21 Tote durch Massenpanik auf der Loveparade in Duisburg

  • Krisenintervention bzw. Notfallseelsorge wendet sich üblicherweise an Einzelklienten - und nicht an grössere Menschengruppen mit spez. Ausbildung und Einsatzerfahrung.
    Aus diesem Grund sind spez. Kenntnisse in diesen Dingen relativ verhalten.


    Die strukturierte Aufbereitung eines belast. Einsatzes für Einsatzkräfte erfolgt üblicherweise nach einem Konzept, welches eben durch die Struktur grundsätzlich auch mit "zusammengewürfelten" Teams möglich ist.
    SbE ist gerade in NRW nach meinem Kenntnisstand ganz gut aufgestellt.


    Gut gemeint ist oft genug das Gegenteil von gut.
    Das eine Einsatzkraft nach einem derartigen Szenario vorübergehend etwas neben sich steht und für das Umfeld vielleicht merkwürdige Verhaltensweisen zeigt, ist normal.
    Es wäre eher unnormal, wenn dem nicht so ist.
    Sehr wichtig ist schon einmal die Information, daß dieses Verhalten eben eine normale Reaktion auf etwas absolut unnormales darstellt - und in aller Regel ganz von alleine abklingt.


    In Helfergruppierungen kommt der Reflex hinzu, die eigene Familie mit den erlebten Eindrücken nicht belasten zu wollen.
    Unterschiedlichste Bewältigungsstrategien von Einzelpersonen in einer Helfergruppierung (Markieren von Coolness...) können bei einem betroffenen Helfer den Eindruck erwecken, daß nur er ein Problem hat.
    Auch hier ist die Aufklärung/Information schon eine Hilfe.


    Hilfreich sind ebenso vorgesetzte Einsatzkräfte, die nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.
    Es mag auch heute noch Führungskräfte geben die ausser der schnellen Aufrüstung des verbrauchten Materials keine Notwendigkeit von Nachbereitung sehen.


    Nach meinen eigenen Erfahrungen als Teilnehmer bzw. als Peer in Einsatznachbereitungen kann ich nur sagen, daß in derartigen Gesprächsrunden eine optimale Chance darin besteht, als Gruppe gestärkt heraus zu kommen - was sich für Gruppengefüge und -zusammenabeit sehr hilfreich erwies.


    NACHTRAG:
    nach meinen Erfahrungen sind Einsatzkräfte verhalten, wenn ein studierter Mensch von ausserhalb des Rettermillieus jetzt "das Heil" bringen soll.
    Gerade hier zeigt SbE seine Vorteile; denn das Team hat auf jeden Fall "Stallgeruch", kennt also das Millieu aus eigener Erfahrung, wenn auch nicht im örtlichen Sinn.
    Selbst das hat den Vorteil, daß sich jetzt jemand öffnen kann, weil er nicht befürchten muß, bei einer bekannten Person sein Gesicht zu verlieren, wenn er diesem Menschen später einmal wieder begegnet.


    Edit:
    Ergänzung des Nachtrags

    raphael-wiesbaden


    Artikel 1
    (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.


    Selig sind die geistig Armen - nur: kann der Himmel die ganzen Seligen auch wirklich aufnehmen ?

    Einmal editiert, zuletzt von raphael-wiesbaden ()

  • Soeben vermeldet der Radiosender swr3 ein am kommenden Wochenende lfd. Techno-Festival in der Gemeinde Kastellaun im Hunsrück.
    Kastellaun hat knapp 6.000 EW und eine Klinik mit etwas über 250 Betten.
    Erwartet werden 60.000 BesucherInnen auf einer ehem. US-Militärbasis.
    Lt. Veranstalter sei man besser vorbereitet als in Duisburg; so gäbe es bedeutend mehr Auslaufflächen.


    In dieser Diskussion war ja schon bemerkt worden, daß das Glück im Unglück von Duisburg wirklich am Austragsort inmitten einer Region von Großstädten mit entsprechenden Helfer- und Klinikressourcen lag.
    Wie mag das in der Provinz sein?

    raphael-wiesbaden


    Artikel 1
    (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.


    Selig sind die geistig Armen - nur: kann der Himmel die ganzen Seligen auch wirklich aufnehmen ?

  • Ich finde das Video, was Nordmann gepostet hat sehr informativ...


