Bad Oeynhausen - Trotz Herzinfarkt: Rettungsdienst verweigert Transport

  • Nur eine kurze Frage, ob ich es insgesamt richtig verstanden habe: Notfallsanitäter sollen und müssen immer mehr ärztliche Aufgaben übernehmen, auch mit höherer Komplexität und Risiken, weil wir nicht genug Notärzte rechtzeitig zum Patienten schaffen können. Wiederrum soll es Heerscharen von gelangweilten Telenotärzten geben, die für RS mit ungutem Bauchgefühl EKGs befunden und die Entscheidung treffen, ob Patienten transportiert werden sollen?


    Ich sehe da ein gewisses Logikproblem. Wenn man sich nicht sicher ist, ob es dem Patienten gut geht, und man sich absichern möchte, dann gibt es einen Arzt in der Notaufnahme.

    Der springende Punkt ist: Ein (als Zahl 1) Telene-NA kann einen verdammt großen Bereich überwachen. "Heerscharen von gelangweilten Telenotärzten" wird es daher nicht geben (müssen).

  • Ok, erstmal schlüssig. Aber:

    Dann frage ich mich aber, wer untersucht denn den Patienten?

    Fährt dann zu jedem Patient erstmal der Notsan-Erkunder?

    entweder ein NotSan oder Arzt am Telefon, oder ein NotSan oder Arzt (oder Gemeindeschwester) vor Ort.

    Under pressure, you don't rise to the occasion. You sink to your level of training.

  • Glaube ich sofort, und da muss man ansetzen. Ich sehe auch genau da sehr große Chancen für die Telemedizin.

    Welche der RS in welchen Bundesländern / Schulen erkennen muss / soll / kann weiß ich nicht. Welche er erkennen können soll? Keine Ahnung, habe ich mir keine großen Gedanken drum gemacht, ich habe andere Sorgen :) Ich würde aber mal grundsätzlich sagen er sollte eine Abweichung vom Sinusrythmus erkennen. ST-Hebung / Senkung, verlängerte PQ-Zeiten. Abhängig vom Zustand fordert er dann im Zweifel nach oder konsultiert den Tele-NA.


    Ich möchte die Frage auch mal gerne umdrehen: Ihr wollt also kein EKG auf N-KTW, RTW-B oder wie auch immer die Karre dann heißt? Was soll denn dann da so drauf, wo ist dann der Unterschied zum normalen KTW, technisch und auch personell?

    Und wo ist die therapeutische Konsequenz für den RettSan, welche er nun durch das EKG erlangt hat gegenüber der alleinigen körperlichen Untersuchung und Anamnese ohne EKG?

  • Und wo ist die therapeutische Konsequenz für den RettSan, welche er nun durch das EKG erlangt hat gegenüber der alleinigen körperlichen Untersuchung und Anamnese ohne EKG?

    Die Konsequenz ist die Verdachtsdiagnose Herzinfarkt oder sonstige ernsthafte Erkrankung des Herzens und die sofortige Nachforderungen von RTW / NEF oder ein schneller Transport ins KH mit Sondersignal.

  • entweder ein NotSan oder Arzt am Telefon, oder ein NotSan oder Arzt (oder Gemeindeschwester) vor Ort.

    Also meine Definition von Untersuchung schließt aus, dass man das am Telefon macht, aber ok, dann kann ich deinen Gedankengang nachvollziehen.

    Dennoch verstehe ich nicht ganz, warum eine zusätzliche Diagnostikmöglichkeit nicht gut sein soll. Es sei denn, du denkst der Disponent entscheidet in 100% der Fälle richtig und schickt das korrekte Fahrzeug.

  • Natürlich. Wenn ich im EKG eine ST-Hebung sehe, die nicht bekannt ist, bei einem kardiologisch sonst gesunden Patienten, fordere ich selbtverständlich nach?

  • Natürlich. Wenn ich im EKG eine ST-Hebung sehe, die nicht bekannt ist, bei einem kardiologisch sonst gesunden Patienten, fordere ich selbtverständlich nach?

    Das Problem entsteht aber ja viel eher, wenn der RS eben keine Hebung sieht und sich auf dieser Grundlage entspannt zurücklehnt. Also eine falsche Sicherheit.

  • Das Problem entsteht aber ja viel eher, wenn der RS eben keine Hebung sieht und sich auf dieser Grundlage entspannt zurücklehnt. Also eine falsche Sicherheit.

    Maxi hatte gefragt, ob die Nachforderung allein aufgrund des EKGs stattfinden würde. Sprich in diesem Fall hätte man ohne EKG genauso wenig nachgefordert. Natürlich darf ein vermeintlich unauffälliges EKG nicht dazu führen, dass sonstige Auffälligkeiten und Befunde herabgestuft oder ignoriert werden, ich denke das ist selbstredend.

