Zweiter sowohl vorne als auch hinten adäquat eingewiesen wird? Er kann ja nur eines von beidem machen. In den meisten Rettungsdiensten wäre das so in der Praxis kaum so durchführbar.

  • Dadurch, dass sie gesetzlich verpflichtend 200 Einsätze als dritter Mann absolvieren ist das kein großes Problem. Das ist entsprechend in der Personalplanung vorgesehen, dass sie 3 Monate zusätzlich fahren. Die Patientenfahrten ohne SR werden meist bei weniger "interessanten" Transporten gemacht und die 30 Sonderrechtstransporte sind in der Zahl m.M.n. vertretbar. Und ja, das wird tatsächlich gelebt, und da wir eine Behörde sind, auch dokumentiert. Inklusive Fahrt, Einsatznummer und handzeichen (eines der) Beifahrer. Aus meiner Niedersächsischen Zeit weiß ich aber auch, dass das eine Besonderheit ist, die es eben nur wegen dieser im RDG verankerten 200 Einsätze gibt. Die haben übrigens weitere positive Nebeneffekte: Dadurch, dass auch RS diese 200 Einsätze benötigen, ehe sie als Zweiter fahren dürfen, sind sie ausreichend unwirtschaftlich, dass die Kassen uns ein reines Rettungsassistententeam bezahlen. Der RS (ohne die 200 Einsätze) darf nur als Fahrer des KTW eingesetzt werden und die gibt es kaum, weil die sich wiederrum nur schwer rechnen, da als Beifahrer dort derzeit (fällt mit dem neuen RDG nach aktuellem Entwurf zurück auf einen RS200) ein Rettungsassistent vorgesehen ist.


    Edit: PS: Man merkt meines Erlebens nach, dass die Azubis durch den etwas geringeren Druck und das bessere Anleiten in der ersten Zeit sehr viel schneller fit werden und insgesamt am Ende des Anerkennungsjahr sicherer sind. Es ist dadurch auch öfters gelungen, Azubis mit erheblichen Startschwierigkeiten noch abzuholen und zu einem zufriedenstellenden Ausbildungsergebnis zu führen. Gerade deswegen setze ich sehr viel Hoffnung in die neue NotSan Ausbildung, weil hier ebenfalls viel Zeit als zusätzliches Besatzungsmitglied vorgesehen ist.

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    Einmal editiert, zuletzt von Johannes D. ()

  • Und genau da liegt aus meiner Sicht auch der Knackpunkt ... diese Schulungen / Unterweisungen / Trainings sollten eigentlich VOR Aufnahme der Tätigkeit erfolgen (und danach in regelmäßigen Abständen wiederholt werden). Denkbar wäre auch eine entsprechende Schulung im Rahmen der (jetzigen NFS-) Ausbildung.
    Nur, es muss auch gemacht werden. Und da sind die Unternehmer gefordert, das entsprechend zu organisieren.


    Wieso denn VOR Aufnahme der Tätigkeit? Es ist eben NICHT Aufgabe des Personals die Defizite der Personalführung des Betreibers auszufüllen - auf eigene Rechnung.
    In jedem Unternehmen ist eine Einarbeitungsphase Pflicht - Oftmals nicht nur um die eigentliche praktische Tätigkeit zu erlernen sondern auch um die "Firmenkultur" einzuatmen. Nur im RD wird irgendwie immer erwartet das man den frisch geschulten Rettungsassistenten auf ein beliebiges Rettungsmittel setzen kann und er sich zurecht findet. Viele Betreiber gehen davon aus, dass wenn Mitarbeiter A die Firma am 30ten verlässt Mitarbeiter B am 1.ten die komplette Funktion übernehmen kann. Genau das ist eben nicht der Fall.
    Bestimmte Fähigkeiten können eben aber nur schrittweise erlernt werden - Und genau hier ist eben der Betreiber gefragt den Mitarbeiter auch nur entsprechend schrittweise einzusetzen und einzuplanen und entsprechende Personalplanungen vorzunehmen - So schwer ist das nicht....

  • Nur im RD wird irgendwie immer erwartet das man den frisch geschulten Rettungsassistenten auf ein beliebiges Rettungsmittel setzen kann und er sich zurecht findet.


