Wird die Berufsausbildung jetzt der Standardweg zum Medizinstudium?

  • Wie viele von euch bereits mitbekommen haben, hat das Bundesverfassungsgericht gestern der Bundes- und Landesgesetzgebung einige Hausaufgaben zur Reform des Auswahlverfahrens in der Medizin aufgetragen, die bis Ende 2019 erledigt sein müssen.


    Unter anderem wurde dort auch gefordert medizinnahe medizinische Ausbildungen stärker als bisher zu würdigen, sowie die Wartezeit zu begrenzen (gestern in der Tagesschau war von 8 Semestern entsprechend 4 Jahre die Rede)


    Ich persönlich bin extrem zwiegespalten, was eine Reform der Auswahlstandards angeht, einfach weil mir nicht einfällt wie ein sinnvolles faires Verfahren aussehen könnte:


    Folgende Gedanken meinerseits dazu:


    - Auch wenn ich persönlich von meiner in der Ausbildung/im Beruf gesammelten Erfahrung stark profitiert habe, kann es nicht Sinn der Sache sein, dass jeder der Medizin studieren möchte zunächst eine Berufsausbildung macht, denn
    ---> es werden Ausbildungsplätze für Krankenpflege/MTAs/NFS blockert, die eigentlich für Menschen benötigt werden die auch langfristig im Beruf verbleiben möchte (beim RettAss war dies aufgrund der hohen Ausbildungskapizität und der geringen Kosten noch etwas ganz anderes)
    ---> es ist Volkswirtschaftlich eigentlich Irrsinn, da der Arzt dann erst 3 Jahre später zur Verfügung steht und 3 Jahre weniger seines Lebens als Arzt arbeiten kann (geht man von 40 Berufsjahren als Arzt aus, muss man 12,5 Ärzte drei Jahre früher zulassen um einen Arzt einzusparen (NNT)


    -auch wenn ein Abitur nicht alles über die Qualitäten aussagt, sollte es weiterhin möglich sein direkt nach dem Abitur mit dem Medizinstudium zu starten (auch weil es einfach fair ist, dass jemand der in der Schule geschuftet hat die Möglichkeit der Zulassung bekommt)



    Nun die Frage an euch:


    Wie ist eure Meinung zu der Sache?
    Wie sollten Arbeitgeber vorgehen um möglich langfristig verfügbare Mitarbeiter zu gewinnen? (hier meine ich jetzt nicht Verbesserung der Arbeitsbedingungen sondern vielmehr die Auswahl der Bewerber, die nicht studieren möchten)
    Wie steht ihr generell zu einer stärkeren Bonierung der Berufsausbildung? Sollte dies der neue Standarfweg werden?
    Habt ihr Ideen für ein faires System?

  • Ich bin mal gespannt, wie in Zukunft die Vergabe sein wird - ob es gerechter/besser wird, sei dahingestellt.


    Bislang war es ja so, dass jeder die Garantie auf einen Studienplatz hatte (Abitur vorausgesetzt) - sofern er lange genug wartet - das scheint jetzt ja wohl nicht mehr so zu funktionieren, da die Wartezeit begrenzt werden soll. Hier ist u.a. der Hintergrund, dass langjährige Warter eher das Studium abbrechen, als Menschen, die näher am Abi heran mit dem Studium beginnen (wahrscheinlich vielschichtig - eher Probleme zu lernen, private Verpfllichtungen (Familie/Kinder), schon an ein regelmäßiges Einkommen gewöhnt ...). Dieses war aber für einige der einzig gangbare Weg in ein Medizinstudium und scheint nicht mehr so gewünscht zu sein.


