Notfallsanitäter müssen mehr dürfen

  • Einige verwechseln Rechtssicherheit ja irgendwie auch mit Straffreiheit.


    Das Argument kommt in der ganzen „Dürfen“-Diskussion ja immer wieder. Ich glaube allerdings nicht, dass das die Intention der meisten Befürworter von rechtlich einwandfreien Kompetenzen ist. Aber immer auf Grundlage des rechtfertigenden Notstands zu handeln heisst auch, dass ich trotz völlig korrekter und indizierter Massnahmen jedesmal gegen geltendes Recht verstosse und mich dafür eben rechtfertigen muss (im schlimmsten Fall eben tatsächlich vor Gericht). Unabhängig davon, was bei dieser Rechtfertigung rauskommt (also ob ich Recht bekomme oder nicht) kann das doch keine Grundlage für ein reguläres Arbeiten sein (v.a. weil sich das ja auch nur auf tatsächlich lebensrettende Massnahmen bezieht und die durfte und darf der RettAss ja auch schon ergreifen);
    erweiterte Massnahmen bei Einsätzen abseits der „Lebensrettung“ (also des Rechtfertigungsgrundes) stehen hier noch gar nicht zur Diskussion.
    Der NotSan braucht m.E. einfach „Alltagskompetenzen“ für die er sich nur rechtfertigen muss, wenn er sie tatsächlich falsch anwendet und dafür stehe ich dann auch zurecht u.U. vor Gericht. Dafür bedarf es aber eben diverser Gesetzesänderungen sonst bleibt alles wie es war.

  • Der Fehlgedanke ist ja, dass ich mich auch rechtfertigen muss, wenn ich etwas „darf“ und es schief läuft. Auch wenn ich etwas formal „darf“, darf ich es doch auch nur, wenn es indiziert ist und ich es beherrsche. Genau so wie jetzt. Wenn man einen verantwortungsvollen Beruf ausüben will, muss man mit der Verantwortung zurecht kommen. Ich mutmaße, dass sich im Alltag nahezu nichts ändern würde.

  • Das ist doch genau der Punkt: wenn ich einen Fehler mache, muss ich dafür gerade stehen, klar. Aber im Moment muss ich mich im Zweifelsfall auch für korrekte Massnahmen rechtfertigen.
    Hauke: ich nehme Deinen Bereich mal als Beispiel (und sorry, das soll nur bildlich sein, ich habe keine Ahnung von deinem Job): stell Dir vor ein Flugzeug muss notlanden und Du weisst ihm Landebahn A zu. Der Vogel landet dort, alles geht gut, kein Schaden an Flugzeug oder Passagieren. Und jetzt kommt einer, der meint Landebahn B wäre besser und deshalb stehst Du vor Gericht, bekommst da aber komplett recht. Du weisst aber genau: das nächste Mal wenn wieder eine Notlandung ansteht, kann Dir das wieder passieren (Anzeige, Verhandlung, bekomm ich wieder recht???). Und dann kommt so eine Notlandung nicht vielleicht einmal im Jahr, sondern einmal im Monat vor. Irgendwann würde ich wahrscheinlich auch nur noch auf meinen Vorgesetzten warten, damit er die Entscheidung trifft.
    Dass die Notlandung im Sinne einer Qualitätssicherung überprüft wird und evtl. Optimierungsvorschläge gemacht werden versteht sich von selbst.
    Und wenn der Vogel in Flammen aufgeht, geht das Ganze selbstverständlich auch vor Gericht...
    Wie gesagt: bitte nicht fachlich werten, ich wollte nur meine Sicht aus einem anderen Blickwinkel darstellen.

  • Der Maurer darf ja auch eine Mauer bauen. Wenn er allerdings entweder
    a)eine völlig schiefe Mauer baut oder
    b) eine technisch perfekte Mauer ohne Baugenehmigung irgendwo mitten in die Stadt stellt,
    wird er sich dafür rechtfertigen müssen und notfalls auch mit Sanktionen rechnen.