    Wenn jemand starke Brustschmerzen hat, der RS im EKG aber nichts sieht und den Pat. dann nicht mitnimmt, ist das schlecht.

  • oder Gemeindeschwester

    Da würde ich aufpassen. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass die aktuellen Ausbildungsbedingungen der Pflegefachmänner/-frauen (generalistische Ausbildung) nicht mehr dem entspricht, was man früher von einer typischen Gemeindeschwester erwarten konnte. Diese Kritik kommt übrigens vom Pflegepersonal selbst (die noch "richtigen" Krankenschwestern" und der Kinderkrankenpflege): Begründung ist, dass die vertiefte Ausbildung aufgrund der Befriedigung aller Teilbereiche zu oberflächlich geworden ist. Ich habe nun schon mehrmals in den letzten Monaten davon gehört, dass die Fachkenntnis trotz fortgeschrittender Ausbildung nicht mehr dem entspricht was man früher als normal verstand (da ging es speziell um Kenntnise in der Anatomie und Krankheitslehre). Das kann ich auch gut nachvollziehen, da ich Mitte der 1990ziger Jahre den Wandel noch miterleben durfte, was die periphere Venenpunktion und Blutentnahme betraff. Den examinierten Pflegekräften wurde dieses im Rahmen der pflegerischen Emanzipation verboten, während wir Pflegeschüler dieses offiziell noch lernen sollten (mussten, stand so in der APrVO damals noch drin) und dieses auch eingefordert hatten. Die Schule hat ggü. der Pflegedienstleitung entsprechenden Druck aufgebaut und die Schüler haben Blutentnahmen vollzogen, während es die examinierten Pflegekräfte dieses nicht mehr durften. Klingt komisch, war aber so. Also: Wenn Gemeindeschwester, dann aber mit Fachweiterbildung; z. B. Notfallpflege.

    Ich komme aus Ironien, das liegt am sarkastischen Meer.

  • Ich möchte die Frage auch mal gerne umdrehen: Ihr wollt also kein EKG auf N-KTW, RTW-B oder wie auch immer die Karre dann heißt? Was soll denn dann da so drauf, wo ist dann der Unterschied zum normalen KTW, technisch und auch personell?


    Ich glaube wir brauchen keine NKTW/ NTW. Wir brauchen KTWs zum Transport, auch ohne Transportschein (was in Berlin quasi die B RTW sind).

    Wobei die B RTW in Berlin eine Ausstattung wie ein RTW haben und die Ausstattung auch zur Diagnostik nutzen (können).

  • Notfallsanitäter und 12-Kanal-EKG-Interpretation ist in der breiten Masse auch nicht gerade ein Erfolgserlebnis. ;)

    Eben!

    Natürlich. Wenn ich im EKG eine ST-Hebung sehe, die nicht bekannt ist, bei einem kardiologisch sonst gesunden Patienten, fordere ich selbtverständlich nach?

    Und bei einem kardiologisch Vorerkrankten?


    EKG Interpretation bzw. Infarktdiagnostik ist nicht so trivial wie man denken könnte. Das ist auch nicht mal schnell mit einer Zusatzschulung erledigt. Man muss eben die dahinterstehende Physiologie bzw. Pathophysiologie verstanden haben und auch letztendlich therapeutische Konsequenzen aus der Interpretation ableiten können.

    Dein Beispiel des Erkenntnisgewinns ist leider keins: Eine relevante Myocardischämie wird mit erfragbaren Symptomen und ggf. veränderten Vitalparametern einhergehen. Um ein ACS in den Diagnosetrichter zu packen benötigt man kein EKG. Und ACS-Verdacht auf einem N-KTW heißt eben Kavallerie nachfordern. Nett wenn in der Zwischenzeit dann ein korrekt geklebtes 12er geschrieben wird - eine Konsequenz für den RS hat es allerdings keine.
    Manchmal bedeutet zu viel Technik auch zu viel Spielerei ohne Sinn und Verstand.


    Was weiter oben geschildert wurde, kann ich aus meinem Bereich übrigens bestätigen: Ein RS ist heutzutage pauschal nicht mehr ausreichend qualifiziert um als Transportführer Notfallpatienten adäquat einzuschätzen und eigenständig abzuarbeiten. Es gibt kompetente Ausnahmen, keine Frage, ist aber nicht die Masse. Daher sehe ich N-KTW Projekte, welche ungesichtete Patienten fahren, auch eher kritisch.

  • Grunsätzlich finde ich es schön, wie sich die Vorgesetzten und der Kreis vor die Besatzung stellen. Niemand von uns war vor Ort. Fakt ist aber, dass ein HI vorlag und hoffentlich wird intern gründlich aufgearbeitet, warum der Patient nicht transportiert wurde. Übrigens ein wunderbares Beispiel, warum auf einen (N)KTW auch ein EKG draufgehört.