    Gut finde ich, dass die Ortsprävalenz umstrukturiert wird
    Bislang konnte man bis zu 6 Wunschunis angeben, problematisch war, dass es Konstellationen gab, dass man zwar an diesen sechs keinen Studiienplatz bekommen hat (zu schlechter NC) - es allerdings an anderen Unis sehr wohl gereicht hätte- es gab nicht die Möglichkeit, zusätzlich ein Kreuz zu machen, dass man, wenn es an diesen 6 Wunschunis nicht klappt, eine beliebige Uni nimmt. Das hat für Frust gesorgt und dann auch dazu geführt, dass Leute dann 5 * Wunschuni und als sechstes eine unbeliebte Uni angegeben haben, um so die sicherheit überhaupt eines Studienplatzes hatten, wenn die Abi-Note grenzwertig war.
    Begründung für dieses vorgehen mit ausgerechnet 6 wunschunis war, war "ist so pogrammiert, und das Pogramm ist so alt, dass man das nicht mehr ändern kann" - dass das kritisiert wird, ist überfällig.


    Berufsausbildungen sehe ich irgendwie kritisch - ganz plakativ: Warum soll jemand, der sich 12 Jahre in der Schule "den Arsch aufgerissen hat", da er das klare Ziel hatte, Medizin zu studieren, schlechter gestellt werden, der 12 Jahre rumgepimmelt hat, so gerade eben sein Abi schafft und dann lieblos ne Ausbildung macht und vielleicht noch Oma Brömmelkamp im Altersheim 1 * wöchentlich besucht, weil das dann Punkte für soziales Engagement gibt? Natürllich gibt es auch diejenigen, die sich über Jahre in einer Hilfsorganisation engagieren, dann nen Rettungsdienst-Ausbildungsgang besuchen, und auch Medizin studieren wollen - so ein System ist auch nicht umbedingt fairer und kann auch ausgenutzt werden, dann aber mit dem Nachteil, dass anderen Berufsausbildungschancen genommen werden - gerade die Berufe, die als potentiell chancenerhöhend gehandelt werden (RD, MTA, OTA, Pflege) sind ja auch Mangelberufe - hier beinhaltet eine höhere Wichtung dieser Ausbildungen, dass auf diesem Wege der Anreiz, ein gutes Abi zu erreichen, reduziert wird, weil es ja noch den Weg über eine solche Ausbildung gibt, gleichzeitig dadurch dann der Fachkräftemangel in bestimmten Berufen erhöht wird.


    Ich glaube, ein wirklich gerechtes System wird es kaum geben, es wird auch in Zukunft einen Mangel an Studienplätzen geben und dieser Mangel muss irgendwie verwaltet werden.


    Das System "Abi-Note" (trotz der Nachteile wie Unterschiede zwischen einzelnen Bundesländern in der Schwierigkeit und was es sonst so gibt) zeigt wenigstens, dass der Bewerber zumindest über eiinen längeren Zeitraum entsprechende Leistungen gebracht hat und auch von mehreren Lehrern übereinstimmend als sehr guter Schüler gesehen wurde - auch das ist es Wert, bei der Studienplatzvergabe gewürdigt zu werden.

    Einmal editiert, zuletzt von MarkusB ()

  • Ich fand an der ganzen Sache eine Zahl besonders bemerkenswert. Aktuell gibt es 11.000 Studiumsplätze in Medizin pro Jahr. Wo gehen die alle hin? Es hören doch nicht 11.000 Mediziner pro Jahr (!) in Deutschland auf. Gut, da gehen natürlich noch einige weg, weil sie nicht zu Ende studieren, in die Forschung gehen, etc. Aber das dürften immer noch mehr als genug sein. Vielleicht sollte man da einmal ansetzen und gucken wieso die Leute nicht fertig werden oder als Ärzte anschließend praktizieren.

