„Wir sollten den Akademisierungswahn stoppen“

  • http://m.faz.net/aktuell/polit…ahn-stoppen-12554497.html


    Zitat

    Julian Nida-Rümelin, Philosoph mit SPD-Parteibuch, spricht über fehlenden Respekt vor Azubis, schwache Studenten und die gescheiterte Studienreform.

    "We are the Pilgrims, master; we shall go
    Always a little further: it may be
    Beyond that last blue mountain barred with snow,
    Across that angry or that glimmering sea,


    White on a throne or guarded in a cave
    There lives a prophet who can understand
    Why men were born: but surely we are brave,
    Who take the Golden Road to Samarkand."


    James Elroy Flecker

  • Volle Zustimmung.


    Zitat

    1977 haben die Kultusminister einstimmig beschlossen, die Überfüllung der Hochschulen hinzunehmen. Sie wollten den Studentenberg untertunneln. Die Professoren haben ihrerseits darauf reagiert und den Betreuungsaufwand minimiert. Sie haben die Studenten nicht an die Hand genommen, bei Seminaren mit hundert Teilnehmern ist das auch nicht möglich - und so merkten viele erst im zehnten Semester: „Mensch, das kann ich ja gar nicht.“


    Das Katastophale daran ist ja, dass man jungen Menschen auf diese Weise Jahre ihres Lebens klaut. Witzigerweise stemmen sich in Hamburg gerade SPD und Gewerkschaften gegen Fristenlösungen, die in der Vergangenheit dafür sorgten, in der Studieneingangsphase (bei uns konkret: nach 4 Semestern Studieum die Leistungen des ersten Studienjahres) diejenigen zu filtern, die nicht in der Lage waren die geforderten Leistungen zu bringen. Statt dessen wird das HmbHG derzeit geändert in eine Formulierung, dass Studierende zu exmatrikulieren sind, die das Doppelte der Regelstudienzeit + 2 Semester überschritten haben. Klar gesprochen: Wer einen dreijährigen Bachelorstudiengang beginnt, fliegt nach 7 Jahren von der Uni, wenn er bis dahin keinen Abschluss hat. Das ist eine wahnsinnig lange Zeit, die man Studis mit offensichtlich falscher Fachwahl alleine lässt. Wer Studierende derart lange in dem (aus welchen Gründen auch immer: falschen) Glauben lässt, sie könnten tatsächlich den Abschluss erreichen, hat eigentlich das Recht verwirkt, sie dann noch rauszuschmeißen.


    Zu dieser Auffassung gibt es natürlich eine Gegenmeinung, welche Vertretern meiner Theorie Paternalismus vorwirft und mit den Idealen von Humboldt wedelt. Abgesehen davon, dass ich Humboldt für überstrapaziert und fehlinterpretiert halte: Meine Beratungspraxis aus einem Bachelorstudiengang mit einem NC zwischen 2,7 und 2,4 und rund 800 Erstsemestlern pro Jahr zeigt deutlich, dass Studierende nicht zwangsläufig so bewusst und selbstbestimmt studieren, wie es Vertreter des AStA gerne idealtypisch vermitteln. Überspitzt formuliert: die Masse der Studierenden mag Regeln, weil diese Sicherheit geben. Und eine Minderheit mag sie nicht, diese Minderheit besetzt aber typischerweise die Posten der studentischen Selbstverwaltung. Die Masse studiert schließlich auf den Abschluss innerhalb der Regelstudienzeit hin und hat daher keine Zeit für die Selbstverwaltung, dort bündeln sich dann vor allem die Kritiker und Weltverbesserer. Das führt zu interessanten Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

  • Überspitzt formuliert: die Masse der Studierenden mag Regeln, weil diese Sicherheit geben.


