Mangelnde Rechtssicherheit bei BtM-Gabe - Selbstanzeige

  • Es ist mir immer noch unerklärlich, wie nach so vielen Jahren (eigentlich ja Jahrzehnten) immer noch so viel Unsicherheit und Falschwissen existiert.

    “When I was a boy and I would see scary things in the news, my mother would say to me, "Look for the helpers. You will always find people who are helping.”


    • Fred Rogers

  • Das dürfte wohl der Tatsache geschuldet sein dass sich die wenigsten (RA, NotSan, NÄ, ÄLRD etc.) so differenziert damit auseinander setzen und seitens der Strafverfolgungsbehörden offensichtlich kein gesteigertes Interesse an einer Verfolgung besteht.


    Anders ausgedrückt: Bisher hat es einfach noch keine richtigen strafrechtlichen Konsequenzen gegeben. Die Wahrscheinlichkeit dass es hierzu kommt dürfte in Systemen, wo eine "Freigabe" seitens des ÄLRD besteht nochmals geringer sein. Einfach weil eine gewisse Akzeptanz besteht, die notwendige Dokumentation (Btm-Buch) scheinbar regelrecht erfolgt und damit die Anzahl der möglichen Auffälligkeiten/möglichen "Kläger" nochmals geringer ist.
    Es gibt/gab bisher also wenig Anlass für den Einzelnen RA/NotSan an der Aussagen " Wenn es xy freigibt, dann darfst du es" zu zweifeln.

  • Ich denke, richtig spannend wird es dann, wenn wirklich mal was passiert. Wenn nicht "nur" die Genesung eines Patienten im Raum steht, sondern daneben hohe Versorgungskosten für Angehörige bestehen. Beispielweise der nicht berufstätigen Ehefrau mit drei Kindern, die studieren oder ähnliches. Wo vorher der Mann als Vorsitzender eines Kapitalunternehmens richtig viel Geld nach Hause brachte.
    Wenn man also seitens der Versicherungen einen haftbaren Verursacher braucht. Das etwaige Leid der Betroffenen habe ich außen vor gelassen, da es sich um einen rein fiktives Beispiel handelt. Ich hoffe, ich liege falsch mit meiner Annahme.

    Speed is life!
    Es gibt 10 Arten von Menschen. Solche, die binär zählen können, und Solche, die es nicht können.

  • es gibt ja SOPs in denen Morphin als Call back (ich rufe von der Einsatzstelle den Notarzt an und lasse mir das Medikament im Einzelfall freigeben) vorgesehen ist. Damit habe ich mich bisher sicher gefühlt, da ärztliche Anordnung und die Unterschrift im BTM-Buch gesichert. Das würde dann ja auch nicht funktionieren :scare3:


    Nein, natürlich "funktioniert" das nicht. Aber da macht sich immerhin auch der Arzt strafbar, da fühlt man sich dann nicht so alleine ...

  • Es ist mir immer noch unerklärlich, wie nach so vielen Jahren (eigentlich ja Jahrzehnten) immer noch so viel Unsicherheit und Falschwissen existiert.


    Hinzu kommt, dass man es oft auch gar nicht wissen will. Vermutlich hofft man, einfach Fakten zu schaffen. Es spricht allerdings alles dafür, dass das ebenso schiefgeht wie im Bereich der Substitution, wo man sich - hier dann: als Arzt - mancherorts auch über die - tatsächlich teilweise erheblich praxisfernen - Regeln hinwegzusetzen zu können glaubte und empört, entsetzt, verzweifelt war, wenn man sich dann teilweise vor dem Landgericht und ohne Zulassung und/oder Approbation wiederfand.


    Das dürfte wohl der Tatsache geschuldet sein dass sich die wenigsten (RA, NotSan, NÄ, ÄLRD etc.) so differenziert damit auseinander setzen und seitens der Strafverfolgungsbehörden offensichtlich kein gesteigertes Interesse an einer Verfolgung besteht.


    Die meisten werden das schlicht nicht missen und sich im Einzelfall auch erst in die Vorschriftenlage einarbeiten müssen. Außerdem will ja nun auch niemand engagierten Menschen partout an den Karren fahren.