  • Was jetzt nicht heißt, dass man hier nicht mehr Attraktivität schaffen kann. (im übrigen stellen Frauen gemessen an allen Studenten durchschnittlich die Mehrheit an der Uni... ;-))

  • Man muss bei diesem Urteil ins Detail gehen:


    Zum einen wurden ja nur kleinere Dinge kritisiert. Der wichtigste Punkt ist tatsächlich die Pflicht für die Hochschulen mindestens ein Kriterium neben der Abiturbestenquote zu berücksichtigen. Schaut man genauer hin, tun das aber nur drei Universitäten derzeit nicht. Diese Sechserliste gehört abgeschafft, deren Sinn habe ich noch nie verstanden. Sinnvoll wäre es, wenn man alle vorhandenen Unis nach Priorität sortiert und auch sagen kann "da will ich nicht hin", vereinzelt kommt sowas wirklich vor. Die Deckelung der Wartezeit ist überfällig, aber löst das Problem nicht. Die Kohorte, die pro reduziertem Wartesemester hinzukommt ist erheblich, und wenn man das in 1,5 Jahren abschafft, könnte man mutmaßlich nicht alle aufgestauten abbauen, selbst wenn man fast nur Wartezeitler zuließe. Da braucht man sinnige Lösungen. Auch glaube ich nicht an 8 Semester, auch wenn ich das gut fände, aber zuletzt hatte das BVerfG ja einst angedeutet, dass eine Wartezeit, die größer als die Studienzeit wäre, unzumutbar sei. Das ist ein wichtiger Schritt, aber wohl nicht der große Wurf. Auch das Datum der Änderungspflicht ist interessant. Der große Reformplan des Medizinstudiums, der auch eine geänderte Zulassung enthält, trägt den Titel Masterplan Medizinstudium 2020. Die Frist verstreicht am 31.12.2019. Da wäre eine vorgezogene Reform fast sinnvoller als eine Übergangsreform.


    Meiner Meinung nach liegt das Problem vor allem daran, dass die Zulassung in den letzten Jahren kaputt reformiert wurde. Das System war einigermaßen stabil als nach Abzug der besonderen Plätze (Härtefälle, Zweitstudenten) die restlichen 50:50 zwischen Abiturbestenquote und Wartezeit auf den Numerus clausus verteilt wurde. Mit der Einführung des AdH wurden beide Gruppen auf 20% reduziert, was zu einer massiven Verschärfung der Zulassungskriterien führen musste. Das AdH war gerade am Anfang sehr unübersichtlich, nicht immer großartig objektiv und schwer vorhersagbar. Zum Teil ist dies immer noch so, wobei es sich etwas gebessert hat. Ich habe an einer großen Universität mal gesehen, wie gestresste Doktoranden (im Wesentlichen naturwissenschaftliche) des Instituts für medizinische Statistik Bewerbungsschreiben bewertet haben. Einer gab volle Punktzahl dafür, dass es in Gedichtform geschrieben war. Das war alles, aber nicht objektiv. (Inzwischen ist es dort anders.) Alle AdH eint aber, dass sie die Abiturbestenquote ganz erheblich berücksichtigen und/oder als Vorauswahlkriterium nutzen. Damit hat die Quote im Verhältnis zur Wartezeit erheblich an Bedeutung gewonnen, und ist selbst weniger vorhersagbar geworden. Diese Reform ist so relativ schief gegangen.


    Die Berücksichtigung von Berufsausbildungen ist ein zweischneidiges Schwert. Die Argumentation mit der Belegung der Ausbildungsplätze ist sicherlich richtig. Es gibt ja auch diverse Regelungen um ein "Parkstudium" zu vermeiden. Andererseits wird man es dadurch nicht vermeiden. Weder ist es wünschenswert noch realistisch, dass die nicht erfolgreichen Studienbewerber 4-6 Jahre oder wie derzeit 7,5 Jahre auf der Couch sitzen und das Sozialsystem nutzen. Und Menschen mit dem Berufswunsch Medizin werden vermutlich eher in medizinischen Berufen landen und am Ende bei den aktuellen Zeiten auch ein oder zwei davon erlernt haben. Und die gesamte Auswahl sortiert nach dem wahrscheinlichsten Studienabschluss (die Abiturbestenquote hat diesbezüglich übrigens wissenschaftlich erwiesen den höchsten positiven Prädiktionswert), da finde ich ein Kriterium, das zum einen den Abschluss einer medizinischen Ausbildung, aber auch bereits Berufstätigkeit in der Medizin berücksichtigt, gar nicht schlecht. Im Gegenteil, damit werden gerade auch einmal Fähigkeiten selektiert, die sonst oft gefordert werden. Wer im medizinischen Berufs mit Patientenkontakt nicht zurecht kommt, wird vermutlich dann eher seltener noch Medizin studieren als ohne diese Erfahrung. Damit liegt darin zumindest ein hoher Aussagewert.