    Ganz allgemein und weg vom Thema hier kann man sogar sagen: Menschen mögen Regeln, weil diese Sicherheit geben. Es minimiert Entscheidungskonflikte, fordert keine Ambiguitätstoleranz, ist schlicht und einfach bequem und schützt vor Rechtfertigungsdruck. Ich bin in der Personalführung immer gut damit gefahren, Regeln, Entscheidungsgrundsätze und Handlungskorridore aufzustellen. Und auch im Rettungsdienst ist das ja keine unbekannte Baustelle: die schlafwandlerische Sicherheit, mit der Reanimationen durchgeführt werden, fußt ja gerade darauf, dass die Regeln und Abläufe allen Beteiligten klar sind. Und so ist auch der Unmut in manchen Falldarstellungen gut erklärbar, wenn ein Notarzt "dazwischenfunkt", sprich: sich nicht an die aufgestellten Regeln hält, das Abweichen von den Regeln nicht kommuniziert (der eigentliche Führungsfehler) und damit in die Abläufe des restlichen Teams aus dem Takt bringt.

  • Interessantes Interview und viele der genannten Punkte teile ich genau so und würde sie glatt unterschreiben. Dank für den Link.
    Was allerdings dieser Beitrag an dieser Stelle dieses Forums zu suchen hat, ist mir dann doch nicht so ganz klar...?

  • Interessantes Interview und viele der genannten Punkte teile ich genau so und würde sie glatt unterschreiben. Dank für den Link.
    Was allerdings dieser Beitrag an dieser Stelle dieses Forums zu suchen hat, ist mir dann doch nicht so ganz klar...?


    Weil es m.M. nach ein lesenswerter (und nachdenklich stimmender) Beitrag ist, wenn man aus berufspolitischer Sich über eine eventuelle Akademisierung von Ausbildungsberufen nachdenkt, bzw. diese mit Hinweis auf Gegebenheiten in anderen Ländern fordert.

    "We are the Pilgrims, master; we shall go
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    James Elroy Flecker

  • Hmm... Der Artikel taugt meiner Meinung nach kaum als Kommentar zur momentanen berufspolitischen Diskussion. Dazu werden auch viel zu viele Nebenschauplätze eröffnet.
    Inhaltlich wird da vermutlich niemand widersprechen. Ja, die Abwertung der Ausbildungsberufe ist gesellschaftlich hoch bedenklich, allerdings ist daran nicht nur der Bologna-Prozess schuld, sondern gesamtgesellschaftliche Prozesse.
    Nicht umsonst heisst es zum Ende auch:

    Zitat

    "Gleicher Respekt vor allen Talenten. Jede Begabung ist gleichwertig, eine Elektrotechnikerin verdient die gleiche Anerkennung wie ein Professor oder ein Manager oder eine Erzieherin."


    Davon sind wir in Deutschland Lichtjahre entfernt. Das Thema Gehalt wird gleich danach ja auch angesprochen.


    Mir fehlen da die konkreten Ansatzpunkte für eine Diskussion bezogen auf die Verhältnisse im Rettungsdienst. Darüber können wir aber trotzdem gerne reden ;)


    Ciao,


    Madde

    "You won't like me when I'm angry.


    Because I always back up my rage with facts and documented sources."



    The Credible Hulk.

  • Quasi als Punkt gegen einen Studiengang Notfallsanitäter oder Ähnliches?


    Ich fand den Artikel heute im Flieger auch sehr gut, allerdings zwei Punkte:


    - Ich habe manchmal das Gefühl das man gerne das Studium als elitäre Abgrenzung haben möchte.
    - Ich glaube, grade in der präklinischen Notfallmedizin wäre ein Studium angebracht. Dazu eine kleine Ausführung:



    Regionale Unterschiede mal ein wenig außen vor.


    Oma Kasupke ruft die 112. Ein RTW wird entsannt. Viel teures Gerät und viele viele Medikamente fahren spazieren. Offiziell genutzt darf davon der Verband, die Trage und die Blutdruckmanschette. Das kriegt man auch in einen Viano unter. Nun braucht Oma Kasupke aber doch mehr, als einen Ersthelfer mit Muckis, und so wird der Arzt gerufen. Dieser kommt im Viano an, und bringt NOCHMAL das gesamte Material mit, PLUS noch mehr.


