Akademisierung des Notfallsanitäters?

  • Nur, weil man Einsätze als Notfälle klassifiziert oder abrechnet, stellen sie keine solche dar, wie sie im Gesetzestext zu verstehen sind, da es kaum die Intention des Gesetzgebers gewesen sein dürfte, dass NFS zwickende Zehen zu versorgen haben.

    Wir rechnen ja RTW, KTW oder NEF ab und nicht Notfälle oder Nicht-Notfälle. Und insgeheim glaube ich, dass alles was mind. 12 Stunden vorher angemeldet wurde mit einem KTW beschickt wird und alles was spontan rein kommt mit einem RTW. Sonst würden wir ja zwickende Zehen nicht mit einem RTW beschicken.

  • Seitdem es in Deutschland RTW gibt, gibt es in Deutschland separate Fahrzeuge für den Arzt. Das heist, dass schon immer systemisch anerkannt worden ist, dass es Notfälle gibt die von ärztlicher Intervention profitieren, und Notfälle gibt, die ohne Arzt versorgt werden können. Die Annahme, neuerdings würden die NotSan einfach nur KTW fahren, wenn kein NA dabei ist, ist falsch (ich wollte so viele andere deskriptiven Worte benutzen..).

    Sorry, dann kann ich das Wehklagen hier und auf FB nicht nachvollziehen, dass man sich konsequent als teures Taxi ausgenutzt fühlt, nicht nachvollziehen. Es wird sich über gestiegene Auslastungen beklagt, die mehrheitlich wohl durch nicht indizierte Einsätze verursacht werden. Das passt nicht zusammen mit der Aussage, dass ein RTW größtenteils NOTFÄLLE ohne NA versorgt. Nur, weil ein Patient ein Krankenhaus benötigt, ist er noch lange kein Notfall. Unter einem echten Notfall verstehe ich eine lebensbedrohliche Erkrankung oder Verletzung, die ohne sofortige medizinische Hilfe einen erheblichen Schaden hinterlässt oder gar unwiderruflich zum Tod führen. Und das dürfte für jede RTW-Besatzung in einer Schicht bei ein bis zwei Patienten der Fall sein. Dass die auch ohne NA zu versorgen wären, möchte ich nicht absteiten, bei der überwiegenden Mehrheit dieser wenigen Notfälle, sollte aber parallel der NA alarmiert worden sein, wenn der Leitstellendisponent die Abfrage einigermaßen ordentlich gemacht hat.

    Es gibt Menschen mit Nieren- oder Gallenkoliken, Frakturen usw., die gehören alle in einem Krankenhaus behandelt und für die Versorgung vor Ort ist der NFS ausreichend. Diese Patienten stellen für mich aber auch keine Notfälle dar, nur weil ein akutes Problem aufgetreten ist, welches zeitnah angegangen werden sollte.


    Die Herausforderungen haben sich gewandelt, und vielleicht sind Einsätze dabei, die keinen Notfall darstellen. Aber diese Unterscheidung sicher und in kurzer Zeit (ohne BE, Rö, Sono, Konsil, 4. EKG) zu treffen, das ist die Kunst.

    Ob eine instabile Situation vorliegt oder nicht, ist mit ganz wenigen Mitteln zu euieren. Wenn man sich an seine primäre Aufgabe hält, den Patienten zu stabilisieren, transportfähig zu machen und einer ärztlichen Versorgung zuzuführen, dann ist meist relativ einfach zu handhaben. Wenn ich vor Ort große Differenzialdiagnostik betreiben und HA vor Ort spielen möchte, dann kann es natürlich schon mal knifflig werden.


    Und darum ändert das alles nichts an der Aussage von Thomas, dass der großteil der RTW Einsätze ohne NA gefahren werden, und das nicht bedeutet, dass diese Einsätze keine gewissenhafte ud fachliche gute Untersuchung und Versorgung bedurft hätten.