    Wie würde ich mir ein objektives, vorhersagbares und faires System vorstellen (Utopie)? Ich würde die Quoten auflösen und ein Punktesystem schaffen. Einen erheblichen Teil würde ich tatsächlich auf die Abiturnoten vergeben. Dann würde ich die Wartezeit als Punktwert pro Wartesemester sehen wollen, und nicht mehr als unabhängiges Verfahren. Auch den Medizinertest würde ich berücksichtigen, da ich es schon für richtig halte, dass der ein oder andere Fehltritt in der Schulzeit möglich bleiben würde. Ein FSJ würde ich berücksichtigen und auch eine medizinische Berufsausbildung und eine gewisse Berufserfahrung in Vollzeit (oder hoher Teilzeit).


    Viele Grüße,
    Johannes


    PS: Man kann nur noch die sechs Unis angeben? Bei meiner Bewerbung gab es das Kreuz "alle Unis" noch - allerdings hätte es für Bewerber des Auswahlverfahren der Hochschulen Nachteile bringen können. Bestimmte Unis erwarten, dass sie allein auf der Liste sind oder unter den ersten drei oder an Priorität 1. Das habe ich schon immer für völligen Schwachsinn gehalten...

    Land zwischen den Meeren,
    vor dem sich sogar die Bäume verneigen,
    du bist der wahre Grund,
    warum Kompassnadeln nach Norden zeigen!

  • Ich fand an der ganzen Sache eine Zahl besonders bemerkenswert. Aktuell gibt es 11.000 Studiumsplätze in Medizin pro Jahr. Wo gehen die alle hin? Es hören doch nicht 11.000 Mediziner pro Jahr (!) in Deutschland auf. Gut, da gehen natürlich noch einige weg, weil sie nicht zu Ende studieren, in die Forschung gehen, etc. Aber das dürften immer noch mehr als genug sein. Vielleicht sollte man da einmal ansetzen und gucken wieso die Leute nicht fertig werden oder als Ärzte anschließend praktizieren.


    Im Vergleich zu anderen Studiengängen hat Medizin eine recht geringe Abbrecherquote - die Meisten, die beginnen, studieren auch zu Ende.


    In den letzten Jahren haben wir aus diversen Gründen einen zunehmenden Ärztemangel - neben der schon genannten hohen Anzahl von Frauen (die irgendwann berechtigterweise auch ihrem Kinderwunsch nachgehen wollen) sind heute viele Kollegen nicht mehr bereit, Vollzeit in der Klinik zu arbeiten, sondern nehmen lieber gewisse finanzielle Einbußen in Kauf - durch die Dienstbelastung ist man bei einer 100%-Stelle und Bereitschaftsdienstzeit schnell in dem Bereich von 55 h/Woche, eine Teilzeitstelle (z.B. 80-90 %) ermöglicht, dass man annähernd auf eine 40 - 45 Wochenstunde kommt und damit dann so viel Zeit in der Klinik ist, wie andere Arbeitnehmer auch arbeiten - bis vor einigen Jahren war das noch undenkbar (als die Chefs noch hohe Stapel an Bewerbern hatten, galt: entweder Vollzeit oder keine stelle). BTW - ab nächstem Jahr mache ich auch 90 %.