    Jeder, der es irgendwie kann, "darf" einem Menschen in Not helfen. Und zwar mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln. Auch, wenn sie invasiv sind.


    Frei konstruiert: Ein Versicherungsfachwirt mit heimlichem Interesse an medizinischen Büchern ist in einer Hütte eingeschneit. Ein Arzt hat seinen Koffer in der Hütte vergessen und der Wirt bekommt eine Anaphylaxie. Natürlich "darf" er, wenn der Wirt dem (mutmaßlich) zustimmt, Supra spritzen, einen Zugang legen und Kortison und Fenistil spritzen.
    Er darf (ohne Anführungszeichen) aber nicht in der Innenstadt einen Laden aufmachen und aufs Schild schreiben "günstige Allergiebehandlung vom Fachmann".
    Wenn ein Freund des Hüttenwirtes ihm später rät, den Retter zu verklagen (Wegen 1. Körperverletzung überhaupt und 2. Fehlpunktion im ersten Versuch, Behandlungsfehler und 3. Verstoß gegen das Apothekergesetz in Tateinheit mit dem Heilpraktikergesetz und 4.überhaupt einfach), ist immer noch nicht gesagt, dass es überhaupt zu einer Hauptverhandlung kommt.



    Was ich damit sagen will:
    Solange wir unser bestes geben und alles richtig machen, ist alles gut und niemand wird wegen irgendwas verklagt.
    Wer permanent Mist macht oder sich ständig aus dem Fenster lehnt, wird irgendwann (und selbst dann leider mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit) auf die Fresse fliegen, selbst, wenn er die Gesetze davor nach seinen Wünschen selbst geschrieben hat.



    Ich fühle mich in meiner Arbeit durch die Gesetzeslage nicht eingeschränkt. Auch wenn ich der festen Überzeugung bin, dass das Notfallsanitäter-Gesetz ziemlicher Murks ist. Wie übrigens viele Gesetze, die wenige betreffen.

  • Das ist genau der Grund, warum der ganze NotSan-Kram nur als halbgar zu bezeichnen ist. Jetzt rennen sie alle rum und machen sich Gedanken, was der NotSan jetzt alles können und dürfen muss. Aber in der Praxis sind wir immer noch auf dem Stand von vor zig Jahren: In Bereichen mit progressiver Grundhaltung (z.B. mit entsprechendem ÄLRD) galt und gilt "lange Leine", ganz ohne dass wöchentlich irgendwer Rechtfertigungen schreiben oder vor Gericht erscheinen muss. Andernorts gilt immer noch Notkompetenz-Empfehlung der BÄK oder ähnlich.
    2018 oder 199x?

    They say God doesn't close one door without opening another.

    Please, God, open that door. :oncoming_fist_light_skin_tone:

    Einmal editiert, zuletzt von Alrik ()

  • Noch mehr Bilder... cool :prost: Der Maurer „darf“ aber eben technisch perfekte Mauern im Alltag bauen und da kommt keiner und verklagt ihn dafür.
    Und die Aufgabe des NotSan ist m.M.n. auch die „günstige Allergiebehandlung vom Fachmann“ weil er es halt gelernt hat.

  • Noch mehr Bilder... cool :prost: Der Maurer, „darf“ aber eben technisch perfekte Mauern im Alltag bauen und da kommt keiner und verklagt ihn dafür.
    Und die Aufgabe des NotSan ist m.M.n. auch die „günstige Allergiebehandlung vom Fachmann“ weil er es halt gelernt hat.

    Nein.
    Der Notfallsanitäter ist jetzt vielleicht Fachmann oder auch nicht.
    Aber: Die Behandlung einer Krankheit ist ganz klar die Aufgabe von Ärzten (oder eben Zahnärzten, Heilpraktikern, Psychotherapeuten und in manchen Fällen nach ärztliche Verordnung von Physio-, Ergo- und sonstwastherapeuten).
    Die Behandlung von Krankheiten durch Rettungsdienstpersonal ist eine (zugegeben häufige) Ausnahme bei nicht verfügbarem ärztlichem Personal.