    Natürlich werden die meisten Einsätze ohne NA gefahren, das ist ja schon aufgrund der Anzahl der RTW und NEF gar nicht anders möglich. Es ging aber eben gerade nicht um die Anzahl der Einsätze insgesamt, sondern um die Begleitquote der richtigen Notfalleinsätze. Eine gute fachliche Untersuchung und Versorgung lässt doch nicht den Schluss zu, dass der Patient zu diesem Zeitpunkt lebensbedrohlich erkrankt oder verletzt war.


    Ganz zu schweigen davon, dass die Disposition nicht perfekt ist, und ich so als NotSan ohne NA NACA V versorgt habe, und oft genug NA zu NACA II fahren.

    Es geht ja nicht darum, dass Mike keine NACA V Patienten alleine versorgen kann, wovon ich sogar fest von ausgehe, dass du das sehr gut kannst, sondern darum, ob in 80 oder 90 Prozent aller Notfälle in Deutschland dauerhaft ohne NA versorgt werden.

  • Warum tut der Gesetzgeber dann seit Jahrzehnten nichts dagegen, wenn er sich unter Notfällen etwas anderes vorgestellt hat? Warum bezahlen die Kostenträger die Notfalleinsätze, wenn sie doch keine sind und verweigern nicht hunderttausendfach die Kostenübernahme? Warum stehen nun vier oder fünf RTW dort, wo vor 25 Jahren noch ein RTW ausreichend war? Die Kostenträger haben dem zugestimmt aufgrund wissenschaftlich erbrachter Gutachten / Statistiken (Risikobedarfsbemessung)? Irgendwie scheint allen die genaue Definition eines Notfalles egal zu sein.

    Was meinst du denn, bei was für "Notfällen" ich nachts im OP sitze? Thh hat eine ganz gute Definition beschrieben, und die trifft sowohl bei RTW- als auch NA-Einsätzen wohl nur auf einen geringen Anteil zu.

  • Sorry, dann kann ich das Wehklagen hier und auf FB nicht nachvollziehen, dass man sich konsequent als teures Taxi ausgenutzt fühlt, nicht nachvollziehen.


    Das hast du von mir hier nicht gelesen, und auf FB bin ich nicht. In so fern: ich kann das auch nicht nachvollziehen. ;)

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  • Thh hat eine ganz gute Definition beschrieben, und die trifft sowohl bei RTW- als auch NA-Einsätzen wohl nur auf einen geringen Anteil zu.

    Deshalb würde ich mich da nicht so dran aufhängen. Was uns hier interessiert, sind doch Notfälle nach der erwähnten Legaldefinition, bei denen Lebensgefahr oder die Gefahr schwerer Gesundheitsschäden besteht, wenn sie nicht umgehend therapiert werden. In dieser Gruppe gibt es welche, bei denen ein(e) NotSan ausreicht wie zum Beispiel die Hypoglykämie mit Bewusstlosigkeit. Andere, wie zum Beispiel das schwere SHT, brauchen beides, eine(n) NA und zwei NotSan (wegen Skills, aber auch schon wegen der Teamgröße).


    Ob ein Notarzt dabei ist, hängt also von der Lage ab. Aber auch davon, ob die Lage durch die Leiststelle richtig indentifiziert werden kann. Ein Diabetiker, der in der Öffentlichkeit eine Unterzuckerung mit Bewusslosigkeit erleidet, ist nach einem Laien-Notruf durch einen Bystander erst einmal eine bewusstlose Person, die einen Unterzucker, aber auch ein SHT oder sonstwas haben kann. Die ILS wird in diesem Falle also wahrscheinlich eine(n) NA entsenden. Wenn es tatsächlich "nur" ein Unterzucker ist, ist der Notarzt halt "sicherheitshalber" dabei. Ob die ILS einen Notarzt oder nur einen RTW entsendet, hängt also in vielen Fällen schlicht von Zufällen ab. Auch die einzelnen Disponenten bzw. Calltaker unterscheiden sich in ihrem Alarmierungsverhalten deutlich voneinander.