    Desweiteren wurde auch Seitens der Gesetzgeber (und zunehmend auch durch Kontrollen mit deutlichen finanziellen Sanktionen für die Krankenhäuser) auf die Einhaltung der Arbeitszeitgesetze gepocht - bis vor einigen Jahren gab es durchaus Häuser mit einer geringen Dienstbelastung, in denen man nach einem Nachtdienst (der halt in Vergleich zu größeren Häusern im Durchschnitt recht ruhig war) noch einen Regelarbeitstag drangehangen hat (also bis zu 36 h in der Klinik war). Heute undenkbar - jetzt geht man auch dort verbindlich nach spätestens 24 h nach Hause - auch hierdurch entsteht ein höherer Bedarf an Ärzten, der gedeckt warden will.


    Dann gibt es noch sehr viele Punkte, die mehr Ärzte in den Krankenhäusern erfordern: immer mehr multimorbide Patienten, gestiegene Erwartungen an die Medizin, neue und aufwendigere Therapien, kürzere Verweildauern und damit eine Höherfrequentierung der Krankenhausbetten, Dokumentationsaufwand, Forderung von entsprechenden ärztlichen Besetzungen durch Umsetzung von Leitlinien und Forderungen der Kostenträger.....all diese dinge sorgen dafür, dass bei gleicher Bettengröße ein Krankenhaus auch zunehmenden Bedarf an Ärzten hat.


    Das sind genug Gründe, weshalb die Medizinstudienplätze einfach nicht ausreichen (und auf längere sicht wird sich das auch nicht ändern), die paar Kollegen, die in die Forschung/Pharmafirmen/Medizinjornalistik gehen oder andere Exoten-Jobs annehmen fallen eigentlich nur kaum ins Gewicht (und diese Kollegen gab es ja früher auch).




    BTW:
    auch das Auffüllen unserer leeren Stellen durch ausländische Ärzte ist nicht die Lösung aller Probleme, sondern produziert auch in den Heimatländern einen eklatanten Ärztemangel - gerade in Hinblick auf die zunehmende Zahl von Asylsuchenden schafft man weitere Fluchtursachen, wenn man die ärztliche Versorgung in diversen Staaten so ausdünnt. Ich ärgere mich massiv, wenn Sprecher einiger Parteien (womöglich sogar solche, die sich als "christlich" bezeichnen) sowohl Spitzenkräfte in Deutschland haben wollen (so z.B. auch Ärzte), aber gleichzeitig auch Obergrenzen für Asylsuchende fordern. Auch für eine gerechtere Welt ist es notwendig, hier mehr Studienplätze zu schaffen.

    Einmal editiert, zuletzt von MarkusB ()

  • Den Umweg über eine Ausbildung finde ich zumindest in der Hinsicht sympathisch, dass das fast zwangsläufig zur Erweiterung des eigenen Horizonts und Festigung des Charakters beträgt und insofern auch den einen oder anderen Schnösel mal auf den Boden der Tatsachen holt. Die Perspektive des arbeitenden Teils der Bevölkerung haben manche Leute bis dahin noch nicht einnehmen müssen und es gibt durchaus Leute, denen das gut täte.


    Aber das ist nur ein Randaspekt und hat mit der Vergabegerechtigkeit wenig zu tun.

    They say God doesn't close one door without opening another.

    Please, God, open that door. :oncoming_fist_light_skin_tone:

    Einmal editiert, zuletzt von Alrik ()

  • Den Umweg über eine Ausbildung finde ich zumindest in der Hinsicht sympathisch, dass das fast zwangsläufig zur Erweiterung des eigenen Horizonts und Festigung des Charakters beträgt und insofern auch den einen oder anderen Schnösel mal auf den Boden der Tatsachen holt. Die Perspektive des arbeitenden Teils der Bevölkerung haben manche Leute bis dahin noch nicht einnehmen müssen und es gibt durchaus Leute, denen das gut täte.


    Aber das ist nur ein Randaspekt und hat mit der Vergabegerechtigkeit wenig zu tun.


