NA zu Geldstrafe verurteilt/fahrlässige Tötung

  • Ich kann auch nicht sagen, dass ich mich weigere, mit 30 Kindern eine Woche lang auf Klassenfahrt zu fahren, um ein Haftungsrisiko bei einem Unfall auszuschließen. Warum kann ich das nicht? Weils zu meinem Job gehört.


    Andererseits überlegst Du Dir möglicherweise auch, welche Art von Klassenfahrt Du mit welcher Klasse machst. Man kann eine Woche ins Schullandheim irgendwo in unserem schönen Lande fahren, man kann aber auch einen Ausflug in den Klettergarten unternehmen oder gar im Hochgebirge touren oder eine Woche lang mit Kanus und Zelten einen Fluss entlang schippern oder jede dieser Veranstaltungen ins (west)europäische oder anderweitige Ausland verlegen. Das potentielle Risiko ist ... unterschiedlich.


    Und zu deinem Job als Notarzt gehört es meines Erachtens, Notfallintubationen bei polytraumatisierten Patienten durchzuführen.


    Schon. Wenn es denn sein muss. Nicht immer aber muss es sein. Manchmal ist es vielleicht auch nur möglich, nice to have oder sogar eher unüblich.


    Ich finde einen gehörigen Respekt vor potentiell komplikationsträchtigen Maßnahmen nicht verkehrt. Nicht selten treten Routine und damit mangelnder Respekt eher auf als die persönliche Kompetenzentwicklung es rechtfertigt. Das gilt für alle im Bereich der Notfallrettung tätigen Berufsgruppen.


    Grüße,
    -thh

  • Weder das eine noch das andere habe ich bestritten. Mir ging es vor allem um Pauschalaussagen.


    Und übrigens war ich schon mit einer Klasse im Klettergarten. ;)

  • Wenn ich als Leser der Diskussion einen Eindruck formulieren darf: Ich hatte weder den Eindruck, dass fakl eine indizierte Intubation unterlassen wollte noch dass andere Diskussionsteilnehmer zu überflüssigen Intubationen raten wollten. Der springende Punkt ist letztlich, dass es sich in vielen Fällen um eine Bewertungsfrage handelt, die man - innerhalb gewisser Grenzen - eben vertretbar in die eine, aber auch in die andere Richtung entscheiden kann.


    Man muss sich nur darüber klar sein, dass es nicht um die Entscheidung "für Risiko" oder "gegen Risiko" geht. Es geht um die Abwägung eines Risikos (Komplikationen der Intubation) gegen ein anderes (Komplikationen nicht hinreichend gesicherten Atemwegs). Das heißt, die Entscheidung kann man sinnvollerweise nicht allein mit Blick auf die Risiken einer Intubation treffen. Das ist allen Beteiligten prinzipiell auch klar, glaube ich, aber wenn man das mal so hinschreibt, vermindert sich das Streitpotential ;).

    Lügen ist keine Kunst. Kunst ist, anderen die Wahrheit in einem neuen Licht zu zeigen.

  • fakl


    Was mich zu dem FJS-Patienten interessieren würde. War der Patient denn vor Ort eingetrübt oder wurde der mit einem GCS von 14 intubiert?

  • Der wurde mit einem GCS von 14 "wegen des Unfallmechanismus" und der "mangelhaften Orientierung" bei Foetor ex ore (C2) intubiert.

  • Dass man alleine auf Grund des Unfallmechanismus Schockräume aktivieren lässt und- zumindest in Häusern kleiner und mittlerer Versorgungsstufe mal eben den STOP-Button drückt, damit habe ich mich inzwischen ja abgefunden und kann es zu einem gewissen Teil auch nachvollziehen und gutheißen.
    Aber dass nun Patienten quasi alleine Aufgrund des Unfallmechanismus - eine GCS von 14 stellt imho keine Indikation zur Intubation dar, weder weich noch hart, auch nicht in Verbindung mit einem (vermuteten) SHT- intubiert werden stimmt mich dann doch nachdenklich. Ich denke dieses Vorgehen war nichtmal zu Zeiten, als noch jedes Polytrauma intubiert wurde Usus.
    Ich vermute den Meisten hier dürfte klar sein, dass in diesem Fall das Risiko einer Narkoseeinleitung in keinem Verhältnis zum zu erwartenden Nutzen steht.


    fakl
    Was wären denn Situationen, in denen du präklinisch einen Patienten einleiten und intubieren würdest?
    Vielleicht haben du und die anderen Diskutanten ja einfach unterschiedliche Patienten vor Augen.

