Ich möchte an dieser Stelle meine persönlichen Eindrücke aus dem diesjährigen Deutschen Inderdisziplinären Notfallmedizin Kongress (DINK) in Wiesbaden teilen, die ich vornehmlich aus berufspolitischer Sicht gewonnen habe. Selbstverständlich gab es auch sehr interessante Vorträge zum Bereich der speziellen Notfallmedizin, auch wenn mein Hauptaugenmerk auf den berufspolitisch interessanten Themen lag. Zunächst aber ein kurzer Ausflug in andere Länder.
Wie sicherlich den Meisten hier bekannt sein dürfte, hat der DBRD auch in diesem Jahr wieder ein kostenloses Lunchsymposium auf dem DINK veranstaltet, das nicht nur zu meiner persönlichen Freude sehr gut besucht war. Unter dem Thema "Rettungsdienst international: was können wir voneinander lernen?" waren Gäste aus den USA, den Niederlanden und der Schweiz als Redner geladen, die ihr jeweiliges System vorstellten. Sicherlich von großem Interesse war dabei der Vortrag von Will Chapleau, Chairman of PHTLS aus den USA. Will stellte den US-amerikanischen Weg zum heute bestehenden Rettungsdienstsystem dar, welcher von den amerikanischen Schlachtfeldern im Laufe der Zeit in das Zivile übernommen wurde und zunächst von Krankenhäusern ausgehend organisiert wurde. Erst Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger Jahre wurde jedoch ein System etabliert, das auf professionellen, nichtärztlichen Rettungsfachkräften aufbaute, die von engagierten Ärzten ausgebildet wurden. In den USA ist die Devise eindeutig, was auch in anderen Vorträgen aus den USA deutlich wurde: es ist nicht entscheidend, wer eine Maßnahme durchführt, sondern dass diese dem Patienten hilft und der Durchführende dafür ausgebildet wurde. In den letzten Jahren wurde das System erneut auf den Prüfstand gestellt, um das für die Zukunft Notwendige in die Wege leiten und den Rettungsdienst weiter verbessern zu können.
Aus der Schweiz berichtete Günter Bildstein, Leiter Rettungsdienst am Kantonsspital St. Gallen. Aufgrund der Zuständigkeit einzelner Kantone (Föderalismus) ist auch der Rettungsdienst in der Schweiz sehr unterschiedlich organisiert. So gibt es auch in der Schweiz vielerorts Notarztsysteme, die in Algorithmen bzw. SOP festgelegten Kompetenzen des nichtärztlichen Fachpersonals sind jedoch meist umfassender, als dies in Deutschland der Fall ist. Insgesamt gibt es etwa 120 Rettungsdienste unterschiedlicher Organisationsformen, die durch rund 20 Leitstellen gesteuert werden.
Informationen zum Rettungsdienst in den Niederlanden gab Albert van Eldik, Mitarbeiter der Ausbildungsabteilung Ambulance Oost Hengelo und Vorsitzender des dortigen Berufsverbandes für das im Rettungsdienst tätige Personal. Im Rettungsdienst in den Niederlanden waren 2010 insgesamt 5209 Mitarbeiter tätig, die an 203 Standorten eingesetzt waren. Die Rettungsfachkräfte sind - mit Ausnahme der Fahrer der Einsatzfahrzeuge - allesamt Pflegefachkräfte mit einer Zusatzausbildung für den Rettungsdienst. Sie sind ebenso an der Erstellung von Algorithmen und Behandlungsprotokollen beteiligt, wie die verantwortlichen Ärzte. Alle Fahrzeuge und Mitarbeiter der durchaus verschiedenen Rettungsdienste treten in einheitlicher Optik auf und unterstehen jeweils der kommunalen Aufsicht. Auch in Holland wird derzeit sehr kontrovers über eine Reduzierung und Zusammenlegung von Leitstellen mit denen von Feuerwehr und Polizei diskutiert. Aktuell gibt es aufgrund der Spezialisierung der Leitstellen für den medizinischen Bereich eine sehr gute Zusammenarbeit mit Hausärzten und anderen medizinischen Einrichtungen, die je nach Bedarf durch die Leitstellen in Anspruch genommen werden können. Überlegt wird derzeit auch, durch verschiedene Qualifikationsstufen und damit verbundenen Kompetenzen gezielter auf den Bedarf an rettungsdienstlichen Leistungen eingehen zu können. Aktuell wird das Personal im Rettungsdienst unterschieden in die Bereiche (übersetzt) "Rettungssanitäter", "Fahrer", "Leitstellenpersonal", "Krankentransport" und "Schneller Erkunder" (Ein-Mann-Einsatzfahrzeug). Pflegekräfte werden am zentralen Rettungsdienstinstitut für die Tätigkeit im Rettungsdienst ausgebildet, anschließend finden kontinuierlich neben landesweiten auch regionale Fortbildungen für die Rettungssanitäter statt. Manuelle Fertigkeiten wie die endotracheale Intubation, das Legen eines intraossären Zuganges oder die Koniotomie werden regelmäßig durch die jeweils verantwortlichen Ärzte geschult und überwacht.