    Man arbeitet durchaus auch als Student, nur halt verstärkt mit dem Kopf und am Schreibtisch.
    Dieses Missverständnis wundert mich schon immer bei bestimmten politischen Vorschüben (Klientelpolitik?!?), die z.B. einen früheren Renteneintritt fordern für Personen, die „45 Jahre lang gearbeitet“ haben, wenn dabei suggeriert wird, dass Akademiker, die vielleicht erst mit Mitte oder Ende Zwanzig ins Erwerbsleben eingetreten sind, bis dahin auf der faulen Haut gelegen wären.
    Ich will jetzt gar nicht näher darauf eingehen, welche Berufsgruppen, wenn man denn überhaupt in solchen Kategorien argumentieren möchte, statistisch gesehen „den weiteren Horizont“ haben oder anstreben, vom „gefestigten Charakter“ ganz zu schweigen.
    Ich verstehe da oft nicht, ob rscmehr um Sozialneid oder einfach um das Bedienen von Klischees geht.


    Jörg (Akademiker MIT Berufsausbildung) ;)

  • Dann muss ich das präzisieren: Arbeiten in einem Ausbildungsberuf hat sicher andere qualitative Eigenschaften und andere Perspektiven als die Ausbildung an einer Hochschule.


    Und ich kenne auch beides. ;)


    Was ich sagen wollte: Es gibt einfach Leute , denen es gut tut, mal am eigenen Leib zu erfahren, was das niedere Gewänz jeden Tag für sein Geld tun muss.

    They say God doesn't close one door without opening another.

    Please, God, open that door. :oncoming_fist_light_skin_tone:

  • Was ich sagen wollte: Es gibt einfach Leute , denen es gut tut, mal am eigenen Leib zu erfahren, was das niedere Gewänz jeden Tag für sein Geld tun muss.


    Gerade Ärzte arbeiten meinem bescheidenen Eindruck nach auch nicht geade zu wenig für ihr Geld. Und die meisten von ihnen, sollten sie nicht autistisch veranlagt sein, sehen vermutlich auch die Bedürfnisse und Erschwernisse in der Pflege und anderen sie umgebenden Berufen.

  • Die Deckelung der Wartezeit ist überfällig, aber löst das Problem nicht. Die Kohorte, die pro reduziertem Wartesemester hinzukommt ist erheblich, und wenn man das in 1,5 Jahren abschafft, könnte man mutmaßlich nicht alle aufgestauten abbauen, selbst wenn man fast nur Wartezeitler zuließe. Da braucht man sinnige Lösungen. Auch glaube ich nicht an 8 Semester, auch wenn ich das gut fände, aber zuletzt hatte das BVerfG ja einst angedeutet, dass eine Wartezeit, die größer als die Studienzeit wäre, unzumutbar sei. Das ist ein wichtiger Schritt, aber wohl nicht der große Wurf.


    Wenn ich die Pressemitteilung richtig verstehe, bedeutet "Begrenzung der Wartezeit" nicht, dass nach spätestens 8 Semestern jeder zuzulassen ist, sondern vielmehr, dass jemand, der nach 8 Semestern Wartezeit noch nicht zugelassen wurde, keinen Studienplatz mehr erhält - insofern bin ich mir nicht sicher, worauf Du hinauswillst.


    Man arbeitet durchaus auch als Student, nur halt verstärkt mit dem Kopf und am Schreibtisch.


    Jein. Natürlich arbeitet man als Student zumeist, man muss aber nicht zwingend - klar, dann fällt man irgendwann durch, aber im Gegensatz zu einer Ausbildung beginnt mit dem Studium nicht zwingend "der Ernst des Lebens" in dem Sinne, dass man tatsächlich jeden Morgen um 8 Uhr (oder wann auch immer) auf der Matte stehen und in der Woche 40 Stunden - weitgehend fremdbestimmt - arbeiten muss und da in zunehmenden Maße auch Verantwortung für andere oder zumindest die ordnungsgemäße Erledigung der Arbeit trägt (und nicht nur für sich selbst). Das muss nicht schaden.