    Das Notfallsanitäter-Gesetz hat hier zumindest schon mal auch die Tür aufgemacht für eine regelmäßige Versorgung bestimmter Krankheiten durch Retter unter klaren Bedingungen und ärztlicher Vorabdelegation. Im föderalen und subsidiar organisierten Deutschland wird das aber an unterschiedlichen Orten unterschiedlich schnell vorangehen.


    Wir sind übrigens aktuell dabei die Handlungsempfehlungen BaWü in die Praxis 1:1 (ohne BTM) umzusetzen. Laut unserem Chef ohne juristische Fallstricke.

  • Wie das ohne juristische Fallstricke gehen soll, bin ich gespannt. Weil das NotSan-Gesetz eben bekanntermassen ausschliesslich die Ausbildung regelt. Für eine rechtlich saubere Vorabdelegation bzw. eine regelmässige Versorgung von Krankheiten (ausserhalb des rechtfertigenden Notstands) bräucht es ja eben die genannten Gesetzesänderungen. Und da drehen wir uns wieder im Kreis...

  • Ich frage mich halt, welches Szenario du im Kopf hast, bei dem ich am Ende vor Gericht gezerrt werden, obwohl ich einen Notfalleinsatz anhand der mir vom Arbeitgeber vorgegeben Algorithmen behandelt habe...

  • Noch mehr Bilder... cool :prost: Der Maurer „darf“ aber eben technisch perfekte Mauern im Alltag bauen und da kommt keiner und verklagt ihn dafür.
    Und die Aufgabe des NotSan ist m.M.n. auch die „günstige Allergiebehandlung vom Fachmann“ weil er es halt gelernt hat.

    Hat er das denn? Der Name ist doch Programm, es handelt sich um einen NotfallSan. Er wurde ausgebildet, um im Notfall einzugreifen, bis die Behandlung durch einen Arzt fortgeführt werden kann. Vor allem das Beispiel Allergie ist sehr unglücklich. Eine Allergie wie Heuschnupfen oder Lebensmittelallergien (die i.d.R. einer langwierige Immunisierungstherapie bedürfen) sind wohl wirklich nicht im Aufgabengebiet (und auch nicht der Ausbildung) des NotSans einbegriffen - und auch nicht notwenig!


    Sollte der Heuschnupfen einen Asthmaanfall provozieren, oder eine Lebensmittelallergie eine Anaphylaxis darstellen, dann darf der NotSan doch durchaus "ran". Mit den "günstige Allergiebehandlung vom Fachmann" hat das 0 zu tun.


    Auch hier sind wir wieder am Anfang des Themas: Im Rahmen der Notwendigkeit darf der NotSan bereits, es wird auch erwartet - im Zweifel bis der NA da ist oder ein Klinikarzt übernimmt. Dem NotSan eine allgemeine Heilpraxis-Erlaubnis ausstellen zu wollen führt am Berufsbild vorbei. Wenn du Menschen langfristig medizinisch behandelt willst, dann werde Arzt oder Heilpraktiker, oder geh n die USA und arbeite als NP/PA. Aber im Berufsbild des Rettungsdienst-NotSans ist das fehl am Platz.

  • Auch hier sind wir wieder am Anfang des Themas: Im Rahmen der Notwendigkeit darf der NotSan bereits, es wird auch erwartet - im Zweifel bis der NA da ist oder ein Klinikarzt übernimmt. Dem NotSan eine allgemeine Heilpraxis-Erlaubnis ausstellen zu wollen führt am Berufsbild vorbei. Wenn du Menschen langfristig medizinisch behandelt willst, dann werde Arzt oder Heilpraktiker, oder geh n die USA und arbeite als NP/PA. Aber im Berufsbild des Rettungsdienst-NotSans ist das fehl am Platz.