    Es gibt darauf viel zu sehen, was man schon kannte, allerdings ist meiner Meinung nach auch auffällig, dass jeder der wieder raus wollte, es auch relativ "leicht" geschafft hätte. Weiterhin sehe ich nirgendwo eine Möglichkeit aus "9 Metern" runterzufallen. Die Brücke hat eine Durchfahrtshöhe von 3,9m ist also ca. 4,5m hoch.


    Was ich allerdings immernoch nicht verstehen kann ist, wie man solch einen "Eingang" für eine solche Menschenmenge hat wählen können. Selbst der Polizei-Bulli kommt nicht durch, wie soll es möglich sein, mit einem Rettungsmittel durchzukommen?! Ich war nicht dabei, muss aber sagen, dass das Video meine Meinung über eine absolute Fehlplanung bestärkt.


    Gerade bei einer Veranstaltung wie der LoPa, mit einer vorher undefinierbaren Menge an Besuchern, empfinde ich es für absolut fahrlässig auf einem geschlossenen Veranstaltungsgelände zu feiern. Im Berling gab es genug Auslaufflächen und selbst in Essen oder Dortmund gab es genug Platz drumrum.


    Nachdem ich vom 1,5 Jahren bei der Sensation-White in der LTU-Arena meinen Dienst in einer der UHS verbrachte, habe ich mir geschworen, dass ich niemals wieder freiwillig einen Dienst in Richtung Großveranstaltung mit Utze-Utze-Musik machen werden und habe Anfragen bezüglich der LoPa frühzeitig abgewimmelt. Im Nachhinein bin ich sehr glücklich über meine Entscheidung. Privat hatte ich allerdings große Lust gehabt, einmal im Leben die ganzen Verrückten anzuschauen, aber das hat sich jetzt gottseidank erledigt.

  • Das von Nordmann eingestellte Video zeigt mir auch "nur" immense Menschenmassen, allerdings keine agitierten/ausgeflippten/hysterischen Personen, die eine Panik durchaus auslösen könnten - und was Dummschwätzer der Raverszene immer wieder unterstellen.
    Gezeigt wird die drangvolle Enge und der Versuch, über Treppe bzw. Container aus der Enge zu entfliehen.
    Dabei für mich sehr positiv das immer wieder gesehene Verhalten der BesucherInnen, sich gegenseitig zu helfen - also kein "rette sich, wer kann..." sondern sehr friedlich-soziales Verhalten.

    raphael-wiesbaden


    Artikel 1
    (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.


    Selig sind die geistig Armen - nur: kann der Himmel die ganzen Seligen auch wirklich aufnehmen ?

  • Ich finde das Video, was Nordmann gepostet hat sehr informativ...


    Es gibt darauf viel zu sehen, was man schon kannte, allerdings ist meiner Meinung nach auch auffällig, dass jeder der wieder raus wollte, es auch relativ "leicht" geschafft hätte.


    Da hast du wohl ein anderes Video gesehen als ich. Die Nahaufnahmen ab etwa der 5. Minute des Videos (~4.55) zeigen sehr deutlich, dass das nicht so war. Schon hier werden Menschen über andere hinweggezogen. Hier wird deutlich die Hilflosigkeit aller Beteiligten dokumentiert.


    J.

  • Interessant ist das Video vor allem ab der 5. Minute. Hier sieht man, wie die Situation direkt vor der Treppe zunehmend unübersichtlich wird. Einzelne Besucher versuchen über die Köpfe der anderen Richtung Treppe zu gelangen. Diese ist aber viel zu schmal um es mit dem Zustrom aufnehmen zu können, zudem kommt hinzu, dass sich diejenigen, die es bis auf die Treppe geschafft haben, nur sehr langsam nach oben bewegen. Es ist auch zu beobachten, wie einzelne den Fluss komplett aufhalten, in dem sie versuchen Besucher aus der Menge seitlich der Treppe zu ziehen, anstatt den eigentlichen Brennpunkt direkt vor der Treppe durch zügiges Weitergehen zu entlasten. Hier werden sich den Bildern nach die meisten Toten befinden.


