Bilaterale Feldamputation nach Einklemmung in Mähdrescher bei Rostock

  • Der verlinkte Artikel ist interessant. Der Direktor der chirurgischen Uniklinik wurde mit OP-Schwester und Gefäßchirurgin eingeflogen und hat sich trotzdem noch einen Unfallchirurgen nachgefordert. Dreimal im OP übers Tuch schauen scheint vielleicht doch nicht die adäquate Vorbereitung für so eine Aktion zu sein…

  • Der verlinkte Artikel ist interessant. Der Direktor der chirurgischen Uniklinik wurde mit OP-Schwester und Gefäßchirurgin eingeflogen und hat sich trotzdem noch einen Unfallchirurgen nachgefordert. Dreimal im OP übers Tuch schauen scheint vielleicht doch nicht die adäquate Vorbereitung für so eine Aktion zu sein…

    Das liegt daran, dass diese (wie fast alle anderen) Chirurgen nicht für Feldchirurgie ausgebildet sind und das Mindset ein ganz anderes ist. Es wirde keine Guillotinenamputation, sondern eine definitive Versorgung angestrebt. Und wenn man Zeit hat, dann holt man sich eben die beste Expertise/Unterstützung dazu. Kennt man aus der Klinik nicht anders. Also den Kollegen nicht vorzuwerfen und in der dezidierten Situation vllt auch nicht verkehrt, aber eben Äpfel und Birnen.


    PS: Gefäßchirurgen dürften übrigens in Deutschland die mit den meisten Amputationen sein...

  • Ich kann mir nicht vorstellen, dass die da im Mähdrescher einen Stumpfverschluss gebastelt haben… Ich geb Dir ja Recht, dass die Technik weniger das Problem ist als das Mindset, aber Du sagst ja selber, dass die Chirurgen nicht in Feldchirurgie ausgebildet sind. Aber welcher Notarzt kann das von sich behaupten?

  • Aber welcher Notarzt kann das von sich behaupten?

    die alte Frage: kriegt der Patient, was grade opportun ist oder richten wir die Ausbildung nach den Notfällen aus?

    Under pressure, you don't rise to the occasion. You sink to your level of training.

  • die alte Frage: kriegt der Patient, was grade opportun ist oder richten wir die Ausbildung nach den Notfällen aus?

    Zynische Antwort: Deshalb waren in den 70er und 80er Jahren, der Ära der fiesen Verkehrsunfälle, die meisten Notärzte Chirurgen, in den 90er und Nuller-Jahren, angepasst an die dominanten Einsatzbilder, waren es Internisten und Anästhesisten, und in der näheren Zukunft werden es vielleicht primär Allgemeinmediziner sein. Zumindest dann, wenn wir die Ausbildung nach den „Notfällen“ ausrichten…

    ;)

  • Naja, wenn wir die Ausbildung nach den Patienten ausrichten, steht die Feldchirurgie eher nicht ganz oben auf dem Lehrplan, also bist Du eher für den Status quo in der Notarztausbildung? 😊

    Edit: Jörg war schneller…

  • Zynische Antwort: Deshalb waren in den 70er und 80er Jahren, der Ära der fiesen Verkehrsunfälle, die meisten Notärzte Chirurgen,

    ... um dann zu bemerken, dass diese Fachrichtung dabei überhaupt nicht weiterhilft. Ganz im Gegenteil.

    They say God doesn't close one door without opening another.

    Please, God, open that door. :oncoming_fist_light_skin_tone:

  • Klar, wir können auch weiter ärztlich gespritztes Urapidil als Königsdisziplin betrachten. Mir inzwischen fast egal, solange wir dann nicht behaupten, dass die ganze Welt neidisch auf unser Rettungsdienstsystem sei...

    Under pressure, you don't rise to the occasion. You sink to your level of training.

  • Klar, wir können auch weiter ärztlich gespritztes Urapidil als Königsdisziplin betrachten. Mir inzwischen fast egal, solange wir dann nicht behaupten, dass die ganze Welt neidisch auf unser Rettungsdienstsystem sei...

    Du kannst dich ja gerne für den einen Einsatz, der in 500.000 oder 1.000.000 Fällen eben ein Mal vorkommt, ausführlichst vorbereiten und dich 40 Jahre dafür fit halten. Dagegen ist ja nichts einzuwenden. Andere Staaten dürfen das auch sehr gerne von ihren Ärzten fordern. Auch dagegen ist nichts einzuwenden.


    Ich würde es im Gegenzug aber begrüßen, dass man anderen, die ihren Schwerpunkt nicht auf solche Notfälle, die nur jeden 20.000 Notfallmediziner überhaupt in seinem Leben einmalig treffen werden, legen, das bitte auch nicht zum Vorwurf macht und mangelnde Fähigkeiten unterstellt.