    Und genau hier sind wir beim Problem das nicht verstanden wird...
    Es ist eben kein darf. Es gibt für den NFS bei heilkundlichen Massnahmen, wenn er auf sich alleine gestellt ist, kein darf im Sinne einer rechtlichen Erlaubnis (was das Ziel dieser ganzen Diskussion ist) sondern eben nur ein "kann und eventuell ist es straffrei": Selbst wenn die Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstandes erfüllt sind (also eine akute Lebensbedrohung des Patienten) ist es trotzdem weiterhin so dass die Tatbestandsmässigkeit gegen das HeilPrG (und evtl das ArzneimittelG, BtmG) und StGB weiterhin vorhanden ist, Schuld sowieso, aber eben nur argumentiert werden kann dass die Rechtswidrigkeit aufgrund §34 StGB stark gemindert wurde. Das Handeln bleibt trotzdem tatbestandmässig gegen das HeilPrG...


    Und von solchen Dingen wie Massnahmen der Regelkompetenz (also heilkundliche Massnahmen die eben solche sind aber eben bei einem nicht lebensbedrohten Patienteneben wirklich keinen NA erfordern, zB Fluidbolus für einen septischen Patienten, Analgesie zum Abfangen von Schmerzspitzen beim Umlagern, VEL für die Exsikkose) reden wir gleich nicht.


    Und wer genau lesen kann wird lesen dass eben von einer sektoralen Heilpraxis für NFS und GuK die Rede ist...
    Die Physiotherapeuten und ähnliche Berufsstände haben so etwas ähnliches: So können im Rahmen der ärztlichen gesetzten Grenzen und Indikation eigenständig Massnahmen ergreifen ohne mit dem HeilPrG in Konflikt zu geraten. (Der Physiotherapeut kann eben nicht alleine mal die schniefnasige Pollen-Allergie behandeln aber er kann eben im Rahmen des ärztlichen Auftrags entscheiden ob und wie er zum Beispiel den Muskelkraftaufbau durchführt. Und kommt eben nicht in Teufelsküche weil es ja heilkundliche Massnahmen sind.)


    Auch wenn ich nicht so klingen mag, aber trotzdem würde ich dich, Sandrinchen, darum bitten dich erst genau mit dem Thema zu beschäftigen bevor deine Beiträge so daran vorbeischiessen.


    (Und was ich ja schon ganz aufgegeben habe ist die Hoffnung, dass wir dieses dämlich braune HeilPrG mal ganz wegwerfen und durch eine entsprechende moderne Gesetzgebung ersetzen. Denn der Patient ist durch das StGB, BGB und das PatientenrechteG ausreichend gut geschützt vor Unfähigkeit und Quacksalberei des Behandlers. Was ja neben dem einen unsäglichen Aspekt ja der Hauptgrund dieser Gesetzgebung bzw die gesetzgeberische Intention war.)

  • Das ist doch genau der Punkt: wenn ich einen Fehler mache, muss ich dafür gerade stehen, klar. Aber im Moment muss ich mich im Zweifelsfall auch für korrekte Massnahmen rechtfertigen.
    Hauke: ich nehme Deinen Bereich mal als Beispiel (und sorry, das soll nur bildlich sein, ich habe keine Ahnung von deinem Job): stell Dir vor ein Flugzeug muss notlanden und Du weisst ihm Landebahn A zu. Der Vogel landet dort, alles geht gut, kein Schaden an Flugzeug oder Passagieren. Und jetzt kommt einer, der meint Landebahn B wäre besser und deshalb stehst Du vor Gericht, bekommst da aber komplett recht. Du weisst aber genau: das nächste Mal wenn wieder eine Notlandung ansteht, kann Dir das wieder passieren (Anzeige, Verhandlung, bekomm ich wieder recht???). Und dann kommt so eine Notlandung nicht vielleicht einmal im Jahr, sondern einmal im Monat vor. Irgendwann würde ich wahrscheinlich auch nur noch auf meinen Vorgesetzten warten, damit er die Entscheidung trifft.
    Dass die Notlandung im Sinne einer Qualitätssicherung überprüft wird und evtl. Optimierungsvorschläge gemacht werden versteht sich von selbst.
    Und wenn der Vogel in Flammen aufgeht, geht das Ganze selbstverständlich auch vor Gericht...
    Wie gesagt: bitte nicht fachlich werten, ich wollte nur meine Sicht aus einem anderen Blickwinkel darstellen.