    Wenn es übrigens ganz dringend ist, dann darf der Ersthelfer mit Muckis ein bisschen was aus dem teuren Kasten vor der Tür anwenden, ohne das der Arzt da ist, aber nur wenn der auf dem Weg ist, und wirklich nicht pünktlich kommt. Jetzt behaupten verschiedene Leute, das sei ein komisches Konstrukt. Der Arzt ist wertvoll, aber sollte 1. nicht zu jedem Quatsch wo man mehr als die Mullbinde braucht kommen müssen, und 2. sollte die Handlungsfähigkeit des Ersthelfers ausgebaut werden damit dieser sicher(er?) agiert. Und irgendwie auch Quatsch so viel mitzuschleppen, wenn es eh nicht benutzt werden darf?


    In meinen Augen:
    Entweder der Ersthelfer kriegt eine vernünftige Ausbildung / Studium an die Hand, und ein paar Mittel um Patienten zu helfen (das Konzept, das ein Blaulichtauto ankommt, aber keine Hilfe mitbringt ist wirr), oder man streicht die Ausbildung ein, streicht das Material vom Fahrzeug ab, und setzt deutlich mehr Ärzte ein.


    Der Mittelweg der für mich gefühlt in De gegangen wird, ist zu lasten des Patienten.


    Wenn wir Krankenwagenfahrer wollen, dann brauchen wir mehr NA, die schneller vor Ort sind. Ich als Patient habe nix von tollen Hilfsfristen, wenn nach eintreffen des RTW NIX sinnvolles passiert was mir akut weiterhilft (Werte Sammeln, Chipkarte suchen).


    Es mag ein wenig polemisch geschrieben worden sein, aber ich möchte damit ausdrücken das man entweder das "nicht-Arzt" Personal besser macht, oder mehr Ärzte ranholt. Nach letzterem sieht es nicht aus aktuell.
    Was ich hiermit NICHT anzetteln möchte ist eine weitere Runde Grabenkrieg. Aber man muss über Themen reden können, ohne das der Vorwurf gleich kommt. :flag_of_truce:

    Under pressure, you don't rise to the occasion. You sink to your level of training.


  • Mir fehlen da die konkreten Ansatzpunkte für eine Diskussion bezogen auf die Verhältnisse im Rettungsdienst



    Quasi als Punkt gegen einen Studiengang Notfallsanitäter oder Ähnliches?


    Mir ging es beim Einstellen dieses Links weder um ein "Pro" noch ein "Kontra" sondern darum, dass ein reflexhaftes Rufen nach einer Akademisierung irgendeines Berufes nicht notwendigerweise zielführend ist, da dies nicht mit einer (echten) Verbesserung einhergehen muss.


    M.M. nach gibt der Artikel einige Denkanstösse zur "Akademisierung" bzw. zu Ausbildungsberufen, über die, zumindest meinem Eindruck nach, in (berufs)politischen Diskussionen, egal um welchen Beruf oder um welches Fachgebiet es sich handelt, nicht (oder zumindest nicht öffentlich) nachgedacht und diskutiert wird. Zudem zeigt der Artikel m.M. nach, dass diese Diskussion nicht auf ein einzelnes Berufsbild begrenzt betrachtet werden kann, sondern auch eine gesamtgesellschaftliche Dimension hat, die auch bedacht sein will.

    "We are the Pilgrims, master; we shall go
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    James Elroy Flecker

  • Weil es m.M. nach ein lesenswerter (und nachdenklich stimmender) Beitrag ist, wenn man aus berufspolitischer Sich über eine eventuelle Akademisierung von Ausbildungsberufen nachdenkt, bzw. diese mit Hinweis auf Gegebenheiten in anderen Ländern fordert.