  • Zitat

    Wenn ich die Pressemitteilung richtig verstehe, bedeutet "Begrenzung der Wartezeit" nicht, dass nach spätestens 8 Semestern jeder zuzulassen ist, sondern vielmehr, dass jemand, der nach 8 Semestern Wartezeit noch nicht zugelassen wurde, keinen Studienplatz mehr erhält - insofern bin ich mir nicht sicher, worauf Du hinauswillst.


    Genau so ist es


    Begründung ist einfach, dass die Chance, dass ein langjähriger Warter das Studium erfolgreich abschließt geringer ist als jemand, der relativ nah von der Schule kommt


    Und da ja ein Mangel verwaltet werden muss, Wählt man dann den Weg, der am meisten fertige Ärzte hervorbringt

  • sondern vielmehr, dass jemand, der nach 8 Semestern Wartezeit noch nicht zugelassen wurde, keinen Studienplatz mehr erhält

    Wäre das aber nicht ein Verstoß gegen Art. 12 des Grundgesetzes, wo es um die Freizügigkeit in der Wahl des Berufes und Ausbildung geht? Das könnte bedeuten, dass ich mir diesen Berufswunsch, bei Vorliegen der Voraussetzungen natürlich, nicht erfüllen kann, weil man mich in (zu viele) Wartesemester setzt (und ich deswegen dann ggf. raus fliege).


    Gruß

    Ich komme aus Ironien, das liegt am sarkastischen Meer.

  • Begründung ist einfach, dass die Chance, dass ein langjähriger Warter das Studium erfolgreich abschließt geringer ist als jemand, der relativ nah von der Schule kommt

    Das kann man aber auch nicht so pauschal sagen. Ich bin auch seit gut 25 Jahren aus der Schule raus, der große Teil der Ausbildungen liegt nun auch bald 20 Jahre zurück. Und trotzdem habe ich ein Studium (berufsbegleitend, mit Familie) aufgenommen. Bisher komme ich gut mit, habe einen guten Notendurchschnitt und habe keine Baustellen (Hausarbeiten) aus Vorsemestern mehr offen. Und ich denke nicht die Bohne darüber nach hinzuwerfen. Davon gibt es aber einige im Studiengang. Zugeben muss ich aber doch, dass gerade erst vor einigen Tagen ein älterer Kollege bzw. Kommilitone, der in das Muster passt, hingeworfen hat. Das hatte aber, wie diese hier auch schon angesprochenen wurden, private Gründe.

    Ich komme aus Ironien, das liegt am sarkastischen Meer.

  • Zitat

    Gerade Ärzte arbeiten meinem bescheidenen Eindruck nach auch nicht geade zu wenig für ihr Geld.


    Ich habe nichts gegenteiliges behauptet.
    Man kann ziemlich viel für sehr wenig Geld arbeiten. Diese Erfahrung fehlt einigen Menschen.

    They say God doesn't close one door without opening another.

    Please, God, open that door. :oncoming_fist_light_skin_tone:

  • Wäre das aber nicht ein Verstoß gegen Art. 12 des Grundgesetzes, wo es um die Freizügigkeit in der Wahl des Berufes und Ausbildung geht? Das könnte bedeuten, dass ich mir diesen Berufswunsch, bei Vorliegen der Voraussetzungen natürlich, nicht erfüllen kann, weil man mich in (zu viele) Wartesemester setzt (und ich deswegen dann ggf. raus fliege).


    Man wird die Entscheidung abwarten lesen müssen, aber einen Verstoß sehe ich nicht - es kann ja jeder Medizin studieren, wenn er einen ausreichend guten Abschluss mitbringt (bzw. andere Faktoren, die eingerechnet werden).


    Die Freiheit der Berufs- oder Ausbildungswahl bedeutet keineswegs, das jeder das lernen oder tun können muss, was ihm gerade gefällt. Es muss nur jeder die Möglichkeit dazu haben.

