Wenn rasende Retter zum Risiko werden

  • Weil der Artikel einen Spannungsbogen hat, eine überraschende Wendung und es schafft mit meinen Reflexen zu spielen.


    Am Anfang habe ich das Gefühl gehabt, dass wird eine Boulevardartikel, dann hat Sie aber die Ergebnisse ihrer Recherchen aufgezeigt. Und bei einigen Sachen dachte ich mir "Recht hat Sie" bei anderen dachte ich mir "was für ein Quatsch". Aber am Ende haben sich die beiden Seiten doch ausgeglichen. Auch habe ich den Eindruck, dass der Artikel wirklich gut recherchiert ist. Das mit den 75 Toten im Jahr glaube ich so auch nicht, aber es ist ja eine zitierfähige Quelle. Und am Ende macht Sie den Bogen und sagt, ich habe da einen Fehler gemacht, denn an der Stelle auf der Verkehrsinsel sehen alle Autos sehr schnell aus, rückt das ganze in ein ganz anderes Licht.

  • Ferner finde ich es nicht richtig, immer gleich so allergisch zu reagieren, wenn in einem Artikel Kinder erwähnt werden. Sie sind hier kein vorgeschobenes Argument, um Emotionen zu wecken. Sie hat mit dem Punkt einfach Recht. Kinder verhalten sich im Straßenverkehr oft deutlich anders und unerwartet, als Erwachsene.


    Ich halte den Artikel, bis auf die 75 Toten, ebenfalls für gut gelungen und gut recherchiert.

    “When I was a boy and I would see scary things in the news, my mother would say to me, "Look for the helpers. You will always find people who are helping.”


    • Fred Rogers

  • Mich würde, relativ unabhängig davon ob der Artikel gut oder schlecht geschrieben ist, interessieren, wie viele tödliche Unfälle der Durchschnittsfahrer bei einer Kilometerleistung wie dem des Rettungsdienstes hat. Die absolute Anzahl der Toten ist ja doch eher unaussagekräftig.

  • Weil ein paar Unfälle pro X km Fahrleistung wohl nicht zu verhindern sind.










    "Ein Pkw-
    Fahrer war im Durchschnitt alle 1,46 Millionen Kilometer
    in einen Personenschadensunfall involviert. " (Quelle , S. 1086)
    Beispielhaft die Fahrzeuge der Feuerwehr Düsseldorf (weil ich die zufällig schnell gefunden habe), haben 2016 2,7 Mio. Kilometer zurück gelegt. Die werden also schon bei gleichem Unfallrisiko wie ein PKW-Fahrer fast zwei Unfälle mit Personenschaden haben. Etwa so müsste man (meiner Meinung nach) auch die Zahl der "RTW-Toten" hochrechnen, wenn eine aussagekräftige Zahl heraus kommen soll.


    Völlig unabhängig davon ist es natürlich sinnvoll alle Maßnahmen zu nutzen, die das Unfallrisiko im Rettungsdienst senken können!

  • Das hat son bisschen was von Äpfel mit Zebras vergleichen.
    Wieviele Kilometer der Fw DUS wurden unter Alkoholeinfluss absolviert ? Ich hoffe keine und dem wird wohl auch so sein.


    Würde man alle Personenschäden aufgrund von Trunkenheit am Steuer aus den 1,46 Mio. km rausrechnen, kommt da wohl eine längere Strecke zusammen.

  • Je weiter man mit hypothetischen und bereits so extrem anzuzweifelnden Zahlen rechnet, desto weniger Realitätsbezug bleibt am Ende über. Faktisch müsste man also erstmal valide Daten erheben. Dann müsste man die Parameter vergleichen. Die von dir vorgeschlagenen wären so aber auch nur bedingt aussagekräftig. Man müsste schon den Vergleich zu Berufskraftfahrern (höhere Routine, evtl geringere oder höhere Konzentration?, höhere medizinische Überwachung) in einem vergleichbaren Fahrzeugtyp (Übersichtlichkeit, Fahrphysik) treffen. Und, wenn man wirklich eine Aussage treffen möchte, wäre insbesondere der Punkt von Lenk- und Ruhezeiten und der Auswirkungen der Überschreitungen bei unregelmäßiger Fahrtätigkeit mal näher anschauen und nicht ausschließlich auf Schreckmomente mit Signalfahrzeugen wie in der Motivation dieses Artikels schauen...