    Kann Dich beruhigen: das ist auch woanders so. In Zeiten von Personalknappheit ist umfangreiches Anlernen generell ein Fremdwort geworden.

  • Ich weiß, ich bin ja "woanders" u.a. für einen relativ großen Personalstamm zuständig - Schwarze Schafe gibt es überall - Aber ehrlich gesagt ist der Trend imho nirgendwo so ausgeprägt wie im Gesundheitswesen - und dort eben noch einmal stärker im Rettungsdienst.
    Selbst die Regaleinräumkraft beim Aldi wird mehr angelernt als viele Rettungsassistenten.


    Übrigens sagt die Forschung klar, dass Kräfte die gut eingearbeitet und einklimatisiert werden eine längere Verweildauer haben - grade in Zeiten von Personalknappheit kann man sich ein solches Verhalten eben nicht mehr erlauben - Zu mindestens bei meinem Arbeitgeber wurde das mittlerweile auch erkannt und wir als Führungskräfte sind massiv angehalten dafür zu sorgen, dass die Mitarbeiter entsprechend eingearbeitet werden. Selbst für ungelernte 450€-Hilfskräfte sind dies mindestens eine Woche-Vollzeit.

  • Leider haben sich viele Personalverantwortliche im RD noch nicht daran gewöhnt, dass sie nicht die Schublade aufmachen können und 20 Bewerbungen von Rettungsassistenten rausziehen können, die es für weniger machen, wenn mal ein Mitarbeiter unzufrieden ist. Ich fürchte, dass das mancherorts noch eine sehr schmerzhafte Lektion wird - mit Folgen für den Bürger. Und trotz allem wird es aller höchste Zeit, dass das Umdenken erzwungen wird.

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  • Wieso denn VOR Aufnahme der Tätigkeit? Es ist eben NICHT Aufgabe des Personals die Defizite der Personalführung des Betreibers auszufüllen - auf eigene Rechnung. In jedem Unternehmen ist eine Einarbeitungsphase Pflicht ...


    Es ist Aufgabe des UNTERNEHMERS, die Mitarbeiter VOR Aufnahme der Tätigkeit zu unterweisen bzw. dafür zu sorgen, das diese VOR dem Tätigwerden die betriebsspezifischen notwendigen Kenntnisse für die Tätigkeiten haben (unternehmerische Auswahl- und Unterweisungspflichten).
    Heisst, der Unternehmer muss die notwendigen Rahmenbedingungen für die Tätigkeit (u.a. im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung) festlegen und überprüfen, ob die Mitarbeiter über die notwendigen Qualifikationen verfügen.
    Wenn nein, darf der Mitarbeiter nicht eingesetzt werden (oder der Unternehmer muss dafür sorgen, das der Mitarbeiter sehr zeitnah die notwendigen Kenntisse erwerben kann).


    Bestimmte Fähigkeiten können eben aber nur schrittweise erlernt werden - Und genau hier ist eben der Betreiber gefragt den Mitarbeiter auch nur entsprechend schrittweise einzusetzen und einzuplanen und entsprechende Personalplanungen vorzunehmen - So schwer ist das nicht....


    Soweit ACK, sofern es keine notwendigen Grundkenntnisse betrifft.


    Nur, das "Fahren ohne/mit Sondersignal" gehört im Rettungsdienst zu den Grundtätigkeiten. Und genau deshalb müsste eine entsprechende Schulung zur Verkehrssicherheit incl. Simulatortraining bereits zwingend Bestandteil der rettungsdienstlichen Ausbildung sein.
    Da es das aber in aller Regel nicht gibt (warum, denke ich, wissen wir), bleibt dem verantwortlich handelnden Unternehmer nicht anderes übrig, als genau das "nachzuholen".

    Grüße, 0-85-1


    Sapere aude! (Horaz)
    Bei Gefahr im Verzug ist körperliche Abwesenheit besser als Geistesgegenwart!
    Der Anfang einer jeden Katastrophe beginnt mit den Worten: "Ich dachte ...", "Ich wollte...", "Ich glaube ...", "Ich kann ...", "... mal eben ..." !

  • Ah, dann hatte ich dich falsch verstanden.