  • Zitat

    Wäre das aber nicht ein Verstoß gegen Art. 12 des Grundgesetzes, wo es um die Freizügigkeit in der Wahl des Berufes und Ausbildung geht? Das könnte bedeuten, dass ich mir diesen Berufswunsch, bei Vorliegen der Voraussetzungen natürlich, nicht erfüllen kann, weil man mich in (zu viele) Wartesemester setzt (und ich deswegen dann ggf. raus fliege).


    Gruß[/align]


    Offenbar nicht - in der Begründung des Urteiles stehen http://www.bundesverfassungsge…s20171219_1bvl000314.html Randnummer 106 ( Diejenigen, die dafür die subjektiven Zulassungsvoraussetzungen erfüllen, haben danach ein Recht auf gleichheitsgerechte Zulassung zum Hochschulstudium ihrer Wahl. Das Teilhaberecht reicht indes nicht so weit, dass jeder und jede Hochschulzugangsberechtigte - unabhängig vom Ergebnis der schulischen Leistungen und der sonstigen fachspezifischen Qualifikation - beanspruchen könnte, die Zulassung zu dem gewählten Studium tatsächlich eines Tages zu erhalten.)


    Per se ist das Grundgesetz ja nach den Jahren 33-45 gemacht worden - da sind z.B. Angehörige bestimmter Glaubensgruppen von der Ausübung bestimmter Berufe ausgeschlossen worden - das gilt es zu verhindern. Aber es gibt ja eine Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage - und da braucht man halt Kriterien, um den Mangel zu verwalten. Per se weiß ja jeder, dass man für Medizin primär ein sehr, sehr gutes Abi hat und jeder hat das Recht, dieses sehr gute Abi zu erreichen und dann einen Studienplatz zu bekommen. Man kann auch nicht Sport studieren, wenn man den Sport-Eingangstest nicht besteht (analog Musikstudiengänge), selbst wenn man lang genug wartet.

  • Das kann man aber auch nicht so pauschal sagen. Ich bin auch seit gut 25 Jahren aus der Schule raus, der große Teil der Ausbildungen liegt nun auch bald 20 Jahre zurück. Und trotzdem habe ich ein Studium (berufsbegleitend, mit Familie) aufgenommen. Bisher komme ich gut mit, habe einen guten Notendurchschnitt und habe keine Baustellen (Hausarbeiten) aus Vorsemestern mehr offen. Und ich denke nicht die Bohne darüber nach hinzuwerfen.


    Das hängt auch ein wenig von der Gestaltung des Studienganges ab. Viele Studiengänge stellen anfangs hohe Anforderungen und sieben bis zur Zwischenprüfung aus; wer da durchkommt, hat es im Hauptstudium aber dann oft recht leicht und besteht in der Regel auch die Abschlussprüfung. So sind - oder waren jedenfalls zu Diplomzeiten - viele naturwissenschaftlichen oder Ingenieur-Studiengänge beschaffen. Andere Studiengänge haben im Verlauf keine wirklichen Leistungskontrollen, aber eine fordernde Prüfung mit hohen Durchfallquoten am Schluss; Paradebeispiel ist das juristische Studium. Medizin wird - mit Physikum und "Hammerexamen" - eine Kombination von beidem sein, und es wird vermutlich auch Studiengänge geben, bei denen ein Abschluss (unabhängig von der Leistung) schwer vermeidbar erscheint ...

  • Medizin wird - mit Physikum und "Hammerexamen" - eine Kombination von beidem sein, und es wird vermutlich auch Studiengänge geben, bei denen ein Abschluss (unabhängig von der Leistung) schwer vermeidbar erscheint ...


    Ich empfinde die knapp 6% Versagen im Physikum in der Referenzgruppe und die (glaube ich) <1 % im Hammerexamen nicht als "rausprüfen". In Medizin ist m. E. wirklich viel "biste drin, kommste durch".