    Ich würde mich also nicht allzu sehr auf Zahlenverhältnisse festlegen. Tatsache ist, dass Notfallsanitäter*Innen in vielen Fällen Notfallrettung ohne Notärzt*Innen durchführen. Die Tatsache, dass RTW (und NEF) häufig auch zu Bagatelleinsätzen entsandt werden, hat damit nichts zu tun.

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  • Es mag nun wieder darauf ankommen, wo man gerade fährt. Ich erinnere mich auf meiner Hamburger Zeit auch daran, dass der Notarzt recht regelmäßig vorsorglich mitgeschickt wurde und recht oft auf Anfahrt abbestelt werden konnte, was dazu führte, dass er gelegentlich mal an Einsätzen teilnahm, bei denen er nicht nachgefordert worden wäre. In der schleswig-holsteinischen Landrettung wurde sehr viel öfter ein RTW losgeschickt, um den Notfall zu beurteilen und musste dann, wenn zeitlich noch sinnvoll möglich, nachfordern. Das führte dazu, dass der Notarzt häufig nicht oder sehr spät an Einsätzen teilnahm, wo man ihn doch ganz gern gehabt hätte.


    Aber wer behauptet, der Notarzt würde an der großen Mehrheit der nach gesetzlicher Definition echten Notfälle teilnehmen, muss eine gänzlich andere Realität wahrnehmen, als ich in meinen 14 Jahren im Rettungsdienst bevor ich Arzt wurde. Denn es wurde schon immer, auch vor dem NotSan sehr wohl geschaut, ob der Patient von Arzt profitiert - ich habe aber auch in einen Kreis gearbeitet, wo eine Viggo einen NA erforderlich machte. Und verlässt man mal die kardiologischen Beispiele, wird es deutlich. Denn sowohl Schlaganfälle, Krampfanfälle, Hypoglykämien, aber auch die einfache Schenkelhalsfraktur erfüllen die Definition und werden weit überwiegend ohne Notarzt abgearbeitet. Klar brauchen sie mal den Notarzt bei fortvestehender Bewusstseinstrübung und erforderlicher Atemwegssicherung oder zur Analgesie, aber das ist die Ausnahme, nicht die Regel. Und das sind keine seltenen Notfälle.


    Vielleicht besteht hier einfach eine andere Wahrnehmung, wenn man als Notarzt doch mal solche Einsätze sieht und die anderen eben nicht so sehr mitbekommt.

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    vor dem sich sogar die Bäume verneigen,
    du bist der wahre Grund,
    warum Kompassnadeln nach Norden zeigen!

  • Denn sowohl Schlaganfälle, Krampfanfälle, Hypoglykämien, aber auch die einfache Schenkelhalsfraktur erfüllen die Definition und werden weit überwiegend ohne Notarzt abgearbeitet.

    Kann ich so bestätigen (22 Jahre Leitstelle nun). Auch zu Zeiten des RettAss, wurden diese Notfälle in der Regel ohne Notarzt beschickt. Ausnahmen waren in der Regel, dass Probleme mit der Atmung vermutet wurden, Epilepsie mit Bedarfsmedikation ohne Wirkung / längerer Krampf. Beim Schenkelhals kam es aufgrund der Analgesie hier und da mal zur Nachforderung. Im Regelfall arbeiteten die RettAss auch diese Notfälle alleine ab, da der Krampf in der Regel beendet war bei Eintreffen, der Schlaganfall "einfach" zu versorgungen war und es in der Regel auf einen schnellen Transport ankam. Dem RettAss war damals (hier) schon Midazolam, Diazepam, Glucose, usw. freigegeben. Jetzt ist (beispielsweise) die Analgesie (Paracetamol, Nalbuphin, Esketamin) und Urapidil dazu gekommen, sowie die Sensibilisierung für LVO, um gezielt ein neurologisches Schwerpunktkrankenhaus anfahren zu können, die eine Thrombektomie-Möglichkeit haben, sonst "kleinere" Stroke Units oder Tele-Stroke Units.

    Ich komme aus Ironien, das liegt am sarkastischen Meer.

  • Es mag nun wieder darauf ankommen, wo man gerade fährt.