    Und ja, einen Knochen von seinem Weichteilmantel zu befreien und mit "irgendwas" zu durchtrennen, das traue ich mir tatsächlich zu, ohne dafür einmal im Jahr im Skillslab anzutreten, nachdem ich das nicht nur drei Mal über dem Tuch gesehen habe, sondern in 14 Jahren beinahe wöchentlich. Vor allem dann, wenn man kein einwandfreies OP-Ergebnis erwartet, sondern die schnelle Befreiung des Patienten im Vordergrund steht.

    die alte Frage: kriegt der Patient, was grade opportun ist oder richten wir die Ausbildung nach den Notfällen aus?

    Genau danach sollten wir die Ausbildung ausrichten: Nach den Notfällen, die auch mit einer gewissen Häufigkeit auftreten und nicht nach denen, die so selten sind, dass jedes Mal bundesweit darüber berichtet wird.

  • Zitat

    Ich würde es im Gegenzug aber begrüßen, dass man anderen, die ihren Schwerpunkt nicht auf solche Notfälle, die nur jeden 20.000 Notfallmediziner überhaupt in seinem Leben einmalig treffen werden, legen, das bitte auch nicht zum Vorwurf macht und mangelnde Fähigkeiten unterstellt.

    Zeig mir gerne, wo ich einen Vorwurf in diese Richtung formuliere, oder mangelnde Fähigkeiten unterstelle.

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  • Genau danach sollten wir die Ausbildung ausrichten: Nach den Notfällen, die auch mit einer gewissen Häufigkeit auftreten und nicht nach denen, die so selten sind, dass jedes Mal bundesweit darüber berichtet wird.

    Dass solche Ausnahmesituationen sicher nicht den Schwerpunkt der Aus- und Fortbildung darstellen sollen, ist glaube ich klar.

    Sie aber ganz auszublenden halte ich auch für falsch. Weil eine mentale Vorbereitung und einen Plan und durchaus mal ein Praxistraining für solche Situationen sollte man haben (das fängt bei der cannot-intubate-cannot-ventilate-Situation an und hört halt bei solchen Extremen auf). Und da helfen halt auch Tips von Kolleg:innen, die solche besch…. Fälle schon mal durchgemacht haben.

    Warum werden MANV Situationen und die dort entstandenen Probleme in Fortbildungen z.B. immer wieder vorgetragen?

    Weil auch wenn es unwahrscheinlich ist, es kann jeden von uns jeden Tag treffen (als RDler oder als Pat.).

    Und das erwarte ich von einem Notfallmediziner, dass er nicht nur den 08/15 Pat. abarbeitet (da braucht es nicht viel für), sondern eben auch für die wenigen Fälle dann einen Plan hat und das Beste gibt.

  • Eine Notamputation sollte jeder Arzt beherrschen, dh wissen wie es geht. Nicht weil es so oft vorkommt (da hat Hilope vollkommen recht), sondern weil es so simpel und alternativlos ist. Meine Meinung.. aber ich bin auch der Meinung, dass 50-70% der Notärzte nicht benötigt werden, bzw eigentlich nicht fürchten Job geeignet sind..

    Dem würde ich widersprechen. Es ist offenbar derart selten (geworden?), dass das notwendige Equipment aus der DIN geflogen ist. Denn Mitte der 2010er Jahre habe ich eine große Diskussion miterlebt, ob die Knochensäge wirklich in den neuen Beladeplan des NEF übernommen werden sollte. Damals war tatsächlich die Din gewälzt worden und sie musste mit. Wenn das inzwischen nicht mehr der Fall ist, ist es ein starkes Statement, dass eben nicht jeder (Not-) Arzt dies zwingend beherrschen können muss.


    Generell stimme ich deinem Omnipotenz-Anspruch, den du hier im Verlauf noch äußerst, nicht zu. Weder auf alle Kollegen, noch auf sich persönlich, bezogen. Es ist meiner Meinung nach schlicht unmöglich, dass eine einzelne Person das gesamte Spektrum der Notfallmedizin vollständig abbilden kann. Dazu ist der Umfang viel zu groß. Wenn man dies nun aber erwartet, führt das (mMn) zu der sehr gefährlichen Situation, dass Leute in die Position gedrängt werden, eigene Grenzen nicht zuzugeben oder gar zu verkennen. Diese zu kennen, zu kommunizieren und entsprechende Lösungen zu finden ist elementar für die Patientensicherheit. ich glaubte auch, dass das Mantra, jeder Arzt müsse alles können, weitgehend überwunden wäre.