    Auch interessant die letzten Szenen. Der Security erklärt dem Anschein nach dem Besucher, der am Container hängt, dass erstmal niemand mehr auf denselben klettern soll. Er ist ja auch komplett gefüllt. Der Besucher gibts das per Gesten den hinter ihm wartenden Gästen zu verstehen. Der Container konnte also genau wie die Treppe nicht schnell genug von nachströmenden Menschen geleert werden.

  • Um das Verhalten der Menschen in dieser Situation besser verstehen zu können, empfehle ich an dieser Stelle das Buch, aus welchem ich in diesem Thread auch schon zitiert habe:
    Amanda Ripley
    ""Katastrophen - Wer sie überlebt und warum"

    Alle sagten: "Das geht nicht!". Dann kam einer, der wusste das nicht und hat es einfach gemacht.

  • Da hast du wohl ein anderes Video gesehen als ich. Die Nahaufnahmen ab etwa der 5. Minute des Videos (~4.55) zeigen sehr deutlich, dass das nicht so war. Schon hier werden Menschen über andere hinweggezogen. Hier wird deutlich die Hilflosigkeit aller Beteiligten dokumentiert.


    J.

    Jörg ich glaube schon, dass wir das gleiche Video gesehen haben... ich persönlich meine aber die Menschen, die wirklich da raus wollen. Man sieht einen stetigen Strom von Besuchern, die gemächlich die Tunnel in Richtung Kamera verlassen können. Ich bezweifele stark, dass die Besucher, die sich im Umkreis von der Treppe bzw. des Containers überhaupt die nur einen Moment daran gedacht haben, die Veranstaltung zu verlassen. Dieses Video zeigt ja, im Gegensatz zu fast allen anderen Videos, dass im hinteren Tunnel [nahe dem Eingang] kein großes Gedränge herschte.

  • Und von der angeblichen Sperrung des Tunnels ist auf diesem Video auch nichts zu sehen....

    "We are the Pilgrims, master; we shall go
    Always a little further: it may be
    Beyond that last blue mountain barred with snow,
    Across that angry or that glimmering sea,


    White on a throne or guarded in a cave
    There lives a prophet who can understand
    Why men were born: but surely we are brave,
    Who take the Golden Road to Samarkand."


    James Elroy Flecker

  • Soeben vermeldet der Radiosender swr3 ein am kommenden Wochenende lfd. Techno-Festival in der Gemeinde Kastellaun im Hunsrück.
    Kastellaun hat knapp 6.000 EW und eine Klinik mit etwas über 250 Betten.
    Erwartet werden 60.000 BesucherInnen auf einer ehem. US-Militärbasis.
    Lt. Veranstalter sei man besser vorbereitet als in Duisburg; so gäbe es bedeutend mehr Auslaufflächen.


    In dieser Diskussion war ja schon bemerkt worden, daß das Glück im Unglück von Duisburg wirklich am Austragsort inmitten einer Region von Großstädten mit entsprechenden Helfer- und Klinikressourcen lag.
    Wie mag das in der Provinz sein?

    Kastellaun ist mit der Loveparade in keinem Fall vergleichbar. Dort gibt es ein riesiges Gelände mitten im Wald und bedeutend weniger Besucher. Da ich mit beiden Veranstaltungen Erfahrungen hab, kann ich sagen, dass das Gefährungspotenial im Hunsrückist aus meiner Sicht deutlich geringer. Vermutlich auch dadurch das es dort nie wirklich zu größerem Gedränge kommt.

  • Um 17:32Uhr hat die Polizei Duisburg gestern Abend eine kurze Pressemitteilung herausgegeben, dass der Zugang z.Zt. geschlossen ist.


    Was ja dann nach Beginn der Massenpanik war, die ja wohl so gegen 17:10, 17:15 begonnen hat.....

    "We are the Pilgrims, master; we shall go
    Always a little further: it may be
    Beyond that last blue mountain barred with snow,
    Across that angry or that glimmering sea,


    White on a throne or guarded in a cave
    There lives a prophet who can understand
    Why men were born: but surely we are brave,
    Who take the Golden Road to Samarkand."


    James Elroy Flecker

  • Was ja dann nach Beginn der Massenpanik war, die ja wohl so gegen 17:10, 17:15 begonnen hat.....


    Wobei der Begriff "Massenpanik" durchaus vorsichtig zu gebrauchen ist. Bei einer "echten" Massenpanik (definitionsgemäß) wären in dieser Situation sicherlich noch deutlich mehr Menschen zu Schaden bzw. zu Tode gekommen. Dies aber nur am Rande.