    Wie gesagt, danke sehr, ich finde auch - sehr interessant. Aber ansonsten sehe ich das wie Madde, eigentlich fehlt dennoch der direkte Bezug zum rettungsdienstlichen Bereich. Ich finde sogar, dass gerade hier noch am ehesten eine klare Trennung bei gleichzeitiger Wertschätzung der nichtakademischen gegenüber akademischen Berufsgruppen vorliegt. Abgesehen vom Gehalt, aber da nimmt sich ein durchschnittlicher Krankenhausnotarzt ja z.B. nach Steuern und Pipapo auch nicht viel gegenüber dem Rettungsassistenten. Es ist eben alles im weitesten Sinne ein Teil des Arbeitsumfeldes der "sozialen Berufsgruppen". Hier liegt ohnehin eine finanziell unterdurchschnittliche Vergütung der geleisteten (überlebens)wichtigen Arbeit vor. Mit der Akademisierung hat das für mich aber höchstens ganz am Rande eine ganz kleine Schnittmenge. Kurzum, gerade der >Rettungsdienst funktioniert doch nach den alten Strukturen - viele viele Nichtakademiker und dann eben die akademischen Ärzte, Wissenschaftler, Spezialisten, Planer etc. als Zusatz bei speziellen Fragestellungen und weiterer Hintergrundarbeit. Genau dieses System sollte ja laut dem Interview eher wieder weiter im Vordergrund stehen. Ein Rettungsdienst kann halt nicht mit lauter Studierten funktionieren in der Realität. Und dass die Wertschätzung fehlen würde, das sehe ich, mit Verlaub gesagt, im Alltag nicht. Eher Über-/Unterforderungssituationen und mangelnde Selbsteinschätzung bei Einzelnen und daraus dann oft Unzufriedenheit im Job.

  • Zitat

    Der Mittelweg der für mich gefühlt in De gegangen wird, ist zu lasten des Patienten.


    Finde ich nicht. Nebenbei würde ich in einigen Fällen lieber einen Patienten vor einem akademischen Kontakt schützen. Beispiel: nicht jedes Kind das schreit braucht einen unerfahrenen Notarzt, der Kraft seines Amtes natürlich erstmal anfängt wild im Arm und sonstwo herumzupieksen. Der erfahrene MENSCH, egal ob ärztlich oder nicht, wirkt da meist Wunder. Eine "Akademisierung" braucht es da schon gleich gar nicht. Entweder ich brauche einen Arzt oder nicht. Einen halbwissenden Akademiker brauch ich nicht auch noch dazwischen zu schieben. Was hilfreich ist, das sind gut ausgebildete Leitstellenmuckel, die genau die richtigen Fragen stellen und richtig disponieren.
    Und zurück zur Oma Kasupke. Was ist falsch daran, Werte zu sammeln und andere wichtige Dinge für die Weiterbehandlung vorzubereiten? Ganz ehrlich, es kommt vor, aber die meisten -und ich denke da je nach Rettungsdienstbereich- eher so an 90% der Einsätze für RTWs ohne primäre Notarztalarmierung, sind doch eher ganz ohne Materialaufwand und v.a. ohne invasive Maßnahmen handlebar. Für den Rest gilt aber, dass sich Situationen verändern und Missverständnisse schon am Telefon möglich sind. Auch heute ist Hauptaufgabe eines RTWs, wie auch schon der Name sagt, der Transport von Patienten nach Rettung. Eine Behandlung ist eine primär mal ärztliche Tätigkeit und soll lediglich einen Zeitvorteil für die Weiterbehandlung, ein initiales Überleben und die Transportfähigkeit sowie -seien wir mal ehrlich- einen Komfortvorteil sichern. Unser System funktioniert, ist eingespielt und ich sehe keinen Grund für mehr Akademisierung. Eine Rettungswagenbesatzung sollte die nötigen Alarmzeichen nicht verkennen, die richtigen Maßnahmen ergreifen können, um das Leben und die Gesundheit eines Patienten nicht akut zu gefährden, sowie ihre eigene Leistungsfähigkeit richtig einschätzen, schnell genug weitere Hilfe nachfordern. Insgesamt brauchen wir hier praktisch begabte Menschen, nicht Theoretiker, die leider bei einem Studium nur zu oft herauskommen. Und: bezahlbar sollte es auch noch sein. Den Akademiker will ich sehen, der (außer uns Ärzten natürlich) auf höheres Gehalt verzichtet oder verzichten muss, nur um weiter arbeiten zu dürfen.... bei gleichzeitig gestiegenen Beiträgen, gesunkenen Rentenansprüchen, x Vesicherungen, Arbeit in sozialen Risikogebieten und rechtlichen Grauzonen mit Entscheidungen über Tod oder Leben, Stress und psychischer Belastung und und und. Da wird ein neuer Akademiker, der alles halb und nichts ganz beherrscht eher eine neue Hürde denn eine Hilfe. Da würde ich lieber für eine angemessene Bezahlung der bestehenden Mitarbeiter sorgen, dann kann man auch dem Anspruch gerecht werden, unter den dann anzunehmend höheren Bewerberzahlen, nur noch potentiell besser persönlich Geeignete im Einsatz zuzulassen. Also eine Art "Elitisierung" fände ich sinnvoller. (Und das wiederum würde ich in vielen Berufsgruppen so sehen.)