    Ich würde sagen, dass dies der entscheidende Punkt ist. Deswegen kann man die Zahlen, die Thomas von Darmstadt oder SH genannt hat, nicht einfach auf andere Bereiche übertragen.


    Aber wer behauptet, der Notarzt würde an der großen Mehrheit der nach gesetzlicher Definition echten Notfälle teilnehmen, muss eine gänzlich andere Realität wahrnehmen, als ich in meinen 14 Jahren im Rettungsdienst bevor ich Arzt wurde. Denn es wurde schon immer, auch vor dem NotSan sehr wohl geschaut, ob der Patient von Arzt profitiert - ich habe aber auch in einen Kreis gearbeitet, wo eine Viggo einen NA erforderlich machte. Und verlässt man mal die kardiologischen Beispiele, wird es deutlich. Denn sowohl Schlaganfälle, Krampfanfälle, Hypoglykämien, aber auch die einfache Schenkelhalsfraktur erfüllen die Definition und werden weit überwiegend ohne Notarzt abgearbeitet.

    Die genannten Erkrankungen sind zweifelsohne Notfälle (die einfache Schenkelhalsfraktur würde ich jetzt nicht dazu zählen), die vermutlich auch mehrheitlich ohne NA abgearbeitet werden, aber wie häufig kommen die denn pro Schicht vor? Welcher RTW fährt denn konsequent jeden Dienst mehrere bzw. fast ausschließlich diese Notfälle? Wenn pro Schicht zwei oder drei solcher Notfälle vorkommen und nur bei einem ein NA mitalarmiert wurde, weil das telefonisch nicht eindeutig zu eruieren war, dann sind wir schon wieder bei 33 bis 50 Prozent Mitbetreuung.

  • Ich würde sagen, dass dies der entscheidende Punkt ist. Deswegen kann man die Zahlen, die Thomas von Darmstadt oder SH genannt hat, nicht einfach auf andere Bereiche übertragen.


    Die genannten Erkrankungen sind zweifelsohne Notfälle (die einfache Schenkelhalsfraktur würde ich jetzt nicht dazu zählen), die vermutlich auch mehrheitlich ohne NA abgearbeitet werden, aber wie häufig kommen die denn pro Schicht vor? Welcher RTW fährt denn konsequent jeden Dienst mehrere bzw. fast ausschließlich diese Notfälle? Wenn pro Schicht zwei oder drei solcher Notfälle vorkommen und nur bei einem ein NA mitalarmiert wurde, weil das telefonisch nicht eindeutig zu eruieren war, dann sind wir schon wieder bei 33 bis 50 Prozent Mitbetreuung.


    Da muss ich dir widersprechen. Auch die "einfache" Schenkelhalsfraktur, so langweilig wir sie empfinden mögen, tritt ja bevorzugt bei gebrechlichen, nicht selten schwer vorerkrankten, älteren Menschen auf. Sie führt fast unweigerlich zu einer schweren, dringlichen Operation mit erheblichen Risiken. Im Anschluss führt sie zu langer, eingeschränkter Mobilität, die durchaus häufiger in langfristiger Bettlägerigkeit und den damit verbundenen Komplikationen führt. Das ist meiner Meinung nach ein schwerer gesundheitlicher Schaden, der den Gesetzestext ohne weiteres erfüllt.


    Wie häufig diese Notfälle vorkommen, kommt natürlich auf die "Bullshit Quote" und die Gesamteinsatzzahl an. Meinem Erleben nach, und da ich keine valide Statistik bei der Hand habe, kann ich nur auf diese verweisen, ist die Notarztquote bei diesen Einsätzen aber deutlich unterhalb 10% anzusetzen. Und insgesamt sind das alles häufige Einsätze.


    Eine Notarztquote von 1/3 halte ich persönlich für absurd hoch gegriffen. In allen Bereichen in denen ich gefahren bin, selbst Hamburg, kam sie vielleicht auf 15%. Sicherlich gab es da tagesabhängige Schwankungen und natürlich hängt es irgendwo auch davon ab, wie man persönlich handelt. Wir hatten auch Kollegen, die eine jugendliche Sinusitis nicht nur transportieren wollten, sondern auch mit NA und Blaulicht. Deren Prozentsatz wird sicherlich höher sein.