    Aber für differenzierte Betrachtung ist ein Boulevardblatt vielleicht auch einfach das falsche Medium.

    Land zwischen den Meeren,
    vor dem sich sogar die Bäume verneigen,
    du bist der wahre Grund,
    warum Kompassnadeln nach Norden zeigen!

  • Ich verstehe das und sehe es durchaus ein. Allerdings halte ich nach wie vor die 75 Tote an sich bereits für kompletten Unsinn. Wie gesagt, demnach müsste selbst in ruhigen Großstädten alle paar Wochen ein tödlicher Einsatzfahrtunfall passieren. Dies müsste man mitbekommen, und Meldungen wie die aus Lübeck oder der zweifach tödliche HLF gegen Bus Unfall aus Hamburg vor ein paar Jahren, die hier im Forum ja auch die Runde gemacht haben, wären kein außerordentliches Ereignis. Und mit falschen Zahlen kann ich noch so sauber und korrekt rechnen, das Ergebnis ist nicht verwertbar.

    Land zwischen den Meeren,
    vor dem sich sogar die Bäume verneigen,
    du bist der wahre Grund,
    warum Kompassnadeln nach Norden zeigen!

  • Und bei einigen Sachen dachte ich mir "Recht hat Sie" bei anderen dachte ich mir "was für ein Quatsch". Aber am Ende haben sich die beiden Seiten doch ausgeglichen.


    Wenn ein Artikel schon dann gefällt, wenn der Unsinn, der in ihm enthalten ist, durch richtige Inhalte ausgeglichen wird, sagt das auch etwas über den Zustand des Journalismus aus. :evil:

  • Ich halte den Artikel, bis auf die 75 Toten, ebenfalls für gut gelungen und gut recherchiert.


    Hm. Ich weiß nicht.


    Gut recherchiert? Harte Fakten hat die Recherche nicht ergeben - genannt werden Einzelfälle, die man aller Voraussicht nach über Google finden kann, und dann "O-Töne" der Beteiligten.


    Gut gelungen? Was erfahren wir denn wirklich aus dem Beitrag? Es gibt tödliche Verkehrsunfälle mit RTW. Diese fahren schnell - oft meinen Zeugen, sie seien zu schnell. Vielleicht waren sie auch wirklich zu schnell. DIe Strafverfolgungsbehörden sehen das nicht so. Die Rechtsanwälte der Hinterbliebenen schon. Ein Rechtsanwalt, der während seiner Tätigkeit in eine Sparkasse gefahren ist (!) - das lässt sich jetzt eher nicht so leicht erklären - ist der Meinung, das Gesetz müsse geändert werden, es brauche klare Vorgaben. Warum das so sein soll, wird mir zumindest nicht klar.


    Wenn ich das alles zusammennehme, dann gibt es viele Meinungen, aber wenig Fakten.


    1) Es gibt eine Hochrechnung der Unfallzahlen (bei der man nicht ausschließen kann, dass sie schlicht die Anzahl der Verkehrstoten insgesamt mit der Anzahl der ingesamt gefahrenen Kilometer ins Verhätnis gesetzt und das auf die Einsatzfahrten heruntergebrochen hat, was dann bar jeder Aussage wäre). Ich bin mir auch etwas im Zweifel, ob die Hochrechnung wirklich nur "Rettungswagen" erfasst, selbst wenn ich das auf "Fahrzeuge des Rettungsdienstes" verallgemeinere, und nicht Einsatzfahrzeuge aller BOS.


    2) Es gibt die Aussage "der Berufsgenossenschaft" (welcher denn?), "die Retter" (welche denn? Rettungsdienst? Feuerwehr? Feuerwehr-Rettungsdienst, der wohl kaum bei einer BG unfallversichert ist, weil öffentlicher Dienst?) seien in 65% der Unfälle schuld. Das ist ein Wort, aber man fragt sich, wie "die Berufsgenossenschaft" das denn ermittelt hat, wo es doch keine Aufzeichnungen und keine Zahlen über die Unfälle gibt ... Und was "schuld" bedeutet: Die Erfassung bei der polizeilichen Unfallaufnahme? Das Ergebnis eines Zivilprozesses? Und wenn letzteres: was bedeutet "schuld" in diesem Fall angesichts der Gefährdungshaftung im Straßenverkehr? "Überwiegende Haftungsquote"?