  • Der Blick über den Tellerrand zeigt mir zwei Dinge:


    zum einen Menschen aus dem (europäischen) Ausland mit einem universitären Abschluss (!) in einem Handwerksberuf, die aber noch nie in einer Werkstatt gestanden haben und -polemisch formuliert- eine Zange nicht von einem Hammer unterscheiden können.
    Die Ausbildungsfähigkeiten von Betrieben (und damit meine ich nicht den Friseursalon mit einer Meisterin, zwei Gesellinnen und jährlich neuen Azubinen, der mit dem Gesellenbrief zum Haare fegen endet) wurden und werden unterschätzt.
    Passiert das, weil sich Menschen höher stellen möchten, die sich zur "geistigen Elite" zählen ?-(


    Im nahen Berufsfeld der Krankenpflege gibt es seit gut zwanzig Jahren die Betrebungen zur Akademisierung der Pflege.
    Da werden also Menschen universitär geschult, die in der Realität noch nie einen Decubitus gesehen haben etc.
    Dafür sind diese Leute aufgrund ihres Abschlusses angeblich qualifiziert, Berufsanfänger auszubilden oder in Klinikführungspositionen (Pflegedienstsleitungen) zu arbeiten.
    Das ist schon einmal hirnrissig.


    Zum absoluten Irrsinn verkommt das Ganze, wenn paralell nichts getan wird (wohl wie im RD auch), um den Berufsnachwuchs zu halten und zu fördern.
    Man könnte meinen, die geburtenstarken Jahrgänge hätten nie aufgehört und Azubi's würden wie Manna vom Himmel fallen :mauer: .


    Nur vereinzelt - aber flächendeckend notwendig - sind einheitliche Möglichkeiten, die berufliche Ausbildung mit einem akademischen Abschluss zu kombinieren.
    In der Krankenpflege bedeutet dies bspw. eine vier- anstelle einer dreijährigen Ausbildung, die mit einem Masterabschluss endet.
    Damit habe ich einen Leitungsnachwuchs, der den Alltag "von der Pike auf" mitbekommen hat

    raphael-wiesbaden


    Artikel 1
    (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.


    Selig sind die geistig Armen - nur: kann der Himmel die ganzen Seligen auch wirklich aufnehmen ?

  • Da würde ich lieber für eine angemessene Bezahlung der bestehenden Mitarbeiter sorgen, dann kann man auch dem Anspruch gerecht werden, unter den dann anzunehmend höheren Bewerberzahlen, nur noch potentiell besser persönlich Geeignete im Einsatz zuzulassen. Also eine Art "Elitisierung" fände ich sinnvoller. (Und das wiederum würde ich in vielen Berufsgruppen so sehen.)

    Viele gute Punkte! Ich habe auch nicht für eine akademisierung plädiert. Sondern für eine Verbesserung der Ausbildung. Meiner Meinung nach wäre ein Studiengang nicht schlecht, aber das muss nicht sein.


    - Der Punkt Leitstellendisponenten: Top!
    - der Punkt Erfahrung: Auch! Aber ein Studiengang verbietet ja nicht per Definition Erfahrung haben. Es soll erfahrene Notärzte geben :-D
    - der Punkt 90% =! Notfallrettung: Leider Wahr, aber kein guter Zustand. Dafür sind RTWs zu teuer, und dadurch das dann so viele RTWs benötigt werden, fährt jeder dieser RTWs nur wenige "echte" Einsätze. Die Erfahrung an "echten" Einsätzen nimmt also ab mit steigender Anzahl an Fzg.