    Edit / PS: Ich beziehe mich auf Wirkungsstätten in Süd- und Mittelniedersachsen, Hamburg und SH. Meine Zeit in der Schweiz klammere ich hier mal aus, da nicht vergleichbar.

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  • Wie häufig diese Notfälle vorkommen, kommt natürlich auf die "Bullshit Quote" und die Gesamteinsatzzahl an. Meinem Erleben nach, und da ich keine valide Statistik bei der Hand habe, kann ich nur auf diese verweisen, ist die Notarztquote bei diesen Einsätzen aber deutlich unterhalb 10% anzusetzen. Und insgesamt sind das alles häufige Einsätze.


    Eine Notarztquote von 1/3 halte ich persönlich für absurd hoch gegriffen. In allen Bereichen in denen ich gefahren bin, selbst Hamburg, kam sie vielleicht auf 15%. Sicherlich gab es da tagesabhängige Schwankungen und natürlich hängt es irgendwo auch davon ab, wie man persönlich handelt.

    Wenn ein RTW aber nur drei "richtige" Notfälle am Tag transportiert (und alle anderen Einsätze eben Bullshit sind), dann reicht schon ein NA-begleiteter Einsatz aus, um auf eine Quote von 33% zu kommen. Und einen NA-begleiteten Transport am Tag auf einem RTW halte ich jetzt nicht für unrealistisch.

  • Wenn ein RTW aber nur drei "richtige" Notfälle am Tag transportiert (und alle anderen Einsätze eben Bullshit sind), dann reicht schon ein NA-begleiteter Einsatz aus, um auf eine Quote von 33% zu kommen. Und einen NA-begleiteten Transport am Tag auf einem RTW halte ich jetzt nicht für unrealistisch.


    Ich widerspreche dir energisch. Weder ist die Zahl, die du da in den Raum stellst, meiner Meinung nach realistisch und repräsentativ, noch ist der Versuch statthaft, eine Statistik aus dem Erleben eines einzelnen Tages abzuleiten. Das ist keine saubere Argumentation. Wie gesagt, ich halte 1/3 für völlig absurd hoch. Ein Fünftel wäre immer noch extrem hoch gegriffen und erfordert schon eine sehr nachforderungsfreudige Besatzung.

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  • Da muss ich dir widersprechen. Auch die "einfache" Schenkelhalsfraktur, so langweilig wir sie empfinden mögen, tritt ja bevorzugt bei gebrechlichen, nicht selten schwer vorerkrankten, älteren Menschen auf. Sie führt fast unweigerlich zu einer schweren, dringlichen Operation mit erheblichen Risiken. Im Anschluss führt sie zu langer, eingeschränkter Mobilität, die durchaus häufiger in langfristiger Bettlägerigkeit und den damit verbundenen Komplikationen führt. Das ist meiner Meinung nach ein schwerer gesundheitlicher Schaden, der den Gesetzestext ohne weiteres erfüllt.

    Die akute Situation vor Ort ist aber keinesfalls lebensbedrohlich und bedarf auch nicht unbedingt eines RTWs bzw. dessen medizinischer Interventionsmöglichkeiten, sondern lediglich eines qualifizierten (zeitnahen) Transportes. Von daher sehe ich keinen akuten Notfall.Die einzig kritische Komponente sehe ich bei Patienten, die immobil auf dem Boden liegen, da diese schon vor Ort schnell Schäden davon tragen können. Dass es ein erheblich schlechteres Outcome gibt, weil jemand erst ein oder zwei Stunden später operiert wird, aber ansonsten gut versorgt ist (Flüssigkeitsgabe, Analgesie etc.), ist mir so zumindest nicht bekannt.

