Einführung eines Telenotfallmedizin-Systems in Teilen Schleswig--Holsteins

  • Da stellt sich die Frage, wie attraktiv die Stellen bei TNA-Systemen sind? Welche Erfahrungen liegen denn in Aachen vor, die nun bereits seit einem Jahrzehnt das TNA-System praktizieren? Wird das dort in den Leitstellen direkt betrieben oder in Home Office? Wie sieht es da mit der Besetzbarkeit der Stellen aus? Schwierig oder guter Zulauf?


    Gut, wenn man eine Zeit lang auf einen TNA verzichten kann, muss man sich aber auch die Frage stellen, ob man sowas dann überhaupt braucht? Kritische Infrastrukturen zeichen sich ja eben genau deswegen als solche aus, weil sie unverzichtbar ist und eine Störung oder ein Ausfall Wechselwirkungen auf andere Infrastukturen hat, welche ebenfalls wieder zu Störungen und Ausfällen führen können (Verletzlichkeitsparadoxon). Einige Stunden auf eine Leitstelle oder ein Krankenhaus verzichten zu müssen macht schon ordentlich Probleme. Wenn ein TNA-Ausfall für einige Stunden kein Problem ist, dann ist dieser ggf. grundsätzlich nicht erforderlich? Irgendwie muss man da dann Kompromisse finden, wenn man diesen doch als wichtig einstufen sollte. Für Bequemlichkeit die Sicherheit opfern? Man muss dann zu mindestens Redundanzen schaffen, um Störungen und Ausfälle von kritischen Infrastrukturen auffangen zu können.

    Ad 1) Der 24/7 Arbeitsplatz sitzt in der Leitstelle. Es gibt einen weiteren Ausweich- und Ergänzungsarbeitsplatz bei der Firma selbst (dh auch in Aachen). Es macht in meinen Augen aber durchaus Sinn, wenn man direkt in der LST sitzt (nicht nur was die gehärtete Infrastruktur angeht). Der taktische Vorteil verliert sich außerhalb des RD-Heimatbereichs allerdings schnell wieder, da ja mehr "fremde" RD Bereiche betreut werden.

    Das Personal ist wie mittlerweile überall und immer auch hier knapp, da er (erfahrene) Facharzt ja auch in der Klinik benötigt wird, bzw fehlt wenn er TNA Dienst macht. Ist aber in einem kompensieren Bereich und durchaus nicht unattraktiv. Gibt auch Kollegen, die reduziert haben und mit TNA die Stelle aufstocken, bzw direkt über die Firma Umlaut angestellt sind.


    Ad 2) Klar geht es ohne TNA. Aber man darf nicht vergessen, dass es eine deutliche Belastung für ein System ist, wenn eine etablierte Komponente plötzlich ausfällt. Verlegungen werden nicht mehr abgeklärt und damit auch erstmal nicht mehr disponiert. Für die Mitbeurteilung des EKGs, die Analgesie und Co (je nach RD Bereich) muss plötzlich wieder das NEF anrollen, was widerum eine andere Hochwertressource verknappt.. Backup aus dem Homeoffice oder als zweiter (und dritter) Arbeitsplatz ist aber denke ich auf jeden Fall sinnvoll und realistisch.

  • Danke für Deine Rückmeldungen. Dann lag ich mit meiner Einschätzung zu den einzelnen Themenbereichen ja nicht so daneben.

    Ich komme aus Ironien, das liegt am sarkastischen Meer.

  • Möglicherweise wird dann auch mal ge- und verständlich erklärt, warum die gemeinen Stadtbewohner in der Regel eine kürzere Rettungsfrist zum Überleben haben als das gemeine Landvolk. Warum kann überhaupt auf Länder- oder sogar Kreis- und Stadtebene (NRW) definiert werden, wie schnell es denn gehen darf?


    Ich finde die umgekehrte Anspruchshaltung aber auch nicht richtig: Ich will ins weite Land ziehen, aber Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst haben gefälligst in 15 Minuten in gesamter Stärke vor meiner Haustür zu stehen und das ganze soll bitte Gesetz sein, damit ich klagen kann.

    “When I was a boy and I would see scary things in the news, my mother would say to me, "Look for the helpers. You will always find people who are helping.”


    • Fred Rogers

  • Ich finde die umgekehrte Anspruchshaltung aber auch nicht richtig: Ich will ins weite Land ziehen, aber Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst haben gefälligst in 15 Minuten in gesamter Stärke vor meiner Haustür zu stehen und das ganze soll bitte Gesetz sein, damit ich klagen kann.