    Unser System funktioniert, aber könnte in meinen Augen drastisch verbessert werden, sowohl im Interesse des Patienten, wie auch des Gesundheitsystems. Zwei Stellschrauben wären Ausbildung(Fortbildung) der Nicht-Ärzte und Ausbildung(Fortbildung) der Notärzte. Und für beide eine Art Feedback-Struktur nach Einsätzen.


    Aber ich schweife ab, in meine Rosa Welt :bye2:

    Under pressure, you don't rise to the occasion. You sink to your level of training.

  • - der Punkt Erfahrung: Auch! Aber ein Studiengang verbietet ja nicht per Definition Erfahrung haben. Es soll erfahrene Notärzte geben


    Aber da sollte man ehrlicherweise erwähnen, dass ein Arzt nicht nur Akademiker, sondern in erster Linie auch eine praktische Lehre nach und während dem Studium beinhaltet, dass man hauptamtlich erstmal nicht Notarzt ist, sondern ständig praktisch in allen möglichen Situationen klinisch agieren muss. Also kein Notarzt ist lediglich Akademiker, er ist es nur zusätzlich um diese Position überhaupt jemals erreichen zu können.
    Ja, Erfahrung kann auch ein Studierter haben und erwerben. Aber um's ehrlich zu sagen, für den Job als heutiger Rettungsassistent genügt, wieder mit Verlaub, ein sehr begrenztes Hintergrundwissen. Die bereits durch Ausbildung und Praxis erworbene Erfahrung hat hier einen viel höheren Stellenwert für seinen Aufgabenbereich. Weiteres Wissen ist hilfreich, kann aber auch stören oder zu früh angeboten werden. V.a. besteht hier eben wieder die Gefahr der Selbstüberschätzung oder des gefährlichen Halbwissens. Und ich muss es wissen, im Arztberuf ist das schließlich, gerade anfangs, ja nicht anders... umso wichtiger, dass es eine Rückfallebene gibt und jemanden, der einem noch auf die Finger schauen (und klopfen) kann. Im Rettungsdienst der erfahrenere Kollege oder Notarzt, im Krankenhaus eben auch der erfahrenere Kollege oder Oberarzt. Ich finde nur, dass ein Rettungsdienstmitarbeíter nach Abschluss der Ausbildung seinen Job halbwegs beherrschen sollte, so wie ein Notarzt auch, ein Student nach Abschluss des Studiums aber sehr wohl noch oft erst die eigentlich praktische Lehre beginnen muss. Stell Dir ein Heer von lauter Anfängern vor, die theoretisch wissen, was zu tun wäre... aber alle dürften nach bestandener Prüfung uneinschränkt auf die Menschheit losgelassen werden. Bevor die Einsatzerfahrung wertvoll wird, hören die meisten auf oder wechseln in "höhere" Jobs, sie haben ja immerhin studiert. Das wäre meine Befürchtung bei einer "Akademisierung".
    Ansonsten: nichts gegen rosa Welten, sie sind aber eben meist nicht ganz realistisch. :bye2:

    Einmal editiert, zuletzt von true_Phoenix ()

  • Das Grundsätzliche Problem ist die Aufweichung der Qualität und des Anspruches von Schulischer, Beruflicher und auch Universitärer Ausbildung. Der grosse Mist vom 'alle sind gleich' und jeder sollte Studieren ist schuld am ganzen Mist. Vor 40 Jahren war man mit einen Volksschulabschluss und handwerklicher Ausbildung respektiert und angssehen. Heute ist man ja Versagerkind wenn man kein Abi macht. Nicht weil wir alle schlauer sind, sondern weil das Abi kaum was wert ist und der Anspruch deutlich gesunken ist. Wenn die Gesellschaft zurück zu alten Werten findet und respektiert das wir alle unterschiedliche Potenziale haben, kann es wieder besser werden.