  • Ich widerspreche dir energisch. Weder ist die Zahl, die du da in den Raum stellst, meiner Meinung nach realistisch und repräsentativ, noch ist der Versuch statthaft, eine Statistik aus dem Erleben eines einzelnen Tages abzuleiten. Das ist keine saubere Argumentation. Wie gesagt, ich halte 1/3 für völlig absurd hoch. Ein Fünftel wäre immer noch extrem hoch gegriffen und erfordert schon eine sehr nachforderungsfreudige Besatzung.

    Wenn die RTW nur Notfälle transportieren, ist doch alles in Ordnung in unserem Rettungsdienstwesen. Dann kann ich die ganzen Beschwerden, die ich hier lese und selbst in meinem Bereich mitbekomme, aber nicht nachvollziehen. Fahrten zu Katheterwechseln, Entlassungen, KTW-Verlegungen usw. scheinen ja keine Probleme darzustellen, welche den RD immer mehr auslasten. Auch Beschwerden, dass NFS ihr Wissen und Können nicht anwenden können, weil man den ganzen Tag nur "Bullshit" fährt, sind wohl aus dem Bereich der Mythen.

  • Wenn die RTW nur Notfälle transportieren, ist doch alles in Ordnung in unserem Rettungsdienstwesen. Dann kann ich die ganzen Beschwerden, die ich hier lese und selbst in meinem Bereich mitbekomme, aber nicht nachvollziehen. Fahrten zu Katheterwechseln, Entlassungen, KTW-Verlegungen usw. scheinen ja keine Probleme darzustellen, welche den RD immer mehr auslasten. Auch Beschwerden, dass NFS ihr Wissen und Können nicht anwenden können, weil man den ganzen Tag nur "Bullshit" fährt, sind wohl aus dem Bereich der Mythen.

    Herr Kollege, ich darf doch in etwas weniger Polemik bitten. Nur weil dir meine Meinung nicht gefällt, könntest du doch sachlich bleiben. Es würde auch helfen, dass ich dann noch Lust hätte, dir sachlich zu antworten.


    Natürlich fährt man eine Unmenge "Bullshit". Natürlich fährt der Notarzt einige Notfälle. Nur ist die Gesamtzahl der RTW Einsätze sehr viel größer, als die der Notarzteinsätze, und auch nicht jeder Notarzteinsatz erfüllt die Definition des Notfalls, auf die wir uns hier geeinigt haben. Sehr wohl erfüllen aber einige der Einsätze, über die man sich beschwert und die man zum "Bullshit" zählt, diese Definition, zum Beispiel der selbstintoxikierte Patient.


    Deine Schlussfolgerung, dass es gar nicht viel "Bullshit" geben könnte, wenn Notärzte nicht wenigstens jeden dritten Notfall sehen, ist daher für mich überhaupt nicht nachvollziehbar. Wie kommst du dahin?


    Rechenbeispiel: Mein alter Kreis verfügte über 23 RTW mit durchschnittlich 11,7 Notfalleinsätzen in 24h, sowie zwei NEF, von denen eines 1,2 Einsätze in 24h, dass andere 8,3 fuhr. Das gilt jeweils pro 24h. Das ergibt ca. 269 Notfalleinsätze für die RTW und 10 für die NEF. Geht man nun von 15% NA Beteiligung bei echten Notfällen aus, wären das knapp 67. Demnach wäre etwa jeder 4. Notfall ein echter. Das kommt durchschnittlich nach meinem Erleben durchaus hin. Verfälscht wird es durch kreisübergreifende Einsätze, RTH Einsätze und Einsätze mit mehreren RTW auf ein NEF, und natürlich durch NEF Einsätze, die dennoch der Definition nicht genügen.