    Ich bin mir zu jeder Zeit, die ich da sitze, bewusst, dass ich und zwar ich ganz alleine die volle Verantwortung für die Entscheidungen übernehme, die ich treffe. Im Gegensatz zu vielen Rettungsdienstbereichen weiß ich aber, dass ich bei einer fachlich gut überlegten Entscheidung - die auch im Nachgang nachvollziehbar bleibt - auf die Unterstützung meines AGs vertrauen kann und dieser mich im Falle eines Verfahrens auch unterstützt.
    Mein AG sichert mir ebenfalls zu, dass ich in meiner Arbeit quasi komplett frei bin. Weder meine direkten Vorgesetzten, noch sonst irgendwer ist befugt, mir in meine direkte Arbeit reinzuquatschen. Wenn ich sage, der Flieger dreht links und mein Chef sagt, den drehst du jetzt aber rechts, dann drehe ich den links! Dafür übernehme ich dann aber auch die Verantwortung dafür: Sprich, meine "Freiheit" bedeutet nicht, dass ich machen kann, was ich will, ohne, dass mir was passiert.
    Das verwechseln manche im Rettungsdienst noch. Sie wollen Medikamente geben, aber sie sind nicht dazu bereit, alle damit einhergehende Konsequenzen mitzutragen.


    Dass man die rechtliche Grundlage verbessern könnte ... da gehe ich sogar mit. Immer nur auf dem rechtfertigen Notstand zu arbeiten ist halt blöd. Man muss aber auch aufpassen: Denn im Moment ist vieles immer noch eine kann-Maßnahme. Mit mehr Regelkompetenz wird es dann mal eine Muss-Maßnahme. Und dann steht man im schlechtesten Fall wegen "Unterlassen" vor Gericht.

    “When I was a boy and I would see scary things in the news, my mother would say to me, "Look for the helpers. You will always find people who are helping.”


    • Fred Rogers

  • Was mich an dem Konstrukt des rechtfertigenden Notstands stört ist folgendes:


    Nur wenn der Patient vital bedroht ist darf ich einen Zugang legen. In dieser Situation sollte der Zugang aber sehr schnell und sicher platziert werden. Wenn ich das nur 5-6 mal im Jahr mache, habe ich vermutlich nicht die ausreichende Routine um in dieser Stresssituation das gut hinzubekommen. Daher wäre es besser, wenn ich bei jedem Patienten der einer stationären Aufnahme bedarf, diesem einen Zugang legen darf. Dann kann ich das jeden Monat zig mal üben und wenn es dann bei einem Patienten um Minuten geht, kann ich ihm besser helfen.



    Das Argument, dass in vielen RD Bereichen genau das gemacht wird, ändert aber nichts daran das wir es nicht dürfen. Und wenn bei einer von 1.000 Vigos es zu Problemen kommt, kann der Patient ein Verfahren anstreben und dann wird festgestellt das ich den Zugang gar nicht hätte legen dürfen.

  • Ich frage mich halt, welches Szenario du im Kopf hast, bei dem ich am Ende vor Gericht gezerrt werden, obwohl ich einen Notfalleinsatz anhand der mir vom Arbeitgeber vorgegeben Algorithmen behandelt habe...