Für das Rettungsfachpersonal in den Niederlanden gelten landesweite und verbindliche Standards und Protokolle, welche regelmäßig evaluiert und an den aktuellen Stand der Notfallmedizin (Leitlinien etc.) angepasst werden. Eine Abweichung von Vorgaben ist nicht gestattet, außer, wichtige Gründe würden dazu zwingen. Eine regionale Anpassung von Protokollen - bspw. aufgrund der nicht zeitgerechten Erreichbarkeit eines Katheterlabors - ist möglich.
Insgesamt gab es einige Vorträge, welche auch aus berufspolitischer Sicht sehr interessant waren. Bemerkenswert daran war insbesondere, dass diese Vorträge vornehmlich von Ärzten gehalten wurden. So gab es einen Vortrag von Dr. Thomas Luiz, Projektleiter Medizin des Deutschen Zentrums für Notfallmedizin und Informationstechnologie am Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering in Kaiserslautern, zum Thema Notarztmangel, beispielhaft erklärt am Bundesland Rheinland-Pfalz, wo es in der Vergangenheit bereits zu gravierenden Problemen gerade im nördlichen Bereich des Bundeslandes kam. Nach dem Aufzeigen der Probleme und deren Ursachen wurden verschiedene Lösungsansätze vorgestellt, welche auch den künftigen Einsatz von Rettungsassistenten beinhalteten. So wurde eine verbesserte 3-jährige Ausbildung, SOP für "Standardsituationen" unter Supervision durch ÄLRD sowie rechtlich abgesicherte, erweiterte (ideologiefreie!) Regel- bzw. Handlungskompetenzen für Rettungsassistenten gefordert. Auch eine Telekonsultation bei komplexeren Situationen oder fehlender Verfügbarkeit eines Arztes vor Ort wurde als denkbar vorgestellt.
Bemerkenswert auch die (sinngemäße) Äußerung des Arztes, dass er ein Problem damit hätte Rettungsassistenten zu erklären, weshalb ein Notarzt auf Honorarbasis mit einer üppigen Bezahlung bedacht wird, während Rettungsassistenten hingegen mit einem Gehalt auf niedrigem Niveau auskommen müssen.
Ein sicherlich für alle anwesenden Rettungsassistenten, aber auch Notärzte erfrischender und beeindruckender Vortrag kam von Dr. A. Grabinsky, M.D. am Harborview Medical Center in Seattle. Der deutsche Arzt war nach seinem Studium in Deutschland in die USA ausgewandert und bildet als Notfallmediziner nun auch die Paramedics des Rettungsdienstes "Medic One" aus. Dr. Grabinsky stellte das System sowie die hochwertige Ausbildung der dort eingesetzten Paramedics vor. Erfreulicherweise und zum Erstaunen Einiger konnte er gemachte Äußerungen zur Effektivität des Rettungsdienstes mit Studien und entsprechenden Zahlen belegen - ein wichtiger Punkt, der gerade in Deutschland mangels entsprechender Erhebungen noch Probleme bereitet. So konnte er beispielsweise anhand zweier Studien belegen, dass die Erfolgsrate seiner Paramedics bei der endotrachealen Intubation mit der Erfolgsrate des Nicht-Anästhesisten, welcher als Notarzt eingesetzt ist, gleichauf liegt. Lediglich die Erfolgsrate von erfahrenen Anästhesisten konnte bislang nicht erreicht werden, eine Untersuchung der Umstände konnte jedoch bislang noch keine eindeutige Ursachen aufzeigen. Verbesserung möchte man auch bei der benötigten Anzahl an Intubationsversuchen (aktuell bis zu 4 Versuche) erreichen.