    3) Dann gibt es noch die - bekannten - Aussagen über die erhöhte Unfallwahrscheinlichkeit auf Sondersignalfahrten, die m.W. aus einer alten Publikation der Bundesanstalt für Straßenwesen stammt (und m.W. auch andere BOS erfasst hat); eine klare Quellenangabe gibt es dazu nicht.


    Das ist es dann im Prinzip mit den Fakten. Der Rest des Artikels besteht in der - literarisch aufgearbeiteten - Darstellung von Einzelfällen, wobei die literarische Bearbeitung (man könnte auch "Dramatisierung" sagen) teilweise zu Selbstverständlichkeiten führt, teilweise aber auch einen falschen Eindruck vermittelt. So heißt es ja einleitend, es würden "hochgerechnet 73 Menschen pro Jahr bei Unfällen mit Rettungswagen sterben". Später dann: "Yassin blieb nicht das einzige Todesopfer im Jahr 2016.". Klar! Statistisch gesehen gibt es ja 734 Tote, also kann das Kind unmöglich der einzige Tote geblieben sein. Und eine Zwischenüberschrift lautet: "Einstellung verstößt gegen das Legalitätsprinzp" Erst dem Artikel kann man dann entnehmen, dass das die Auffassung des Rechtsanwalts der Hinterbliebenen ist, die weder die Staatsanwaltschaft noch die Generalstaatsanwaltschaft geteilt haben. Über das Ergebnis des Klageerzwingungsverfahrens vor dem OLG (wenn es denn ein solches gab) wird nichts gesagt.


    Man könnte jetzt noch darüber nachdenken, ob es nicht im Sinne der Ausgeglichenheit gewesen wäre, wenn die Recherche sich auch auf Unfälle erstreckt hätte, bei denen Rettungskräfte - durch Fahrfehler anderer Verkehrsteilnehmer - zu Tode gekommen sind, aber sei's drum.


    Insofern ist dieser Artikel so wie viele: sehr arm an Fakten, die zudem kaum prüfbar sind, weil die Quellen nicht erkennbar werden, dafür reich an Emotionen und gefühligen Schilderungen von Einzelfällen, die aber für das übergreifende Thema wenig hergeben. Leider ist das ein Kennzeichen der heutigen Berichterstattung - man verfolge das einmal in den Medien. Wenn irgendwo etwas passiert, erfährt man in der Regel wenig Fakten, aber dafür werden Betroffene interviewt, ersatzweise Passanten zu ihrer Meinung befragt. Das ist sicher nett und auch weniger aufwendig als Recherche, aber es bringt doch letztlich niemanden weiter. Dass Menschen im Straßenverkehr sterben, und zwar tausendfach jedes Jahr, ist nicht neu - dass es dazu auch bei Unfällen mit Einsatzfahrzeugen kommt, ebenfalls nicht. Es wird aus meiner Sicht nicht besser dadurch, dass der Artikel offensichtlich durch persönliche Betroffenheit entstanden ist und diese dann auch genau spiegelt.

  • Wenn ein Artikel schon dann gefällt, wenn der Unsinn, der in ihm enthalten ist, durch richtige Inhalte ausgeglichen wird, sagt das auch etwas über den Zustand des Journalismus aus. :evil:


    Interessanter Denkanstoß, Danke!

  • Wenn man einmal versucht, die Fakten zu prüfen, relativieren sich Recherche und Inhalt noch einmal sehr deutlich. (Vermutlich sollte man das sowieso besser nicht tun ...) Ich zitiere mich mal selbst:


    1) Es gibt eine Hochrechnung der Unfallzahlen (bei der man nicht ausschließen kann, dass sie schlicht die Anzahl der Verkehrstoten insgesamt mit der Anzahl der ingesamt gefahrenen Kilometer ins Verhätnis gesetzt und das auf die Einsatzfahrten heruntergebrochen hat, was dann bar jeder Aussage wäre). Ich bin mir auch etwas im Zweifel, ob die Hochrechnung wirklich nur "Rettungswagen" erfasst, selbst wenn ich das auf "Fahrzeuge des Rettungsdienstes" verallgemeinere, und nicht Einsatzfahrzeuge aller BOS.