  • Wenn die Gesellschaft zurück zu alten Werten findet und respektiert das wir alle unterschiedliche Potenziale haben, kann es wieder besser werden.


    Wobei solche "Rückschritte" nur sehr selten gelingen. Leider.


    Ein Teil des Problems sehe ich darin, dass Deutschland im europäischen Umfeld mit dem dualen Ausbildungssystem schon eine gewisse Sonderform der Ausbildung betreibt und das die europäischen Tendenzen zu vergleichbaren Abschlüssen gehen. D. h. man tut sich schwer die deutschen Abschlüsse mit denen der anderen Ländenr vergleichbar zu machen.


    Leider geht die Tendenz dahin, dass man unsere bewährten Abschlüsse "opfert", obwohl gerade die aktuelle Krise mal wieder zeigt, dass der deutsche Weg ein Vorbild sein könnte.



    Eddy

  • Das stimmt Eddy. Ich liebe das drei gleisige Schulsystem in D. Die Gemeinschaftsschule mag der Renner in der schwedischen Pampa sein, wo man eh nur 4 Erstklässler, 5 Zweitklässler hat usw. Wenn ein anderes System analysiert wird dann scheinen die jenigen oft zu vergessen die Frage des 'Warum' zu stellen.
    Die Durchlässigkeit zur Uni hier in UK finde ich klasse und davon kann man in D lernen, aber das Schul- und Ausbildungssystem wenn man die Zügel mal wieder anzieht ist top. Ohne Frage.

  • "Da wird ein neuer Akademiker, der alles halb und nichts ganz beherrscht eher eine neue Hürde denn eine Hilfe"

    Zitat

    "Kurzum, gerade der >Rettungsdienst funktioniert doch nach den alten
    Strukturen - viele viele Nichtakademiker und dann eben die akademischen
    Ärzte, Wissenschaftler, Spezialisten, Planer etc."

    @true phoenix
    ohne jetzt wirklich wieder Grabenkämpfe eröffnen zu wollen, aber vielleicht könnten es ja Absolventen sein, die gerade diese "Hürde" aus den Weg räumen.
    Vielleicht klingt es polemisch, aber warum muss der Internist bei einer chirurgischen Aufnahme dass EKG des Pat. befunden und später, wenn der Chirurg Notarzt fährt, macht er es wieder selbst.
    Warum operiert der Unfallchirurg in unserer Klinik nicht die verletzte Hand, sondern wird ein Handchirurg hinzugezogen. Alles wird spezialisiert, nur im Rettungs- und Notarztdienst gibt es keine "Facharzt-Vorgabe". Deine Aussage verstehe ich so, dass jetzt aktuell ein Akademiker eingesetzt wird, der alles ganz beherrscht. Hierbei wundere mich eben nur, warum er im NA-Dienst alles können soll und in der Klinik von anderen Disziplinen Konsile anfondern muss.
    Ich bin auch kein Fan der Akademisierung von Ausbildungsberufen per se, aber ich könnte mir durchaus nach bestandener Ausbildung und einer gewissen Berufserfahrung, einen akademischen Aufbau vorstellen.
    Ich glaube, es wäre somit möglich einen Akademiker einzurichten, der eben nicht alles nur halb und nichts ganz beherrscht.


    Weiter sprichst du beim akademischen Personal im RD von Wissenschaftlern, Spezialisten und Planern. Auch hier finde ich einen möglichen Einsatz und Ansatz für einen rettungsdienstlichen Akademiker. Bei einer Akademisierung geht es ja nicht nur um medizinische Inhalte, sondern auch um das Erlernen wissenschaftlicher Methoden. Du schreibst auch von Spezialisten und Planern, aber wer genau sind den diese Personen? Vielleicht wäre in diesem Bereich ein akademischer Fachpraktiker ein geeigneter Mensch dafür. Auch teile ich die Auffasung des deutschen Wissenschaftsrats, der eine Akademsierung von ca. 20% der Absolventen fordert.
    Nicht jeder muss ein studierter Sani werden, aber eine gewisse Weiterentwicklung könnte dadurch in Gang kommen.

