Bilaterale Feldamputation nach Einklemmung in Mähdrescher bei Rostock

  • Das ist doch die spannende Frage. Was erwarten wir, und was muss in Ausstattung und Ausbildung entsprechend angepasst werden?
    Für die arztbesetzten RTH in UK sind Not-Amputationen definitiv Teil des Skillsets, des Materials, der SOPs und der Erwartungshaltung.

    Dass die Besatzung eines Hubschraubers, der v.a. bzw. explizit bei Traumata eingesetzt wird, gute chirurgische Skills drauf haben sollte, würde ich als selbstverständlich ansehen.


    In dieser Präsentation wird im Bereich des Rettungsdienstes Halle/ Saalkreis von EINEM Fall berichtet, der sich in 23 Jahren bei knapp 1,5 Millionen Einsätzen ereignet hat, wo man präklinisch amputieren musste. Ich kenne die Begebenheiten der Region nicht, aber wahrscheinlich sind sie auf Deutschland grob übertragbar.


    Bei der weiteren Suche zur Häufigkeit von präklinischen Amputationen stößt man immer wieder auf die Umfrage von Kampen KE et al (In-field extremity amputation: prevalence and protocols in emergency medical services - PubMed (nih.gov)), bei denen Krankenhäuser nordamerikanischer Metropolen befragt wurden. Über einen Zeitraum von 5 Jahren wurden dort 26 Amputationen gemeldet, wobei diese mehrheitlich durch Verkehrsunfälle verursacht wurden. Beachten dabei werden muss, dass die Zahlen nicht aus Deutschland stammen, bald über 30 Jahre alt sind und sich gerade im Verkehrsbereich sehr viel bzgl. Sicherheit getan hat. Daher sind diese für Deutschland heute sicher nicht 1:1 übertragbar.

    Ansonsten gibt es hier noch einen Artikel (Prehospital amputation | Emergency Medicine Journal (bmj.com)), auf den kann ich aber leider nicht zugreifen.


    Wenn ich mir überlege, dass ich in meinem ganzen Leben keine 1,5 Millionen Einsätze zusammen bekommen werde, selbst ein Zehntel davon erreiche ich nicht, vielleicht gerade so ein Zwanzigstel, wenn ich jeden Monat 150 Einsätze zusammen bekommen würde (äußerst unwahrscheinlich), dann muss ich ernsthaft abwägen, eine Methode zu erlernen und zu trainieren, darauf meine sehr, sehr knappe Zeit zu verwenden, die ich zu 99,999999x Prozent nicht werde einsetzen können. Da lege ich meinen Fokus dann doch auf seltene Dinge, die dennoch deutlich häufiger vorkommen, wie zum Beispiel Geburten.


    Im Fall der Fälle würde ich mir als Anästhesist, tätig in einem Krankenhaus mit gut ausgelasteter Gefäßchirurgie, eine Amputation dann auch ohne vorheriges Üben zutrauen ;)

  • @Ich bin auch nicht überzeugt davon, dass im aktuellen Notarzt-System es sinnvoll wäre, jeden zu befähigen. Auf der anderen Seite ist die Not-Amputation vermutlich verhältnismäßig einfach zu erlernen.

    Wichtig wäre mir nur, dass wir endlich mal definieren, was denn der Kompetenzrahmen ist, den wir erwarten.

    Under pressure, you don't rise to the occasion. You sink to your level of training.

  • Da kann ich gerne helfen: dies zumindest erwarte ich nicht von präklinischem Personal.

    danke, ein guter Anfang wenn jemand endlich mutig Position bezieht!


    wenn das jetzt noch wenigstens Bundesland-einheitlich geregelt wäre…

    Under pressure, you don't rise to the occasion. You sink to your level of training.

  • Eine Notamputation sollte jeder Arzt beherrschen, dh wissen wie es geht. Nicht weil es so oft vorkommt (da hat Hilope vollkommen recht), sondern weil es so simpel und alternativlos ist. Meine Meinung.. aber ich bin auch der Meinung, dass 50-70% der Notärzte nicht benötigt werden, bzw eigentlich nicht fürchten Job geeignet sind..


    Bzgl Ethik. Welche Frage stellt sich denn da bitte? Wenn ich den Patienten absehbar nicht retten kann (zB Pat bereits im Kreislaufstillstand), dann fehlt die medizinische Indikation. Gibt es aber eine Chance ihn zu retten, dann steht die Indikation, weil alternativlos und nicht zu handeln würde Tod durch Unterlassung bedeuten. Und die Sorge davor, dass der Patient im Verlauf noch sterben könnte.. dann darf ich keine septischen Patienten mehr behandeln, keine SHTs, keine respiratorische Insuffizienz intubieren, etc. Klingt jetzt auch nicht sinnvoll.. dh ich verstehe die Sorge nicht. Ist wie eine Koniotomie. Tut man es nicht, ist der Patient definitiv tot. Ansonsten hat die Indikation nicht gestimmt...

  • Mir war so, dass ein chirurgisches Set und eine Knochensäge Teil der DIN fürs NEF waren, zumindest zu meiner RettAss/NotSan Zeit. Hat sich das geändert?