    Die Quelle dafür habe ich nicht gefunden; ich nehme aber an - siehe unten -, dass auch diese Info aus der Dissertation von RA Stevens stammt. Die Zahlen dort auf S. 15/16 geben das jedenfalls her: dort wird eine Studie der BASt aus 1995 genannt, die im Wege der Hochrechnung zu einem Todesfall auf 272.000 Einsatzfahrten kommt. Wenn man die "rund 20 Mio. Einsatzfahrten jährlich" aus dem Stern-Artikel nimmt, kommt man auf (20.000.000 geteilt durch 272.000) auf 73.


    2) Es gibt die Aussage "der Berufsgenossenschaft" (welcher denn?), "die Retter" (welche denn? Rettungsdienst? Feuerwehr? Feuerwehr-Rettungsdienst, der wohl kaum bei einer BG unfallversichert ist, weil öffentlicher Dienst?) seien in 65% der Unfälle schuld. Das ist ein Wort, aber man fragt sich, wie "die Berufsgenossenschaft" das denn ermittelt hat, wo es doch keine Aufzeichnungen und keine Zahlen über die Unfälle gibt ... Und was "schuld" bedeutet: Die Erfassung bei der polizeilichen Unfallaufnahme? Das Ergebnis eines Zivilprozesses? Und wenn letzteres: was bedeutet "schuld" in diesem Fall angesichts der Gefährdungshaftung im Straßenverkehr? "Überwiegende Haftungsquote"?


    Die Untersuchung ist von 2007 und diese hier: http://www.forum-lra.de/index.…-wegerechten-gemaess-stvo


    Ich zitiere:


    Zitat

    Das Zusammentragen von Datenmaterial zum Thema Verkehrsunfälle von Einsatzfahrzeugen gestaltete sich schwierig. [...] Insgesamt wurden 40 dieser Fragebögen per E-Mail und auf dem Postweg an 24 Berufsfeuerwehren und 16 Polizeidienststellen versendet. Unter Berücksichtigung der sensiblen und vertraulichen Hintergründe war die Rücksendequote mit rund 50% erfreulich hoch. [...] Aufgrund der begrenzten Anzahl der Fragebögen darf jedoch kein endgültiger Anspruch abgeleitet werden, ein völlig repräsentatives Bild zu zeichnen. Gleichwohl ergaben sich jedoch bei nahezu allen Befragten auffällig klare Tendenzen, so dass hier allgemeine Gültigkeit der Beobachtungen angenommen werden darf. Insgesamt wurden 3.513 Verkehrsunfälle unter Verwendung von Sonder- und Wegerechten betrachtet. [...] Hier stellte sich heraus, dass im überwiegenden Teil der Fälle (65%) die Fahrer der Einsatzfahrzeuge als Verursacher ermittelt wurden. Ein Viertel der Unfälle (25%) wurde durch den Unfallgegner verursacht, in einem geringen Teil (10%) ließ sich kein einzelner Verursacher ermitteln.


    Daraus lässt sich zweierlei erkennen:


    1. Alle Ergebnisse basieren auf 20 (!) Fragebögen, die an Polizei und Feuerwehr - nicht aber an HiOrgs - übermittelt wurden und nicht nur Rettungswagen, sondern alle Einsatzfahrzuege betreffen. Dass aus nur 20 Bögen über 3.000 Unfälle ermittelt werden konnten, ergibt sich daraus, dass zusätzliche Informationen wie Unfallberichte pp. übermittelt wurden.


    2. Im Fragebogen - am Ende der Untersuchung abgedruckt - lautete die Frage "6) Wer wurde häufiger als Unfallverursacher beschuldigt?". In der Auswertung wurde daraus, "dass im überwiegenden Teil der Fälle (65%) die Fahrer der Einsatzfahrzeuge als Verursacher ermittelt wurden". Der Unterschied ist offensichtlich, und die Befragung der Polizei sowie die Auswertung interner Unfallberichte kann ersichtlich keine Grundlage der Feststellung sein, wer tatsächlich Unfallverursacher war.


    Die Quelle trägt also die Behauptung im Artikel in mehrerlei Hinsicht nicht. Das fängt schon damit an, dass es in der Untersuchung keineswegs nur um "Retter" und noch nicht einmal vorrangig um Fahrzeuge des Rettungsdienstes geht.


    3) Dann gibt es noch die - bekannten - Aussagen über die erhöhte Unfallwahrscheinlichkeit auf Sondersignalfahrten, die m.W. aus einer alten Publikation der Bundesanstalt für Straßenwesen stammt (und m.W. auch andere BOS erfasst hat); eine klare Quellenangabe gibt es dazu nicht.