  • gendwie verstehe ich nicht so ganz, wo diese Diskussion hinführen soll. Ich habe nicht den Eindruck, dass fakl eine Allgemeinaussage getroffen hat, sondern viel mehr betont hat, dass er eine Indikation für eine Intubation eher sehr eng stellt (... als es vielleicht ein anderer Arzt, z.B. ein Anästhesist tun würde). Das finde ich überhaupt nicht schlimm. Irgendwann ist die Intubation natürlich unausweichlich bzw. eine absolut indizierte Maßnahme und ich hatte nicht den Eindruck, dass fakl sich vor solchen Maßnahmen drücken möchte.


    Jetzt Beispiele rauszukramen, wann der eine Doc es tun würde und der andere nicht, führt diese Diskussion doch ins Endlose. Wir wissen doch alle, dass es vor Ort neben der Anamnese manchmal auch einfach das Bauchgefühl oder so ist, was uns einen bestimmten Weg gehen lässt.


    Jetzt einzelne Beispiele aufzulisten führt nur dazu, einzelne Worte auf die Goldwaage zu legen.

    “When I was a boy and I would see scary things in the news, my mother would say to me, "Look for the helpers. You will always find people who are helping.”


    • Fred Rogers

    Einmal editiert, zuletzt von Hauke ()

  • Das war jetzt aber fies. :pfeif:


    Klär mich auf ?-(

    “When I was a boy and I would see scary things in the news, my mother would say to me, "Look for the helpers. You will always find people who are helping.”


    • Fred Rogers

  • Da waren die Finger schneller als der Kopf. Danke für den Hinweis.


    Ich denke fakl weiß, was ich gemeint habe ;-)

    “When I was a boy and I would see scary things in the news, my mother would say to me, "Look for the helpers. You will always find people who are helping.”


    • Fred Rogers

  • Was fakl letztendlich sagen wollte, ist: Das Risiko (und damit auch das Gewinneffekt durch den Nutzen) einer Intubationssituation hängt nicht nur vom Patienten oder den äußeren Umständen ab, sondern auch von den eigenen Fähigkeiten. Und je unroutinierter eine Maßnahme durchgeführt werden kann, desto größer muss auf der anderen Seite der Nutzen sein, damit die Maßnahme doch induziert ist.

  • Es geht in meinem Posting explizit NICHT um faki oder andere Forumsuser.
    Ich möchte daran erinnern, dass vom Notarzt erwartet wird, dass er entsprechend dem aktuellen Stand der Technik und Notfallmedizin alle Geräte, Medizinprodukte, und Medikamente beherrscht, die im hiesigen Rettungsdienst vorgehalten werden. Begrüßen würde ich deshalb, eine (Bundeseinheitliche) Notarzt-Ausbildung, die (mind.) 1 Jahr lang geht (inklusive Praktika). Mir erscheint, dass es sonst Zufall, Einzelleistung, oder Insellösung ist, wenn der Notarzt umfassend mit allen Geräten, Materialien, und Medikamenten umgehen kann.


    Ich finde die Abwägung vor jeder invasiven, risikobehafteten Maßnahme richtig und wichtig. Der Hinweis, dass ein Notarzt vielleicht nicht so firm in der Intubation ist, und darum noch vorsichtiger das Für und Wider abwägen muss, ist berechtigt. Allerdings: Wenn ein Patient eine Intubation benötigt / diese klar indiziert ist in der Medizin, dann finde ich schwierig, wenn der Patient diese Maßnahme nicht erhält. Auch, wenn dies im Einzelfall wegen der Fähigkeiten des NA vielleicht eine vernünftige Entscheidung ist.
    Wenn wir einverstanden sind, dass eben notwendige Maßnahmen ausbleiben, weil die Kompetenz dem Team fehlt (der RettAss kann keine Medikamente geben, der Notarzt nicht intubieren), dann könnte man eben auch abrüsten. Der RTW und das NEF müssen nicht so viele Geräte und Medikamente rumschleppen, wenn die Anwendung häufig nicht beherrscht ist.


    Andersrum wär mir lieber, wenn RFP und NA flächendeckend allgemein mit den mitgeführten Gegenständen umgehen können. Und wenn dafür viel und lange Ausbildung nötig ist, dann ist das eben so. Polemisch kann man sagen: Wir bringen Ärzte mit wahnsinnig viel Zeug zum Patienten, aber ob der Patient auch präklinisch kriegt, was er braucht, ist von viel mehr abhängig. Das wird man niemals gänzlich verhindern können. Ich würde mir aber wünschen, das die Heterogenität sowohl beim RFP wie auch bei den NA nachlässt, zu Gunsten einer konstanten Kompetenz. Die Ausreißer nach oben sind weiterhin gerne gesehen. :)

    Under pressure, you don't rise to the occasion. You sink to your level of training.