    Aber wenn so Fälle aufkommen, insbesondere dann, wenn vielleicht mal etwas passiert ist (was noch nicht einmal irgendetwas mit der Btm-Gabe zu tun haben muss; es genügen ja Vorwürfe von Paitenten oder Angehörigen, dass irgendetwas nicht richtig gelaufen sei), dann wird eben verfolgt werden.


    Anders ausgedrückt: Bisher hat es einfach noch keine richtigen strafrechtlichen Konsequenzen gegeben.


    Es ist den Betroffenen zu wünschen, dass das so bleibt. - Ich verweise nur nochmals auf den Bereich der Substitution. Das war erst viel Wild-West, weilÄs noch gar keine Regelungen gab. Dann waren die Regelungen sehr streng, und seit ein paar Jahren (naja, bald ein Jahrzehnt) einigermaßen brauchbar, aber immer noch sehr praxisfremd. Und es gab immer einige, die es nicht besser wussten oder wissen wollten oder eben einfach gemacht haben. Das ging auch recht lange gut, mit vereinzelten Problemen, bis der Bereich in den letzten gut 10 Jahren in den Fokus rückte. Vor allem in Niedersachsen, aber auch in Bayern gab es reihenweise Ermittlungen und Verfahren - da liefen offenbar teilweise Dinge ab, die denkbar weit von den gesetzlichen Regelungen entfernt waren.


    Und die Konsequenzen waren dann oft nicht schön. Ich hatte es oben schon angedeutet - ein Beispiel:
    http://www.sueddeutsche.de/bay…-suchtmediziner-1.1902214
    Dem Artikel kann man schön entnehmen, dass der Arzt immer noch nicht verstanden hat, worum es eigentlich geht: nämlich darum, dass ihm die Abgabe (!) - also das Mitgeben - von Btm ausnahmslos und immer verboten ist. Der ganze Rest ist egal; er kann so ordnungsgemäß substituieren, wie er will, wenn er wie hier "in der Zeit vom 1. Januar 2009 bis zum 23. Februar 2011 an elf opiatabhängige Patienten in insgesamt 458 Fällen unerlaubt Betäubungsmittel (Substitutionsmittel Methadon oder Buprenorphin) abgegeben hat, indem er ihnen entgegen der (eindeutigen) Regelung des § 5 Abs. 6 Satz 1 BtMVV das Substitutionsmittel nicht zum unmittelbaren Verbrauch in seiner Arztpraxis, sondern zur Mitnahme überlassen hat", dann macht er sich strafbar. (Auf die Vorwürfe von 733 unzulässigen Verschreibungen - vermutlich hat's da an der formalen Sorgfalt wie bspw. Untersuchungen und Reaktion auf Beikonsum gefehlt - kam es dann gar nicht mehr an.) Das gab dann vor dem Strafgericht zwei Jahre mit Bewährung und fünf Jahre Berufsverbot als Subtitutionsarzt, was egal ist, weil ihm die Approbation insgesamt entzogen wurde, mittlerweile in zweiter Instanz bestätigt durch den BayVGH. Das kann übrigens durchaus ein guter Arzt sein; er hat's halt "nur" mit dem BtMG nicht so genau genommen.


    Solche Urteile gibt es - wie gesagt besonders in Bayern und Niedersachen, aber nicht nur dort - haufenweise; man findet weit über ein Dutzend straf- und verwaltungsgerichtliche Entscheidungen aus den letzten paar Jahren in einschlägigen Datenbanken. Dafür, dass längst nicht jedes Urteil veröffentlicht wird, sondern vor allem solche zu neuen oder wichtigen Rechtsfragen, ist das eine Menge, die mich doch erheblich überrascht hat.


    Klar, das passiert nicht wegen einer Medikamentengabe - aber was, wenn in 3-5 Jahre viele Dutzende oder Hunderte Fälle zusammenkommen wie in diesem Beispiel? - Ganz genau. Und wenn man Anlass hat, kann man durchaus feststellen, ob Btm von einem Art vor Ort nach Untersuchung verordnet wurden oder telefonisch. Es gibt ja Dienstpläne, Protokolle, Zeugen, ...