    Wenn ich raten muss: das ist ein Zweitzitat aus der Dissertation von Rechtsanwalt Stevens, der dort exakt das angibt und sich dafür auf einen Geschäftsbericht der Unfallkasse des Bundes bezieht. Als weitere Quelle wird in einer Fußnote eine Untersuchung der BASt aus 1991/1992 genannt, die im Wege der Hochrechnung auf ca 3.500 Unfälle von Einsatzfahrzeugen aller BOS in Westdeutschland kommt. Wie sich daraus dann die Quote von vier- und achtfach ermittelt, wird jedenfalls aus der Fußnote mir nicht klar. (Wer es nachsehen will: Seit 115, Fußnote 406, das Buch "Blaulicht und Martinshorn im Strafrecht: Voraussetzungen, Anwendbarkeit und Auswirkungen der §§ 35 und 38 StVO" ist bei Google Books einsehbar.)


    Wenn man genauer nachschaut, finden sich sogar alle drei genannten Fakten aus dem Artikel in der über Google online verfügbaren Dissertation, nämlich alle (!) direkt auf S. 15/16. Dort findet sich dieselbe Berechnung wie auf Seite 115, zudem die 65% (zitiert aus zwei anderen Quellen: die eine ist exakt die von mir oben genannte Publikation der BG Gesundheit und Wohlfahrtspflege mit dem Autor Bockting, die andere Quelle - wie man aus den übrigen Fußnoten in der Dissertation sehen kann - zitiert selbst aus der ersten Quelle, ist also kein gesonderter Beleg). Ich will dabei nicht verhehlen, dass ich die Dissertation beim flüchtigen Blättern insgesamt nicht besonders überzeugend finde, nachdem die Quellenlage nicht nur hier eher dünn erscheint.


    Aber fassen wir zusammen: die "Recherche" der Autorin besteht offenbar hinsichtlich der harten Fakten darin, dass sie gegoogelt und die Dissertation von RA Stevens gefunden hat. Alle Fakten, die sie anbringt, finden sich dort auf den ersten Dutzend Seiten. Auch viele der Zitate im Artikel, die dem Rechtsanwalt zugeschrieben werden, dürften von dort stammen, denn meistens heißt es, dieser habe das "geschrieben". Ich habe übrigens demletzt selbst erlebt, dass Inhalte eines meiner online verfügbaren Texte mir in einem Zeitungsartikel in wörtlicher Rede zugeschrieben wurden; also wird auch vieles von dem, was RA Stevens "sagt", größtenteils aus seiner Doktorarbeit stammen. Selbst wenn aber manche Zitate von ihm selbst sind [1] und offenbar auch die beiden genannten Einzelfäle nachrecherchiert wurden - aber, soweit ersichtlich, nur unter Anhörung einer Seite, nämlich der Hinterbliebenen - finde ich das auf der Faktenebene nicht wirklich "gut recherchiert" - und auch nicht "gut berichtet", denn die Quellen tragen die Behauptungen zu den Fakten nur sehr bedingt; das ist mehr Kaffeesatzleserei als harte Fakten. Letztlich also: Google und bestenfalls "O-Töne" von drei Personen zu deren persönlichen Auffassungen. Für ein emotionales Feature machbar, faktisch aber m.E. ohne Mehrwert.


    (Im Ergebnis bestätigt das meinen ersten Eindruck, den ich mir aufgrund von Ton und Stil des Beitrags gebildet hatte.)


    [1] Man kann zweifeln, ob das zutrifft, immerhin wird dem Rechtsanwalt in den Mund gelegt, mit Sonderrechten sei man von der Strafprozessordnung befreit. Das kann ich mir nur schwer vorstellen.

  • Ich möchte mich auf diesem Weg nochmal kurz bei Johannes D., thh und Michael Neupert bedanken. Besser hätte man es nicht sagen können. Danke!


    Gewünscht von dem Artikel hätte ich mir konkrete Zahlen und eben weniger Druck auf die Tränendrüse. Aber unabhängig davon wie dem Einzelnen die journalistische Arbeit gefällt, bieten solche Momente immer wieder eine gute Gelegenheit sein eigenes Handeln kritisch zu reflektieren. 118 km/h innerorts? Ich bin mir nicht sicher ob es überhaupt Einsätze gibt, bei denen das zu rechtfertigen ist? Und vor allem ob damit dem eigentlichen Patienten geholfen ist? Ich versuche für die Zukunft, dank diesem und anderer Artikel, alert zu bleiben und so Fehler zu vermeiden, die Andere schmerzlich erfahren mussten.