  • Vielleicht klingt es polemisch, aber warum muss der Internist bei einer chirurgischen Aufnahme dass EKG des Pat. befunden und später, wenn der Chirurg Notarzt fährt, macht er es wieder selbst.
    Warum operiert der Unfallchirurg in unserer Klinik nicht die verletzte Hand, sondern wird ein Handchirurg hinzugezogen. Alles wird spezialisiert, nur im Rettungs- und Notarztdienst gibt es keine "Facharzt-Vorgabe". Deine Aussage verstehe ich so, dass jetzt aktuell ein Akademiker eingesetzt wird, der alles ganz beherrscht. Hierbei wundere mich eben nur, warum er im NA-Dienst alles können soll und in der Klinik von anderen Disziplinen Konsile anfondern muss.


    Der Unterschied könnte darin liegen, dass der Handchirurg die Diagnose stellt und anschließend therapiert. So weit kommt es im RD im Regelfall gar nicht, dort wird i.d.R. nur Symptombekämpfung gemacht. Für die Symptombekämpfung reicht ein niedrigeres Niveau an Fachwissen und -erfahrung aus als für die Therapie in klinischen Bereich. Wäre es anders, bräuchten wir ein anderes Notarztsystem, welches die Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen für unterschiedliche Einsatzszenarien einsetzt. Und ganz ehrlich: DAFÜR wäre auch ein M.A. Notfallrettung keine Lösung.
    Diskutieren kann man sicher darüber, ob ein M.A. Notfallrettung ein dem jetzigen Stand entsprechender Ersatz werden könnte, nämlich das Lindern von Symptomen sicherzustellen. Auch hier scheint mir jedoch maximal ein aus unserem australischen Blog bekanntes System einigermaßen akzeptabel: klinische Alltagserfahrung auf die Straße zu bringen. Da beginnt das System sich dann aber tatsächlich im Bereich von Redundanzen zu bewegen, so dass ich den Vorteil gegenüber einem Arzteinsatz nicht mehr sehe. Ein nichtärztlicher Notfallakademiker scheint mir nur in einem einzigen Szenario sinnvoll zu sein: als Ersatz bei unzureichenden ärztlichen Personalressourcen. Hier scheinen wir tatsächlich auf eine Situation zuzusteuern, in der es zum Mißverhältnis von Nachfrage ärztlicher Leistungen zum Angebot ärztlicher Leistungen kommen kann. Bevor die Ärzte jedoch anfangen, solche Bereiche ihres Berufes outzusourcen, sollten sie zunächst intensiv darüber nachdenken, ob nicht eine Binnenumstrukturierung möglich ist. Zur Zeit sind Ärzte an vielen Stellen eingesetzt, auf denen sie eben keine Medizin am Patienten betreiben, sondern betriebwirtschaftliche, berufspolitische, journalistische etc. Berufe ausüben und ihre Kunst eben nicht in den Dienst des Patienten stellen. Diese stille Reserve wieder zu integrieren scheint mir eine der Hauptaufgaben ärztlicher Organisation zu sein, wenn sich die Berufsgruppe weiter glaubwürdig gegen die Übertragung von Teilen ihrer Aufgaben wehren möchte.

  • Das Problem am Notarztdienst ist meiner Meinung nach die mangelnde Attraktivität.
    Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Aber es gibt sie. Ein Problem ist auch, dass man nach dem Klinikalltag eben ungern seine Freizeit auf dem NEF verbringt.
    Man sollte bedenken, dass die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von Klinikärzten eben nicht 38,5h beträgt...
    Der Notarztdienst als Dienstaufgabe für Klinikärzte ist in Süddeutschland eher selten, oftmals ist es eine Freizeitbeschäftigung.


    Und das ist meiner Meinung nach das Kernproblem:
    Vereinbarkeit des Notarztdienstes mit der regulären beruflichen Tätigkeit im Krankenhaus. Klar kann man die Bezahlung verbessern und so versuchen die Leute zu "Mehrarbeit" zu bewegen.
    Eine angemessene Bezahlung und eine Tätigkeit im Rahmen der Regelarbeitszeit wäre aber vermutlich der bessere Weg.