    Land zwischen den Meeren,
    vor dem sich sogar die Bäume verneigen,
    du bist der wahre Grund,
    warum Kompassnadeln nach Norden zeigen!

  • Ich würde schon noch zwischen "alles können" und einer relativ anspruchslosen, heimwerkeresquen Maßnahme unterscheiden.

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  • Dem würde ich widersprechen. Es ist offenbar derart selten (geworden?), dass das notwendige Equipment aus der DIN geflogen ist. Denn Mitte der 2010er Jahre habe ich eine große Diskussion miterlebt, ob die Knochensäge wirklich in den neuen Beladeplan des NEF übernommen werden sollte. Damals war tatsächlich die Din gewälzt worden und sie musste mit. Wenn das inzwischen nicht mehr der Fall ist, ist es ein starkes Statement, dass eben nicht jeder (Not-) Arzt dies zwingend beherrschen können muss.


    Generell stimme ich deinem Omnipotenz-Anspruch, den du hier im Verlauf noch äußerst, nicht zu. Weder auf alle Kollegen, noch auf sich persönlich, bezogen. Es ist meiner Meinung nach schlicht unmöglich, dass eine einzelne Person das gesamte Spektrum der Notfallmedizin vollständig abbilden kann. Dazu ist der Umfang viel zu groß. Wenn man dies nun aber erwartet, führt das (mMn) zu der sehr gefährlichen Situation, dass Leute in die Position gedrängt werden, eigene Grenzen nicht zuzugeben oder gar zu verkennen. Diese zu kennen, zu kommunizieren und entsprechende Lösungen zu finden ist elementar für die Patientensicherheit. ich glaubte auch, dass das Mantra, jeder Arzt müsse alles können, weitgehend überwunden wäre.

    Gleiches Bild vor Augen, aber völlig anderer Ansatz. Natürlich muss (und kann) man nicht alles perfekt beherrschen. Aber darum geht es auch gar nicht. Was ich aber definitiv vom Notarzt erwarte ist, dass er a) den Alltag abarbeiten kann - und zwar mindestens auf dem Niveau eines NotSan, eigentlich sogar darüber - und das er b) die "in extremis" Situationen beherrscht, in dem der NotSan alleine nichte mehr weiter kommt, bzw. froh ist einen Notarzt an seiner Seite zu haben. Und das bezieht sich nicht nur auf komplexere medizinische Fragestellungen/Lagen, sondern eben auch auf sehr seltene, wenn aber alternativlose, invasive Skills. Und das kann eine Notarzt ganz sicher leisten. Vielleicht nicht in einem Nicht-Notfallfach mit 100% Stelle und alle 1-2 Monate mal nen Dienst und sonst kein Bezug zur Notfallmedizin, aber wenn man sich mit dem Thema beschäftigt und bereit ist etwas zu investieren (Zeit und Mentalkapazität), dann ist das durchaus leistbar.

  • Gleichzeitig erscheint es aber doch auch sinnvoll, für seltene (Extrem-)Situationen Strukturen zu etablieren, auf die man dann ggf. zurückgreifen kann, also z.B. die Option, sich Spezialisten (Neonatologie, Traumatologie, Chirurgie etc.) an eine Einsatzstelle bringen zu lassen, so wie das im vorliegenden Fall in Rostock passiert ist. Das muss ja keine 24/7/365-Vorhaltung mit Spezial-NEF (aka MIC) sein, aber vielleicht eine grundsätzliche Absprache mit entsprechenden Kiniken (Material- und Personalentsendung in den „Außendienst“ auf Anfrage der ILS) und logistische Vorplanung (Transportmittel/-organisation).
    Es muss ja nicht sein, dass man in der konkreten Einsatzsituation damit anfangen muss, Optionen zu erörtern, und es dem Zufall oder dem Improvisationstalent oder auch nur der Entscheidungsfreudigkeit des involvierten Personals überlassen bleibt, ob der Patient gerettet werden kann oder halt gut betreut stirbt.

  • Gleichzeitig erscheint es aber doch auch sinnvoll, für seltene (Extrem-)Situationen Strukturen zu etablieren, auf die man dann ggf. zurückgreifen kann, also z.B. die Option, sich Spezialisten (Neonatologie, Traumatologie, Chirurgie etc.) an eine Einsatzstelle bringen zu lassen, so wie das im vorliegenden Fall in Rostock passiert ist. Das muss ja keine 24/7/365-Vorhaltung mit Spezial-NEF (aka MIC) sein, aber vielleicht eine grundsätzliche Absprache mit entsprechenden Kiniken (Material- und Personalentsendung in den „Außendienst“ auf Anfrage der ILS) und logistische Vorplanung (Transportmittel/-organisation).
    Es muss ja nicht sein, dass man in der konkreten Einsatzsituation damit anfangen muss, Optionen zu erörtern, und es dem Zufall oder dem Improvisationstalent oder auch nur der Entscheidungsfreudigkeit des involvierten Personals überlassen bleibt, ob der Patient gerettet werden kann oder halt gut betreut stirbt.