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  • Kleine Ergänzung, da die Argumentation, dass ein kleiner Landkreis in SH im Jahre 2019 nun nicht der Gipfel der Repräsentativität wäre, berechtigt wäre. In Hamburg war es schlechter auszuwerten, da die einzigen belastbaren Zahlen aus dem Landesfeuerwehrbericht zu kriegen sind. Da waren es in den frühen 2010er Jahren 17 Notärzte (inkl beider RTH, und der Verlegungs-NAW der Hiorgs, die natürlich überwiegend Verlegungen gefahren sind) und 112 Regel-RTW der Berufsfeuerwehr, die damals ausschließlich mit der Notfallrettung betraut waren, d.h. Es gab kein Stichwort ohne Sonderrechte (ohne rtw der Hiorgs und privaten, die aber nur sehr selten Notfälle fuhren, aber etliche hunderte Fahrzeuge hatten und ohne Doppelfunktions-RTW, die aus dem Löschzug besetzt wurden und regelmäßig fuhren, ebenfalls ohne Sonderrettungsmittel wie den Schwerlast-rtw, GRTW etc).


    Da die meisten Fahrzeuge ausgelastet waren, kann man den Anteil zumindest auch abschätzen.

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  • Die akute Situation vor Ort ist aber keinesfalls lebensbedrohlich und bedarf auch nicht unbedingt eines RTWs bzw. dessen medizinischer Interventionsmöglichkeiten, sondern lediglich eines qualifizierten (zeitnahen) Transportes. Von daher sehe ich keinen akuten Notfall.Die einzig kritische Komponente sehe ich bei Patienten, die immobil auf dem Boden liegen, da diese schon vor Ort schnell Schäden davon tragen können. Dass es ein erheblich schlechteres Outcome gibt, weil jemand erst ein oder zwei Stunden später operiert wird, aber ansonsten gut versorgt ist (Flüssigkeitsgabe, Analgesie etc.), ist mir so zumindest nicht bekannt.

    Der notwendige zeitnahe Transport, ohne den schwere gesundheitliche Schäden nicht auszuschließen sind, ist aber genau eben der Punkt der Definition von Notfall, auf die wir uns geeinigt hatten. Und ich sagte absichtlich dringliche OP, nicht Notfall-OP. den Unterschied sollten wir nun wirklich beide kennen.

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  • Nur ist die Gesamtzahl der RTW Einsätze sehr viel größer, als die der Notarzteinsätze,

    Das ist unbestritten so, hatte ich ein paar Beiträge zuvor auch schon geschrieben. Das ergibt sich ja schon anhand der Fahrzeuganzahl. Es geht aber nicht um die Gesamteinsatzzahl, sondern die der tatsächlichen Notfälle, also mindestens NACA IV.


    Deine Schlussfolgerung, dass es gar nicht viel "Bullshit" geben könnte, wenn Notärzte nicht wenigstens jeden dritten Notfall sehen, ist daher für mich überhaupt nicht nachvollziehbar. Wie kommst du dahin?

    Das verstehe ich nicht.


    Rechenbeispiel: Mein alter Kreis verfügte über 23 RTW mit durchschnittlich 11,7 Notfalleinsätzen in 24h,

    Und genau das bezweifele ich, dass durchgängig bei all den im Schnitt knapp 12 Einsätzen "eine unmittelbare Gefahr für Leben und Gesundheit vorlag" und die "vitalen Funktionen [...] durch Verletzung oder akute Erkrankung bedroht" waren. (Definition nach Scholz et al., 2013, Notallmedizin DOI: 10.1055/b-0033-2551, Teil II Allgemeine Notfallmedizin, 3 Notfallmedizinische Begriffsdefinitionen) Das halte ich für absolut unrealistisch.


    Rechenbeispiel

    In RLP gab es 2018 230.700 RTW-Einsätze und 95.800 NEF-Einsätze (außerdem 73.700 Einsätze von Notarzt- und Intensivtransportwagen, die lasse ich außen vor, weil ich nicht weiß, wie die sich zusammensetzen). Wenn ich davon ausgehe, dass ein NEF nur in Ausnahmefällen alleine zum Einsatz kommt, waren bei knapp 40 Prozent der RTW-Einsätze auch ein NEF beteiligt. Wie hoch der Anteil an richtigen Notfällen vorlag, weiß ich nicht.

    Quelle: https://bks-portal.rlp.de/rettungsdienst/einsatzstatistik

  • Der notwendige zeitnahe Transport, ohne den schwere gesundheitliche Schäden nicht auszuschließen sind, ist aber genau eben der Punkt der Definition von Notfall, auf die wir uns geeinigt hatten. Und ich sagte absichtlich dringliche OP, nicht Notfall-OP. den Unterschied sollten wir nun wirklich beide kennen.