    Ich habe mir jetzt mal den verlinkten Artikel komplett durchgelesen. Ich befürchte- sofern die Schilderungen zutreffend sind - dass das EKG im Fahrzeug geblieben wäre und genauso wenig zur Anwendung gekommen wäre. Ist leider eine Situation, welche ich mir sehr gut vorstellen kann.

    Initialer Fehler war das Nicht-Disponieren eines RTW. Abdominelle Schmerzen können als absolute Killerdiagnosen Ischämien, Hohlorganrupturen sowie Aortensyndrome als Ursache haben, für eine halbwegs ordentliche Risikostratifizierung ist ein KTW schlichtweg nicht ausreichend - von Analgesie will ich gar nicht mal anfangen. Der zweite Fehler war die der KTW Besatzung anscheinend keine Untersuchung zu tätigen. Wenn man halt Tag täglich nur Taxifahrten macht, kann man diesen Fixierungsfehler allerdings sogar nachvollziehen.

  • Eine sehr spannende Diskussion! Es ist richtig, dass es viele richtig fitte Rettungssanitäter gibt, die mit ihrer Erfahrung jeden frischgebackenen Notfallsanitäter in die Tasche stecken. Aber leider ist das keine Selbstverständlichkeit und aus dem Etikett "Rettungssanitäter" allein kann man keine Qualität ableiten.

    Was würdet ihr in diesem Zusammenhang davon halten, für Notfall-KTWs das Berufsbild des Notfallrettungssanitäters zu etablieren?

    Das wäre unterm Strich ein berufserfahrener Rettungssanitäter, der für internistische und chirurgische Notfallbilder weitergebildet wurde.

    Diese würden dann die gleiche Rolle wie ein Notfallsanitäter auf dem RTW einnehmen.

    Unterm Strich könnte man so denke ich 80% der RTW einsparen und der Notfallrettungssanitäter wäre für die meisten Notfallbilder verantwortlich.

    Was würdet ihr von so einer Ausbildung halten und hättet ihr Interesse daran, vielleicht selbst Notfallrettungssanitäter zu werden?

  • Wobei die B RTW in Berlin eine Ausstattung wie ein RTW haben und die Ausstattung auch zur Diagnostik nutzen (können).

    Noch nicht, aber ist das Ziel ja. Vermutlich werden die B-RTW auch leider in Berlin bald aussterben. Vergebene Chance IMHO.

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  • Drei Wochen Schulung waren das doch, oder so ähnlich, oder?


    Was ich davon halte: Nichts! Und den Namen finde ich auch scheiße. Bewusste Ähnlichkeit mit einem wirklichen NotSan? 😉


    Wenn man in Deutschland zukünftig drei verschiedene Patiententransportfahrzeuge und der Rettung haben möchte, muss man sich über eine adäquate Ausbildung des Transportführers im (N-)KTW Bereich unterhalten.


    Der Ausbildungsquickie zum Notfallrettungssanitäter ist auf jeden Fall nicht die Lösung.

    Es gab sogar mal eine Stufe über den RS und unter dem NotSan… Jehova!


    RS einjährig (gerne modular mit Kats Kompatibilität) = Besatzung KTW/Fahrer N-KTW


    RA zweijährig auf RS aufbauend = 3 Jahre = Fahrer RTW/NEF, Beifahrer N-KTW


    NotSan zwei Jahre auf RA aufbauend = meisteräquivalente Ausbildung = Beifahrer RTW und Spezialaufgaben.


    Drei Jahre bis zur RettAss Urkunde und fünf Jahre bzw. mind. 400 h bis zur NotSan Urkunde ist übrigens wichtig, wenn man dem RD-Personal ohne Hochschulzugangsberechtigung eine akademische Weiterqualifizierung ermöglichen möchte. Da gibt es nämlich Schlupflöcher.


    So, Ende meines Tagtraums. Zusammengefasst: Notfallrettungssanitäter ist Mist, adäquate Ausbildung zum Transportführer unter RTW-Niveau wäre toll.

  • RS einjährig (gerne modular mit Kats Kompatibilität) = Besatzung KTW/Fahrer N-KTW


    RA zweijährig auf RS aufbauend = 3 Jahre = Fahrer RTW/NEF, Beifahrer N-KTW

    Was soll denn ein N-KTW Beifahrer konkret können? Was soll ein N-KTW konkret leisten, was ein KTW nicht leisten kann, aber ein RTW zu viel für wäre?
    Und warum soll jemand eine einjährige Ausbildung machen, um dann im N-KTW zu assistieren? Was lernt man in einem Jahr?

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