    Wo ich allerdings widerspreche ist die Aussage, dass Fahren mit Sondersignal eine Grundtätigkeit des RDs ist... Es gibt genug RDler die nicht fahren wollen/dürfen/können. Und trotzdem ihre Berechtigung im RD haben.

  • Kein Problem. :)
    Das Thema "Unterweisung" ist in vielen Dienstleistungsbereichen häufig unterrepräsentiert, in der Industrie (insb. unter US-Leitung) sieht das anders aus. Da bekommen selbst Besucher eine Sicherheitsunterweisung vor dem Betreten des Werksgeländes.


    Zum Thema "Fahrtätigkeit":
    Ich zitiere mal aus einem beliebigen Rettungsdienstgesetz, Hervorhebungen und Kürzungen durch mich:

    Zitat

    Gegenstand der Notfallrettung ist es, bei Notfallpatienten Maßnahmen ... einzuleiten, sie ... in eine ... geeignete Einrichtung zu befördern.

    .
    Wie das jetzt praktisch geregelt wird, steht auf einem anderen Blatt, Deutschland und seine Rettungsdienstgesetze kennen ja in dem Sinne keine speziellen "RTW-Fahrer" mit daraufhin bezogener "Ausbildung". Wenn es also Mitarbeiter gibt, die nicht fahren können / wollen / dürfen, das ist das in DE nicht zwingend die Regel, sondern doch eher Ausnahme.

    Grüße, 0-85-1


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  • Ich habe bereits mehrfach Fahrsicherheitstrainings mit RTW machen dürfen und muss sagen, dass ich in der Summe eher enttäuscht war.
    Ich glaube nicht, dass ich wie der letzte Henker fahre- zumindest wird mir das nicht so kommuniziert -, allerdings waren Manöver wie Kurvenfahrten, Bremsen etc. größtenteils nichts wirklich Neues, sondern eher Tagesgeschäft. Der Benefit hielt sich in Grenzen.

    Alle sagten: "Das geht nicht!". Dann kam einer, der wusste das nicht und hat es einfach gemacht.

  • Meine bayerische Heimat hat für das Fahren geeignete Fahrer, basta! :drinks:

  • Muss wohl so sein, in der KUVB-Unfallstatistik ist dazu nichts zu finden ... :biggrin_1: :drinks:

    Grüße, 0-85-1


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  • Ich habe bereits mehrfach Fahrsicherheitstrainings mit RTW machen dürfen und muss sagen, dass ich in der Summe eher enttäuscht war. Ich glaube nicht, dass ich wie der letzte Henker fahre- zumindest wird mir das nicht so kommuniziert -, allerdings waren Manöver wie Kurvenfahrten, Bremsen etc. größtenteils nichts wirklich Neues, sondern eher Tagesgeschäft. Der Benefit hielt sich in Grenzen.

    Das ist allerdings möglich, da die Qualität der Fahrsicherheitstrainings von Anbieter zu Anbieter und von Instruktor zu Instruktor sehr differieren kann.
    Ich habe auch bereits mehrere Fahrtrainings hinter mir (mit jedem "neuen" privaten Fahrzeug und auch mit diversen Dienstfahrzeugen); die besten (konstant guten) Erfahrungen habe ich mit "DVR-" Trainings gemacht: kleine Gruppen, intensives Üben auch auf "glattem" Untergrund.
    Bei den von den großen Automobilclubs angebotenen Trainings war die Qualität doch merkbar unterschiedlich.

    Grüße, 0-85-1


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  • Alle drei Jahre geht bei uns im LK jeder zu einem Fahrsicherheitstraining des ADAC. Mit Reserve RTW und NEF gehts auf Schleuderplatte, Wasserstraße, usw. Die Resonanz ist gut.

    Under pressure, you don't rise to the occasion. You sink to your level of training.

  • Ich persönlich habe neben einem Training bei der bayerischen Polizei (das man gar nicht genug Loben kann, dass aber so nicht "mal eben" gebucht werden kann) aus einem DEKRA-Training am meisten mitgenommen -wobei hier die Qualität wohl stark vom Standort abhängt-. V.a. ein "was ist wenn XY ausfällt" Training war echt interessant - V.a nachdem ich vorher mal einen ABS Ausfall live erlebt habe und bis heute fasziniert bin, dass nichts passiert ist.