Sehr imposant war ein von Dr. Grabinsky gezeigtes, reales Fallbeispiel, das gerade im Zusammenhang mit den ebenfalls während des Kongresses aufgezeigten präklinischen Verweilzeiten bei Traumapatienten in Deutschland interessant war. Gezeigt wurde ein Patient mit einer Schussverletzung, welchem aufgrund der starken, inneren Blutung nur durch eine sofortige Notoperation das Leben gerettet werden konnte. Die Zeit von Eintreffen vor Ort bis Ankunft im Krankenhaus betrug nur wenige Minuten, dennoch war der Patient bei Eintreffen in der Notaufnahme komplett und adäquat durch die Paramedics versorgt.
Dr. Grabinsky stellte in seinem Vortrag auch klar, dass die weit verbreitete Annahme der "load and go"-Taktik nicht zutreffend sei. Vielmehr würde auch im Medic One System jeder Patient entsprechend der Notwendigkeit behandelt und nach Möglichkeit vor Ort stabilisiert.
Keine Widerrede aus dem Auditorium erhielt Dr. Grabinsky auf seine These, dass es keiner Ärzte, sondern einzig gut ausgebildetem, regelmäßig geschultem, motiviertem, erfahrenem und gut bezahltem Personal bedarf, um gute Notfallmedizin bieten zu können. Notfallmedizin sei ein spezieller und überschaubarer Teil der Medizin, welcher - rückblickend auf sein eigenes Studium - aber gerade im Medizinstudium kaum einen Stellenwert einnehmen würde. Rettungsdienst sollte durch Personen durchgeführt werden, welche für den Rettungsdienst und speziell für Notfallmedizin ausgebildet wurden - durch motivierte und gute "Notfallmediziner". In diesem Zusammenhang plädierte er auch für den Facharzt für Notfallmedizin.
Während des Vortrags wurde deutlich, dass sich Notfallmediziner und Paramedics - zumindest bei Medic One - auf Augenhöhe und mit Respekt begegnen und die Ärzte bereit sind, ihr Wissen und Können an die Paramedics zu vermitteln. Hierdurch besteht ein großes Vertrauen der Ärzte in die Arbeit der Paramedics. Gleichwohl betonte Dr. Grabinsky, dass man auch in Seattle nicht gänzlich auf Notärzte verzichte. Diese kommen jedoch nur in seltenen, speziellen Fällen zum Einsatz - beispielsweise bei notwendigen Amputationen vor Ort (ein Fallbeispiel lieferte er gleich mit) oder bei Schwangeren mit Einklemmung nach Verkehrsunfall.
Wortmeldungen und Gespräche während und nach den Vorträgen auf dem DINK2012 erzeugten bei mir zunehmend den Eindruck, dass die anwesenden Mediziner die notwendigen Veränderungen im deutschen Rettungsdienst erkannt haben und insbesondere der Stellung der Rettungsassistenten zunehmend Bedeutung beimessen. Durch die entsprechende Präsentation der Berufsgruppe der Rettungsassistenten auf dem DINK - auch in Vorträgen - gewannen wir auch in diesem Jahr wieder den Respekt und Anerkennung auf Seite der Ärzteschaft. Ich bin mir sicher, der Rettungsdienst in Deutschland wird sich in den nächsten Jahren verändern - nicht nur was die Position des nichtärztlichen Personals betrifft.