    Korrigiert mich bitte, aber im Moment gibt die Rechtslage eine Vorabdelegation anhand von Algorithmen nicht her. Das heisst es bleibt im Alltag beim Verstoss gegen das Heilpraktiker Gesetz, bei Lebensbedrohung beim rechtfertig. Notstand.
    Umd da sind wir wieder beim Thema. Wenn alles gut geht, wird dich mit Algorithmen wahrscheinlich tatsächlich niemand vor Gericht zerren. Führt eine Massnahme nicht zum gewünschten Erfolg und der Pat. trägt einen Schaden davon (evtl. sogar trotzdem durch den NotSan unverschuldet), steht trotz Algorithmenvorgabe durch den AG primär schon der Verstoss gegen geltendes Recht im Raum und erst dann die Durchführung der Massnahme an sich.
    Um das Beispiel vom Maurer aufzugreifen: es geht nicht nur um die schief gebaute Mauer, sondern darum, dass er gar keine Mauern bauen dürfte (oder um bildlich zu bleiben: er darf nur Mauern bauen um z.B. notfalls eine Überschwemmung zu verhindern).
    Ich bin ein Freund vom sinnvollen Arbeiten nach Algorithmen, aber das Konstrukt muss mir halt auch eine gewisse Rechtssicherheit (also ein „Dürfen“ der Massnahme bieten. Und damit ist keine Straffreiheit gemeint. Z.B. heisst es in den Algorithmen in der Schweiz auch grundsätzlich: „die Durchführungsverantwortung liegt beim Anwender“. Auf dieser Basis arbeite ich gerne, weil die Verantwortung kann ich übernehmen.


  • Dem NotSan eine allgemeine Heilpraxis-Erlaubnis ausstellen zu wollen führt am Berufsbild vorbei. Wenn du Menschen langfristig medizinisch behandelt willst, dann werde Arzt oder Heilpraktiker, oder geh n die USA und arbeite als NP/PA. Aber im Berufsbild des Rettungsdienst-NotSans ist das fehl am Platz.


    Niemand spricht von „allgemeiner Heilkunde“ oder „langfristiger medizinischer Behandlung“. Es geht um die alltägliche Arbeit des Rettungsfachpersonals. Und daran, dass dieses „nur in der Not kompetent sein soll“ hat sich auch mit dem NotSan bisher rechtlich nichts geändert. Der Grossteil der Einsätze sind nicht die hochdramatischen Notfälle, profitieren aber dennoch von einer Behandlung durch den RD. Und in diesem streng beschränkten Bereich ist der NotSan nun einmal der Fachmann, weil er es gelernt hat und tagtäglich nichts anderes macht.
    Ich will meinen Patienten nicht alleine behandeln und ihn nach mehrfacher Wiedervorstellung als geheilt entlassen. Ich will ihn kurz gesagt transportfähig machen und der weiteren Behandlung durch einen Arzt zuführen. Da gehören aber oft halt auch Massnahmen wie Infusion, Analgesie, Antiemetika, o.ä. dazu. Und ja, die will ich in diesem engen Rahmen auch „dürfen“. Trägt der Patient aufgrund eines Fehlers einen Schaden davon, stehe ich gern dafür gerade. Ich will aber in diesem Fall z.B. dann nicht wegen eines BTMG-Verstosses an den Pranger, sondern weil ich z.B. auf eine Komplikation nicht adäquat reagiert habe.

  • Rene, ich habe mir auch ähnliche Gedanken gemacht als ich noch in "deinem Eck" gearbeitet habe, jedoch muss man sagen dass die Region halt echt Dunkeldeutschland ist beziehend auf Kompetenzzugeständnisse. Bin ja ein bisschen rumgekommen mittlerweile, und in der Realität ist das ganze tatsächlich auch vielerorts so pragmatisch wie es maxx sagt... "Wo kein Kläger...". Vor allem beziehend auf Standardzeug wie Venenzugänge. Aber ob das die Lösung ist...

  • Wenn ich sage, der Flieger dreht links und mein Chef sagt, den drehst du jetzt aber rechts, dann drehe ich den links! Dafür übernehme ich dann aber auch die Verantwortung dafür: Sprich, meine "Freiheit" bedeutet nicht, dass ich machen kann, was ich will, ohne, dass mir was passiert.