    Es soll ja Menschen geben, die nicht aufs Land gezogen sind, sondern schon immer dort gelebt haben und irgendwann sterben werden.....Da kann man sich die Frage schon mal stellen...Ich halte Hilfsfristen als Planungsgrundlagen für die Standorte schon für sinnvoll.


    Mir wäre dabei die Zeitvorgabe auch zunächst einmal eigentlich egal. Nur weil in Großstädten der Bus alle 10 Minuten fährt, erhöht das nunmal nicht das Risiko, will sagen, gibt es doch auch keine Argumente für schnellere Rettungschancen in einer Großstadt als auf dem platten Land....

  • Selbstverständlich muss es grundsätzlich eine (gesetzliche) Hilfsfrist geben. Wenn es diese bundesweit einheitlich geben sollte, sehe ich das Problem, welchen Wert man da nimmt. Denn auf dem Land wird das eben schwierig, die Zeiten aus der Stadt dauerhaft und flächendeckend zu erreichen.


    Nur kann daraus eben die Anspruchshaltung entstehen, eine notfall(medizinische) Versorgung, wie in der Stadt für sich zu beanspruchen, auch wenn ich in der hinterletzten Ecke wohne. Dann ist es auch egal, ob ich da schon immer gewohnt habe oder hingezogen bin.

    “When I was a boy and I would see scary things in the news, my mother would say to me, "Look for the helpers. You will always find people who are helping.”


    • Fred Rogers

  • Nur kann daraus eben die Anspruchshaltung entstehen, eine notfall(medizinische) Versorgung, wie in der Stadt für sich zu beanspruchen, auch wenn ich in der hinterletzten Ecke wohne. Dann ist es auch egal, ob ich da schon immer gewohnt habe oder hingezogen bin.

    Ja, und? Dieser Anspruch ergibt sich aus dem Grundgesetz, würde ich sagen.

    Und was die „hinterletzte Ecke“ angeht: Wir leben ja nicht in Kanada, Grönland oder der Mongolei, wo die hinterletzte Ecke wirklich weit weg von allem ist.

  • Gleichwertige Lebensverhältnisse bedeutet nicht gleiche Lebensverhältnisse. Das, was wünschenswert ist, muss auch leistbar sei. Aufwand/ Kosten müssen in einem tragbaren Verhältnis zum Nutzen stehen. Dieses Verhältnis stimmt dann irgendwann einfach nicht mehr, wenn zum Beispiel 1 RTW für 1000 Einwohner zur Verfügung steht, wenn dieser nur dadurch in 10 statt in 20 Minuten am Einsatzort ist.

  • Aktuell glaub ich nicht, dass die Bevölkerung in Ballungsgebieten besser da steht als auf dem Land, wenn ich mir die Nachrichten aus Berlin und anderen Großstädten ansehe.

    Ein Tele NA System hilft dort mit Sicherheit, die physischen Notärzt für indizierte Einsätze frei zu halten, die dann die Hilfsfrist erfüllen würden.

    In einem Flächenland wie Baden-Württemberg fehlen regional Notarzt Standorte um dem GG genüge zu tun.

    Es gibt in meinem Einsatzgebiet Wohnbereiche, zugegebenermaßen dünn besiedelt, die auch bei freiem, nächsten NEF nicht in 12 Minuten erreichbar sind. Da hilft ein Telenotarzt nur bedingt.

  • Man müsste einfach (wie schon oft geschrieben) von der starren Hilfsfrist weg, hin zu gestaffelten Hilfsfristen (und in die gehören dann auch FR, RR usw. mit rein).

    Weil egal ob 8, 10 oder 15 Minuten, zur Reanimation oder zum Ersticken werden wir auch dann zu spät kommen (und ein RD, der überall in drei Minuten vor Ort ist wäre toll, bleibt aber illusorisch).
    Bei diesen Notfällen muss sichergestellt werden, dass jemand innerhalb kürzester Zeit (wenige Minuten eintrifft). Und da ist dann tatsächlich erstmal egal ob RTW, NEF, RR oder FR etc. Dafür dürfen andere Notfälle ruhig auch ein paar Minuten länger warten, weil die wenigsten von diesen paar Minuten profitieren werden. Aber auch diese (zum Teil ja freiwilligen) Strukturen müssen koordiniert, evaluiert und bei Bedarf optimiert werden. Ein Beispiel dafür wäre dann z.B. die „REF-Idee“.

  • Der Satz steht nicht im Grundgesetz. Und ganz nebenbei bemerkt leben 68% der Bevölkerung in Deutschland in Landkreisen und nicht in Großstädten...