  • Ich finde den Artikel deswegen gut, weil er den richtigen Denkanstoß gibt, ohne alle Retter als Gefahr darzustellen.


    Es wird deutlich, dass erhebliche Geschwindigkeitsübertretungen quasi keinen Zeitvorteil bringen.


    Ich würde es schade finden, wenn die Grundidee des Artikels verloren ginge, weil Auswertungen unstimmig sind.
    Ich befürchte, dass man sich damit zurücklehnen könnte, getreu dem Motto "Ich mach nichts falsch", weil der Artikel ja total schlecht ist.


    Ich kann das mit der Tränendrüse nicht erkennen. Sie hat damit, wie ich schon sagte, Recht, wenn sie auf Kinder hinweist. Ich wohne direkt in einer 30 Zone, die direkt zu einer Schule führt. Mehr als Schritttempo geht da oft nicht, weil auf Autos kaum geachtet wird.


    Wenn dieser Artikel dazu führt, dass Retter über ihr Fahrverhalten nachdenken und ihre "Pace" reflektieren ... dann finde ich den Artikel weiterhin gut.



    Gesendet von iPhone mit Tapatalk Pro

    “When I was a boy and I would see scary things in the news, my mother would say to me, "Look for the helpers. You will always find people who are helping.”


    • Fred Rogers

  • Siehe immerhin - von der gleichen Autorin - hier: http://www.stern.de/panorama/gesellschaf?17-7479332.html. Ob das zutrifft, weiß ich natürlich nicht. Sie selbst schreibt ausweislich ihres Autorenprofils in der Freizeit gerne Krimis; das wiederum glaube ich. Dass der Beitrag wenig überzeugende Teile enthält (ich springe von der Fußgängerinsel vor ein heranfahrendes Fahrzeug und bin überrascht, wie gefährlich das ist), teile ich.


    Das hatte ich glatt übersehen. Anschließend an meine bisherige und die (wie gewohnt ausgezeichnete) Argumentation von THH, wird sofort klar, dass die Autorin in ihrem anderen Artikel bewusst Unsinn verbreitet. Sie hat in der von ihr durch unvollständige Presseschau geführte Liste, die sehr viele Unfälle enthält, die nicht aus Sonderrechtsfahrten resultieren und bei denen teils auch nicht besetzte, stehende Rettungsfahrzeuge gerammt wurden (dazu ist es nötig hier mit dem Forum querzulesen), nicht im Ansatz Zahlen erreicht, die sie selbst zitiert. Aus ihrer Liste ist kein Toter für 2017 bisher und zwei Tote für 2016 ersichtlich, wobei wir mindestens von dem schwerverletzten Kind aus Lübeck von einem letztlich tödlichen Ausgang wissen. Selbst wenn man jetzt davon ausginge, dass sich unter den Schwerverletzten weitere Todesfälle befinden und schätzt, dass diese Liste unvollständig ist, lässt sich daraus nunmal nicht entfernt die Zahl von 75 Toten extrapolieren. Die Gesamtzahl der von ihr gefundenen Berichte (ca. 65) für 2016 liegt deutlich unter den genannten 75 Todesfällen, wobei doch gemutmaßt werden darf, dass diese entsprechend große Schlagzeilen produzieren würden. Es ist also bewusste Dramatisierung weit entfernt jedes Bezuges zur Realität.



    Mich würde interessieren, was die einzelnen Forumskollegen denn an dem Artikel gut recherchiert und berichtet finden? Ich persönlich bin auch dafür, dass man den Fahrstil immer kritisch überdenkt. Aber nicht anhand solchen Unsinns, sondern im Rahmen der alltäglichen Reflexion der eigenen Tätigkeit.

    Land zwischen den Meeren,
    vor dem sich sogar die Bäume verneigen,
    du bist der wahre Grund,
    warum Kompassnadeln nach Norden zeigen!

  • Zitat

    "Unfall Rettungswagen" tippe ich später bei Google ins Suchfeld. Über
    18.000 Treffer. Offenbar passiert alle paar Tage ein Unfall, in den ein
    RTW verwickelt ist.