    Auf keinen wird ein Notfall darüber definiert, ob die sich anschließende OP gefährlich und risikobehaftet ist, oder ob ein Patient nach einer solchen OP mit Komplikationen rechnen muss.

  • Berlin 2020:

    RTW Einsätze (ohne Infekt & Schwerlast RTW): ~451 000


    NA (also NEF/STEMO/RTH/ITH: ~114 000


    Man müsste etwa 1000 Einsätze bei NA abziehen, weil die durch den ITH als Verlegung oder als externe Primäreinsätze laufen. Aber die Richtung wird klar.


    EDIT: RTW exkludiert Fehl & KTW.


    (Man kann sich übrigens auch die vergangenen Jahre anschauen. Seite 168

    https://www.berliner-feuerwehr…hte/jahresbericht2020.pdf )

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    Einmal editiert, zuletzt von M1k3 ()

  • Ich bin mal wieder beim Thema Diskussionsstil: Du hast weiter oben die Definition von THH, die sich aus den Gesetzestexten ergibt, als treffend akzeptiert. Es ist nicht zweckdienlich für die Diskussion, wenn du jetzt zu anderen springst, ich würde sicherlich auch noch weitere finden. Nur nutzt das nichts, weil wir nun mal auf einer anderen Basis angefangen haben zu argumentieren. Die ursprünglich akzeptierte Definition inkludiert alle schweren gesundheitlichen Folgeschäden, und damit selbstverständlich auch die, die sich aus der zwingenden Therapie ergeben (oder eben deren Unterlassung). Dies ist auch sinnvoll, denn diese Einsätze stellen das tatsächliche Kerngeschäft des Rettungsdienstes dar und sind nicht als missbräuchliche Nutzung zu sehen. Also selbstverständlich ist der Schenkelhals ein Notfall. Und selbstverständlich benötigt dieser nicht regelhaft einen Notarzt.


    Ich verstehe nicht, wie du zu der Schlussfolgerung kommst, dass es entweder eine Notarztbeteiligung von min. 33% geben müsse, oder aber die Beschwerden über eine große Menge an unsinnigen ("Bullshit") Einsätzen im Rettungsdienst, ungerechtfertigt seien. Aber am Ende des Tages ist das vielleicht auch nicht ganz so wichtig


    Dein Rechenbeispiel ist interessant, aber sehr schwer zu interpretieren, da die Zahlen sehr unglücklich aufgeschlüsselt sind. Dies führe ich gern aus: zum einen ist völlig unklar, wie sich die knapp 150.000 Fehleinsätze zusammen setzen, die du hier unerwähnt lässt. Geht man die einzelnen Organisationen durch, die im Link verlinkten Dokumente bieten, scheinen sie sich im Wesentlich im KTW / RTW Bereich abzuspielen. Leider ist nicht erkennbar, ob das die Gruppe des "vor Ort belassenen Patienten" abdeckt. Ich gehe ein wenig davon aus, denn für "keinen Patienten aufgefunden" sind es sehr, sehr viele. Weiterhin unterscheidet die Statistik nicht sauber zwischen Notfalleinsatz und Krankentransport, denn die Bezeichnung schwankt zwischen eben dieser und "RTW / KTW". Jetzt wissen wir aber alle, dass der RTW durchaus Krankentransport und der KTW durchaus auch Notfallrettung fahren kann. Und letzteres kann durchaus auch mit einem NEF erfolgen, aufgrund der fehlenden Ausrüstung vielleicht sogar niederschwelliger als beim RTW.


    Dennoch ist eindeutig, dass die Notarzt-Beteiligung nach diesen Zahlen wesentlich höher ist, als alles was ich in den nördlichen Bundesländern je erlebt habe. Möglicherweise ist der regionale Unterschied hinreichend groß, dass unsere gefühlten Wahrheiten tatsächlich beide zutreffen.

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