    Land zwischen den Meeren,
    vor dem sich sogar die Bäume verneigen,
    du bist der wahre Grund,
    warum Kompassnadeln nach Norden zeigen!

  • Zu Beginn meiner Ausbildungszeit waren in der Tat auch noch chirurgisches Besteck (inkl. Säge und Messer), sowie einem eigenen Koffer dazu ("chirurgisches Besteck") auf jedem RTW zu finden. Auch zentrale Venenkatheter. Heute ist noch etwas Material auf dem RTW, womit Amputate versorgt werden können. Wenn man diese jedoch zuvor "ab machen" muss, dafür fehlt es dann jedoch. Meiner Meinung nach ist es auch in Ordnung, dass das NEF das mit bringt. Das schont Ressourcen. Gefühlt braucht man sowie so immer weniger Dinge auf einem RTW. Gut, die letzten Wochen hatte ich wieder mehrere kranke Menschen. Die Monate davor brauchte ich selbst den Notfallrucksack in den meisten Fällen der Einsätze nicht, obwohl ich immer mehr Einsätze fahre im Vergleich zu früher (da waren 3-4 Einsätze in 24 Stunden normal, heute sind es 10-14 in 24 Stunden).

    Ich komme aus Ironien, das liegt am sarkastischen Meer.

  • Mir war so, dass ein chirurgisches Set und eine Knochensäge Teil der DIN fürs NEF waren, zumindest zu meiner RettAss/NotSan Zeit. Hat sich das geändert?

    Also in der aktuellen DIN für NEFs (DIN 75079:2009) sind als Spezialequipment lediglich Notgeburt-Set und Thoraxdrainage-Set aufgeführt. Chirurgisches Besteck ist hier schon Fehlanzeige, geschweige denn ein komplettes Amputations-Set

  • IChirurgisches Besteck RTW MT-CD orange

    Im Handel erhältlich; umfasst: Pneumothorax-Besteck, Set zur Abnabelung, Set zur Naht- und Wundversorgung, Koniotomie-Besteck, Venenkatheter, Kanülen, Spritzen, Skalpelle, Nahtmaterial. Die Verbandstoffe sind einzeln steril verpackt. Die chirurgischen Instrumente sind übersichtlich in entsprechend gekennzeichneten Sterilhüllen mit Steckschlaufen untergebracht: Chirurgisches Notfallbesteck und Notamputation. Für die Sterilisation liegen Klarsichtfaltenbeutel bereits bei. Optional kann ein Koniotomie-Besteck für Kinder hinzugefügt werden. Der Platz hierfür ist ausreichend.


    Meiner Erinnerung nach war das in den 70-er- und 80-er-jahren noch Bestandteil der damaligen DIN.

    Für wichtig hielt man noch die Instrumente für eine Veane sectio und die Punktion grosser Körperhöhlen.

    raphael-wiesbaden


    Artikel 1
    (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.


    Selig sind die geistig Armen - nur: kann der Himmel die ganzen Seligen auch wirklich aufnehmen ?

  • Ich habe gerade mal in der Bestückungsliste unserer NEF nachgeschaut.

    Ich kann ein 11er Skalpell und einen Bolzenschneider anbieten, ggf. noch ein Brecheisen.

    Und mehrere Tourniquet.

    Auf der anderen Seite ist der Maximalversorger nicht weit weg, also im Zweifel ähnliche Nummer. Ein Fahrzeug der Werkfeuerwehr der Uniklinik bringt das Team mit Material zur Einsatzstelle.

  • Eine Notamputation sollte jeder Arzt beherrschen, dh wissen wie es geht. Nicht weil es so oft vorkommt (da hat Hilope vollkommen recht), sondern weil es so simpel und alternativlos ist. Meine Meinung.. aber ich bin auch der Meinung, dass 50-70% der Notärzte nicht benötigt werden, bzw eigentlich nicht fürchten Job geeignet sind..


    Bzgl Ethik. Welche Frage stellt sich denn da bitte? Wenn ich den Patienten absehbar nicht retten kann (zB Pat bereits im Kreislaufstillstand), dann fehlt die medizinische Indikation. Gibt es aber eine Chance ihn zu retten, dann steht die Indikation, weil alternativlos und nicht zu handeln würde Tod durch Unterlassung bedeuten. Und die Sorge davor, dass der Patient im Verlauf noch sterben könnte.. dann darf ich keine septischen Patienten mehr behandeln, keine SHTs, keine respiratorische Insuffizienz intubieren, etc. Klingt jetzt auch nicht sinnvoll.. dh ich verstehe die Sorge nicht. Ist wie eine Koniotomie. Tut man es nicht, ist der Patient definitiv tot. Ansonsten hat die Indikation nicht gestimmt...

    Siehst du, da tue ich mich schon schwer mit dem Wort "beherrschen". Ein Internist ist nicht so oft im OP und daher könnten seine praktischen Skills in diesem Falle doch etwas mager sein. Ein Anästhesist kann immerhin ab und an das Sudoku auf Seite legen und über das Tuch schauen um so zumindest theoretisches Wissen zu erhalten.