    Also entweder kann die Autorin Google nicht so richtig bedienen, bei mir gibt es nämlich 453.000 Einträge, oder die Zahl der Unfälle steigt tatsächlich dramatisch an.



    Wirklich schlimm scheinen es aber die Schlingel von der Polizei zu treiben:


    Sucht man nach "Unfall Polizei" erscheinen 14,4 Millionen Einträge :scare3:

  • Johannes D.


    Ich fand es zunächst einmal gut, dass sie sich mit dem rechtlichen Rahmenbedingungen auseinander gesetzt hat, also Sonder - und Wegerechte. Ferner der Hinweis auf die besondere Sorgfalt. Ich fand es auch gut, dass sie sich mit einem Rechtsanwalt zusammen gesetzt hat, der einen Bezug zu dem Thema hat (und eben nicht nur irgendein Anwalt). Ich persönlich habe den Artikel auch deswegen gerne gelesen, gerade weil er eine persönliche Note hatte und die Verfasserin auch mit sich kritisch umging.


    Das macht bei mir den Eindruck, dass sie das Thema zumindest im Rahmen ihrer zeitlichen Möglichkeiten recherchieren wollte und ein ausgewogenes Bild zeigen wollte.


    Die Kritik, die thh am Artikel formuliert ist dabei absolut richtig und schlüssig. Insofern kann man über das "gut recherchiert" in der Tat streiten. Gut finde ich den Artikel trotzdem, weil er ein Thema anspricht, was eher ein Tabu ist. Es wird sich ja eher damit gebrüstet, mit welcher Speed man neulich wieder durch den Ort genagelt ist.



    Ich behaupte nicht, dass dieser Artikel perfekt ist und die genannten Zahlen für mich Sinn machen. Ob sich thh mit seiner Kritik an die Verfasserin gewendet hat, wage ich aber mal zu bezweifeln. Er hatte ja bereits an anderer Stelle deutlich gemacht, dass er darin eher keinen Sinn sieht. Das finde ich nach wie vor sehr schade.

    “When I was a boy and I would see scary things in the news, my mother would say to me, "Look for the helpers. You will always find people who are helping.”


    • Fred Rogers

  • Mich würde interessieren, was die einzelnen Forumskollegen denn an dem Artikel gut recherchiert und berichtet finden? Ich persönlich bin auch dafür, dass man den Fahrstil immer kritisch überdenkt. Aber nicht anhand solchen Unsinns, sondern im Rahmen der alltäglichen Reflexion der eigenen Tätigkeit.


    Ja, in einer perfekten Welt wäre das so. Aber sind wir doch mal realistisch ...
    Ich traue vielen diese Form der Selbstreflektion nicht zu. Ob dieser Artikel dann dazu führt? Weiß ich nicht. Aber er könnte vielleicht einen Anstoß geben.

    “When I was a boy and I would see scary things in the news, my mother would say to me, "Look for the helpers. You will always find people who are helping.”


    • Fred Rogers

  • 118 km/h innerorts? Ich bin mir nicht sicher ob es überhaupt Einsätze gibt, bei denen das zu rechtfertigen ist?


    118 km/h als Durschnitts-, Aufhol- oder Spitzengeschwindigkeit ?

    Also entweder kann die Autorin Google nicht so richtig bedienen, bei mir gibt es nämlich 453.000 Einträge


    Bitte nicht als Angriff verstehen, aber ihr könnt beide kein Google. Google gibt je nach Nutzer unterschiedliche Ergebnisse aus. Dies spiegelt sich sowohl in der Anzahl an Treffern als auch der Reihenfolge der Suchergebnisse wieder.

    Das macht bei mir den Eindruck, dass sie das Thema zumindest im Rahmen ihrer zeitlichen Möglichkeiten recherchieren wollte und ein ausgewogenes Bild zeigen wollte.


    Das heißt, wenn Ich heute Schwimmen gehen wollte, war Ich sportlich und naß ?


    Das Geschwurbel ist nicht in einer Fachzeitschrit erschienen, wo die kritische Selbstreflexion als Hauptziel aktzeptiert werden kann, es erschien in einem Online-Portal, welches die Qualität eines wöchentlichen Nachrichtenmagazines beansprucht.
    Für die Leserschaft wird ein Bild gemalt und als Realität präsentiert.