    Im Grundgesetz steht auch nicht, wann ein RTW an einer Einsatzstelle zu sein hat oder ein Krankenhaus zu erreichen ist. Alle gesetzlichen Bestimmungen sind aber genau die Kompromisse, die das Verhältnis Kosten zu Nutzen abbilden. Ansonsten müsste an jeder Straße ein Krankenhaus mit allen Behandlungsmöglichkeiten stehen. Das selbe gilt für Polizei, Feuerwehr etc. Das ist nicht realistisch und so sicher auch nicht im Sinne des Gesetzes zu verstehen.


    Landkreis bedeutet nebenbei bemerkt nicht gleichzeitig ländlicher Raum mit einer unterdurchschnittlichen Bevölkerungsdichte. Die meisten Gemeinden in meinem umliegenden Landkreis haben urbanen Charakter.


    Auch kann man die Sache umdrehen und fragen, wieso die Städte für die Landkreisbevölkerung umfangreiche Infrastruktureinrichtungen vorhalten, für die sie keinerlei direkte Kostenerstattung der Landkreise erhalten?

  • Möglicherweise wird dann auch mal ge- und verständlich erklärt, warum die gemeinen Stadtbewohner in der Regel eine kürzere Rettungsfrist zum Überleben haben als das gemeine Landvolk. Warum kann überhaupt auf Länder- oder sogar Kreis- und Stadtebene (NRW) definiert werden, wie schnell es denn gehen darf?

    Das ist es, soweit mir bekannt, nicht mehr.

    In der Verabschiedung des RettDG NRW in 2014 (?) hat man verkündet, dass das alte Gesetz und sämtliche Verordnungen dazu ebenfalls ihre Wirkung verlieren.

    Da die Hilfsfrist mWn in einer Verordnung geregelt war (um Gesetz steht nichts) müsste diese somit auch außer Kraft gesetzt sein.

    Ich habe dazu mehrere Leute schon befragt, auch welche die es wissen müssten, und bis jetzt konnte mir niemand eine Hilfsfrist für NRW in einem entsprechenden verbindlichen Papier zeigen.

  • Ist in Schleswig-Holstein lediglich für unbewohnte Gebiete zulässig. Wohnplätze müssen planerisch zu 100% erreicht werden können...

    Hilfsfrist in S-H: Es soll in 12 Minuten ab Alarmierung „der dem Einsatzort nächstgelegene über eine öffentliche Straße zugängliche Standort erreicht werden“. Dies gilt nicht für „geografisch erschwert zugängliche Einsatzorte“.
    Der Erfüllungsgrad liegt bei mindestens 90%.

    §2 Abs. 1 und 2 der Landesverordnung zur Durchführung des Schleswig-Holsteinischen Rettungsdienstgesetzes.

    Lerne, dir selbst in größter Eile Zeit zu lassen.
    Wyatt Earp

  • Das ist es, soweit mir bekannt, nicht mehr.

    In der Verabschiedung des RettDG NRW in 2014 (?) hat man verkündet, dass das alte Gesetz und sämtliche Verordnungen dazu ebenfalls ihre Wirkung verlieren.

    Da die Hilfsfrist mWn in einer Verordnung geregelt war (um Gesetz steht nichts) müsste diese somit auch außer Kraft gesetzt sein.

    Ich habe dazu mehrere Leute schon befragt, auch welche die es wissen müssten, und bis jetzt konnte mir niemand eine Hilfsfrist für NRW in einem entsprechenden verbindlichen Papier zeigen.

    das scheint der Landesregierung NRW im Jahr 2020 aber nicht bekannt gewesen zu sein.


    https://kleineanfragen.de/nord…n-eingehalten-ist-die.txt

  • Jop, steht so geschrieben. Gilt allerdings zweifelsfrei für Inseln, Halligen oder auch auf der Helgoländer Düne....Alle anderen Einsatzorte auf dem Festland mögen ja abgelegen sein, sind aber nicht geografisch erschwert zu erreichen....

    Bitte lies die Quelle. In der steht nämlich auch die Definition von „geografisch erschwert zu erreichen“. Diese Aussage ist nämlich genauso falsch, wie die, dass es 100% sein müssen…

    Lerne, dir selbst in größter Eile Zeit zu lassen.
    Wyatt Earp

  • das scheint der Landesregierung NRW im Jahr 2020 aber nicht bekannt gewesen zu sein.


    https://kleineanfragen.de/nord…n-eingehalten-ist-die.txt

    Interessantes Blatt! Danke dafür. Aber auch hier wird die Frage ja nicht klar beantwortet. Es handelt sich um eine kleine Anfrage und die Antwort ist, dass man in der Kürze der Zeit nicht antworten könne. Eine definitive Aussage ob es zwei Hilfsfristen gibt ist das nicht.