    Die Wahrscheinlichkeit dass es hierzu kommt dürfte in Systemen, wo eine "Freigabe" seitens des ÄLRD besteht nochmals geringer sein. Einfach weil eine gewisse Akzeptanz besteht, die notwendige Dokumentation (Btm-Buch) scheinbar regelrecht erfolgt und damit die Anzahl der möglichen Auffälligkeiten/möglichen "Kläger" nochmals geringer ist.
    Es gibt/gab bisher also wenig Anlass für den Einzelnen RA/NotSan an der Aussagen " Wenn es xy freigibt, dann darfst du es" zu zweifeln.


    Das ist sicher richtig, aber ein Risiko, auf das ich verzichten wollen würde.

  • Nicht nur ihr... ;-)


    thh


    Vielen Dank für deinen Beitrag, wie immer sehr interessant und informativ.


    Das wenig ausgeprägte Interesse an einer Verfolgung seitens der Strafverfolgungsbehörden kann ja nun viele verschiedene Ursachen haben.
    Ich wollte mit meinem Beitrag die strafrechtliche Problematik einer Btm-Gabe durch nichtärztliches Personal auch nicht relativieren, sondern habe versucht meine Gedanken zur Frage von Hauke 'Warum hier immer noch Unsicherheit und Falschwissen herrscht' darzulegen.
    Für mich persönlich steht fest: Solange keine entsprechende Änderung im BtMG, eine Ausnahmegenehmigung durch die Bundesopiumstelle oder eine sonstige verbindliche Regelung durch den Gesetzgeber erfolgt, wird der Blinki keine Btm eigenständig verabreichen. Außer der Patient geht ohne tot.

  • Gerückten zufolge ist es schon zu den Akten gelegt?



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  • Gerückten zufolge ist es schon zu den Akten gelegt?


    Anderen Gerückten zufolge könnte es helfen den Thread zu lesen.


    Ich persönlich glaube übrigens auch, dass die undifferenzierte Gabe von Medikamenten auf einen ganz einfachen und menschlichen Grund zurückzuführen ist: weil der gemeine Retter es geil findet.

    Alle sagten: "Das geht nicht!". Dann kam einer, der wusste das nicht und hat es einfach gemacht.


  • Anderen Gerückten zufolge könnte es helfen den Thread zu lesen.


    Ich persönlich glaube übrigens auch, dass die undifferenzierte Gabe von Medikamenten auf einen ganz einfachen und menschlichen Grund zurückzuführen ist: weil der gemeine Retter es geil findet.

    Bezieht sich auf den gemeinen Retter und das geil finden ;-)
    Naja! Ich gehe erstmal davon aus das jeder der diesen Beruf erlernt mit einer gewissen Ernsthaftigkeit
    seinem Tagwerk nachgeht. "Im Zweifel erstmal für den Angeklagten"
    Wenn ich mit jemanden Neuen arbeite geh ich doch erstmal davon aus das er das beherrscht was er gelernt hat und nicht andersrum.


    Dazu gehört für mich auch die Reflexion von SOP die mir ein ärztlicher Leiter Rettungsdienst vorgibt.
    Was im Umkehrschluss bedeutet, dass man sich auch selbst ständig fortbilden muss, um diese Reflexionsfähigkeit zu erlangen. Nur dann kann man Für und Wider abwägen und auf Augenhöhe mit Verantwortlichen diskutieren.


    Jedes Medikament was nicht gegeben werden muss ist doch ein Gewinn! Wer schluckt denn Privat ne Aspirin weil er Muskelkater hat?! ;-) So wenig wie möglich, soviel wie nötig. Was erstmal drin ist bekommt man schlecht wieder raus ;-)


    VG

    2 Mal editiert, zuletzt von Quacksalber ()

  • Was im Umkehrschluss bedeutet, dass man sich auch selbst ständig fortbilden muss, um diese Reflektionsfähigkeit zu erlangen.


    Reflexionsfähigkeit (sic!) erlangt man nicht zwangsläufig durch Fortbildung. Fehlende R. kann auch ein Charaktermerkmal sein.