    Absolut! Das ist die einzig sinnvoll umsetzbare Lösung. Allerdings leider auch immer nur lokal vor Ort abhängig von den Strukturen umsetzbar und sobald es personelle/strukturelle Veränderungen gibt, muss wieder nachjustiert werden. Da ist man beschäftigt. Trotzdem denke ich, wären das gut investierte Planstellen. Aber - das funktioniert halt nur, wenn auch Zeit dafür ist Sonderfunktionen zu alarmieren und diese zuzuführen. Nachts und am Wochenende wird kaum ein Spezialist in der Klinik sein, bzw. wenn er dort ist dieses verlassen können, dh es muss zudem ein Rufdienst hinterlegt sein. Wohnt der Spezialist aber, was gar nicht so selten ist, 50-100km weiter weg, dann wird das gerade bei zeitkritischen Maßnahmen schwierig. Und es gibt ja auch noch die Szenarien, wo man gar keine Zeit hat, sondern vor Ort sofort machen muss (zB der Eingeklemmte, der zunehmend eintrübt.)

  • Die Frage ist doch, von welchen Massnahmen reden wir da: eine Clamshell-(Not-)-Thorakomtomie sollte jedem NA problemlos vermittelbar sein, eine unschöne Notamputation (wenn zeitkritisch) geht auch mit Werkzeug der Feuerwehr, was bleibt denn dann noch? Notsectio bei Kreislaufstillstand der Schwangeren könnte ich mir noch vorstellen.

    Hier reden wir ja von absoluten ultima-ratio-Massnahmen. Alle nicht schön, aber entweder machen oder Pat. sicher tot.

    Deshalb auch Massnahmen, die sicher nicht jeder zur Routine erlernen kann aber (aufgrund fehlender Alternativen) trotzdem durchführen sollte. Deshalb mentale Vorbereitung und Erlernen soweit halt irgendwie möglich (Simulation, Tierpräparate, Leichen etc.). Weil wenn die Situation halt mal kommt, führt kein Weg dran vorbei (ausser der tote Pat.).

    Die o.g. Cannot-intubate-cannot-ventilate-Situation, eine Thoraxdrainge oder Perikardpunktion hingegen stellt für mich ein absolutes Muss für jeden NA dar. Weil das ist Grundhandwerkszeug und damit muss der Experte umgehen können und sich das auch zutrauen wenn’s mal soweit ist.

    Wenn ich die Zeit habe (wie im ursprünglichen Fall) mir entsprechende Experten an den Einsatz zu holen, „immer her damit“. Und da die Wahrscheinlichkeit eben fast dem Lottogewinn entsprechen dürfte, wird das immer improvisiert sein (KH abtelefonieren, Zubringer organisieren usw.).

  • Notsectio bei Kreislaufstillstand der Schwangeren könnte ich mir noch vorstellen.

    Konkret darüber habe ich mich erst vor ein paar Wochen mit einer erfahrenen Fachärztin und Universitätsprofessorin für Gynäkologie unterhalten, die auch als Freelancer-Notärztin tätig ist. Ich habe sie gefragt, ob sie das ggf. in Erwägung ziehen würde, und ihre Antwort war ein ganz klares Nein. Begründet hat sie das damit, dass es quasi überhaupt keine realistische Überlebenschance für das Ungeborene gebe und sie die Maßnahme daher als unethisch empfinde.

  • So pauschal?

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  • Konkret darüber habe ich mich erst vor ein paar Wochen mit einer erfahrenen Fachärztin und Universitätsprofessorin für Gynäkologie unterhalten, die auch als Freelancer-Notärztin tätig ist. Ich habe sie gefragt, ob sie das ggf. in Erwägung ziehen würde, und ihre Antwort war ein ganz klares Nein. Begründet hat sie das damit, dass es quasi überhaupt keine realistische Überlebenschance für das Ungeborene gebe und sie die Maßnahme daher als unethisch empfinde.

    meines Wissens geht es da ja nicht (nur) um das Überleben des Ungeborenen, sondern um die einzige Überlebenschance von Mutter und Kind (als „reversible Ursache“). Eben auch hier: „ultima ratio“… innerklinisch wäre die Blitzsectio ja auch das Mittel der Wahl.