    Ich hoffe es nervt noch nicht, aber ich bleibe bei den Beispielen. Ich darf aber eigentlich den Flieger gar nicht drehen. Tu ich es doch, um z.B. eine Notlandung zu ermöglichen, verstosse ich regelmässig gegen Gesetze (auch wenn ich das noch so gut mache). Eine rechtlich abgesicherte Vorgabe wie z.B. "wenn der Flieger von Süden kommt, lass ihn links drehen; von Norden ebenfalls, dann treffen sie sich nicht. Aber aufpassen, wenn in der Flugroute ein anderer Flieger ist, dann musst du darauf reagieren" würde mir völlig reichen. Wenn ich den Flieger dann rechts drehen lasse, oder eben trotz "Gegenverkehr" nach links und es passiert was, bin ich dafür natürlich selbst verantwortlich. Ich werde aber nicht grundsätzlich dafür verantwortlich gemacht, dass ich meinen Job mache (nämlich "Flieger drehen lasse")
    Und kommen plötzlich Flieger aus Westen und Osten, muss ich meinen Vorgesetzten dazuholen, darf aber bis dahin trotzdem bestmöglich handeln. :help:


    Und von so einer Unterstützung durch die Arbeitgeber kann man im Rettungsdienst auch nur träumen. V.a. vor der derzeitigen rechtlichen Situation fällt einem der Arbeitgeber durch Verbote oder arbeitsrechtliche Konsequenzen oft eher noch in den Rücken (natürlich geht es darum, Schaden von allen Mitarbeitern abzuwenden, aber das hilft halt bei der Entscheidungsfindung auch nicht gerade weiter).

  • Rene, ich habe mir auch ähnliche Gedanken gemacht als ich noch in "deinem Eck" gearbeitet habe, jedoch muss man sagen dass die Region halt echt Dunkeldeutschland ist beziehend auf Kompetenzzugeständnisse. Bin ja ein bisschen rumgekommen mittlerweile, und in der Realität ist das ganze tatsächlich auch vielerorts so pragmatisch wie es maxx sagt... "Wo kein Kläger...". Vor allem beziehend auf Standardzeug wie Venenzugänge. Aber ob das die Lösung ist...


    Das kann nicht die Lösung sein. Der Zugang ist vielleicht jetzt nicht das beste Beispiel, aber lasst es mich auf die Spitze treiben: es kommt der 1000ste "Alltags-Zugang" bei dem es jetzt zu einer Infektion mit schwerwiegenden Komplikationen kommt. Dann steht niemand (v.a. eben nicht der Arbeitgeber) da und sagt: "grundsätzlich darf der das", sondern es heisst, "Du hast eine Massnahme verbotenerweise durchgeführt und dann gab es eine Komplikation". Dass diese Komplikation vielleicht, auch bei korrekter Durchführung, in einem von 1000 Fällen vorkommt ist dann nebensächlich, weil die Massnahme an sich schon illegal war. Und das kann und darf nicht Basis unserer Arbeit sein.
    Weil um es weiter zu treiben: bei der Medikamentengabe wird es sicher Komplikationen geben, die haben nunmal Nebenwirkungen. Dann möchte ich aber schon, dass grundsätzlich Arbeitgeber und Gesetzgeber hinter mir stehen (nochmal: es geht nicht um Straffreiheit, sondern um die grundsätzliche Erlaubnis, die Massnahme überhaupt durchzuführen, ohne gegen Gesetze zu verstossen).

  • Oh man.
    Das ist ein echt schwieriges Thema.
    Offenbar hat niemand (also wirklich niemand) so richtig einen Überblick über die genaue Rechtslage, weil es dir vielleicht gar nicht gibt.
    Mich wundert es direkt, dass nicht täglich Tische, Stühle und Gesetzbücher aus den Fenstern von Anwaltskanzeleien fliegen...


    Aber eins sehen wir tatsächlich: Die fehlende juristische Klarheit kommt auch daher, dass es im Prinzip keine Urteile gibt, die man als Beispiel heranziehen kann. Wenn ich (§Laie) das richtig weiß, wurde noch nie einmal auch nur ein Retter wegen Verstoß gegen das Heilpraktikergesetz verklagt.
    Das einzige, was man vereinzelt findet, sind Arbeitsgerichtsurteile... Aber das ist ja wieder ein anderes Problem.