    J.

  • zum besseren Verständniss für mich: was im obigen Video gezeigt wird, links der Container, rechts die Treppe. Ist das der Weg zum Veranstaltungsgelände oder der Weg davon runter (also das Gelände im Rücken des Kameramanns)? Oder gar rechts?

    Manchmal ist das Blatt zwischen den Zeilen auch einfach nur weiß.

  • Wobei der Begriff "Massenpanik" durchaus vorsichtig zu gebrauchen ist. Bei einer "echten" Massenpanik (definitionsgemäß) wären in dieser Situation sicherlich noch deutlich mehr Menschen zu Schaden bzw. zu Tode gekommen. Dies aber nur am Rande.


    J.


    Vollkommen korrekt. Bei einer Massenpanik gemäß der Definition Massenpanik hätten es dort mehr Opfer gegeben. Jeweils eine Stelle mehr bei den Zahlen.

  • Kastellaun ist mit der Loveparade in keinem Fall vergleichbar. Dort gibt es ein riesiges Gelände mitten im Wald und bedeutend weniger Besucher. Da ich mit beiden Veranstaltungen Erfahrungen hab, kann ich sagen, dass das Gefährungspotenial im Hunsrückist aus meiner Sicht deutlich geringer. Vermutlich auch dadurch das es dort nie wirklich zu größerem Gedränge kommt.


    Unterschreibe ich sofort - Das deckt sich auch mit meinen "Nature One"-Erfahrungen. Man hat dort viel Platz als Besucher - Selbst auf dem Main Stage war es nie unangenehm voll.

  • zum besseren Verständniss für mich: was im obi
    gen Video gezeigt wird, links der Container, rechts die Treppe. Ist das der Weg zum Veranstaltungsgelände oder der Weg davon runter (also das Gelände im Rücken des Kameramanns)? Oder gar rechts?


    Nach rechts geht es zum Veranstaltungsgelände, durch die beiden Tunnel gelangt man von den beiden Seiten auf die Rampe, auf die im Video gefilmt wird und auf der sich der Container und die Treppe befinden. Diese Zugangsrampe befindet sich mitten im Veranstaltungsgelände und nicht an einem Ende, d.h. die Personen, die über den Container respektive die Treppe die Zugangsrampe verlassen haben standen direkt auf dem Veranstaltungsgelände.


    Edit: Der Spiegel kann das mit den Skizzen besser als ich...

  • Werden eigentlich nach solchen Events/Großschadensfällen von den Behörden Factsheets ausgegeben, wie was wann alarmeirt wurde und wie wer gearbeitet hat (Transporte, Sichtungskategorien u.ä.)? Gab es sowas z.B. nach Eschede?

  • Nach Eschede gab/gibt es eine gute AUfarbeitung des Einsatzes in Buchform.
    - Christian Brauner, Willi Stadler (Hrsg.): Bewältigung größerer Schadensereignisse â?? Das ICE-Unglück Eschede. Villingen-Schwenningen 2002, ISBN 3-931778-28-2
    - Ewald Hüls (Hrsg.), Hans-Jörg Oestern (Hrsg.): Die ICE-Katastrophe von Eschede. Erfahrungen und Lehren. Eine interdisziplinäre Analyse. Springer, Berlin 1999, ISBN 3-540-65807-6
    - http://www.bbk.bund.de/cln_027…ionFile.pdf/Band%2042.pdf



    SpiegelTV:
    http://www.spiegel.de/flash/0,,23952,00.html


    Eine interessante Reportage, finde ich.

    "We are the Pilgrims, master; we shall go
    Always a little further: it may be
    Beyond that last blue mountain barred with snow,
    Across that angry or that glimmering sea,


    White on a throne or guarded in a cave
    There lives a prophet who can understand
    Why men were born: but surely we are brave,
    Who take the Golden Road to Samarkand."


    James Elroy Flecker

    Einmal editiert, zuletzt von condorp4 ()

  • Ich glaube das es bei einer solchen Lage nicht möglich war eine komplette Einsatzkräfteerfassung durchzuführen. Einsatzkräfte aus dem Nah und Ferngebiet waren unterwegs bzw. vor Ort und auf ausgelagerten Bereitstellungsräumen.