    Einmal editiert, zuletzt von M1k3 ()

  • Ich finde die Abwägung vor jeder invasiven, risikobehafteten Maßnahme richtig und wichtig. Der Hinweis, dass ein Notarzt vielleicht nicht so firm in der Intubation ist, und darum noch vorsichtiger das Für und Wider abwägen muss, ist berechtigt.


    Ein Beispiel aus dem Alltag:
    Ein Patient hat eine metabolische Azidose, die er respiratorisch leidlichst versucht zu kompensieren, d.h. er hyperventiliert sich zu "Tode".
    Jetzt habe ich zwei Lösungsvarianten erlebt:
    1) Therapie der Azidose, Stabilisierung, Konsequenz: Nierenersatzverfahren
    2) Behandlung der offensichtlichen Atemnot --> Einleitung einer Intubationsnarkose, Herz-Kreislaufstillstand, Reanimation, kein Schaden für den Patienten, Nierenersatzerfahren


    Wer jetzt schlauer oder dümmer gehandelt hat, sei dahin gestellt.
    Die Reanimation hat bei Nr. 2 aber nichts mit den Intubationsskills des Arztes zu tun gehabt. Der Patient war einfach zu "schlecht" für eine gute Narkoseeinleitung. (Da waren Anästhesisten am Werk... falls jetzt jemand sagen möchte: Ja, aber wenn man ihn vorsichtig eingeleitet hätte...)



    Unterm Strich sind die Skills 1 Aspekt in der Abwägung. Der Rest bleibt aber eine Risiko-Nutzen-Abwägung und schlussendlich eine Bauchentscheidung, die retrospektiv richtig oder falsch sein kann.

  • Notarzt-Ausbildung, die (mind.) 1 Jahr lang geht (inklusive Praktika)


    Ernstgemeinte Frage: Warum ein Jahr ? Und sind damit 52 Wochen Curriculum gemeint oder gehen davon 5 Wochen Urlaub ab ?

  • Über die Dauer kann man natürlich streiten, und ich habe kein fertigen Lehrplan im Kopf. :-D
    Ich glaube aber tatsächlich, dass die eine Woche viel zu kurz ist. Oft kommt an dieser Stelle der Hinweis, dass der Arzt ja sehr viel lerne in seiner praktischen Zeit im Krankenhaus. Was und wie er dort lernt, ist jedoch von Station zu Station, und Krankenhaus zu Krankenhaus unterschiedlich. Hinzu kommt, dass Umstände im Krankenhaus nur bedingt auf Umstände in der Präklinik vorbereiten, und dass Mancherorts das Handeln zwischen Klinik und Präklinik sehr unterschiedlich ist (Etwa die Analgeise oder Narkose mit Ketanest). Nur ein Beispiel: Es gibt eine interdisziplinäre, durch Innere geführte ITS in Berlin, wo alle Thoraxdrainagen durch die ITS Ärzte gelegt werden. Um die Maßnahme zu Üben, da diese Station auch Notärzte für den NEF Dienst stellt. Wenn die Drainage anspruchsvoll oder schwierig ist, wird der Thoraxchirurg bestellt, aber es ist klar, dass der Internist die Maßnahme durchführen soll. Dann gibt es ein KH welche Ärzte stellt, wo ausschließlich Thoraxchirurgen die Thoraxdrainagen legen. Auch dieses Haus stellt Ärzte (Internisten, Kardiologen, Pneumologen, Anästhesisten) für den NEF Dienst. Die Ärzte sagen ehrlich, dass sie vielleicht höchstens 2mal eine Thoraxdrainage gelegt hätten in ihrem Leben. Ein längerer Lehrgang wird organisatorische Probleme nicht lösen. Ich hoffe aber, das praktische Maßnahmen und seltene Szenarios so öfter geübt werden können, und damit eine einheitlichere Grundlage geschaffen ist, für die Notärzte die dann auf die Straße dürfen.


    Denkbar wäre zu Beispiel, je nach Fachrichtung des Arztes, eben den bekannten Teil zu kürzen im Notarztkurs, und stattdessen andere Punkte genauer zu beleuchten.

    Under pressure, you don't rise to the occasion. You sink to your level of training.