    Ganz so einfach ist es dann vielleicht doch nicht...


    Und ich persönlich meinte mit ethischen Aspekten, dass dies für alle Beteiligten inkl. Patienten auch psychisch hart an die Substanz gehen dürfte. Und damit muss man mMn nicht nur rechnen, sondern es auch entsprechend einkalkulieren. Alleine der Arbeitsort - auf einem Podest mit wenig Platz, Blech im Weg, scharfe Kanten und bestenfalls Teilsteril - dürfte nicht zum Wohlgefühl aller beitragen.

  • Christoph 29 hat mal vor ein paar Jahren mittels Rettungssäge der Feuerwehr beidseitig Unterschenkel amputiert.

    Alle getätigten Aussagen stellen meine private Meinung dar und stehen in keinem Zusammenhang mit meiner beruflichen Tätigkeit.

  • Siehst du, da tue ich mich schon schwer mit dem Wort "beherrschen". Ein Internist ist nicht so oft im OP und daher könnten seine praktischen Skills in diesem Falle doch etwas mager sein. Ein Anästhesist kann immerhin ab und an das Sudoku auf Seite legen und über das Tuch schauen um so zumindest theoretisches Wissen zu erhalten.

    Ganz so einfach ist es dann vielleicht doch nicht...


    Und ich persönlich meinte mit ethischen Aspekten, dass dies für alle Beteiligten inkl. Patienten auch psychisch hart an die Substanz gehen dürfte. Und damit muss man mMn nicht nur rechnen, sondern es auch entsprechend einkalkulieren. Alleine der Arbeitsort - auf einem Podest mit wenig Platz, Blech im Weg, scharfe Kanten und bestenfalls Teilsteril - dürfte nicht zum Wohlgefühl aller beitragen.

    Ist mir egal was ein Internist kann oder ein Anästhesist oder ein Chirurg. Wenn er als Notarzt unterwegs ist, dann bewerte ich ihn als Notarzt. Und wie er dafür sorgt als Notarzt fit zu sein ist mir egal, denn eins ist sicher, die Patienten haben es sich nicht ausgesucht, wir uns unseren Job aber schon. Das das herausfordernd sein kann ist klar, aber das ist es eigentlich in jedem Job.


    Bzgl. psychische bzw mentale Auswirkungen auf die Beteiligten - ja, sicher, sowas kann jemanden traumatisieren. Und das sollte man sicherlich nicht leichtfertig tun, aber es sollte auch klar sein, dass das eben zum Job gehört - Berufsrisiko kranke und schwer verletzte Menschen zu sehen ubd zu behandeln. Und die Negativquote, dh. Patienten die nicht überleben dürfte bei Clamshell zB deutlich höher sei, was ein relevanter Faktor für PTBS und Co ist. Wie übrigens auch der Faktor ohnmächtig daneben zu stehen und nichts zu tun, dh den Patienten sterben zu lassen. In meinen Augen aber eher eine medizinische Abwägung. Denn wie oben schon gesagt, der Patient hat zwar angefangen, aber wir sind freiwillig gekommen, als er gerufen hat. Wer das Risiko nicht eingehen will - was ich verstehen kann - der muss halt nen anderen Job machen.


    Was die Sterilität angeht, vollkommen egal. Das bekommt man präklinisch eh nicht steril hin und muss im OP debrediert und im Zweifel nachgekürzt werden um einen vernünftigen, dh funktionalen Stumpf zu schaffen. Breitbandantibiotikum so früh wie möglich, Versorgung, bzw Verschluss Zweiteitig. Alles etablierte Verfahren aus der Kriegsmedizin.

  • Ist mir egal was ein Internist kann oder ein Anästhesist oder ein Chirurg. Wenn er als Notarzt unterwegs ist, dann bewerte ich ihn als Notarzt. Und wie er dafür sorgt als Notarzt fit zu sein ist mir egal, denn eins ist sicher, die Patienten haben es sich nicht ausgesucht, wir uns unseren Job aber schon. Das das herausfordernd sein kann ist klar, aber das ist es eigentlich in jedem Job.

    Bin bei dir. Aber in dem Job isses halt in der Konsequenz viel dramatischer, wenn das Personal grad nicht so auf der Höhe ist.

    Deshalb finde ich es gerade im Rettungsdienst ganz essenziell, sich regelmäßig zu fragen: Bin ich auch unausgeschlafen und genervt trotzdem in der Lage, eine gefährliche Situation zu erkennen und dann auf "Vollgas" umzuschalten? Und ist mein persönliches "Vollgas" zeitgemäß?


    Zitat

    Wie übrigens auch der Faktor ohnmächtig daneben zu stehen und nichts zu tun,

    Halte ich für den viel schwerer wiegenden Faktor. Denn hier stellt sich ganz zwangsläufig die Frage nach dem Versagen.

    They say God doesn't close one door without opening another.

    Please, God, open that door. :oncoming_fist_light_skin_tone:

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